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BJütbezeit der Romantik
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iBlütticicit öcr ;lioitiiintif.
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Slfittjeäeit ber D^ömantiL
Sßon
aitcaröa ^udi-
Sei^ätg 1899.
Sterin g üon §. §aeffel
(g§ finb je^t gerabe ^unbcrt ^a^xt f^tx, ha'^ eine
®etfte§ri(^tung fid^ in Seutfc|Ianb gu entroideln begann, gu
ber hk in ber jtrieiten ^älfte nnfere§ 3a^r()unbert§ l^err-
fd^enbe einen ©egenfa^ bilbet, bie aber feit etuia gioei ^a^r«
je^nten einer SBiebergeburt entgegenjugeljen fd^eint. ®e§-
l^atb bürfte in unferer ^eit, wo man nad^ einer üoran*
gegangenen gänsIidEien Slbme^r ber romantifd^en Sbeen fie um
fid^ ^erum öon 9^euem aufleben fielet, ein grö^ereg S3erftänb=
ni§ bafür möglid^ fein, aU eine früljere Generation ^ben
fonnte. Sn biefer SJieinung ^aht idj ba§ üorliegenbe $8ud§
gef(^rieben, ba§ fic^ ben über benjelben ©egenftanb bereite
befte^enben 2Ber!en nid;t an bie (Seite ftellcn, gefd^meige
benn fie öerbrängen foH. SDenn idt) beabfic^tige nur ben
@tnn ber 9tomantif barsuftellen, ba§ S)enfen ber 9tomantifer,
tüie e§ auö i^rem SBefen I)eröorging, unb \)abt h^^^aih
öerfuc^t, ein 93ilb ber SJJenfc^en, bie in 93etrad^t fomnien,
gu geben, unb bann ifirer ^htm.
Tleint Cuetlen n^aren einjig bie SBerfe ber 9?oman=
tifer, ibre 33riefe unb fonftigeg SSiograpl^ifd^e mit ein=
gefcf)toffen.
IV 58ombe.
SSä^renb ber öorltegenbe 93anb ba§ (Sntftel^en unb (5r=
blühen ber ü^omantif jum 65egenftanbe ^at, tuitl icE) in einem
folgenben öer[u(f)en, t|r Steifen unb Stblüelfen bar^uftellen.
(Sr yott bie fogenannte jüngere romantifc^e @c|ule umfaffen
ober beffer gejagt, alle biejenigen ©rfc^einnngen, hie bie an*
geregten romantifclen S^'een toeitergefü^rt ober irgenblote
tnner()alb berfelben gelebt unb getüirft ^aben; ft)obei e§
mein S3e[treben fein n)irb, nid^tä 2BefentIic^e§ 5U überfeinen.
^d) i^offe, biefen 93anb nad^ SSerlauf eine§ ^afireS
öoHenbet ju ^aben.
3nl)alt
©eite
®ie ©ebrüber ©dilegel 1
Caroline 27
®a§ 5lt[)enäum 44
9JoöaU§ 64
StpoKo unb ®tom)|oö 83
®er romantiicf)e (5f)arafter 119
atomantifc^e ^^iIofop£)ie 154
®te neue ^Religion 183
(5d)illev unb ©oet^e 204
Seben 226
Diümantifdie Siebe 253
3iDmanttfd)e Ironie 283
3tomantijd)e 'BM)n 302
Sa§ 9Jfärc{)en 822
©ijmboUjd^e fi'unft 337
S)te alte ^Religion 356
%ob 376
Sic @c0vüÖcv Sc()(ctjcL
(Sine ©d^aar junger SQJänner itnb grauen flürmt ^er-
obernb über bie breite träge Ma\ie S)eutfc^Ianb§. Sie
fommen wie öor 3a^rt)unberten bie blonben germanifd^en
Stämme ber 2Banberung: abenteuerlid;, [iegeSgeluiB, ^eilig
erfüfft oon i^rer ©itte unb t§rem Seben, mit übermüt^iger
S3erac|tung bie alte morfd^e ^'ultur über ben ."paufen tuerfenb.
Sßon ber fc^euen S^rfurc^t öor überlegener ©elualt, bie bie
feine 3lu§bilbung be§ 9tömi]c^en '3idd)e§ Iro^ aUebem ben
barbarifc^en Gröberem einflößte, empfanben freiließ bie
9tomantifer nidjt». @ie ftanben ben eigenen SSorfo^ren
gegenüber, beren ©d^luät^en fie burc^ unb bur(^ fannten,
unb bereu SSorjüge tljnen üjenig tm)3onirten; ttire i8e-
lüunberung griff in entlegene SSür5eit jurücf, Wo fie hie
©igenart t§re§ ©tamme§ rein aulgeprägt ju finben glaubten.
®a§ fonnige ©länjen junger loanbernber ©ieger liegt
blenbenb über bem fleinen furc^tlofen 3;rupp. 2(ber am
meiften gleidEien fie gerabe jenen Stämmen ber $8ölfer='
n^anberung, ben btüijenbften, genialften, bie in ber grcmbe,
wo fie Jieimifc^ jn n}erben gebadeten, frü]^ untergingen, hie
grud^t i|rer Slämpfe Späterfommenben übertaffenb. ©ie
t3erbrauc^ten i^re Gräfte in ber mut^milligen S^erfc^wenbung
be§ erften ©turme§, ünbifc^ unb forgIo§ fc^iuelgten fie in
leichten ©iegen über fd)iuä(i)Hd^e ©egner, bie fie öerad^tcten,
öerfpri^ten i^r fc^äumenbe§ Slut ol^ne S^otl), au§ Suft be§
Sämpfeng unb 9iingen», l^ieüen i^ren SSefi^ nic^t ju Mai^e
^ud), SRomontiter. 1
2 ®ie ©ebrüber ©cljlegel.
unb bauerten ntd^t au§. lieber ber freubigen ^rad^t ii^rer
3;riump^e liegt fd^itier fc^attenb ber frütie, nic^t ruljoitofe,
aber ä»"äcJ^|"t erfotgtofe SluSgang unb mai^t fie ju tragijd^en
©rjd^ einungen.
^erienige, ber al§ gü^rer be§ ftreitbaren ^äufc^en§
angefe^en tuirb, SBüftelm ©c^Iegel, mar fein {^elb£)errngenie,
!ein |>errfd^er öon (Sjotteg Knaben, üor beni fid^ SttteS
nieberiüirft, uniuiUfürlid; einer elementaren Tlaä)t ^ulbigenb.
@r loar ein 9Jienfd^ öon ^eKem unb lueitem, aber faft aul-
fd^Iiefelid^ äußerem SSerou^tfein, öon Umfielt unb ^larlieit;
e§ Ujar fein Sobern aHgemaltiger Seibenfc|aft utn xifti i^er,
aber ein öielfarbige§, reijenbeS 9iafetenfprül)en bemegtii^en
®eifte§ bligte au§ feinen 5(ugen. Seicht, elegant, freunblid^,
ritterlich, al§ immer bereite SSaffe in ber |)anb ben an»^
mut^ig geformten ®old^ l^aarfcliarfen SBtijeg, fo muffen totr
un§ fein S3itb ausmalen, wie er in guter ©tunbe mar.
„S)a§, roa§ id^ am 9J2eiflen an SDir liebe", fd^rieb i^m fein
äärtlid^er Sruber, „ift am ©td^tbarften, menn SDu glücEüc^
bift." Sung ^ätte er fterben fotten, in ber gütte be§ ®e=
tingen§; ba§ mar bie Sragif be§ eifernen, folgerid^tigen
(Sd§icffal§ für i^n, ha^ er fo lange lebte unb ba§ 3lÜer
erfuhr, ha^ er fein Seben lang mit aljuenber Slngft ge=
fürchtet ^atte. ®ie§ fic^ 51nflainmern an tit S^genb mar
nid^t etma äJJangel on gäf)igfeit ober gutem ä'iiillen, bie
S)inge ernft ju nefimen. 2lu§ bem tänbeinben Jüngling
mürbe fogar, menn er arbeitete, ein geletjrter ^|5ebant, aU
meldjer er \a auc^ in ber (Srinnerung ber fpäteren ®e=
fc^Ied)ter fortlebte, bie für hk „übermütt)igen ©ötlerbuben",
mie SBielanb bie 33rüber ©d^legel nannte, fein il^erftänbni^
me^r Ratten, ^e^t immer nod) feunt man i!^n liauptfäd^lid^
aB ben grünblidtien gorfd^er, ben unermüblid^en Ueberfe^er,
ber öon fic^ felbft fagte: „Sm ©tetju, im ®e^n, im SSüd;en
Sie Ö5ctnübcr ©djlegel. 3
unb im S3ette, auf Steifen felbft, mie unter'm ©cEiu^ ber
Saren, ftet» bic^tenb." Xiefe etgent£)ümli^e SJJifd^ung non
3(nmut6, Dberf[äd;tic^!eit unb ^ebanterie Beruht auf betn
9J?angeI an &tmd)i. (S§ fehlte i^m an 9}?affe, an bem
unbeiuufsteu ^ern, ber bie ©runblage be§ iUcenfd^en Bttbet.
2ttte§ läBt fid^ baraug eiKären: in feinen Segietjungen 311
ben grouen W Unfä{)ig!eit, gro^e, flätige Seibenf^aften ju
erregen unb gu empftnben. (Sr fud)te unb fanb öiet
!Oceigung ber grauen, lieBen^iüürbig, me er luar, mit bem
feud^ten ©c^tmmer, ber feine glänjenben braunen klugen fo
anjielenb machen fonnte; aber nur gautelnbe^ @(f)metter=
Iing§glü(f, alle Sieblid^feit eine§ fpielenben 3üngting§Ieben§
mar i£)m befd^ieben, niemals ba§ fatte, ftolje ©enügen einer
fraftöollen Statur. SSon ber einsigen grau, für bie er ein
ecfitel, erufte§ ®efüt)I ^atte, foweit er ba§ ^aben fonnte,
öon S^aroline mu^ man luoJ)! fagen, ba^ fie il^n niemals
luafjcfjaft geliebt [)at ^n feinem fünfunbstuanjigften Seben§=
ja^re fd^rieb i[)m fein jüngerer Vorüber Juarnenb: „^d^ luünfd^te
nidjt, ha'^ ®u bie ^^eit deiner S'igenb unb ba§ ^ugenblid^c
in 2;einer Siebe aU Sein ganjeS Seben anfä^ieft . . .
SSarum njoüteft ®u bal (Snbe ber jugenblid^en Siebe aU
ha^ Gnbe 5)etner -"perrlidjfeit be» Seben§ überall betrad^ten?
Sie füllte eigentlid^ nur ben (Sntl)nfia»mu§ in ©einer ©eele
ftar! unb oofltommen gemacE)t |aben, beffcn (Segenftonb aU=
bann im männlidjen 5Uter ber SBiKe unb bie ©ebanfen
2)eine§ eigenen befferen Selbft fein fönnte." — „Sa§
fannft Su, lüenn 2)u luiUft", fui^r griebrid) fort; aber
ber unglüdüc^e 9iarciffu§, ber fein beffereS ©elbft über I
bem sitternben ©piegelbilb ber unftäten SBetten, in ha§' er
öerliebt loar, öerga^, ^ätte ha^ ni^t einmal lüoHen tonnen.
2Benn er nic^t ber junge, blonbe, mut^iüifüge ©d^roärmer
fein fonnte, toofltc er nic^t leben. (£r mar gan^ oljue
1*
4 ®ie ©eBvüber ©d)IegeL
Öirö^e unb baruni oline gä^igfett, ha§ ©ro^e ganj gu er-
fennen, gu lieben, 511 uioHen. ®a§ tft ber S'ern all ber
garten unb liebeöoUcn (Srmal^nungen, bte grtebrtd^ an i|n
rtdjtete: luenn er i^n üor 3er[treimng n^arnt, bie ber Sob
oller ®rö§e fei. — ©rö^e fei nur mit ©oncentration aller
Gräfte tierbunben möglief); tuenn er iljn bittet, er möd)te
fid^ bie SSegeifterung nicEit fd^minben laffen, iuenn er fürd^tet,
e§ möd^te eine gemiffe un^ufriebene ^älte hd iJ)m ^errfc^enb
merben. 2öilf)elm'§ „uralter Sjalß gegen bie SSernunft"
fctibete einen fceftänbigen ©treitpunft jmifd^en ben SSrübern,
„feine Sbioft)n!rafie gegen bie SSernunft, ha^ SDenfen", bie
e§ it)m unmögtic^ machte, tuie griebric^ fugte, ba§ ©ro^e,
5. 33. in ©dE)iIIer'§ ^erfon 5U öerfte^en. Unter SSernunft
begriff uämlicf) griebric^ ha§ SSermögen ber ^beale; er
nannte fie einen ©runbtrieb, ben iiad^ bem ©tüigen. SSenn
uun auc| 2Bitt)e(m bicf)tete:
„Scf) luonte biefeS Seben
®urcf) ein imenblid) (Streben
3vtr (Sinigfeit erl)öt)'n",
fo fcefagt ha^ nid^t§ 2lnbre§, al§ ba^ er gefd^macfDoll unb
!Iug genug mar, um gu luiffen, was, nion ttjun unb fein
muffe. (SJrunbtriebe aber befafe er gar nic^t, ha% wax
eben haS' (Sin unb 2ltte§, iüa§ i§m fel)lte. 3luc^ bie ^ein=
Iidf)e, flet§ öerle^te (Sitelfeit, §u ber er berbammt icar, ^atte
in biefem 3JJangel i^ren (Srunb. @§ ift cigentl)iimlid^, niie
alle eiteln 9}ienfc^en ben (Sinbruc! einer großen inneren Seere
eriüeden. Qn bem bunfeln (SJefü^I, feinen näljrenben ^ern
im Innern ju ^ben, hungert e§ fie beftänbig nad^ anberu
SJienfd^en, an benen fie jeljren fönnen. @ie gefjören nid^t ju
ben guten HJienfd^en, öon benen ©alonion in ben ©prüd^en fagt,
t)a^ fie bon fid^ fetber gefättigt tuerben. ®itelfeit erfe^t ha^
©etbftbetüu^tfein; fie ift luie ein ©orfett ober ©erabe^atter,
3)ie ©cDvüber Scf)Iegc[. 5
ber (Stnem ba» 5tnfeljen eine§ aufredeten, flarfen 9}?enfc^en
geben foff, eine 2(rt 3hito=®uggeftton: iuenu ber ©d^mad^e
fic^ nic^t überfc^ä^te, unirbe er au§ S[RangeI an ®e(b[t=
öertrauen gufammenbrec^en. diejenige ©elbftltebe , bte
griebridj meinte, nienn er fcfirieb: „SBer fic^ felb[t liebt,
ber ift auf bem SBege, etipa§ ©roBf^ äu ftierben", bie fehlte
SBil^efni. Gr mar mte ein (Schiff o[]ne ^Baffaft, nur auf
einem fleinen ruhigen (SJeiuäffer 5U fptelen gemacht.
Sn ben 5tugenbliden, tüo er ba§ i^erj ^atte, gang el]r=
lid^ 5U fein, geftanb er fii^, ba§ i|m in ber ^unft ber
fd^önfte ^ranj oerfagt bleiben muffe. ®ann branbmarfte
er, roie griebric^ fagt, feine Jlraft, in hit tnnerfte ©igen-
tfiümlic^feit eine§ großen ®etfte§ einsugetjen, unmut^ig mit
bem Dramen „Ueberfe|ertalent". 2öa§ für eine reizbare
©mpfänglic^feit für ha^ ©djöne, iDelc^e» 55erftänbntB für
frembel ®enie, nm^ für ein erftaunlic^eg (Sprachgefühl unb
©eböc^tni^ mit angeftrengtem gleite ^ufammenfonimen
mußten, bamit bie unfterblic^e ©^afefpeare-Ueberfe^ung ent=
fielen fonnte, bay fann nie genug f)eroorgef)Dben luerben.
Unb bennoc^ — lieft man bartn, fo empfinbet, fo benft
man an @f)afefpeare, nidit an 2öilf)elm 'Sd)IegeL 2)e§
^i(^ter§ ^erföntid^feit !ann man nur in feinen eigenen
2Ber!en fuc^en. @c^Ieger§ ®ebid)te belebren un§ in feinfter
SBeife barüber, inte aller gute (S^efd^mad unb alleö SBtffen
üon bem, raa§ fd^öu unb nic^t fd^ön ift, bte ge|etmniBt)oII
mirfenbe S?raft, bie blinb ha^ ®ute ^erüorbrtngt, nid^t ju
erfe|en üermögen. 2Bie Ifar fa^ er, morauf e§ anfommt.
„Unfer 2)afein", fagt er gelegentlich, „rn^et auf bem Un»
begretflid)en, unb bie ^oefte, hk aug biefen liefen ^eröor-
ge|t, fann biefe§ nid^t rein auflöfen motten. Xa^jenige
SSoIf, mofür e§ fi^ ber SRüfie üerlofint, ju biegten, £)at
I)ierüber, wie über Siie(e», bie natürlidje ©efinnung bei»
6 3)ie ©eln-über ©c^Iegel.
be()alten; 2IIIe§ öerftef}en b. f). mit bem SSerftanbe Iiegreifen
UioIIen, tfl geiüiB ein fe^r unpopuläres Segefjren. 33et|piete
Uierben bie§ einleudbtenb inai^en. SDte S3tbel, lüie fie gegen»
tüärtig in ben .s!>änben be§ SSoIfe§ ijt, tütrb nur jefir un-
öotlfommen oerftanben, ja bielfälttgft mi^Oerftanben, unb
bennod^ ift fie ein anwerft populäre^ $8uc^. S3on unfern
neueren (Sj:egeten sum atlgenieinen SSerftänbniffe jugertc^tet,
tüürbe fie unfei)(6ar if)re Popularität gro^enttjeüS ein=
bilden, ^ie alten, befonber§ fatfjolifc^en ^ir^entieber, öolt
ber fü^nften 5tIIegorie unb SO^ljftif, maren unb finb fjöc^ft
populär; bie neuen bilb» unb frfjmunglofen, oernünftig ge-
meinten unb tüafferftaren, bie man an i§re Stelle gefegt
'^at, finb e§ ganj unb gor ntcf)t. Unb tüarum finb fie e§
nicf)t? 2BeiI in i()rer cfelu (Sinförmigfeit uicl^t§ bie Stuf*
merffamteit luecft, nic^t§ \)a^ @emüt| plö^Iic^ trifft unb e§
in bie SJcüte beSjenigen öerfet^t, loa§ i^m burd^ förmlid^e
S3ele^rung ntc^t sugänglid^ tuerben inürbe. äRit einem
SBorte, raer für ha^ ^olt etiüa§ fcfireiben tüiH, ha^ über
beffen iröifc^e SSebürfniffe tjinauSgefjen foU, barf in ber
tüeifjen SJJagie ober in ber fünft ber Offenbarung burcö SBort
unb 3eicf)en nidjt unerfahren fein."
5lber er felbft \mx fein aJiagier. (5§ war ni(f)ty, gar
nichts ^ämonifc^eS in i(}m. J^n feinen SiebeSgebic^ten fep
ber füfje ©ctimelj ftorfer @inulid)feit, unb nur fein un=
beftec^Iidjer ®efrf)mac! beirairte iiin baöor, anftatt beffen
tüi^iger Süfternt)eit 9taum 5U geben, bie bagegen in feinen
fatijrifc^en ©c^er^gebic^tcn gern bcroortritt. ©eine ©c^iuefter
ef)arIotte traf ganj ba§ atic^tige, tt)enn fie i§n mit Sielanb
berglid;, inbem fie fagte, bie befte unb luirffamfte .^ritif
eines 2iutor§ fei ifjrer SDJeinung uac^, in eben bem (^aä)t
ein befferer (Sc^rififteller ju fein, unb fie traue 233il£ietm ju,
ouf biefe Strt gegen SBIelanb ju gelbe gietjen ju fönnen.
Sie G)c6i"über Scl)(egcl. 7
gaft niemall fe^tt if)m ©rajie, bie frctltd^ 511 elegant tft,
um bie ©raste einel 9tatur!tnbe§ gu fein. 9^ic|t "bit 2ln=
mut§, bie aii§ straft I)erüorge^t, befeett feine (S)ebid)te; aber
e§ ift tod) etma» ©d^uiebenbel in ilinen, njie raenn bie
9Jaturtrtebe mit ber ©c^mere i^re» 9)iüffen§ nic^t auf i§n
n}irften. S^^^^> ^i" ^opf entftanbene (Smpfinbungen £)aud^en
leicht oorüber; man tann luo^I unmutf)ig luerben über
tit felfenblafenarttge ©lätte unb Seere biefer angeblichen
Seibenfc^aften; bafür fenfen fic^ bie SSerfe aud^ nie=
mal§ mit fd^uiüler ©djinermutf) betaftenb auf'§ ©emüt^,
be§ S)ic^ter§ ©eifteSunfreiiieit üerratf)enb. iDlan möd^te i|m
einen (Srgu§ ()eiBen irbifdien 58Iute§ in hk albern metir
Jrünfd^en, er ift inie eine lofe, flatternbe 33fume, in bereu ä{er=
liefen ©tengel bie ©iifte ber @rbe nicf)t (jtnaufftrömen fönnen.
92ur einmal ift er, luie aud^ ©oet^e urt£)eilte, über fic^
fetbft f)inauögegangen: in ber 3'icignung be§ SrauerfpieB
„9tomeo unb ^iiüa", an Caroline gerichtet, bie bamalä
enblic^ feine ?^rau gemorben mar. SJJag i()m (}ier and)
feine innige $ßertraut^eit mit ber Sichtung 5U &uU qe-
fommen fein, fo ift e§ bod^ ha^ nic^t allein; inbem er
fein bie poetifc^e 2Bei§fjeit ©^afefpeare'g red^tfertigt, bie
9tomeo unb ^ulia gerabe be§t)alb auf ber ^öf)e be§ ©lüde»
unb ber Siebe fterben lä^t, bamit nid^t fie — ein lüett
^erj.^erreifeenber Untergang — tljre Siebe überleben, mochte
er bie ©efa!§r mit bunfler 23e^mut!^ afjnen, bie in feinem
eigenen SBefen unb ©efc^id lag. ^ein feinblid^er 5[nblid
fd^redt Siebe, im Kampfe fc^iüillt if)r WuÜ), fie fd^aubert
nic^t, bei lobten fid) 5U betten —
„5(d), jdjlimmer bvof)n i[)r läd}e(ube 65efaf)ren,
SG3enn fie be§ 3"ii'l'3 Jücten üOenuanb.
58ergnnglid)fcit mufj jebe 95(ittl)' erfahren:
Sqü\ aller iölütfjcn 33lüt^e nic()r 53ei'tanb?
8 S)ie (Sebrübci 6d)Iegel.
Sie wie burcf) gfii'^cr feft 9ejd)Iungen maven,
Soft &IM unb 5Juf) unb 3^'^ '"^t (eifer C^anb,
Sld), jcbem fremben SiUberftanb entronnen
©rtränft fid) Sieb' im $Bed)er eigner Sonnen."
(£§ liegt eine ma^re unb feufd^e Sirauer in ben S3er[en.
2)0^ gebämpfte .'pei^ö^^opf^" ci"^^ furc^jamen 2Be^mut| über
bie eigene ©ebrec^Iid^feit unb SSergängti(i)feit, ba§ ift, it)a§
er am SBaljrften unb 3:ief[ten in fid^ burc^Iebte, unb überall,
rto ba§ onÜingt, berührt un§, toenn auc§ nur gang leife,
ber geöeimni^üoUe 3öubcr, ber au§ ben Elementen ber
5Jiatur unb bei SJJenfi^en bringen tann:
„'Dcidit bloß bie 33Iume loetft, ba§> Suftgeroebe
2er iS'XÜijt reifet, entf(ief)t beö Senje^ prangen,
5Jid)t bloü erbleidjen junge jRofeninangen,
3)em föeift aud) broI}t'§, hai^ er fid) überlebe.
23te fü^n er erft auf freien g-lügetn fd)iuebe,
®umpf g'nügfant bleibt er balb am S3oben [)angen.
C nnf]t Sf)!-' für fein grenjcnloS SSerlangen,
Sfijeif' ober Sichler, feinen 2;rant ber §ebe?"
S)ie TläxiQd in SBiI^eIm'§ 9Zatur fd^Ioffen freiließ a\id)
gro^e JBorjüge ein. ^lild) unb fräftig befaßte er fid^ nid)t
mit ^fijc^ologie, fc^rieb einmat Carotine, lüal f)ier aU ent-
fd^iebenel Sob gemeint ift; er jerfaferte nic^t 'i)a§ innere,
Jüie e§ bamat§ bie S)arfte(Iung§uieife ber mobernen (Sd^rift-
fteller tüurbe, benen e§ babei nur feiten gelang, eine gonje
6rfd;einung lebenbig öor bie ?Iugen ju ftetten. „Su bift
gewaltig bei gi^onunann'§ getobt morben", fdirieb fie i^m
ein anber SJ^al, „®u tönnteft, \va^ S)u luollteft unb tpteft,
IDOS ®u tönnteft unb h)äreft ein ^leinob öon ^Rec^tlid^f eit. "
3a, ba§ ^r anflicke, Unbeftimmte, in'l ©renjentofe S(u§=
fctitoeifenbe ber meiften übrigen Diomantifer log nid^t in
feinem 2Befen. S((Ie§, ft)a§ er fd^rieb, lüenn e§ aud^ tiefer
unb bebcutenber i)ätte fein fönnen, mar boc^ ein ©anjeg.
S)ie ®e6rüber @(^(egel. 9
abgerunbet, fjatte t^o^^m. (Sr öerfügte über bal, lrQ§ man
SJiac^e ober S^irtuofität nennt. (£tne geiuiffe 33e^enbtg!ett
be§ §anbeln§ unb 2(u§füf)ren§ madjte t^n im praftifd^en
Seben ben ©efäfjrten überlegen, bie |ic^ §utn S^etf mit bcr
Unermeßtid^teit i^rer ^läne begnügten, ©o njurbe er ber
5)ireftDr, 2Bortfüf)rer, Herausgeber, 5(norbner, §{ntret6er;
fo ift er noc^ je^t al§ ha^ ^anpt ber romanttfc^en ©^ule
belannt. 2((» Jßorfömpfer be§ ©uten, Svenen unb Sefämpfer
be§ ©c^fed^ten in ber Siteratur, I)at er iebenfall§ unter allen
ha^ SOfeifte geleiftet, ber unermüblid^e Sinfer im Streit.
Xie 9ieinöeit unb ©d^ärfe feinet S3eri"tanbe§, feine un»
fefjlbare Srnpfinbung für ba§ ©d)öne, tüie für t>a§ öäB^ic^e
unb Säd^erlic^e, fein Ttiit^, feine fc^neibige ^'ampfluft
machen üiele feiner frttifd^en Schriften §u fteinen ^unft«
werfen. (5r felber fagte in fpäteren Saline", jirifc^en ©ruft
unb ^conie, öon feinen Seiftungen auf biefem ©ebiete:
„Ser ^'ritifer, au§ beffen Schriften man ^ier eine 2tu§iüa^I
gefornmelt finbet, ftanb in feinen jüngeren S<i^^en in üblem
5Hufc. Tlan f^i(^erte iljn luie einen Söüt^erid^, einen
Öerobeg, ber an einer SU^enge unfdjulbiger Sücfier nid^t§
Geringeres all einen bet^te^emitifd^en Sinbermorb üerübt
^abe. Tlan ^at, loie mic^ bünft, bem SJJanne Unred^t ge«=
t^an. (£r !^at fein läftigeg 2(mt mit aJJö^tgung unb
©c^onung öeriüaltet." Unb luirflic^ ratrb man in feinen
fc^ärfften Eingriffen faft nie bie §öflt(f)feit beS SBettmannS
tjermiffen, ber fic^ felbft §u ^od^ f(^ä|t, um grob ober
ptump §u njerben. ©ein 2Si| ift gu anmut£)ig, um nic^t
bie SBeleibigung burc^ bie fpietenbe ^orm ju milbern. Unb
bie unerbitt(id)e ©c^örfe bem ©c^Iec^ten gegenüber ift be*
fonberS nai^brücflic^, lüenn haS^ ©d^led^te überfc^ä^t mirb
unb unöerbiente Sor beeren erntet: er fnd^te fic^ gern mächtige
®egner, er machte eS fic^ nicfit leicht. SBaS aber feine Stn^
10 3)te ©cbviiber ©c^lecjcl.
grtff§Iu[t um |o fd^ä^enSluert^er mac^t, t[t [ein ritterttc^eä
©inftei^en für ha^ «Sdiöne, ba§ i^m nie entging. (Sr Ijatte
genug 'SRnÜ) unb Zutrauen 5um eignen Urtl^eil, um ber-
borgene, namenlofe S^alente ju entbecfen, nerungltm^fte ju
t)ert:^eibtgen; luar er hoä) ber (Sr[te, ber ben jungen Siecf
ermunterte unb anpries, ber (Sin5tge, ber fic^ be§ unglücf»
tid^en Bürger gegen @d^i(Ier§ affsu^arte, üerftänbni^Iofe
^rittf annahm. @o erfreutid^ aber auä) biefe ern[te
SSürbigung eine§ großen Siebten t[t, am ßietungenften finb
bo(f) feine ü6ermüti)igen ©treifjüge tn'§ feinblit^e ^ijüifter»
loger. ^ter öor Willem finbet [idi hit Urbanität unb geftiöi-
iät be§ ©tt)te§, um bie grtebric| feinen 83ruber fo fe!§r
beneibete, tüö^renb er ,,sententiae vibrantes fulminis instar"
üermilte.
(Sigent^ümlid^ ift e§, ha^, wmn man noä) eben biefe
9]or§üge SBiUjelm'g aufiic^ttg beiininberte, einem bod) luteber
ein SlnSfpruc^ bon feiner ©c^irefter d^arlotte ©ruft in ben
©tun fommen !ann, hie einmal an ^JioöaliS über i^re 58rüber
fc^rieb: „SSenn fie fid^ red^t ftrenge felbft prüfen luoriten,
fo mürben fie finben, ba^ nic^t allein bie reine 2klt gum
©Uten unb 2öaE)ren i^re Slriebfeber ift, fonbern ha'i^ etriia§
3Jhjtt)mi(Ie 5U ©runbe liegt unb eine (Sitelfeit, tt)re brillant
mi^igen ©infälle ntd)t unterbrücfen 511 fbnnen." 2)tefe (Site!*
feit ift bieffeic^t ju allgemein menfcEjIid^, um nid^t boHfommen
entfd^ulbbar 5U fein, unb bod^ ift e§ fo: man mei^, e§ mar
i;^nen ernft; fie fagten il^re Uebergengung, aud^ menn e§
gegen i[)ren SSort^eil mar, unb trot^bem em))finben mir nid^t
bie Sßemunberung unb ©l)mvati)ie, bie mir für ein mutl)=
boIIe§ unb uneigennü^igeS Setrogen l)oben. S3ielteidjt t)ängt
e§ mit bem ®efü^( gufommen, aU 'i^äikn fie nic^t fo ^on^
beln muffen, aU fei 3tbfid)t bobei gemefen; unb mon fc^ä^t
nun einmal ben blinben Sirieb jum ©uten i^ö^cr aU bie
S)ie ©ebrüber Scf)IegeI. 11
Iöbric^[le mficit. G^artotte'S %aM Be^ie^t fidj auf betbe
33riiber; SBil^etm allein eigen — fogar im ©egenfa^e ju
grieörid^ — i[t eine (Sigenfc^aft, bie nodj ärgerlicher berührt,
aU äRutliüiHe ober (Sitelfeit; bie Sorreftf)eit, bie über fein
ganseg SBefeu nnb alle feine §anb(nngeii auSgegoffen mar.
Sc|on feine äußere (5rfc|einung mar peinlid^ correft, „oHer-
liebft gepult nnb gefalbt", luie Caroline nedenb fagte; aber
and) ba§ jebenfatt§ nic^t äuöiet. (Sbenfo menig mar jemals
etma§ an feinem Setragen auä^ufe^en. Db Caroline i^m
einen ^orb gab ober feine |)ülfe beanfpruc^te ober fid) öon
if)m fcbeiben laffen mollte — er mar immer gleich ijöftid^,
ofjne fic^ megjnmerfen, gefaxt unb entgegenfommenb, o^ne
friool 5U fein; t|at, mal in feiner d^lad^t flanb, um fie gu
fd)Dnen, o^ne §u 3i3gern noc^ and) ju überftürjen, fomol)!
obne ©djmäc^e mie ofine ©emaltfamtcit. (Singig in einer
gemiffen ©d^ärfe be§ SSefen§ üerrietl; fi(^ jumeilen feine
Ungiifriebeu^eit. (Sbenfo im brüberlid^en S^erl^ältnifs: (^rieb=
rid^ bat i^n nie umfonft um (Selb, er mar immer f)ülf§bereit,
unb gmor o^ne feine &abt burd^ mel^r S3ormürfe unb @r=
mafjnungen aU nöt^ig maren gu üergälTen; obwohl er üiet
5U üerftänbig mar, um üerfd)menberifd^ ober auc^ nur be-
fonber§ freigebig gu fein, ^ätte man if)n hod) nid^t beret^nenb
nennen fönnen. SJJuflergüItig mar aud^ fein 33ene§mcn gegen
literarifd^e geinbe unb 5tngrcifer: er bebiente fidt) nur el^r*
lid^er SOiittel im ^ampf, nie mar er fatfd^ ober ^interliftig,
bie Geringeren beachtete er faum, fonbern ftürmte neuen
Seinben entgegen. 2tnbrerfeit§ at^meie aitd^ bie ermähnte
(S^renrettung 93ürger'§ öoHenbete S;abeIIoftg!eit an§. ^urj
man mn§ immer loben, mie er Ijanbelte; nnb bod^ ift üiel»
teid)t biefe einmanbfreie (Sorre!t(}eit gerabe tta^, ma§ if;n ber
mörniereu Zuneigung om mciften entriidt.
2Bie gang anber§ griebric^, an beut feinem (^reunbe
12 Sie ©ebrüber Schlegel.
©c^Ietermac^er bte „Seid^tigfeit, mit ber er fic^ btSiuetlen
einem imrec^tlic^en SSerfa^ren in feinen 5(ngelegen^eiten
näl^erl", auffiel. „(gc^Ieciel ift ober eine t)o^t, fittlic^e DIatur",
fe^te ©d^Ieiermad^er öoH 3(nerfennung ^injn, nnb e§ fd^eint
faft, aU ob bem ernften, unbeftec^tid^ ted^tltdien (Seiftlid^en
biefe SJiifc^ung öon Rotier ©ittltc^feit unb mordifd^er dlaä)'
läffigfeit fe()r gefallen ^abe. SSieötel mef)r QkW unb grennb=
fc^aft erfui^c ber ftet§ incorrefte j^rtebric^ aU fein S3ruber!
SBenn 2BiI[)eIm ber Seid^te mar — jterltc^ unb beiDegtid^,
aber o^ne ®rö§e — fo roar ©c^raere griebrid^'g SSefen.
@r fei, fagte feine @attin ^orot^ea öon i£)m, roa§ bie Drgel
unter ben ^nftrumenten, bie Drangenbliit§e unter ben Slumen,
bie ^ftrfid^ unter ben glückten; pd^ft d^arafteriftifcEie S3er=»
gletcfie für biefen 9}ienfd&en bon imponirenber, aber nur
f(^iuer benieglt(^er SJiaffe, ber erfüllt roar oon ©ebanfen
unb Öiefu^Ien, öon finnlic^-geifttgen ©d^ä|en, bie aber, allju
tief in hm Ö)runb feine» SBefen» eingeroü^It, nur feiten,
nod^ ben mäc^tigften (Srfc^ütterungen, gegen bie Dber=
f(äd^e ftiegen. SSä^renb man 2Bif|eIm beffagen mu§, ha^
er nid^t me£)r mar, möchte man griebric^ öorroerfen, ha^ er
nic^t meljr lüurbe. ®enn hit Sefttmmung 5ur ©rö^e mar
in i^m unb l^atte feinen anbern t^einb, aB feine meibifd^*
träge ©innlic^feit. SSemege, tummle hiö), fc^offe, Ijanble,
mö(f)te man i^m immer jurufen, ber nii^t biel SInbrel t^at
a(§ lefen, lefen unb lefen. @r Ia§ fo öiel , mte Söill^elm
fc^rieb. Unobläffig öermel^rle er feine Senntniffe, Raufte
Sbeen auf ^been, bie feinen fdEimerföHigen (Steift belafteten.
(S§ fei feine Öefa^r, fagte einmal ^Dorot^ea, ha^ er iemolä
an ©e^alt §u ®eifte§merfen öerarme, attetn bie (5)efa^r fei,
bo^ er an feiner ^beenmaffe erftide. ^n feiner ßonftitution
lag eine ^'Jeigung 5um förperlidjen unb geiftigen ^^ettmerben.
©ein grofaer, runber, priefterticEier ^opf mit ben etmaS fd^lueren.
®ie ©ebmbei- ©rfilegel. 13
finnenben 5(iigen unb bem Dollen njetd)Itc^en ßinn, ta§ ^id)
ju einem boppelten aii§bilbete, jefgt einen bebeutenben, aber
bequemen unb ftnnlic^en 9JJenfc^en. „®ie 9}JännIi(i)feit feiner
©eflalt offenbarte fic^ nic^t in ber ^erüorgebrängten ^raft
ber 3JJu§fe(n. '>i>ielme|r ttiaren bie Umriffe fanft, bie Öilieber
öoll unb runb, boc^ mar nirgcnb§ ein Ueberflu^. ^n I)ellem
Sic^t bilbete hie Dberf(äc£)e überall breite HJJaffen"; fo be-
fd^reibt er felbft mit SSoljfgefallen feinen betjaglid^en Körper.
SSenigeg flingt fo au§ feinem ^tx^tn gefommen, Xüit feine
Sobpreifungen be§ 3}ZüBiggang§. „D SJiüBiggang, 3JJü^ig=
gang, bu bift bie Seben§Iuft ber Unfc^utb unb ber Segeifte»
rung; bid^ at£)men bie Seligen, unb feiig ift, wn hid) ^at
unb t)egt, bu IjeiügeS ^(einob, ein5tge§ gragment üon (Sott=
ä^nlic^feit, hav un§ nod^ au§ bem ^arabiefe blieb." 2)a§
@prect)en unb 93i(ben fei nur ^cebcnfac^e in allen fünften
unb SBiffenfd^aften, ba§ Söefentlid^e fei ba§ Xenfen unb
2)i(i)ten, unb ha^ fei nur burc^ ^afftoität möglic^. ^t fc^öner
ha^ Klima, befto paffiocr fei man. 9^ur bie ^tafiener tüiffen
ju ge^n unb bie £rienta(en ju liegen, am ^arteften unb
©ü^eften ^abe fid^ ber ©eift in ^nbien gebilbet. 5)a§ mar
nid^t nur önmor ber Uebertreibung; er begnügte fic§ linrf=^
lid^ mit bem Senfen unb 2;ic^ten unb öerad^tetc ha^^ Silben
unb ^{u^fütjren, er ^at jebenfatlä mirftic^ un5ä§Iige WaU
„'mit ein nac§benfli(^e§ SKöbc^en in einer gebanfenlofen 8^0=
manje am Sac^" gefeffen, „gleich einem Söeifen be§ Crientg
derfunfen in f)eitige§ ^iubrüten unb ru^igeS 2lnf(^auen ber
ewigen ©ubftanjen." (är erinnert an einen jungen SJJann,
uon bem @teffen§ in feinen Seben§erinnerungen er5ä^It, er
fei fo faul geinefen, ba^ er ein förm(id^e§ ©tubium barauf
üerloenbet i^abt, auf luelc^e SBeife man am Sängften im
©tu§Ie fi|en fönne, o^ne feine ©teftung 311 oeränbern.
S)iefem Prägen tjatte fein (Senium eine bef(^lüerlid§e
14 S)ie föebvüber (2d)IcgeI.
Seben§6af)n auSgefuc^t, ahn er berftanb bte luetfe Stbfid^t^
benu^te ben 25?tnf ntc^t. SBomöglid^ Ite§ er immer 5(nbre
für fic^ arbeiten. Unb er fiatte eine getüiffe jut^untid^e
Sinblid)feit an fid^, bie machte, ta'^ e§ t^ätige 9J?enf d§en
natürticfj fanben, etiuaS für i|n ju t!^un.
Sie Süngling§ia^re, bie 2BiI|eIm \o leidet nnb geräufd^»
Io§ abliefen, öerbrad^te er nnter peinöoHen ^ucfungen unb
Krämpfen feinet Innern. (£r litt unter einem beftänbigen
3Jii§fIang, ben er in jic^ füllte, unb beffen Ie|te Urfad^e
lüor, ta'^ er fein §inreic^enbe§ ÖJegengen)td^t befo^ für fein
ungeheures S)enfoermögen, für feine Steceptioität. S)a§ SSer--
mögen unb bie Suft, :^ert)or5Ubringen unb ju ^anbeln, tüorin
fein aufgefpei(^erter ^beenftoff ftd§ f)ätte Verarbeiten fönnen,
tt)ar SBil^etm allein 5uget[jeilt. @o gut ipie griebrid^ fid§
feinet mäcEitigen S3erftonbe§ bemüht lüar, luufete er, ba^ i^m
etn^a» @ro^e§ fehlte, tücld^e» @ttua§ er öerfd^ieben benannte,
fe§r pufig aber Siebe, bie «Seele ber Seele. ?iic^t um
SSerftanb möd^te er 65ott bitten, fonbern um Siebe. 2)te
ftet§ rege, 5llle§ burc^fd^auenbe ^ritif feine§ S3erftanbe§ er=
fd^njerte i|m haS' unbefangene Sieb^aben, roonad^ er bod^
fd^mad;tete. ^e nadEibem ob er bie reic^ au§geftattete ©eite
feines 2öefen§ geno§ ober hit öerfümmerte entbehrte, lued^felte
ein gerechtfertigtes @efü!^I öon Ueberlegen^eit mit einem
@efü^I üon O^nmac^t unb (Stnfamfeit, ma§ it)n fdöetnbar
unöermittelt jnjifd^en ben t)öc|ften ^öben unb ben tiefften
2:iefen auf^» unb abfc^manten Ite^. (Sr lebte in einem U"
ftänbigen SSed^fel öon ©c^tuermutl) unb SluSgelaffen^eit, fagt
er in ber „Sitcinbe". 9tüf)renb ift eS, luie er §u fein ober
ouf bie 9JJenfd^en ju toirfen nninfdf)te, nömlid^ fo, „ha^ üon
meiner 3fiec^tfd^affen£)eit immer mit 2ldC)tung, üon meiner
SiebenSmürbigfeit oft unb btel mit SBärnie gerebet luürbe.
S3on meinem ©eifte braud^te gar nid^t bte 9iebe gu fein,
3Me ©ebvübev ©d)(ege(. 15
ober ^örfjfteniS foHte man mtd^ oerftänbtg ftnben. ^ebermann
füllte mtd^ gut nennen, wo id) fiintrete, follte \id) 5lIIe§ er»-
Reitern, ^eber ftc^ nad^ fetner 3trt an mic^ fd^miegen, unb
bie \iä) iua§ bünfen, mid^ gnäbig antäi^eln. Stber längft
fiabe ic^ bemerft, lueld^en (Sinbrucf id) immer mac^e. 'SRan
ftnbet mtc^ intereffant unb ge^t mir au§ bem SSege. 2Bo
id^ ^intomme, fliegt hk gute Sänne, unb meine S^o^e brürft.
2lm Siebften befielet man mid^ ou» ber gerne tüie eine ge^»
fä^rüd^e 9farität. ®en)i§, Managern ftö^e id) bitteren SBiber-
n;illen ein. Unb ber ©eift? ®en S[Reiften ]^ei^e ic^ bod^
ein @onberIing, ba§ I;ei§t ein ^axx mit @eift."
2Bie beutlid^ fieljt man ^ier, lüa§ er tüar — fing, geift=
rcic^, tüi^ig, intereffant, bebeutenb — unb \va^ er nic^t mar:
unbefangen, Iieben»H)ürbig, Reiter, [jer^Iid^. (Srftaunlic^ ift '
e§, mit luelc^er Schärfe er feine ßirö^e unb feinen unerfe|«=
liä)m 9}JangeI fal): ha'i^ er nid^t lieben fonnte, tüeber 5(nbre i
nod^ ]id) felbft. „^d) uiei^, ta'^ id^ gar nid^t leben fann,
luenn id^ nidjt gro^ bin, b. ^. mit mir 5uf rieben. ®enn
mein SSerftanb ift fo, ta^ iuäre Slffeg ii)m gleich unb ^aT=
monie in mir, fo märe id)'§ fd^on."
S)o§ Sbeal feinet 2öefen§ fa§ er in |)amlet. dlid)t, ta'^
er e§ auHbrüdlid^ fagte; aber feine "üdiffaffung ^amlet'g ift
fo perfönlic^, n^ie man einen fremben (X^arafter nur üer=>
mittele feineg eigenen fa^t, meil man mit feiner ©eele lebt,
ober mag ba^felbe fagen luill, i^m bie eigene ©eele gum
Seben leitjt. Xer @runb ju |)amlet'§ innerer ^^i^rüttung,
fagt er, liege in if)m felbft, in bem Ueberma^ feine§ S5er-
ftanbe§ unb bem SJiangel oerl^ältni^niä^iger ^taft ber SSer*
nnnft. SBäre er weniger gro^, fo mürbe er ein ^erD§ fein.
(Heine Unentf(^Ioffent)eit rüfire baljer, baf? er eine jafjlfofe
SJJcnge öon i^erl^ättniffen überfeine. „®urd^ eine munbcrbare
©ituation toirb alle ©tärfe feiner ebefn 9Zatur in ben Jßer^»
IG ®ie Gkbrüber Scljlegel.
ftanb §ujainmengebrängt, bte tl^ätige Straft ober gang ber«
nicktet, ©ein ©emütl^ trennt fid^ tüxt auf ber goIterBanf
nad^ entgegengefe^ten 9?id^tungen au»etnanber geriffen; e§
jerfäHt unb get)t unter im UeBeri(u^ üon müßigem ^erftanb,
ber i|n jelbft nod^ peinlid^er brüdt, aU Stile, bie ii)m na^en.
@§ gibt öieHeid^t feine üonfommenere S)ar[leIIung ber un-
auflöslichen SiS^ormonie, wdä^t ber eigentlid^e ©egenftonb
ber p^ilofoplifd^en Sragöbie ift, aU ein fo grenjenlofe^
9Jii§t)erI}äItni§ ber benfenben unb ber tl)ätigen S'raft, irie
in ^amUt'§ ®^ara!ter. ®er Sotaleinbrutf biefer Sragöbie
ift ein äRajimum ber SSerjuieiftung. Sltle (Sinbrürfe, lüeld^e
einsein gro^ unb irid^tig f (feinen, öerfd^tüinben al§ triöial
üor bem, lüa§ l^ier al§ haS^ Ie|te einzige 9tefultat alle§ ©ein§
unb ®enfen§ erf(f)eint, üor ber ewigen foloffaten Siffonanj,
\vdd)t bie 3}Zenfd)^eit unb ta^ ©c^icffal unenblii^ trennt."
(Sjanj ebenfo erfdiien griebric^ bamats feinen greunben:
„■^Deine urtlieilenbe Qbee ftel)t mit ©einer genie^enben im
9}Jif3t)er|äItni^", fc^rieb i^m 9^oöati§. 9lur barau§, ba^ er
fic^ ein§ mit §amlet füllte, !ran! nn berfelben unheilbaren
S)i§^armonie, lä^t fic§ feine SJJeinung erftären, bie Sragöbie
fönne unter Umflänben augenblic!li(^en ©elbftmorb üeranloffen.
®iefe Umftänbe luaren eben bie feinigen. „SBenn iä) ouf
bem SSege, ben id^ in ©öttingen ging, beftänbtg mit bem
Sßerftanbe §u genießen o^ne §u ^anbeln, blieb, fo :§ätte er
mid) in ^'urjem jum (Selbftmorbe gefüljrt. S)ie Siebe gu
einem ©egenftanbe, ber Stampf mit ^inberniffen unb bie
greubc be§ erfömpften ß)elingen§ mu^ unfern eilenben ©eift
aufhalten; benn fonft wirb biefem ^uräfidjtigen bie SBelt
balb gu flein." ©elbftmorb mar benn aud^ lange Qdt fein
tögltc^er ©ebanfe, unb er luäre, wie er felbft fagt, biefcn
(Sntfd^tuB auSjufül^ren raot)t fäl)ig gewefen, „wenn er über-
^aupt 5U einem ©ntfc^Iu^ ^ötte lommen fönnen."
3)ie ®c6vüber @d)Iegel. 17
3d^ Jüirt anfü£)ren, luie er felbft ben quatoorten 3"[tani>
btefer ^a^re, luo er „iint|ätig unö mit jic§ unein§" war,
fc^tlbert:
„ßine i}ie6e ofine ©eiienftanb brannte in if}m unb zerrüttete fein
5nnere§. 5^et bem geringften 9(nlaf! t)racf)en bie g-Ianimen ber
Seibenjc^aft anS; ober balb fcliien bieje au§ ©tolj ober ©igeni'iun
il)ven (Megcnftanb jelbft ,^u iier)c[imä()en unb manbte ficf) mit uer^
boppciteni ß3rimmc smüc! in fiel) nnb auf i[)u, um ba am Waxk
be§ öer^cnS ju sefu'en. ©ein 63eift luav in einer beflänbigen ®äfi=
rung; er erwartete in jcbcni ^Jtugenblict, eö muffe i^m ettüa'ä 5tuf5cv=
ovbentIid)e§ begegnen. '-?iid)t§ mürbe if)n befvembet Iiaben, am
•il'iJenigfteu fein eigenei Untergang. Cbne ©efdjäft unb ot)ue >^\vQd
trieb er fid) nmlier unb unter ben llienfd)en luie ßiner, ber mit
5(ngft etma§ fud}t, movau fein ganjeg ©lud bangt. 9nie§ fonnte
i{)n rei,^en, nidU§ mod}te ibm genügen. — Gr fonnte mit 53efonnen*
beit fd)nielgen unb fid) in ben Wennf; gleid)fam oertiefen. 5lber meber
bier nod) in ben nutndicrlei i^iebbabeveien unb Stubien, auf bie fid)
oft fein jugenblid)er Gntbnfia§mu§ mit einer gefräßigen 'iiMflbegier
marf, fanb er bo§ :^obe ©lud, ha^i fein ^oerj mit llngeftüm forberte.
Unb fo nermilberte er benu immer mebr uub mebr au§> unbefriebigter
Sebnfudit, umrb finulid) auö 'i^ersmeiflnng am ©etftigen, beging nn=
finge .sjanblnngcn an§ Jrot^ gegen bay Sd)idfal uub uuiu mirflid)
mit einer ^Irt oon Sreuljeräigfeit unfittlid)."
O^ne 3'uetfel :^ättc er fic^ ^erau§rei^en fönnen. „ß»
ift Srägfjeit, \va^ un§ an peinltd^e ^uftänbe fettet", jagt
9ZooaIi§. 5I6er träge trat er eben; ber ©(afttcität fetne^^
greunbe» 5^oOn(iö gegenüber tvax er lute ettüo eine ^ii£), üor
beren Stugen eine Serd^e pfeilfc^nett in bie SSoIfen fteigt.
SÜSa» für gotbene SSorte um^te er feinem 93ruber über ben
9iu^en eine§ bürgertid^en ^.Jlmteg ju jagen: ein DoHfornmener
Cuerpfetfer erfülle boc^ fein 3.1'efen, nämlic^ bie Guerpfeiferei;
lüenn er einen guten ''^sftff t()ue, tonne er ebenfo 5uf rieben
mit fic^ fein luie 6)ott, tnenn er eine SBelt gemalt {)abe.
^urd) fein gan.^eg Seben f)inburc^ jie^t fid) ber Sunfc§, ein
^mt, einen feften Seruf ju ^aben, feinem §ange gum be-
§ud), Sfornantiter. 2
18 3)ie ©ebiüber Sdjlegel.
quemen @t(f)get)enla[fen ganj entgegen; unb boc^ tutcf) er
gern au§, uienn fid^ etn§ bieten luottte. 2Benn er feinem
Vorüber ;)rebigte: „(5l fommt nur auf btd^ an, ein großer
2Jienf(^ 5U luerben" ober „Sa^ hoä) \a nid^t bie ©ott^eit
au§ beiner Söruft au§ 2;rägl)eit attmältg entJretc^en" ober
er fotte fein &IM für feine S3ortreffItc^!ett nüljen, fo er-
mahnte er bamtt eigentlid^ me^x ft(^ fclbft a\§> SBil^elm, für
ben biefe öe^ren gar nidjt paßten unb faiim öerftänblitf)
fein mod)ten. ^lopftocf, ©dritter, Sut^er, 3i(^te, 9}iänner
t)on frif(f)er 2;t)atfraft, uiaren bie äRufter, bie er auffteüte,
bie er gro^ nannte. 5tn ©infic^t fonnte e§ i^m bei feinem
umfaffenben Sserftanbe ntdjt fehlen; aber er mar mie bie
jünger, benen ß:^riflu§ jurief: „könnet i£)r benn nid;t eine
©tunbe mit mir tt)ad^en? ©ie^e, ber ©eift ift tüiHig, aber
bQ§ Steife^ ift \d)mad)."
®a§ '^tu^erorbentlidie, iiü^^ er fo lange bunfel erluartet
^atte, gefdiaö: er lernte S^aroline fennen, unb bie Siebe, bie
§errüttenb in iljm gebrannt |atte, nieil i^r ber (Segenftanb
fehlte, begrüßte entjüdt bie enbtic^ ©efunbene. Qm 2111=
gemeinen Joaren i^m bie grauen 5U platt — benn fie n)ären
noc^ )jlatter al§ bie 9Jtänner, fagte er — um ftc^ mit il^nen
abjugebeu. ^a^ er auf biejenigen mit bem (Seifte f)erabfa^,
bie feine ©innlic^feit mächtig anzogen, luar ftet§ bie Urfad^e
gu quotenben donftiften, loenn er mit ^^rauen in $8crü^rung
!am. ®amal§ meinte er, er fei reiner Siebe ft)o:^l nur ju
9Känneru fä^ig. Unb W Seibenfd^aft ju einer grau, bie
er aU ©tubent in Seip^ig burdjmadjte, loar aüerbing» eine
berma^en oerserrte „armfetige JRaferei", ha^ man il^re ®e-
fc^id^te in feinen 53riefen nid^t o^ne d'fel unb 9JätIeiben lefen
fann. Caroline ergriff i^n ganj. ®a gab e§ feine ©paltung
in feinem ©efül^I, tuie e§ feine in iljrem SBefen gab: feine
greunbfdjaft, feine 93eluunberung, fein Urtljeil gef)örten i^r
2)te ©cbvüber ^sdjlei'jef. 19
irie feine bitnbe Zuneigung. 3lber tiibem er [id) feine
fd^ranfenlofe Siebe geftanb, fd^linir er fid^ ,^ugteid) (Sntfagung;
benn btefe einzig oere^rte grau Wax bte ©eltebte SStlöelm'^,
feine» heißgeliebten S3rnberä. 9tie erfd^eint t^i^iebrid) lieben»-
loert^er al§ bama(§, wo er,- ftiH nnb anfprud)»Io§ ner^ic^tenb,
fic^ banfbar be§ ®Iücfe§ freute, ber Ijeimtid) beliebten, hk
§ugteid^ greunbin feineS S3rnber§ wax, bienen ju fönnen,
beo ®(ücfe§ ju lieben über£)aupt. SDurc^ Caroline fütilte er
fic^ bem Seben luiebergegeben; in ber Siebe, bie eine pofittüe
S^ätigfeit beg (5iemüt^e§ ift, fanb er ha-i ®egengeiüid)t gegen
ben negatiöen S^erftanb.
SSon bem ^^itpunft an, wo bie Siebe ber beiben 33rüber,
burd) ha^ Öiefü^I für biefelbe '^lau. nid^t anfgelöft, fonbern
er|ö|t, einen fo fd^önen S^riumpt) feierte, ging fte i|rem
9iiebergange entgegen. @o langfam atterbtngg, ha'^ ha§
S3erl}ältni§ burc^ eine 9leil)e t3on 3ii}i^en uod) nnneränbert
blieb, ia fogar in ootlerer S3Iütf)e 5U fteljen fd;ieu. 53eibe,
SBitljelm folpo^l n^ie griebrid^, fonnten glauben, je^t bem
^ö^epunfte be§ Ö^lüdes na^e 5U fein. 2öa§ er fo lange
»ergeben? erfel;nt Jiatte, greunbfdiaft unb Siebe, fanb gctebrtc^
reic^tic^ in Berlin, luo^in er fid^ a(§ fünfunbjiuan^tgjätjriger
junger SJJann begab: bie {^reunbfc^aft ©d^Ieiernmd^er'ä, bie
Siebe oon ®orot[}ea 33e{t, ber Stodjter üon 9J?ofe§ 9JienbeI?=
fo^n. ©in 33itb ^o^er grennbfdiaft i^atte it)m immer tjor
ber Seele gefd^iuebt; er ^iett fidE) für geft^offen, e§ ju öer-
loirüid^en. „^d) bin nun einmal eine uneublid; gefcHige unb
in ber t5reitnbfd)aft unerfättlic^e ^eftie", fagte er üon fic|
fetbft. @r fonnte burcbau» nid^t allein fein, nic^t^ allein
treiben; er brandete ^emanben ^um (Sgmpf)i(ofop^iren, jum
@t)mfautten;)en, furj §um @l)mej:iftiren — eine d^arafte=
riftifd)e SBortbilbung, bie er fid) erfunben ^atte unb gern
gebraucl)te. „9JJittl)eilung, 2l)eilnal)me, ^2lrm, an bem bu
2*
20 5)ie ©ebrüöer ©d){egc(.
manbelft, ba§ mtrb bir fe|(en, unb tütvb bir fehlen, lüte e§
deinem fe^It", fc^rieb i^m 9JoöaIiä einmat, aU er nad) einer
anbereu ©tabt üfcergefiebelt war, rto er 9Ziemanben !annte.
5tber ber „gute innige" ©d^tegel t)atte einen %tü\d in \\d),
ber t^m bie liebfteu greunbe mut^millig unb bösartig oer='
fd^eud^te. @o jagte er 9ZooaIt§ gerabeju in'§ ®e[ic^t, ha^
er i^n juiüeifen oerac^te, unb begriff taiim, ha'^ ber $8e-
leibigte biefe (Srfinrung nid^t mit feinem 3Ba!^r!^eit§brange
ober feiner ©igenl^eit „^old^e ju reben", inenn e§ hk ©es
legenl^ett mit fid^ brad^te, entfc^utbigte. Später freilid^ 50g
fid^ ber S^^\i luieber ju; griebrid^'S „^auberfraft auf menfcfi-
lic^eu ®eift" luar fo gro^, feine finblid^e Dffentjeit unb Um=
gangSluft fo berfö^nlid^, tta'^ feine greunbe t|m nid^t leicht
@ttüa§ nacf)trugen. S>amal§ aber füt}rte \)a^ Seben t|m
@d)(eierma(^er gu, ber oon atten SDfönneru, bie t^riebric^
na^t traten, it)m bie äö'-'tiif^fte unb bauernbfte 9Jeigung ge»
fd^enft J)at.
SJiit feinen lebliaften Stugen, ber @rf)ärfe feine§ Slicfel,
bie fogar etma» 3"i'üdftofeenöe§ l}aben fonnte, mit feinen
ftrcng gefrf)Ioffenen Sippen, immer überlegt unb befonuen,
tüai ©dileiermad^er ein beftimmter ©egenfat^ ju bem n^eidjen,
be^agti(^ trägen ©cblegeL SDiefer SSerfc^ieben^eit tuaren fte
fic^ aud^ wo^I bemüht unb nannten ii^r iöer^ättni§ fd^er,^-
toeifc eine @^e, in ber ©c^Ietermad^er bie grau \vax. dMt
njeibltc^er ^nnigteit ^ing ber fleine, jarte, ettuaä öertüad^fene
Jüngling an bem fc^önen, ftattlidjen ^^reunbe. i^riebrid^'S
^inblicEifeit unb D^aioetät, bie g)eftig!eit feiner SKünfd^e,
5^eigungen unb 5(bnetgungen, ja fogar feine Seid)tfertigfoit
entjücften il^n. Slde^^ loag ©i^Ieiermad^er fehlte, ^ntte
griebric^ im Ueberma^. ©in gro^e§ SKort I)abe ^^riebric^
einmal oon if)m gefagt, fdireibt ©c()Ieiermac^er, „nämlidj ic^
muffe au§ allen Gräften barauf arbeiten, mirf) immer frifd^
®ie ®e6vüber ©djlcgel. 21
unb lebenbtg 511 erlialten. 9^temanb tft bem S^ertüelfcn unb
bem 2;obe immerfort fo naf) aU id)." e^ricbricE) mar e^er
in (5)efaf)r be§ ©r[ltcfen§ ober bem Sobe burd^ Ueberfütterimg
na^e. ^s^xen 35er[tanb Berounberten jie gegenfeittg. Unb
n)enn griebric^ burc^ feine Siatnr, burd^ bie SSnrf)t feiner
^erfönlii^feit imponirte, geftanb er felbft luiebernm ©cfileier»
mad^er, obiuofit er ber jüngere mar, eine geunffe Ueber=
legen^eit jn, bie i^ren (SJrunb in feiner grü^reife, Scfonncn*
I)eit, 3tet^eiiiuBtÖeit, feinem t^ätigen S'Ictfe, feinem Grnft batte.
5riebri(^ l^atte ein ftnnlic^eg, ©cE)(eiermadöer ein moraIifcf)e§
Uebergetüic^t. S)nmit feing 'ufammen, ha"^ ©c^Ieiermarfier
ganj unfünftlerifc^ toar, ira§ aber nic^t ftürenb empfunben
luarb; benn @t^if, ^ft)rf)oIogie, 9teIigion, fur,^ bie 2Biffen=
frf)aft mar ein fo gro§e§ ©ebiet gemeinfamen ^ntereffe§, baf5
e§ an ©toff 5U enblofem „@l)mpf)iIofopöiren" nii^t fefiÜe.
Sie greunbfc^aft^efte l^inberte aber beibe ^öeitne^mer
ntd^t, auc^ granenliebe gu fud^en. 2öäf)renb ©c^Ieiermadfier
einen eigent^ümlid) geiftig=:^er3li(f)en SSerfef)r mit ber be=
rühmten ©d^önJicit .Henriette ^n^ Pflegte, ftürjte fic^ griebric^
in jügellofe Seibenfcfiaft jn ber i)äJ3ti(f)en Sorot^ea. 2luc^
S)orot£)eo ergänzte ©d^Iegel: fie mar immer t()ätig, gefd^icft
511 aller 3lrbeit, ebenfo be^enbe jum Schreiben unb ©d;affen,
mie er fc^merfättig. t^xdüä) gab cl in i^r aucö nic^t ent-
fernt fo öiel ©e^alt ju üerarbeiten. ®ie galt für fing unb
bebeutenb; and) bürfte man nid^t ba§ ©egentlieil öon i^r
behaupten; aber meber logifd^ noc^ tief §u tenkn mar ibre
©acEie. jDafe fie leb^ft, leicht unb üiel fprac^, eine rafc^e
gaffung§gabe befa^, aud^ gefc^eibt genug mar, um nidit§
SDummeg §u fagen, 9?ic^tmiffen einjugeftelien unb mo e§ an-
gebroc^t mar, ju fd^meigcn, liefe fie geiftooller erfd^einen ol§
fie mar. @o felbftänbig fie im ^anbeln fein fonnte, im
2)cnfen mar fie burc^au» abl)ängig. ©rabe tia^^ macl)te fie
22 ®te ÖJebrüber Scf)(egel.
ju einer bequemen j^rau für griebrid^. 2öä|renb fie aUeS
^rafttfcCie für x'i)tt beforgte, fo biel aU möglich für i^n
arbeitete, orbnete fic^ i^r 5Jerftanb bem feinigen üötlig unter,
unb ba i|re lueiblid^e Eingebung feine ^renjen fannte, rourbe
er ber ©ott biefer unfc^önen, aber liebeöoHen, ftrebfamen
unb temperamentöoUen grau, ber gegenüber fein 9}iifetrauen
unb feine ©mpfinblid^feit i§n balb üerlie^en. @ic^ fo be=
bingung§Io§ angebetet 5U füllen, ba§ tvai e§, tüa§ ii)m immer
gefeJ)It l^atte; boB fie i|m ha§> gab, §og i()n ^auptfäc^üd^ ju
i;^r ^in; bei i^m nertraten atlmälig SDanfbarfeit, S3equem=»
lic^feit unb ©eipöi^nung bie ©teile ber Siebe, fotreit fie nicbt
nur (SinnlicEifeit mar. @§ ift begreiflich, baf? faft aUe greunbe
f^riebrid^'S fid) üon biefem IßerljältniB, auf ha?, Xoxoti^ta
fo ftoI§ toar, peinlich berührt füllten, '^a, öielleid)t l&aben
jj)ieienigen nic^t Unrecht, bie fie fpäteri)in feinen böfen 2)ämon
genannt |oben. SDenn mit i§rer blinben UnterJoürfigteit
fonnte fie nic^t§ aU feiner Sräg|eit SSorfd^ub leiften. @ie
fiatte iene 31ffenliebe für i^n, bie 9J(üttern aU @ünbe an=
gerechnet loirb; e§ tuar md)t fein guter ®eniu§, ben fie in
i^m erfannte unb liebte. ®a§ ^Temperament feine§ 2Befen§,
feine gemütl^Iic^e <(?inblid^feit, bie oüjmpifc^e 3tu|e, bie er
Ijaben tonnte, Ratten i^n nac§ jioei «Seiten führen fönnen:
jur l^eiteren Ueberlegen{)eit be§ SBeifen unb ©(ücftid^en ober
jur immer ftumpfer inerbenben Se^äbigfeit eine§ §arem§«
meibe». D^ne e§ ju a^nen, trieb i^n SDnrot^ea ben böfen
2öeg ablüärtS. ©ein burd) ibre geiftigc Unterorbnung ge-
tälimter ^ntetteft trat me^r unb mefir in ben 5)ienft feiner
ftärfer anfcf)UieIIenben materieHen ©eite. Sie f)ätte i^n be=
flügeln foflen unb jog i^n, in ber 9J?einung, fein 2BoJ)t ju
beforbern, mit ftartem ®elui(f)t jnr (Srbe.
SBie anberg, loie förbernb luirtte Caroline burd^ bie
Ueberlegen^eit if)re§ ®eifte§ ouf bie SJfänner ein, bie i^r
Sie 65c6vüber (5cf)(cgel. 23
nafieftanben, obmoftt fie ntd^t lüenigcr tljätig itnb ttebeöoH
tüüx. aJJan fann fi(^ eine§ meljmüt^tgen 2äc^eln§ nid^t ent=
galten, luenn man ]\<i) erinnert, luaS für ®rnnbfä|e griebrtrf;
in S3e,^ug an[ grennbi'c^aft unb Siebe ijatte. SSon feiner
anbern motlte er etroa§ n)i[fen, aU hu auf gegenfeitiger
^Inregung jur ©tttlic^fcit beruhe. 'HIB Caroline ha^ erfte
Wal $EBiI^eIm'§ Eintrag surücfgeluiefen ^atte, tröftete er ben
betrübten. SBrnbev, inbem er t^m riet!^, feinerfeit§ fie ^u ber-
werfen nnb fid^ baburd^ über ben SSerluft binluegsufe^en:
„SDetne Siebe ju il^r irar nur SKittel gu einem ^of)en 3^üecff
ben ba§ WiM gu gerflören bro^t. ®u ^oft fie nur ge-
braucht, unb mit Ütec^t luirfft ®u fie n^eg, ha fie ®ir fc^äbüc^
tt)irb. Ober njei^t ®u etwa nic^t, ha'^ ®u in ti)r ©ein
eigene? ^beal bcr ®ri3^e liebteft?" Unb über i^r eigene?
brübertic^e? SSerI)ciIlni^ fdjrieb er an 2BiI§eIm: „Sei) fage
S)ir aber, ha'^ xd) e§ fo mit bir f)atte, föie Saoater mit
(5^riftu§, ber ii)m gerabegu erüärt, ba^, icenn er ein noc^
beffere? äRebium mit ©olt finbet, er ben erften ^Ia| räumen
muJ3." 2((g er .'»Carolinen fennen lernte, entfagte er bem
©lücf, „aber er befc^Io^ e§ ju öerbienen unb |)err über
fic^ felbft 5U tüerben."
^e^t beraufc^te er fid^ in bem ©cnu^, beffen ©ntbeljrung
fo peinlid^ an i|m ge^e^rt ^atte. 9^un ^atte er, ma? er
Dor Sauren aU ba§ SSünfc^engiuert^efte I)ingeftetlt: bie Siebe
5U einem ©egenftanbe, ben ^ampf mit ^inberniffen unb
bie greube be§ erfämpften (5JeIingen§; benn ha ©orotlea
oerleitat^et n?ar, fef)Ite e§ nid^t an SBiberftanb unb ©c^föierig-
feit üon öden «Seiten. ®a bie „2But() ber Unbefriebigung"
gefüllt rvai, njurbe er Iieben§iinirbiger, juöerfid^tlicfier, froi^er.
ÜJ?utf)ig unb ftotg fa^ er tn'§ Seben; niemat? örrl^er l^atte
er eine fo rege unb frudf)tbare S;^ätig!eit entfallet. 33i? baf)in
f)atte er mit einer SOhi^feligfeit gearbeitet, bie nn einem
24 ®ie föebrüber ©dilegel.
9Jfenfcf)en, ber fid) felbft gum ©c^riftfteller befttmmt, ettra§
Äomtfc^e^ Öttt. SDaS elegante, lieben^irürbige ©id^au§[trömen
2SiI^eIm'§ £)atte iEini al§ Sbeal öürgefc|mebt, lüieipo^l er
fid^ ^aI6 unb ]^alb feiner gebtegeneren, förnigercn (Stgenart
ntd^t o^ne ©enugt^uung beiüufet \vax. Se|t glaubte er fetne§
Sruber§ (SJefc^metbtgfeit mit feiner ^'raft unb ^tefe öer=
einigt ju ^aben. 2Bir!tid^ öolleubete er mehrere 2(uffä^e
öft^etifrfjen Snf)att§ üdH neuer 6Jefid§t§pun!te, originaler
^been, lüeiter ^tulfic^ten. @r lub einmal etraag ab öon bem
großen Raufen angefommelter ©nttüürfe.
SSon langer SDauer mar inbeffen btefer Sluffc^ftiung ni(i)t.
92ac^bem ber ^ampf öorüber ipar unb ha^^ &IM gefiebert,
fanf griebrid^ tiefer aU üor^er in feine 2;räg^eit jurüc!; eine
june^menbe ^Ijpoc^onbrie inar bie ^^olge. „SBirb er aber
fc^lüer über ben ©ingen", erjäfilte S)Drot£)ea, „ober bie
S)inge fd^tüer über i^m, ba§ ift nid^t ju entfd^eiben, aber
gerai^ tft, ha^ bo§ Seben i^m fauer ttnrb"; unb in fomifd^em
inneren (Xonflift glüifc^en |3raftifc^er (£infic|t unb mife=
Oerftanbenem Sbea(i§mu§: „griebrid^ n)irb ba§ Söic^ten
immer leichter, bafür aber — foll id^ (etber fagen? — ha§
eigentlid^e 5trbeiten unb alle§ ©efc^äft immer fc^toerer."
^n (Srunben für feine Unt^otigfeit fe:^Ite e§ i^m nie. 9hir
bli^artig inaren bie Slugenblicfe einer fo ftaunenSmertfien
©elbftertenntnifs, bie tl)n einmal gu SSilbelm fagen Ite^:
„5Bufeteft S)n nid^t, ha^ iä) ben SOiangel an innerer ^raft
immer burd^ ^läne erfe^e?" (5)etPöl}nHd^ fdjob er Me»
auf bie Ungunft feiner materiellen Sage, (^twi^ ift e§, ba^
für jeben Slrmgeborenen ber ^ampf um'§ ®afein befto ^ärter
ift, je me|r er einem ibee(I=geiftigen Seben jugettjan, unb
nid^t D^ne Sßitterfeit fann man bie äußere ^efd^ränttfieit im
Seben eine§ fo tjod^begabtcn Tlen\ä)tn mit anfeilen. Stber
ino blieben in fpäterer, befferer Qeit bie großen S^Ijaten,
©ie ©elivüber Scl)IegeI. 25
btc fommen füllten, luenn nur etninat "öa^f ©efpenft be§
älJangel» unb ber ©orge öon ber ©d^iüelle oerfcEieud^t loäre?
9}?u§ man nidöt ^aroItnen§ flaren S3Iicf betinmbern, bie
jagte: „®enn Tland)e geöei^cn in ber Unterbrücfung, bat)tn
gehört grtebrtd^; e§ tüürbe nur feine befte (Sigent^ümlid^feit
jerftören, lüenn er einmal bie üoHe ©lorie be§ ©ieger§
genöffe."
©eil Caroline unb 5)orot^ea neben ben 58rübern ftanben,
fing ha?- alte fefte SSanb, burd^ t)a§ fie fid^ untrennbar öer*
einigt glaubten, locfer gu njerben an, unb ha§ ift tvol}! ba§
S;raurigfte, iüa§ fie erleben mußten. Stnfänglid^ föar j^riebrid^,
ber fed^§ ^alire jüngere, ber unbebingt 5(uffc|auenbe unb
SSere^renbe gelüefen, aflmälig aber, a(§ ber Sieii^tl^um unb
Umfang feinel ©eifte» gur Geltung fam, änberte fic^ bn§
SSer^ältniB unb SBilljelm empfanb i^n al§ ben ©tärferen,
ben 2;onangebenben. ^n biefem ^erfe^r ein5ig ttJar (i;itel=
feit gang auggefd^toffen, lüo beibe gegenfeitiger Stnerfennung,
ja 33eiDunbernng gemife tüaren, fid^ übert)au|)t ol» Sinei ^älften
eine§ lüürbigen ©anjen füf)Iten. Sie mürben inne, niie fie
einanber ergänjten unb lüurben nid^t mübe, e§ einanber 5U
fagen unb fic^ biefer SSIutSfreuubfc^aft unb ©emeinfamfeit
ju freuen, ©ie fc^lüelgten in gemeinfamen Gntlüürfen unb
befonberS griebric^ mar finblid^ befeligt, menn er i^re beiben
5Jamen nebeueinanber gebrurft unter ii^ren brüberlid^en SBerfen
lefen fonnte. Unb biefe (Sinljeit unb (ginigfcit imirbe an»
getaftet, nid^t burdE) 5einbIicJ)e§, beffen fie fid^ hätten er=
lüe^ren fönnen, fonbern burc^ grauen, bie aud^ 5lnt^eit an
t^nen Ratten, bie i§rem ^ergen na^e ftanben, im ©runbe
alfo burc^ fid^ felbft. 216er leidet fonnten fie oon bem
Sraume iörer Unüberlöinblid^feit im ^uf^mmenirirfen nid^t
raffen. „3t)r feib ein einjigeÄ unt^eitbare« SBefen", fdjrieb
9ioöali§ an griebrid^ 5U ber ^ett, a(» ber ©amen ber @nt'
26 2;ie föebrüber ®d)Iegel.
jiüeiung fd^on gefät war. 9Jitt ängftttd^er ©e)'orgnt^ ^teilen
fie t)a^ ^leinob feft, ba§ für fie einen Sali§man bebeutete:
ben ©tauben an bte innere 9Jot^menbigfeit, ben S^aturjtüang
i^rer Siebe. 5)ie roinanttjd^e ©d^ule felb[t ift ein Senfmat
biefer Qkht. Ser gennc^tige griebrid^ tüar ber SUJagnet,
ber bie begabten e^reunbe anjog, SBitt^elm, ber Stül^rige,
Öelle, 2Bact)e, toie Ü^^aroline i^n nannte, organifirte fie.
§offnung§öoÜ ftanb er am ©tranbe, um auf feiigen unfein
ein neues 5Reic§ ber ^oefie 5U grünben:
SSerbrüberte ©efäfjrten fe^' \d) id)n)e6en.
2Sa§ jd)rectte mid), baß iö) ba^inten bliebe?
®§ leuchten ntilbe ©lerne, broI)t tein SSettev.
©0 (eif, 0 fuße ^oefte, mein öeben!
3)11 Sugenb in ber Qugenb, Sieb' in Siebe,
^i^atur in ber 9?atur, ®Pttf)ett ber ©ötter!
2Benn über einen S3erftorbenen t)a^ Urt^eif ber ^ett»
genoffen au§etnanberge|t, |)aB unb Qitht luettetfern, fein
5BiIb iebe§ in feinen Farben auSjumalen, bann münfc^en
n)ir, äffe bie luiberfprecöenben ^eugniffe einmal üergeffen
unb anftott beffen einen Sficf in 'iia^ 3(ntlt| t§nn unb ein
SBort au^ bem 9)iunbe üernc^men ju fönnen, bie ber itob
au§gelöfc^t i)at, bamit n^ir ba§ ©eijeimntB ber Seele barau§
abläfen. 2Bie mar fie benn in SBa[)r^eit, biefe Caroline,
bie ber gro§e @d^if(er ^ame Sucifer nannte unb tie fo
Dielen 3{nbern bie (Sinnige, Unöergleic^Iid^e mor, bie nn=
ttjiberftel^ücf) Stile anjog, auf hit ber lüorme, finge S3Iicf
tf)re§ liebeonllen 2Iuge§ fiel? SBenn mir fie felber fragen
fönnten, tüürbe fie gemi^ ftolj unb freimüt^ig unb flar
über fic^ 5(u§!unft geben, unb öieHeicfit toürbe fie mit lieb--
tic^er, Eiatb fc^er^enber 2Be(jmut§ fagen: @e^t S^r e§ mir
benn ntd^t an, ha'!^ mein ^erj gut ift?
@te mar nid^t eigentlich ein romantifd^er S{)arafter mit
fonberbaren 9J?ifc^ungen, ^Dämmerungen, 9tät^fetn, fonbern
i^r SSefen mar bie ©ic^er^eit unb 3?uf)e ber Harmonie,
unb e§ lie^e fic^ auf fie anmenben, ma§ i^riebrid^ ©d^tegel
in feiner „Cucinbe" üon ber Heinen SBil^elmine fagt: „SDer
ftärtfte iöemeiS für i^re innere 95oIIenbung ift i^re ^eitere
©elbftsufrteben^eit."
Sie mar bie Stod^ter be§ ©öttinger ^rofefforS 3Jlid)adi^
unb, im ^a^xe 1763 geboren, faft no(^ ein Slinb be§ anci<-n
28 Caroline.
regime, aufgeflärt unb öerftänbtg, in tl^rer frühen 3»9enb
fogar ein menig fentimentat. 2ßie fie in einem Sßrief an
t^re greunbin Suife ©otter t^re SSerloBung nnb ^od^jeit^»
feier befd^reiBt, bei melc^er ®elegenf)eit man ha^ junge
^aar in befranste unb mit SSerfen gefd^mücfte Sauben führte,
ba§ mnttiet iüxt .^lopftocf unb SBielanb an. '^Iber menn
einmal öon 3eit su S^^^ ein öeüer, ftarfer S^aturlaut bur(^=
bricht, fo fpürt man, iia^ biefe SJierfmale eine§ auSge^enbcn
^eitalter§ i^r nur angeflogen finb burc^ 58ei[piel unb Sitte,
hie auf einen :^armDnifcJ)en (S^arafter ftar! gu tuirfen |)ffegen.
@D bic^tete ja ber junge ©oettje feine 5tnfänge gan^ im
@efd)ma(fe fetner 3eit unb mu^te erft öon |)erber auf vt'
öotutionäre Sahnen geführt h)erben.
Karoline begann it)r Seben al§ Srau be§ 93ergmebi!u§
$8ö^mer in K(au§t§at, eingeengt in SBätber unb S3erge,
jurücfgejogen in einen befcfiränften Kreis, luo fie fic^ nie=
mat§ ^eimifd^ füllte. (S§ njar nid)t, ba§ fie großortigere
SSer^ättniffe erfelint ]§ätte; aber i^re ftarfe Statur Verlangte
unbemufet nad^ QJefc^icfen, bie fte bilben unb enttoicfeln
fönnten; benn ber 65eniu§ be§ SJJenfc^en lüitl immer, liia§
i|n förbert, unb bringt fogar Unglüd ^erbei, tt)enn ber
SCRenfc^ e§ broud^t unb ba^er ein 5lurec^t barauf f)at. Sie
n^ar nidfit baju anget^an, über fic^ felbft nac^jugrübeln
unb fid^ hmd) mirfliduie ober eingebilbete innere ©ouflifte
einen ^eitoertreib ju oerfcftaffen; aber fie füllte beutlic^,
ba^ tk 9iui^e unb ©emäd^üc^feit il)r nid^t gut tfiaten, unb
eine leife 2Ingft n\vad)U in il}r, tit „eble 2:^ätig!eit" möchte
gan§ erlahmen, fie fönnte träger unb träger luerben in
i^rer SUJeeregftifle unb ,^ule|t abfeit§ liegen bleiben mit
ftocfenben Kräften, ©ie mar auc^ be§megen frei boöon,
fic^ ber ©c^luermut^ ^injugeben, tüeil bie i^r natürliche
2BeItanfd)auung niar, ber 93Jenfd^ fei beftimmt, 5U genießen,
itavüline. 29
me^r all jebe^ anbre ©efc^öpf, unb öerfe^Ie feinen 3>üecf,
menn er e» nic^t t^ue. ©lücflic^ gu.fein festen t^r, menn
fie e» nt^t üon felbft war, eine ^flicf)t, unb fie öerfuc^te
el immer njieber unb lüieber, luie aud) bie Urnftänbe e§
i|r erfc^iperen mocfiten. Seic^lfinn ober ©enu^fuc^t war
ta§> nicöt — rate e§ fic^ benn um ein ro^ materielle^ ®e-
nie^en natürlich nic^t ^anbelle — , öielme^r eine gro^e,
feltene ©erec^tigfeit: raenn fie un5ufrieben raar, fuc^te fie
niemals hk @c^u(b anbersrao aU in fic^. 2)a§ bie SBelt
fc^ön fei, öoftec ®aben unb «Segen, raar i^r unumftöBlic|e§
©efü^I; raenn i^r iölüt|e unb ^xndjt nidjt anfielen, machte
fie e§ fic^ ^ur Sütfgabe, an einem o^^eigfein ober 33Iatte
fro!^ gu raerben. Unter gebämpften 5:^ränen läc^elnb, fucf)te
fie fic^ Reiter ju erhalten sraifc^en ben ernften, .graben,
fc^raarjen ober oerfc^neiten Sannen be§ ^av^e^, mit benen
fie nid)t§ ansufangen raupte, Ia§ unb Ia§ in ben ^-Büd^ern,
bie bie ©cfiraefter i^r au§ ber ©öttinger S3ibüot^e! burc^
bie 33otenfrau ^inüberfc^icfte — Stomane, 9)?emoiren, 2BeIt=
gef(f)ic^te, Derfi^oÜene ^^itofop^ie unb Seben^raei^fieit —
unb fteHte fic§ lüo|I auc^ inmitten ber brücfenben (Sinfam=
feit oor ben ©piegel, nicfte itjrem betrübten Silbe §u unb
rief eä ermunternb an: (5)räme bid^ nid;t attäufei^r, ßaro"
linc^en!
5|re§ SOJanneä 9tec^tlid^feit achtete fie, unb bie blinbe
3ärttic6feit, bie if)r junges liebefudjenbeg ®emüt^ auf if)n
geraorfen ^atte, ^ielt fie ängftlic^, raie jum @e(bftfcf)U^, in
itirem öerjen §ufammen. 'üind) Sc^raäc^e mag man es oon
einem anbern 8tanbpunfte au» nennen, biejenige ©c^raäd^e,
bie i^r eigenfteS SBefen au§mad)te unb §uglei(^ i^re ©tärfe
mar, baB fie nämlic^ o|ne Siebe nict)t fein tonnte. 2)a er
nun einmal ii)r ©efii^rte raar, raoüte fie nic^t raiffen unb
fe^en, fonbern liebhaben, liebhaben, treil fie of)ne ha^ md)t
30 Caroline.
I^ätte at^men unb fein fönnen. ®a er aber, mt ea fc^etnt,
öiel luenicjer Umfang be§ SSefen§ f)atte, aU fte Stebe§füIIe
befa§, überfd^üttete fie mit allem Ueberf[u| ii^reg ^ersenS
bie .<^inber, hit fie be!am, fo ha^ man !§ätte meinen fönnen,
bie 9JJutterf(f)aft märe il^re einzige S3eftimmnng getüefen.
Ueber^aupt tft ba§ be|onber§ an i|r ju \d)ä^m, bafs fie
aUe ^pic^ten, bie ba§ Seben mit fic^ brai^te, unb aUe ®e-
Iegen!^eiten, fid^ gu bet^ätigen, hjenn e§ aud^ geringfügige
§an§l}alt§angetegen^eiten luaren, grünblic^ ergriff, unb hd
Qdem, U)a§ fie borI)atte, fo fe^r mit ganzer 6eele inar, ba^
man jebegmal ^ätte meinen fönnen, grabe bie§ fei für fie
bie |)auptfad^e unb grabe bafür fei fie geft^affen. Sie
Meine Slugufte freilid^ tuar unb blieb in Söa^r^eit bie
^auptfac^e, ha^ feltfame ®ef(^öpfd)en, unfcfiön guerft, aber
öon immer 5une^menbem Siebreij, tuie e§ hd ben SJienfcfien
ber gall ift, an bereu ©cfiönl^eit ber fid^ entmidEelnbe ©eift
großen 5lnt^eil ^at, altflug, finbifd^, nait), frühreif, triffen^-
burflig unb oergnügunggfüd^tig, ein ftaunenerregenbeg Surc^=
einanber, mit bemfelben järtlic^ tüeirf)en ®efi(^t unb ber
blumeuüiaften Steigung be§ S'opfe§, luie e§ ber 9}iutter eigen-
tljümlicö lüar. 2)ie anbern ^inber ftarben frü^, balb nad^
bem Sobe iljreS 9J?onne§, ber nad^ öierjätiriger (S^e ftattfanb.
©0 rau!^ lüurbe fie au§ bem ©efängni^ ibrer finblicfien
^ugenb erlöft unb feinen anbern ©ebraud; fonnte fie gu^
nä(i)ft tton i^rer greit)eit madjen, aU ha^ fie ben fleinlid^en
^'anipf mit aUtäglid^en gamilienfümmeruiffen unb über«
flüffigen Diörgeteien aufnatjm; fie fe^rte nämlit^ gu if^rer
gamilie nad) ©öttingeu jurüd. 2Bie eng unb flein bie
bortigen SSerIjättniffe auc^ luaren, empfanb fte e§ bodj at§
eine SSonne, frei ju fein unb bie glügel lueit, fo meit fie
iDoHte, augfpannen ju fönnen, unb erinnerte fii^ mit ©rauen
an iiit bitmpfen ^at)x^ in ftlauätfial. ^e^t erft geftanb fie
iEaroIine. 3 1
fid^, ba^ fie fid^ iote tu einen ^»finge^ etngefd^Ioffen gefütjlt
l^atte. %bn faiim, ha^ [ie e§ recfit inne geworben tüar,
begab fic§ bie Ung(ücf(ic§e freilindig in neue ©ffaöerei.
S;a^ mal eben i^r gluc^ — une üielfeic^t aud^ i^r
©egen — , ba§ [ie nid^t frei fein fonnte, ba^ iljr ^erj bie
5Ibi)ängigfeit fud^te üon ettüa§ 5lngebetetem. jr)iefer §ang
t^re§ ^erjenS fonnte, luie fie jelbft Juol)! lüu^te, fogar für
eine Zeitlang ibren gellen, fonft unbefted^Iid^en ®eift t)er=
blenben, obiüotjl fie e» immer biinfel in fid^ a^nte, lüenn
fie auf ^rnuegen umr.
S)er SJ^ann, bem fid^ i^re Seele nun mit blinber,
fc^ranfenlofer |)ingebung üertraute, fd^eint ein problematifc^er
ß^arafter getuefen ju fein. 5)er ftarfe Snftinft, ber fie fo
fic|er mad^te, fehlte tl^m. @r mu§ fie tüoll auf feine Slrt
geliebt |aben unb tvax jebenfallg ein S3elDunberer ibrer
SSorjüge; aber e§ loäre möglich, ha'^ hu ©tärfe iE)rer
Statur, bie er on t£)r liebte, i^n jugleic^ beängftigt ^ätte;
benn er griff ni(^t ju, um fie feftjui^alten, bie iljm mit bem
ganjen Stolje unb ber gansen greubigfeit i^rer Siebe ent-
gegenfam.
Dh er fic^ i|r nic^t gemai^fen füi^Ite unb bee^alb ben
Tlüt^ nid^t ^atte, fie befi|en 5U njollen, ober ob er über*
|aupt unfähig luar, ^u Heben, unb nur al§ ein fd^iräc^Itd^er
(Sgoift eine Seile mit Iialbiual^ren ©efü^Ien fpielte, bange
öon fic^ felbft, feiner SÜSürbe unb ^equemlid^feit ein
Stücfd^en ju bertieren — turj, er üe^ fic^ iljre unermüb^
lid^e Siebe^iuittigfeit unb ©üte gefallen, reifte fie tpo^l oud^
gar unb blieb babei bod§ in einer fpröben 3»i^ücf^a(tung.
9Jiit i^rem öollen ^er^en füllte fie fic^ fä^ig, glürflid^ ju
madfien, unb lüollte ben, ben fie fic^ erforen l^atte, ju feinem
©lücfe gluingen. §eirat^§anlräge, bie i§r gemacht Juurben,
fc^Iug fie um feinetmiKen au§.
32 Caroline.
damals machte fie bte S3e!anntfc^aft be§ ivmgen Söit^elm
©c^tegel, ber im Umgange mit Bürger, bem einfamen,
Dergeffenen Greife, feine erften bi(^teri[(f)en ©tubien mod^te,
unb el Iä§t fic^ benfen, ha^ ber regfame, oorurt(jeiI§freie
Jüngling eine erquidenbe ©cfrfieinung für fie toax inmitten
ber bnmpfen §erfömmlic§!eit ober öorfic^tigen 8teift)eit ber
©öttinger Honoratioren, daneben freitid^ fü^tte fie fic^
t|m grünblic^ überlegen, unb tia^ nidEit nur, toetl er
fe(^§ ^aiiu jünger aU fie mar. gür bie moberne 9ttd^tung
tu ber öiteratur mit i^rem, mie man jel^t fagen n)ürbe,
nerööfen, fenfittöen Seben J)atte fte of)nebie§ feinen (Sinn;
ber altmobifc^e (Sotter, ber SOiann i^rer {^reunbin Suife,
mar für fie, ma§ man nur Don einem orbentlid^en Siebter
»erlangen !ann. 9JJit allem Uebermutt) i^rer ftarfen, ju»
öerfic^tlicf) ba§ ^öc^fte begeJ)renben ^erfönlic^feit U)ie§ fie
ben jungen ©d^öngeift ab, ja, niiiit o^ne jene ©raufamfeit,
bie nur SSerliebte ^aben, menn fie ööHig in ben geliebten
©egenftanb öerfunfen finb.
äJian barf fic^ nun aber ntd^t üorfteüen, fie l^citte jemals
über einen geliebten 9)?ann mirflid^ fic§ unb bie ganje
SBelt öergeffen. ®a§ brauchte man faum ^eroor^ul^eben
unb nod^ tüeniger gu rül^men. @§ möchten leidet me^r
grauen 5U finben fein, benen bie ükhe SI(Ie§ mar; fie
unterf treibet ba§ grabe üon ben meiften, 'Da'^ fie über i{)re
Siebe, fo gro^ unb ^ingebenb fie auc| luar, bod§ bie Söelt
niemals öerga^. ^^x aufmertfamer ®eift blieb i^rer blinben,
elementarifcf)en Seibenfc^aft ebenbürtig. 9lie öerlor fie hk
benfenbe S^eilna^me an ben SJlenfc^en unb it)rem Stf)un.
2Bie flar mar aber aiic^ ber ©pieget i!§rc§ geiftigen SlugeS,
mit bem fie bie Silber it)rcr 3sitgenoffen auffing, ©ie
fonnte auc§ SSater, SJiutter unb ©efd^mifter mie grembe
feljen unb f(f)ilbern, nur bafj il)r Siebe ober ^ietät immer
Äavoline. 33
gur ©ette ftanben unb iuenn nid)t i[jr Urt^eit, fo bod) hm
3tu§brucf t()re§ Urtljetl^ beeinffu^ten. Sn tfjren 5reunb=
fc^aften mit grauen wai ntdjt» ©c^tnärmerti'd)e§ unb SSer=
fttegene§, öielmefjr lag eine geiüifje Unerbtttlic|feit in ber
Slrt, ipte fie bie greunbin gan§ na()m, luie fie luar, ofine
je ju tbenU[iren; aber trenn jie auc^ nic^t burd) ©d)metd)elei
üeriuötjnte, fo beglüdte fie umfomefjr burd^ SSerftänbniB,
richtige Sdiä^ung unb uniuanbelbare 5ln|änglic^feit. ^ene
ec^te, geniale ^unft beg 3beaÜfiren§ öerftanb fie aber bod),
bafe fie nämlid) bie SD^enfdjen al§ ©anseä fe§en fonnte, i^r
SBefen ber gerftüdelnben 3eit entreiBenb unb fd^öpferifd) ju-
fammenfaffenb. 3)a[]er ^aben iljre ©^itberungen üon ^^er-
fönen, bie luentgen ?}älle aufgenommen, loo perfönlidie
Seibenfdiaft t§ren 93Iid er^i^te, W äRilbe parteilofer
SBaf)r§eit, ber man unbebingt (Stauben fc^enft.
2Bie beutlic^ tritt bie ©eftalt 3:§erefe Sorfter'g au§ ben
lurjen 33emerfungen ^erüor, hk fie in ^Briefen über fie ge=
mad^t l}at: ber glüdserflörenbe ®eift, ber in iljrer ganjen
gamilie luo^nt, i|re Ungliuf§fuc^t, hk fic| biejenigen, bie
fie liebt, burc^au§ unglüdltc^ oorftetten mu^, luie fie überall
93ittere§ finbet, lüie unerquidüc^ fie für W 9}ienf(^en im
5ttlgemeinen ift, lüie unenblic^ biet fie Senigen fein fann,
^^^ 3h d^^ ®rö^e, i^re Energie unb fiü^ntieit. SBie fein
unb gut ift e§, ba| fie in StHem, lDa§ an 2§erefen abfiö^t,
bie „conöuIfiDifd^en ^öeluegungen einer großen ©eele" er=
fennt. SBte Caroline tt)ar X^erefe bie 3;oc^ter eine§
©öttinger ^rofeffor§, be§ angefeljenen ^f)itoIogen |)ei)ne,
unb tinirbe, nad)bem i^re SSejiel^ungen ju bem jungen
Sßil^elm bon ^umbolbt gelbft waren, bie grau ht§ Statur-
forfd^er» ©eorg gorfter. gür feine grau fiatte Caroline
jemals ein ftärfere§ ^ntereffe. ©rabe ha"^ biefe ringenbe
unb unflare Seele t)on i^rer Harmonie unb ©üte, hie, nad)
$ucf), 3iomantiter. 3
34 5lnvoIine.
i^rem eigenen ^lu^örucf, mit folc^er ©icfierfieit am $8ufen
ber Statur ru^te unb t^r in'ö 5luge fai), fo berfcEiieben lüor,
ma^te fie i|r merftüürbtg unb onjteljenb. Qn tf)re traten«»
lofe @infam!eit fam eine (Stniabung biejer greunbin, ju if)r
nad^ äRainj überjufiebeln, ba§ fid) elben ber neuen fran-
Söfiff^en 3fteput)Iif angefd)Io[fen . Ijatte. S)a \vai ba^ dk'
ment, in bem fie atljmeu fonnte: Seben unb §aublung!
SBte eine ©rlöfung, lüie ein 9tuf be§ ©ctitcffalg mu^tc il)i
bieje 5(ufforberung erfd^einen, t^r, hk fid^ fäfjig füf)tte,
„SBunber ^u. tljun unb* ein loiberftrefienbeS @dE)icffa( bur^
ein glüfjenbeS, überfüllte§, in ©djmerj unb in greuben
jc£)lüelgenbe§ .S^erj gu be^tuingen", unb bie feine anbre
5(ufgai)c öor fic^ fa^, al§ bie (Srjiefjung eine§ fleineu gut»
artigen 33?äbd^en§, überfliiffige gefeHige ^flid^ten unb 2Iuf-
tieiterung einer mipergnügten gamilie. ^Iden SBarnungen
auc^ ber geliebteften H)JenfdE)en gum Xxo^ 50g fie mit itjrem
^inbe in bie aufgeregte ©labt, in ha§ frampf^afte treiben
etne§ großen SSoIfe^ f)inein, tüo bie inoljlmeinenben greunbe
ein fo Ieibenfc|afllic£)e§, Iiebebebürftige§ ©efc^öpf oüerbingä
für gefäfjrbet Italien konnten, ©te inbeffen pffegte fid^ auf
ben 3"g t^re§ ^erjenS ju öerlaffen. 3}ät üoHem Seiuu^t'
fein t(}at fie e§, e§ mar ii)r (Stolj unb iljre (Sicher [)eit.
(Sie tüu^te, ba^ fie ficf) irren fonnte, nie aber fic^ felbft
üerlieren. «Sie befa^ ben glücftidfjen ^nftinft ber dlaä)t'
tuanbler, bie nid^t ftürjen, luenn man fie nur rufjig gefjen
lä^t. %iid) bie t5ef)Itritte, hk fie tfjat, unb bie ^rrloege,
hk fie Jüäljite, mußten ifjr bienen. Um ni(^t§ I)ätte man
fie me^r beneiben bürfen, aU um bieg S:alent §ur S3itbung
be» Seben§, lüenn man btefen 5tu§brud gebrauchen fann,
ha^ in jebem Scfiicffat ^u^ei^fit^t öerteiljt, meil man im
©runbe um ben testen §luägang nic^t beforgt ift. „5SieI-
Ieid)t bin id^ h)irfli(^ fc^mer ju einer (£ntfc§eibung ju
.tavoline. 35
bringen", jagte fie einmal, „atteiu id) iiabe jie noc^ [teil
gefaxt, ef)e e§ gu fpät tvar, unb mi(f) unberrücft an i^r
genauen, ^d) fage ntc^t f)eute, id) luill bie» t§nn nnb
morgen, id) roiK ein Slnbre», unb jebeömal fo guuerfic^tlid),
aU njcnn e§ emig gelten luürbe — nein, e§ malt fic^ wot)!
fe[}r beut(t(^ in meinen 3leu^erungen, ha^ id) md)t tüd%
toa§ id) t^nn foH — bi» ber SD'Jomcnt !ommt." @d§arf
prägt ftd^ in biegen Söorten eine "^atut öon benen aü§,
bie ftet§ me^r I)atten, al^ fie oer[prec^en, bie ju flar bc=
n)u^t ftnb, um fid^ felbft belügen §u fönnen, unb beren
retner, ftarfer, nid^t ju mipzntenber Snftinft fie fc^üejilid^,
njenn e» nöt^ig ift, ju Ijanbeln, ba^ für fie 3lngemeffcne
tl^un lä^t.
@§ mochte nic^t leidet für Caroline fein, junfclien ^^-orfter
unb S;i^erefe ju leben, bie in entgegengefetjter SBeife ibr ^nter-
effe in 5lnfpruc^ natimen; i^r 5ßerftanb erfannte 5:^erefe'l
gro^e Mutagen an, aber i^r ®emüt£) iiuirbe immer meniger
bur^ fie befriebigt; bagegen mißbilligte i^r ^opf gorfter,
„ben fcE)inäc^fteit aller äJJenfc^en", iüä£)renb i^re meiblid)
mütterliche ^ärtlid^feit t!)m öielleid^t grabe luegen feiner Un-
fuaft nid^t anberg aB tiebeöoK begegnen fonnte, beffen ^lu
telligenj, 93efd^eibenl}eit unb großmütliige ©efinnung außerbem
ibr ^erj berounberte. ®a§ 5ßer()äItniB mürbe baburd) nod)
oeriuidelter, baB gerabe um biefe ^eit bie @f)e fid) t)oftenb»
auflöfte, inbem ^|erefe, hit je^t behauptete, i^ren SJiann
etgentlid) niemat§ geliebt ju ^aben, fic^ gänjlid^ |)uber ^n^
inanbte, bem ef)emaligen greunbe ©diillerg unb Bräutigam
ber ©d^mägerin ^örner'S, 3o^fl""a ®tod. gorfter (}örte
bi§ äum Stöbe nid^t auf, feine grau ju lieben ober mit
Ä'oroline nii^t o^ne ©eringfc^ä^nng e§ befd)rieb, „man
mürbe feine Siebe tobten tonnen, aber feine Stntjängli^feit
nic^t". ®r ^abt nid)t bie ßvaft, fic^ logjureifeen, erjä^Ite
36 .Caroline.
fie, lebe üon 5lttenttonen unb fd)maii)te nad) Siebe. 9kd^=
bem ^^erefe t§r .f)au§ öerlaffen iiattt, raurbe Caroline bte
S:röj'tertn be§ Unglüdüc^en. ^ur§e ^eit fierim^ traten
furctitbare (Sretgntffe ein; äJiatnj ujurbe üon ben ^eutfc^en
belagert unb erobert, gorfter entffol^ nac^ ^art§ unb Slaroline
fiel ben ©iegern in bte .^lönbe.
SDte befangenen n)urben o(§ ©eifeln auf eine Seftung
gebrad^t unb mit auSgefuc^ter 9toJ)|eit unb 3^ic^tacl^tung i^rer
xed^tmä^igen t^orberungen befianbett. ^aroline'g jarte ®efunb=
:^ett unb bte 2(ngft um if)r Sinb, ba§ fie bei fic^ ^atte, mad)ten
i|r alle Seiben unb ©ntbeljrungen bop^^eü empfinblidf). 2Bag
mar aber ha^ gegen bie Tlavkm, bie i^rem jarten unb
ftoläen ^erjen jugefügt n)urben! 9^iemanb t)atte i^r S3er=
loetlen in SJloinj, ttjren ®ntljufia§mu§ für bie franjöftfc^e
grei^eit unb i^re X^eilnai)me für gorfter, ben SSertreler
berfelben, gebilligt, man tiatle il^r im (Seifte bie rDt:^e 9Kü^e
ber Safobiner aufgefegt — unb melc^er ©d)teii|tig!eit ^ielt
man S^fobiner nic^t für fäbig? Heber bie Unglüctlidie unb
SßeJirlofe ergo^ ftcf) bie 5SerIeumbung: fie fottte bie beliebte
be§ fransöfif^en (Seneral§ Ciuftine geiuefen fein, i^re greunb^
fc^aft mit j^orfter lüurbe nidE)t§beftoiüeniger aU SiebeS*
öer^äÜni§ aufgefaßt, i^r ©c^iuager Sö:^mer, ber auf Seiten
granfrei(i)§ lüar unb eine guieibeutige 3ioIIe gefpielt i^atte,
h)urbe für i^ren 9)iann gefjalten. (Sie fonnte nic^t§ tdun,
aU ftolj unb entrüftet tt)re Unfdfiulb betl^euern, aber fie tl^at
e§ mit bem @efüJ)I, ba| ber ©cfiein gegen fie mar. ®enn,
rote faifct) au(^ bie 5Intlagcn maren, bie gegen fie üorgebrac^t
rourben, etma§ $ßert)ängniBöoHe§ war gefd^e^en: fie erwartete
aKutter eine§ ^inbeg ju merben, ol^ne mit bem Sßatcr be§-
felben reditlirf) berbunben ju fein, ja, n)a§ erft ha^ eigent=
lic^e Unglücf ausmachte, of)ne fic§ i^m innerticö üerbunben
ju füllen.
.Caroline. 37
SKan §ätte nitt)t§ gewonnen, tüenn man mit ©td^ertieit
ermitteln fönnte, iper ber Tlann wav, bem fic^ bie ©infame
fo unbefonncn unb freublog (eingegeben Ijalte. ^a^ fie, bie
^Infd^miegfame, öon einem 9}?anne, ber fie ju feffeln föu^te,
^ingeriffen luerben fonnte unb um jeinetunHeu SSernnnft unb
5>orfic^t fitntangefe^t, ift lüenigcr überrafd^enb, aU bafe Seiben=
f(^aftlic^!eit ii^re fetten 5(ugen fo umflorte, "Da^ fie bie Un=
tt)ürbigfeit be§ £iebf)aber» nic^t erfannte ober überfaf); unb
üielleid^t !^ätte e§ bod^ nid^t gefc^e^en tonnen, luenn ntcE)t
öorfjer bie $etn, einen Tlann ju lieben, ber fie niemals
ganj an fid^ jog unb bod) auc§ niemat« entfdjieben bon fi(^
ftie^, fie überreizt unb im ^er^en !ranf gemacht Ijätte.
2)a fie nun aber allein in bie entfeljlidiften 2?erl)tiltntffe
!^inau§geftofeen loar, fanb fie i|re gange Ueberlegent)eit,
©eelengröfee unb ^ol^eit loieber. jDa§ loar eä gerabe, tva^
t^rer (Sd^umd)t)eit ha§ SSeräc^tlic^e nal^m, ba§ fie bei aller
2BeicE)§eit hk eble männlid^e Gigenfd^aft befa§, nad^ einem
Sturje unöerle^t aufftc!^en unb ebenfo ftarf unb fidEier loie
üor^er i^re§ 2[Bege§ loeiterge^en ju fönnen. Ta^ fie Siebe
gegeben J)atte, für etlua^, ba§ fie für Siebe genommen Ijatte
unb haSi eg aud^ roo'ijl geinefen ujar, loenn and) öon (Seiten
etne§ ©(^Riäd^(ing§, loar ii)r bor fid^ felbft nidEit;;, beffen fie
fic^ gefd^änit ^ötte. SBa§ in i^r öorging, luar i()rem ftarcn
93eiou§tfein immer gan^ überfid^tlid^ unb burc^fic^ttg , ba§
»erlief i:^r ba§ Unfd)uIb§gefül^I berer, bie hmd) feine Süge
in fid^ befledt finb, unb geftigfeit in fc^tranfenber Seben§-
lage, toäljrenb SInbre oft felbft bann fdfilüanfen, toenn ber
©oben unter il)nen feft ift. 2Bie fie immer 5U tl)un pflegte,
ertannte fie 3lIIc», lüa§ gefd^e^eu n^ar unb loag fie getrau
^atte, in feiner t^olgeric^tigteit unb ertrug ta^ ^lottjtoenbige,
o^ne ein au§er if)r befinbli(^e§ ©d^idfal nnjuttagen. ^^x
Mütt) unb it)re Slroft tonc^fcn mit ber ©efatjr. SD^an n)ei§
38 ,<iavoIinc.
ntc^t, mit fte e§ auf naljin, ha^ ber SDknn, ber \o lange ber
©tern geiuefen mar, auf ben fie gehofft i^atte unb bem feine
(Steflung el am erften ermöglicht ptte, i^r §u nullen, fid^
äurücf^og, mie e§ ben Slnfd^ein l^at au§ feiger S^orfid^t, um
fid^ nic^t burd^ 33e5tef)ungen ju ber oerfolgten, Ijolitifd^ an»
rüc^tgen i^xan blo^jufteden; möglicf) ift e§, baB fie fd^on
oorlier mit biefem Slraume abgefd^Ioffen l^atte. ©tmas
Sittere§ mu^ e§ für fie gel^abt I)abcn, ha'^ berjenige, ber
fid^ am unermüblicfiften tl)rer nnnaljm, 2öilf)elm 6d§IegeI
mor, ben fie in glücfüd^en 2;agen fo übermüt^ig üeriuorfen
Ijattt. ^orreft, mte er im (Smpfinben unb |)ant)eln gu fein
|3f(egte, ritterlii^ unb öertiebt, fprang er o^ne S3ebenfen für
fie in bie ©d^ranfen. 9?ad^bem burdC) ha?' 3uföinn^enmirfen
mehrerer gceunbe unb namentlid^ il}re§ jüngeren S3ruber§
il^re Befreiung erhielt mar, übernatim er e§, ma§ faft nod^
fd^mieriger mar, für il^re fernere @ic^er!^eit ju forgcn. ^n
oöHiger 5lbgefd^iebenl)eit, in ber 9^äf)e öon Seip^ig, ermartete
fie bie ©ntbinbung imn il)rem öaterlofen l?inbe. ^ier lernte
?^-riebric^ (3c£)teget fie fennen, ber fie gemifferma^en al§> Se=
tjodmäd^tigter unb au Stelle feine§ 33ruber§ befudjte, ber
einzige QJaft, ber il^re (Stnfamfeit unterbradj. griebrit^
fiinnte Caroline fc^on au§ t^ren S3riefen an SBil^elm, unb
feine refleftirenbe ^fiantafie ^atte fid) fo gut mit it)r be«
fd^äftigt, ha^ er fd^on i^r Semunberer mar, aU er jum
erften Tlal öor fte Eintrat. 9^un aber übermältigte i^n ibre
^;]3frfönlid^feit öoUftänbig; er Dermodjte nid^t§ ©injefneS utel^r
ju tabeln, er empfanb fie felbft al§ (Sanjel unb mürbe ganj
öon i^r ergriffen.
SBeld^en Sinbrud mu^te fie aber aud^ gerabe bamal§
machen: in einer fo |3einlid^en Sage bod) öoK natürlicher
SBürbc, ol)ne öngftüi^e ©ebrüdtl^eit, Ui beftänbigen för<3er=
lid^en Seiben bod^ ftet» munter, ju Sd^erj unb geiftigen
.Caroline. 39
®enu§ geneigt, aitcft ben @rn[t unb Iebi^a[te[ten ©d^mcrj
burd^ 4'^umor ober fluge 33elrac!^tuiig mä^tgenb. (Sbenjü
Ikbüd) wie im ®Iüd, \o groft uub rül^renb wax [ie im
Unglücf.
2Bie ein SBunber erfrf;eint e§ an bem fetbftbeiDu^ten
igüngling, ha^ er t^ren SSerftanb al§ bem jeinigen überlegen
ad^tcte, bnju aber, fagte er, iiabe fie ba§, \va§ if)m fe^Ie,
nämlid^ bie ©eele ber Seele: Siebe, ^mmer unb immer
roicber, ^ai)xe fpäter, al§ S3itterfett, (Si[erfuc^t unb 30^iB=
öer[länbniffe ha^ urfprünglid^ fo reine unb fd)öne S3er-
{)ältni§ getrübt £)aften, rü(}mte er an t^r ba§ latent jur
Siebe, mit bem fie jebe @ntfrembung überbrücfen fönne —
tnetin fie molte. !3n ber Sucinbe ^at er bie grau, „hit ein=
jig uiar unb bie feinen (Seift jum erften SWale ganj unb
in ber SJiitte traf", folgenbermaf^eu gefc^ilbert:
„Ueber^aupt tag in i^rem 2Befen jebe ^o^eit uub \t'iit
3ierlic^teit, bie ber tueiblic^en Statur eigen fein fann, jebe
©ottä^ulid^feit unb jebe Unart, aber ^Ille» war fein, gebilDet
unb tüeiblid^. grei unb träftig entinicfelte unb äußerte ftcJ)
jebe einselne ®igent)eit, aU fei fie nur für fid^ allein ha,
unb bennod^ raar bie reid^e, lüi)m 9}iif(f)ung fo ungleicher
jDingc im ßiaujen nid^t öernuirreu, benu ein ®eift befeelte
e§, ein lebenbiger ipaud^ t)on |)armonie unb Siebe, ©ie
fonnte in berfelben ©tunbe irgenb eine fomifc^e 2ltberul)eit
mit bem SJJutljraiO'en uub ber geinf)eit einer gebilbeten
«Sc^aufpielerin naiiiatjmen uub ein erljabeneg (SJebic^t Dor=»
lefen mit ber ^inreifienbeu SBürbe etne§ funfitofen ®efange§.
93alb lüoUte fie in ©efellfd^aft glänjeu unb tänbeln, balb
toar fie ganj 33egeifterung unb balb Ijatf fie mit 9iat^ uub
Z^at, ernft, befc^eiben uub freunblid^ wie eine järttid^e
SJiutter. (Sine geringe ^egeben()cit war burd^ i^re 2trt,
fie ju erjagten, fo retjenb, wie ein fdjöneS 9.1tärc^en. 5lIIe§
40 5?aroline.
umgab [ie mit ©efü^I unb 23i^, fic l^atte @inn für 5ttte?,
unb Sitten tarn öerebelt au§ t|rer bilbenben i^anb unb öon
t^ren fü^ rebenben Sippen. 9itd^t§ ©utel unb ®ro^e§ war
ju ^eilig ober gu atigemein für i^re leibenjd^aftlic^fte X^nU
na^me. ©ie oerna^m jebe ^nbeutung unb fie ermiberte
aud) bie S^age, bie nid^t gefagt föar. ߧ mai nic^t mög=
lic^, Sieben mit i^r 311 galten; e§ würben öon felbft ®e=
fpräc^e, unb tüä^renb bem fteigenbcn ^ntereffe fpielte auf
itjiem feinen ©eftd^te eine immer neue $Kufif öon geifttiollen
ißücfen unb lieblichen äRtenen." ^um ©d^Iuffe aber ^ebt
er l^eroor, ha^ biefe j^rau OoH §arter ^oefie, bei jeber großen
©elegenbeit ^raft unb ^Jcuti) gum ©rftaunen gegeigt t^aht.
(£§ ift beÜagenStoertf), t)a^ auf hk ^öd^fte Entfaltung
ber menfd^Iidfjen ®eifte§fräfte mit 9fot^inenbig!eit eine (Sr-»
fc^Iaffung folgen muf3, trie benn auc^ Caroline, nad^bem fie
eben aU Uebern^inberin i^rer ©(^iräd^e unb ber S^Jot^ ber
SSett triump^irt f)atte, gerabc biejenige ^anblung beging,
um beretiinden man t^r am e^eften ernftlitf) jürnen möd^te:
ba§ fic nämlid^ bie (Sfie mit SSil^elm ©d^Iegel einging.
®enn abgefe^en baoon, ba§ fie in fpäterer 3ett felbft er*
flärte, i!^n weniger au§ Siebe ge^eirat£)et 5U ^aben, al§ auf
ben SBunfd^ iJirer aJJutter ^in unb um fid^ unb il^rem ^inbe
eine gefidEjerte SebenSfteHung gu geben, toie fönnte man
glauben, ba§ fte ben SJiann roirflid^ liebe, öon bem fie
fedi§ Satire borl^er gefagt I)atte: „©c^Iegel unb id£)! ic^ tadje,
inbem id) e§ fd^reibe! 9fJein, ba§ ift fidler — au§ un§
wirb nid^t§!" ^a, felbft wenn man betonen wollte, Weld^e
SSeränberungen fed^§ ^al^xt im SJJenfd^en ^eröorbringen
tonnen, wieöiel bie ^eit |ier wirftid^ üeränbert ^atte; ha^
bie ß^e fü balb fid^ wieber auflöftc, beweift bod), ha^ eine
innere 3»fflQimengef)örigfeit fid) nidf)t ausgebilbet ^atte. Sid)
aber Ijolb au§ fpielenber S3erliebti)eit, |alb au§ SScquemlid^-
^avoltne. 41
fett in Siebe :^inein3iitügen, i[t boppett jiinbtjaft für eine
grau, bie fid^ ha^ 9ied)t nimmt, bem ^nftinfte i^re§ ^erjenä,
h)ie menn e§ eine ^eilige, unbefted^Iid^e Stimme märe, jic^
anjuöertrauen, \va^ and) ha^ Urt^eit ber SBelt bagegen [agen
möge, ^m ®e£)eim[len tvax fie fic^ biefeS Unrec^tg auc§
hJO^I betüu^t, benn ade t^re 5{euf3erungen über i^re ^tt'
lobnng ben greunben gegenüber fc^eint ein ßJefü^I Don SSer=
legentieit ju lähmen.
SBa§ 5I(Ie§ anbrerfeitS i^ren (Schritt entfcl^utbigen unb
erHären fann, ift fo felbftüerftänblic^, ha^ id) e§ nur flüd^ttg
anjubeuten brauche. @ie J)atte llrfac^e, SBil^elm bantbar
ju fein, ber fid^ fo umfic^tig, fo tl^atfräftig, fo felbfttoS i()rer
angenommen t)atte, unb ©anfbarfctt mac^t ba§ ^erj für
Siebe empfängtid^. 2)te Sage iDcr fo, ba§ fie bie 33ebrängte
unb ^ülflofe, er ber 33efd^ü^er Ujar, luaS i^m ein 'iJInfe^en
öon größerer SJiännltc^fett unb Ueberlegen^eit öerltet), a(§
er in SSirfüc^feit befaß. Saju fam nod^ Siferfuc^t auf bie
^oHänbifcfie ©op^ie, beren Siebe 2ötU)e(m über ^aroline'g
|)ärte getröftct fiatte, ineld^eS ßJefüI)! er utc^t o^ne fo!ette
©|)röbigfetl, üieHeic^t auc^ feinerfeit§ au§ (Siferfucfit auf ben
Sßater be§ neugeborenen ^inbe§ reifte. 9JJau braud^t nidjt
§u begioeifeln, baß fie in ben „anmutt)igen greunb", ber fo
jung, t)übfc^ unb unterneiimenb wnr, fi(^ öerltebt fiabe; ber
unetgcnnü|tge griebrid^ beljauptete „foloffatifc^ öerliebt".
5)ic ^auptfad^e roar, ha^ fie oi^ne Qkhe nid^t fein fonnte,
unb baß ber Üied^te ni(^t jur ©tette ««ar.
(S§ foKte fi(^ aber an i|r räd^en, tia'^ fie ou§ gurc^t
öor bem 3lIIeinfein unb öor bem ^ompfe be§ 2zhtn§> eine
Sßerbtnbung gefc^Ioffen [)atte, in ber man fein ganjeg ©clbft
auf'§ @^iel fe^t. Sie lebte nun in ©emeinfd^aft mit einem
SJJanne, ben fie Iro^ aller feiner latente unb geiftigen S^or=
5Üge Überfall, nidjt baß fie üüger ober ebter ober öerftänbiger
42 Caroline.
gcirefen luäre, fonberii bitrc^ i^re allgemeine SBefenSretfe, bie
Oorgerüdfter mar aU feine. Unb aU nad) fur5er Qdt ein
SJiann in iliren Slrei§ trat, Don bem aud^ luir gnm er[ten
dJlal iia^ fiebere @efiil)t Iiaben, ha^ er t^r not^menbig, i^r
befümmt mar, (Sc^eKing, mar fic ge[e[felt nnb fanb fic^ burc^
eigene Unbefonneni^eit unb ©c^mäc^e in fc^redlirfie äufsere
unb innere Gonffifte üerftricft. Sei aKebcm, mie erfreut
man fid) gerabe bann an ber unbejroingliclien grifc^e i^rer
5yjatur, bie fein ^lueifcl on fic^ felbft unb ber ilöafir^eit
tf)rer ©m^finbungen anfränWte. 5ln bcn um i|re gä^igfdt
5ur Streue fi^ forgenben grennb frf)ricb fie:
„Bpottt nur nid^t, 3)u Sieber, iä) mar boc^ gur Streue
geboren, id) märe treu gemefen mein Seben lang, menn e§
bie (Spötter gemollt Ijätten, unb ungeachtet ber 5l^ubung üon
Ungebunbenljeit, bie immer in mir mar, l^ot e§ mir hk
fd^merjtic^fte äJiü^e gefoftet, untreu gu merben, menn man
ba§ fo nennen mill, benn innerlid^ bin iä) e§ niemall ge-
mefen. SDiefe§ Semu^tfein aber öon innerli(|cr Streue !^at
mic!^ oft böfc gemadit, i^at mir ertaubt, mir magenb gu er-
lauben; id) fannte ha^ emige ©leidjgemic^t in meinem
^erjen. konnte mic^ etma§ 2tnbre§ üor bem Untergang
in meinem gefaljrDoIIen Seben bemaljren, aU biefel §öc§fte?
Unb menn id^ mir SSerjmeiflung bereitet Ijätte in ber S3er=
jmeiffung ber oon mir ©eliebten — ja, id^ mürbe im Sdimerj
barüber t^erjmeifeln , im ©emiffen nid^t, niemals fönnf ic^
mie Sa!ob ausrufen: ^^erkffe bid^ nid^t auf bein ^erj. Qc^
mü^te mid^ üerlaffen auf mein i^erj über 9Jot^ unb Sob
]^inau§ unb ^^ätte e» mid; in 5notl) unb %oh geleitet."
Wan füf)It, baB e§ feine 9leben§arten finb; ba§ glaubt
man. ©ie mor treu, meil fie fidE) felbft treu mar unb, ma§ für
Ummege fie aud^ einfd^hig, hk rechte 9tid§tung unerfdjütter«
lid^ im ©inne beljielt. @o befommt man ein 95ertrauen,
^Tavoline. 43
ta'^ wdU Qud; hk Umiuei^e notlitüenbtg unb 511 tvgenb etiün§
nü^Iid) itnb bienltd^ luaren.
^abm aber alle SBorte STaroline (ebertbig iiiadjen fönneu,
fo une fie mar? 2Bo tft ii;)r ftfiaUi^after aJJuttjtuiUen, ta^
iinfel)Ibave (Sd)tcf(ic^^eit§ge[üljl, mit bem fie ha§ (Srnfte, ba§
feinen ©c^er^ ertrug, ernflljaft bef)anbelte, wo bie fd)Iidjte
SBürbe, mit ber [ie jebe SSerteumbiing unb jebe§ SSorurt^eil
ber UebetiPoUenben ober jd)Iec^t Unterrichteten entn^affnete,
bie finge S3efd^eiben^eit, mit ber fie bie ©renjen il}rer ^Jcatur
erfannte? 9cid)t» öon 5Ulem ift "ood) fo munberDoH, lüie bie
Unfd)ulb i|re§ ©elbftbcmu^tfein?, ba§ auf ber siueifeltofen
Ucber5engung öon ber nrfprüngtid)en @üte it)re§ .'perjeng
berubte. @g ift, n^enn fie öon bem fünften äRut^e i^re§
^erjenl f^rid^t, ber fie megtrage über bie bunfetften ©tunben
unb bro^enbften ®efii!^ren, aU freue fie fic^ banfbor eine§
fd^önen treuen (äefeffen in ii^rer 33ruft, be§ (jolben ®enin§,
ber i^r innen)ol)nte. Siac^bem fie ben größten (Sc^mcrj
t^re§ Sebeng erfahren, if)r ß'inb bertoren iiatte, Ia§ fie einmal,
"ta^ im Isomer bie SSorte borfommen füllten: ®te ^erjen
ber (55uten finb i^eilbar, unb bat itjren 3}?ann, ob er nid^t bie
©teile für fie auffud^en iDoIIe. „Senn im ferner", f(^ricb
fie, „I)abe iä) t^a^ niemals gefunben, blü§ in meinem eigenen
^er^en."
^a§ 5lt^cttäum*
Ser Sßuc^ftob' ift ber ecfite 3au6erftQ6.
grtebr. ©d)(egel.
3n bem Itebltd^en X^aU ber ^<i)rvax^a !^atte fic^ im
(Sommer 1799 ber junge 9fJoriüeger (Steffen^, ©tubtrenber
ber 9^aturlüi[fenf(^aft, ber ^()t(D[op|te, ber Stteratur unb
alle§ 9ieuen unb ©c^önen, gelagert unb Ia§ gic^te'S SBtffen«
fc^aft§tef)re unb ba§ @d^Ieger[d^e 21tljenänm. Sa§ Sichte
unb ®oetf)e hk Srennpunfle ber neuen 3cit feien, ^aik er
im Slt^enäum gelefen; @oetl)e tüar ber ®eniu§ jetner ^ugenb
getüefen, j^id^te aber iijm 16i§ bo^in unbefannt geblieben.
S^iun öertiefte er fid^ in hk It'unft be§ abstraften ®enfen§,
lüa§ i^m aud^ nai^ einiger S3emü£)ung fo too^ gelflug, ta^
er fic^ im S3annfreife be§ [id^ [elbft fe^enben ^<^ jiemlic^
t)eimifc^ füllte. 5lber fettfam lüar e§ i^m boc^, lüenn er
aufblidte, ba§ (SJebirge, bie S3äume, bie SSögel unb bie Sonne
in i£irem ftraf)Ienben unnjiberleglic^en Safein ju je^en. 9tid^t§
ertüäfjnt er Oon einem jolc^en @5egenfa| ber S^Jatur gum
Slt^enäum, toienjo^I e§ burdEiauS ein ©ejc^öpf be§ belüu^ten
©eifteg i[t: ha^ ri^ if)n i)in unb j^ar, toie er fagt, burd^
ben mäd^tigen ©eift ber (äini^eit be§ gangen S)afein§, ber
\ük ein frifcEier Seben§[trom barin Jüe|e unb alle 2Siffen=
fd^aften in eine 5UJammen5ufaffen fud^e.
„®er 93tlbung ©tra^Ieu aiV in ßin§ 511 faffen,
• SSom ^ronfen ganj 511 5cf)eiben ba§ ®e}unbe,
S3e|'tvebtcn wir un§ treu im freien lÖunbe"
3)Q§ 5ltf)enäum. 45
fagte gnebrtc^ ©d^tegel in bem ©ebtd^te, ba§ er ha§i 2lttie»
näum betitelte; 51101 Seiüeife, ba§ bie Seibenfrfjaft gur (5tn=u'
f)eit lüie bie (Seele ber ganjen Siomantif jo aiid) bie be»
?lt^enäum§ mar ober fein foKte.
SBer bie tiergilbten, altfränfifc^en $Bänbe be§ Stti)enäuni§
au§ einer 58ibIiot^ef fic^ J)oIt unb Don aiifsen betrachtet,
fann e§ fid^ faum oorftetlen, ba^ ein Süngting, im fü|Ien,
fommerlic^en Söatbe fi|enb, ]id) au» biefen 53Iättern einen
Diaujc^ ber $8egeifterung Ia§; ha'iß fie einmal fo mobern unb
anffe^enerregenb inaren luie je|t etraa bie „^ugenb", nein,
ötel met)r: eine ?^af)ne ber Sieöolution, oon jungen, iüage=
mut^igen, ^offenben äJienfc^en unter Sachen unb ^uhd ge»
fd^lüungen. 2)a§ foHte mit einem 9)?ate eine Sücfe reifjen
in bie 2J?auern ber ^^ilifterburg! Unb bann luottten fie
linterbrein ftürmen unb fid^ erobernb in bie bämm'rige,
bumpfe ööfile toerfen. SBie geuerbränbe foHten hk p^an=
taftifdjen Sinfäfle in bie fteifen, breitfpurigen ®affen fliegen
unb §ünben.
S53er ba» au§ge^ecft fjatte unter unjäpgen anbern @nt=
trürfen, ba§ mar natürlid^ griebrid^, loä^renb er in Serlin
nac^ langem Sarben ber erften Sugenb in greunbfc^aft unD
2itht fc^melgte. 83on feinem faulen greunbe in ^open^agen,
für ben bie bequemfte «Steflung ein ©tubium mar, erjäfilt
Steffen^, baB er ber geiftig Stngeregtefte unter i^nen Sitten
gemefen fei; au§ feiner förperlic^en Unbemeglic^feit öerauS
^aht er ftet§ bie ganje ©efettfdjaft in 5lt^em ge!^alten.
©benfo Oer^ielt e§ fid^ mit f^riebric^; bamals aber namentlich
mar er bur^ unb burc^ oon Segeifterung befeelt, oon einer
grünblid^en, nad^brücftic^en, maffen^aften Segeifterung. $DJitten
in feiner pf)ilofop(}ifc^ - äft^etifd^en 5(b^anbtung über ta^
©tubium ber griecf)ifc^en ^oefie unb in einem Stuffalj über
Seffing ftecfenb, erübrigte er 3eit, ben ^lan für bie neue
46 3)a§ 9(tfienäum.
^eitfd^rift ju entiueifen unb einen 9?amen ^\i er[tnnen für
bie I)etrlid)e SSaffe, bte fie j(^mteben moHten. |)er!u(e§ follte
fie leiten, fei e§ lüegen ber ©(^langen, bie ber ^eroS in ber
SBiege erwürgt ober toeil er ben SlugiaSflalt gereinigt ^atte,
bann lieber fi^Iug er 2)io§fnren öor ober ©c^Iegeleuni; benn
ber üerbrüberte (Seift öon SBil^elm unb f^riebric^ follte ba§
©anje regieren. 9Iber gro^ljerjig entfagungSnoH, loie man
ift, tt)eun e§ fid^ um bie Sertoirflicfiiing einer Sieblingsibee
fianbelt, gab er nac^ unb lie^ fid^ ba§ Slt^enäum gefallen.
S'Jun aber galt e§, ben eigenen (Sntf)ufia§mu§ bem
Sruber einsuftö^en, ber bem fremben ^tane gegenüber gar
nic^t fo rührig ipar, trie er fonft ju fein pflegte, aud^ biel-
Iei(^t ein nii^t unbegrünbete§ SJli^trauen gegen (5rtebricf)'§
©ntluurfSfieber ^tte. @tma§ S^eueS unb (5irünblic^e§ über
Seffing loar grtebrid^ felbft im 93egriff 511 fd^reiben; ein
entfdfieibenbeS 2Bort follte über ©oet^e gefagt toerben; 2Bie^
lanb fjinjurid^ten follte SBilljelm übernefjmen. 2lber cor
allen Singen eine güüe öon Sbeen! 2!3ir finb je^t ge-
lüoljnt, in jeber 3:age§*, SBodjen- unb SJJonatS^eitung eine
güüe oon 5lpl)ort§men gu finben, meiften» Sücfenbü^er, bk
einen allgemeinen, rao^lbefannten (Sebaitfen nett gugefpi^t
au§brücfen unb fo, üertraut unb bod^ überrafd^enb, bequem
eingel^en. 2)ama(§ loar ha^ d\va§ S'Jeueä unb griebrid^
glaubte, bie 2tnma^ung, bie barin ju liegen fd^ien, ent-
f(^ulDigen ju muffen, ©an^e Söerfe 5U fc^reiben, fagte er,
fei freilid^ ungleidö befd^eibener, toeil fie ja luo^l blof; au§
anbern SBerfen §ufamntengefe|t fein f bunten, unb meil ben
©ebanfen im fd^limmften gall bie ^uflud^t bliebe, ber ©ac^e
ben SJorraug 5U laffen unb fid^ bemütbtg in ben 2Bin!eI ju
fteHen. Slber ®eban!eu, einzelne ©ebanfen feien ge^iuungen,
einen SBert^ für fid^ ^aben ju ttjollen unb müßten Slnfprud^
barauf mad^en, eigen unb gebacfit ju fein.
Sa§ 5(tf)enäum. 47
(Sigen unb gebacfit lüaren feine ^been Jt)trf(irf), bie
„gcuertuft aii^ griebric^ ©c^Iegel'» Saboratorium", lüie
©oet^e einmal fagte; feine angeflogene, fc^idernbe Einfälle,
fonbern Ijavtfcfialige 92üffe, bie man oft mü^fam auffnacfen
unb obfd^älen mu^te, eif man fie genießen fonnte. <3ie
tvaxm haS' (Srgebnifj langen, grünbdd^en, |j^i(üfopt;)ifci^cn
$JJac^benfen§ unb oJine energifi^e» SQJitbenfen beg Sefer§
burd^auS nicf)t gu oerfte^en. '^axin liegt iljr ^Rei^. Tlan
fielet, e§ ^at \id) ba ein Genfer, um fid^ ben 5ßorrat^ feine§
S3eiuu§tfein§ flar unb überfid^tlicE) ju machen, eine Steige öou
SIiiÄbrüden gefc^affen, bte man, burc^ grünblidjeS ©tubium
ober beffer burd^ eine gemiffe SSertuanbtfc^aft ber 5(nfdjau«
ung, tu fic^ erleben mu§, uienn mau fie gauj luürbigen iniff.
@» ift anffattenb, wit ha^ gragmeut bie für griebrid^
geeignete gfrm ju fein fc^eint. Tlan fann fagen, bie güHe
feiner Sbeen fei 5U fc^tüer gemefen, ober feine ®eftaltung§=
fraft i)abt nidjt aulgereic^t, eine größere 3}?affe ju formen.
Senffaiil luar er feineltpeg§; aber e§ tuar i^m bequem, fein
bIofee§ teufen, rot), unüerbunben, luieber §u geben, neben*
einanber geftetite Steine, bamit loer Suft ^ahe, \iä) ein öau§
barau§ baue. SSegen btefe§ Ranges, fic^ fragmcntarifc^ au»==
jubrüden, liebte er ben S^ergteic^ mit Seffing; Seffing'fd^e?
(Sat§ foEten feine Sbeen fein gegen bie geiftige gäulni^ —
9ianbgIoffen jum S^e^le be§ Zeitalter». 2lber Seffing'^ ^rag*
mente timren Splitter, bie bei einer 3tiefcnarbeit abfielen;
griebrid^'y gragmente finb @(^ni|eleien, ouf bie er fein
£)öd^fte§ können üerioenbete. ®a» fe^t freiließ bie ^xao,-
mente felbft nic^t |erab; al§ eigen gebadjte ©ebanfen ^aben
fie tfire Unfterblidjfeit.
SSon ber umgebenben S5?elt gauj abgefoubcrt unb in fi(^
felbft öottcnbet »nie ein Qgel foflten tk gragmente fein,
fagte griebric^ unb cEiarafterifirte bamit allertiebft feine be==
48 S)a§ 5Üf)enäinn.
rüdfittgten ^araboi'en. Wan mit^ jebeS aU ein Steid^ für
fic^ neljmen, öoll ©tackeln, aber inineiibtg fd^ßn auSgeflattet,
fauber unb tr)ot}nItd^. 2Bü|eIm unb Caroline gingen beim
gru^[tüd bie tjielen C")unberte f^riebrid^'fc^er Qbeen burc^,
bie er itjnen jur ©inficfit fdjtdte, unb Ijielten e§ für nöt^tg,
wenn itinen etma§ gar gu paraboj:, ftniiielig ober fd^mer-
üerbaulid^ fd^ten, ba§ SSeto einjnlegen, 511 bem bie beiben
©rünber berechtigt lüaren. (Sr ^at hk SSetofc^eu, fagten
fie, aU er balb barauf über ^ranffein flagte. Sei aller
(g^rlic^feit unb Unerfd^rocfentieit im ^ampf i)ielt SBil^elm,
ot§ ^rofeffor in S^na, eine geiuiffe 3Sorfic|t unb Sftürffid^t
bocf) für geboten; Caroline wav of)ne§in nie für ba§ @j;treme.
griebrid^ Juar empfinblic^ unb entrüftet; lüenn man eine
SJieinung tiabe, folle man fie unterbrücfen, meil man nic^t
fidler fei, ob @oet^e läd^eln ober bie @tirn runjeln luerbe?
Snbeffen oerfprac^ er um be§ ®elingen§ 2BtIIen fc^Iie^Iic^
5lIIe§: e^ foltte geiuiffenl^nft toermieben lüerben, raa§ „an
©c^ilter grenjte", nic^t einmal über 2tgne§ üon Sitten, ben
Sioman feiner ©c^mägerin, foUte ein SBort fallen, dagegen
mu^te Caroline alle feine frütieren Söriefe burdf)Iefen, um
„fittlic^e Fragmente" gu fuc^en, rtjoran e§ nod^ mangelte,
ebenfo i^re eigenen unb bie feine§ 58ruberg. SDenn nid^t§
lag griebricE) ferner, aU ettoa ha§> 5ttt)enäum mit feinem
©eift allein be!§errfc^en §u lüoUen: e§ fottte eine grof]e
©i}mp!^onie tjertuanbter 6)eifter fein. Db er felbft einfai),
ha^, lüie SBil^elm unb Caroline fagten, ber Frederic tout
pur unöerbaulicf) loäre, jebenfatlS mar er ber erfte, ber
auf esprit de 2BiIt)eIm, esprit de Caroline, esprit de
©(i)Ieiermad^er brang, bamit jene Unit^erfalität entfiele, t>k
er in jeber (Srfd^einung, ouf jebem Gebiete furf)te. (Bein
greunbfc^aft^^unger Ijatte bie Siomantifer gefammelt; uner-
mübticJ) betonte er bie Dfiot^loenbigfcit, ha^ bie ©ebilbeten
5)a§ 9(t()etüium. 49
\id) ^ufammentl^un unö eine unl'id^tbare Sirene bilben müfjten,
t^a ber (Sinselne nt^t§ @)rDBe» ausrichten fönne. 2)ie
^ünftler, fagt er in ben Fragmenten, foHen jufammentreten
aU (gibgenoffen jum etuigen S3ünbni^; eine ^anfe bilben
lüie hie ^auf(eute im 9JJitteIalter. S^m felber entiutcfelten
fic^ bte ©ebanfen nor^üglii^ im ©efpräc^ unb im S3rief-
luec^fel. Neffen luar er ftd^ belüu^t; o^ne bte grennbe
glaubte er ni(f)t§, mit tbnen 2l(Ie§ Iei[ten ju fönnen. ^'iecf,
9^ot)aIi§ unb ©c^Ieiermad^er führte er feinem S3ruber jiu unb
marb fie jum SD^itmirfen am Slt^enäum nn. S^oöalil füllte
p|iIofop§ifrf)e unb c^emifc^e 33eiträge geben, Caroline pti^
fönliifie, ©(^leiermad^er et^ifdje, SBil^etm äft^etifd^e. Unb
fo tft benn ha^ ?lt[)enäum föirüic^ ein 3ufanimenflang ber
oerfd^iebenften Qnbiöibuen geujorben, bie nur barin @in§
waren, ha'B fie bie 3Ba£)r§eit fuc^ten unb an ben ©eift
gtaubten. Salb feigen un» bie reinen, f^arfen Stugen ©c^Ieier»'
mad^er'^ bfirnu» an, balb hk jum |)immel fc^märmenben
be§ frommen SfJoDaliä. S^on ifjm fagte griebrid^, er bid^te
in Sltomen. ©eine 2tu§f|)rüdE)e fc^lueben luie SeudEitfugelu
auf in fd^önem ©d^iuunge, eine fanfte ij^elligfeit über ben
bunfetn |)immet Oerbreitenb unb füH auSat^menb, elje mau
fid^ itjrer beutlic| bemüht gelüorben ift.
„SSir finb bem ^tufiuad^en no^e, luenn toii träumen,
ta^ roir träumen."
„Ser 3:0b ift eine ©elbftbefiegung, bie tuie alte ©elbft-
überminbung, eine leichtere (£jiften5 öerfd^afft."
9Jian a^nt einen unergrünblic^en ©e^aft in ben SSorten
unb mö(^te t§n f äffen; aber jugleic^ f)aud^en fie eine SJJufif
au§, ber man fi^ mit gefc^Ioffenen 3lugen Eingeben möd^te,
o^ne ju unterfuc^en.
Schärfer unb beflimmter tfl, mal (Sd^teiermac^er giebt;
faft StKeS berü[)rtba§ ^fi)c§oIogiftf)e, n)ie fein burd^bringenber
SönA), OJomantitcr. 4
50 ®a^3 9lt[)eunum.
Slicf e§ 5u Sage förberte. Tlan erfreut fid^ an ber feinen
^Beobachtung, an ber unbeugfamen 3Sa!^r^ett§Iiebe, mit ber
er gotgerungen gte^t unb feinem ©ctiluffe ait§ipei(^t; aber
ba ift feine jitternbe Dberftäd^e, unter ber unermeßliche S:iefe
lodt, feine blaue eherne, fein füße§ SDunfel, ta^ ge^eimniß*
oollen Uriüolb anfünbigt. „2Ba» oft Siebe genannt toirb,
ift nur eine eigene 3Irt öon äTtagneti^mug. (g» fängt an
mit einem befcömerlid^ fi^elnben en rapport @e^en, befielet
in einer Segorganifation unb enbigt mit einem efel^aften
^ellfetjen unb öiel ©rmattung (S)eiuöt)nti(^ ift aucf) (äiner
babei nüchtern."
'an i[)rer gierlic^en ®efc^liffenl)eit unb ber SBeltlid^feit
t£)re§ 3n]^alt§ erfenut man 2BiI§eIm'g ^ut^aten. @r bejie^t
fic^ niemol^, luie bte eigentlichen 9iomantifer ju ti^un pftegten,
auf ha^ Unenblic^e; fonbern bef darauf t fid^ auf ein beftimmteS
SBerf, irgenb eine beftimmte ©rfc^einung, hu er ridCitig unb
pbf(^ beteuertet, ©eine lueltmännifc^e Sorreftfieit unD Ur-
banität öer^inbert i^n, in ©efeHfc^aft fid^ anberg aU allgemein
tjerftänblic^ unb nermittelnb auÄ^ubrüden.
griebric^'g @eift ift im Slt^enäum ber üerbinbenbe (SJoIb-
grunb be§ farbigen ®emälbe§. ^eben angebeuteteu ©ebanfen
öerfolgt er bi§ in feine äußerften Solgen unb fammeft alle
5U @t)ftemen ober iiienigften^ @tjftem='^roj[eften. d)lan er-
fährt ^ter bie anregenbe ^raft, mit ber er lebenb fo Sßiele
an ftd^ feffelte, unb bie öiedeid^t ^auptföd^tid^ barin befielt,
ha^ fein geiüaltiger i^ang, fid^ über bie SBelt ftar §u tuerben,
un§ lüie ein langfam ftießenber, aber ftarfer Strom ergreift
unb mitreißt; tvk ©d^ioärmereien fid; e|)ibemifd[j mitt^eiten,
fo entjünbet feine ^tiilofop^ifd^e 3But() feine ^u^örer 5um
^reujjuge nac^ bcm fieiligen ©rabe be§ S23elträt|fe(§.
(Sin maieftätifc^er ^bealiSmug ift bte 2BeItanfc^auung,
bie bo^ ^It^enäum |3rofIamirt. ^2ln allem 2leußerIidE)eu, bo#
Sa§ 5U[)enäitm. 51
bcr SJ^e^rjal)! ber ajJenf(i)en md)tic\ bünft unb fie befc^äfttgt,
tuirb mit großartiger Siacöläffigfeit öorübergegangen, ober
ba§ tnnerlid^e SSefen JütrD baraul ^eröorgefuc^t unb baburc^
bte Mtägtic^feit i^ren 35ere^rern entfrembet nnb auf eine
^o^e @tufe gerüdt. „yJic^t in bie politifc^e Si^ett oerfc^Ieubre
bu ©laubeii unb 2kbc, aber in bie göttliche SBelt ber 2Bi[fen=
fc^aft unb ber ^unft opfere bein ^nnerfteg in bem t)eüigen
geuerflrom einiger 58i(bung."
SBiffenfc^aft unb Sl'unft luerben oon j^rtebric^ einmal
gertibeju ben Göttern unb ber Unfterblid^teit gleid^gefe^t.
Siiiv ber ^öc^fte S^orjug ber ^eutfc^en tuirb i^r 5?bealiömu§
I)tnge[tellt. „9Jici^t .V)ermann unb SBoban finb bie 9iationaI-
götter ber Seutfc^en, fonbern bie ^unft unb bie SBiffenfc^aft."
SSa^ für ein ^oc^fc^luettenber üaterlcinbifc^er ©tolj liegt in
biefem S3efenntniß; loie fern aber öon eitler Uebertjebung;
benn: „e§ giebt nur wenige ^eutfc^e," 5tber ber ßtjaraüer
ber großen beutfc^en ^ünftler aller ßeit fei recfitltc^, treu= i
^erjig, grünblic^, genau unb tteffinnig, babei unfc^utbig unb
etiüa§ ungefc^icft; nur ber ©eutfd^e treibe bie ^unft aU eine
Stugenb unb al§ 9fietigion. '•21I§ bie größten S^ertreter beutfdjer
Xlunft unb Söiffenfcfiaft ää^It griebridj auf: S^cpler, ®ürer, 'Jß^
Sut^er, ^alob 33ö|me, Sefftng, SSinfelmann, ©oet^e unb gidlte,
atleä SJJdnner, bie hmd) ®eift unb G^arafter jugteirf) ()erüor-
xagen. 2luc§ mirb abfic^tlic^ fein Unterfc^ieb gemacht siuifd^en j
^ünftlern ober ©enfern unb großen DJJenfcfeen; raufest boc^
baä SJiotto: (Sin§eit unb ©anj^eit beftiinbig bem marfdjireuben
§eere üoran une eine äJiufif oon trompeten unb 3;rommeln,
fin ^eroif(^e§ 5elbgefd)rei.
„Unioerfülität ift SBec^felbet^ätigung aller goroien unb
Stoffe." @o »üurbe ta^ ®emeinfc^aft(irf)e in ben ücrfc^ie-
benen fünften gefud^t, im Öiegenfa^ ju Seffing, beffen i
fonbernber ißerftanb i^re ©renjen feftfteHte. S" i'er ®re6-
52 5)a§ 'Jltf)enäum.
bener ©alerie Ijatten SBil^elm unb Caroline 33etrad^tungen
über bie bübenben fünfte angeftellt, bie fie gu einer ®abe
für ba§ 2lt^enäum unter bem %itd „bie ©emälbe" anmut^ig
tjerarbeiteten. S)a ^ei^t e§: „Unb fo foHte man bie fünfte
einanber mieber näliern unb Uebergänge au§ einer in hit
anbere juc|en. SSilbfäuIen beleben jic^ t3ielleid)t ju ©emälben,
©emälbe luerben ju ©ebid^ten, ©ebic^te ju SJJufif, unb föer
raei^? jo eine Ijerrlidje Slird^enmufif fliege aud) einmal n^ieber
üU ein Xempel in bie Suft." Unb nod^ einmal in einem
gragment berührt SBil^elm benfelben ©ebanfen:
„^n ben Söerfen ber größten ®id^ter al|met nic^t feiten
ber @eift einer anbern ^unft. (Sollte ba§ nirfit aucf) hei
SJJalern ber i^aU fein? Tlalt nicJit SWic^elangelo in geiuiffem
©inne n?ie ein S3ilb^auer, fRapfioel föte ein 3Ircf)iteft, Korregio
n^ie ein SRufifer? Unb getui^ mürben fie barum nic^t ineniger
ajJater fein aU Xx^ian, lüeil biefer blo^ SJ^aler lüar/'
3tud) ha^ fü^ne unb fc^öne S3itb öon ber Slrd^iteftur
alä einer gefrorenen 9}?ufif, je^t beino^e gemein|3lö|ig ge»
n)orben, t)at Söil^elm ^uerft gebraucht.
S)a§ Sneinanberüberf(^tüanfen üon HJJufif unb ^oefie unb
^ SJialcrei umrbe ein Siebling§tt)ema bon Subung 2;ied. „SBie?"
fagt er in ber SBevfeljrten SSelt, „e§ loäre nic^t erlaubt, in
Sönen ju benfen unb in SSorten unb ßiebonfen 5U mufijiren?
D lote fd;(ed^t luäre eg bann mit un§ ^ünfllern beftellt!
2Bie arme ©pracfie, une ärmere 93cufit! ®enft il)r nic^t fo
mancfie ®eban!en fo fein unb geiftig, ha'^ biefe fid) in SSer-
jiueiflung in 3Kufif £)ineinretten , um nur 9iu^e enblid^ ju
finben? 9ld), iljr liebe Seute, ba§ SJieifte in ber SBelt grenst
njeit me^r an einanber, aU i^r e§ meint."
S)a^ er im ^erbino bie glöten fagen lä^t: „Unfer (Seift
ift Ijimmelbiau, fütjrt bid^ in bie blaue gerne" i)at man in
nac|romantifd)er 3eit täd)tüiä) gemad;t, n)äl;renb man je^t
®a§ 9(tf)enöum. 53
anfängt, bte SSerttianbtfc^aft jtüifc^en ben üerfcöiebenen @inne§=
empjinbungen lüiffenfc^aftlic^ ,^u iinterfuc^eu.
SBie nun in aflen fünften ein einziges ®runb)3rtn;^ip
geal^nt wirb, fo foHen and) alle SSiffenfc^aften auf eine
SBtffenfc^aft surüdgefü^rt, \a fc^tiefeltrf) Slunft unb Söiffen-
fc^aft (Sin§ toerben.
„m^ ^unft fott SBiffenfc^aft unb alle SI?iffenfc^aft foft
^unft werben; '!]Soef{e unb ^I)itofop^ie feilen Bereinigt fein."
Unb eben btefe ^oefie, hie auf ti^rem [}öc^ften ©ipfel
(£in§ mit ber SSiffenfd^aft ift, ift bie romantifdje, bie Uni»
tierfalpoefie, hk Werbenbe, bie ^^oefie ber ^^^oefie. 2)ie buntein
Söorftedungen, bie bie meiften ajJenfcfien öon ber romantifcfeen
^oefic i)at)en, al§ ftel^e fie in einem unöerföl^nlid^en ®egen*
fa^e 5u ber fogenannten !Iaffifcl^en, al§ fei fie bie ü6er=
fc^menglicfie, pftantaftifcfie, bertttorrene, finb Weit ah öon ber
großartigen ^het, bie ben ronmntifcfien 5left^etifern oor-
fd^mebte: jebeS unpoetifc^e (SIement foH au§ ber Stiiitnng
nulgefcftieben werben, 5ltle§ aber, \va§: ber @inn aufnel)men,
ber ©eift erfennen, ba^ ©emüt^ al]nen fann, foCC bie all=
umfaffenbe in fi(^ begreifen. Silier^ foll poetifirt Werben.
9?ici^t§ ift 5u gering ober 5U groß für bie ^oefie; benn aud^
bie fleinfte ©rfclieinung öer^ütlt ein Unenblidie?^
®§ f(^eint bem, ber fid^ in ta^ '!>tt^enäum oertieft, aU
gäbe e§ auf ber 2BeIt nic^i§ all ©unft unb SSiffenfc^aft,
unb aU ob infofern ber SSorWurf gered)tfertigt wäre, alle§
bie§ t)ahe nur für gelehrte ^ünftler unb fünftlerifc^e ®e=»
lebrte, alfo für einen fel)r tieinen ^^rei§ oon SJienfc^en,
S3ebeutung. Unb atlerbing§ gehörten ja bie SBenigen, hit
l)ier p SSorte famen, einer $anfe an, fül)lten ficö ftolj at§
9}?itglieber einer unfiditbareu ^irdje. Mit fübler unb flarer
S.^erad^tung reben fie oon ber großen ©egenpartei mit il)rem
2BaI)Ifpritd^: oernünftig, aber bumm.
54 S)o§ ^ff^cnöum.
„(5§ gtetit red^tltc^e unb angenel^me Seilte, bte ben 9J?en=
fd^eii unb ba§ Seben fo betrad^ten, a.U ob üon ber beften
©c^afjud^t ober öom kaufen ober SSerfaufen ber @üter bie
9?ebe iDÖre. @§ finb bie Defonomen ber 9)?oraI unb eigentltci^
bel)ä(t Uid{)I alle Tloxal o|ne ^t)itD[D;3t)te einen getüiffen
tffibernlen unb öfonomifd^en Stnftrtdfi ... (S§ giebt ö!o»
nomtfrfie ©d^luärmcr unb ^antfjetften, bie utd^t§ ad^ten aU
bie ^yiottiburft unb fid) über uid^t§ freuen, aU über i^re
S'JülItc^feit. 2Ö0 fie fjinfommen, tuirb 5tlte§ ptatt unb ßanb=
lüerf§mä^ig, fetbft bie 9ieItgion, bie 2l(ten unb bte ^oefie,
bie auf il^rer ^red^felban! nichts ebler ift aU g(ad^§^e(f)etn."
SSon ber fogeuaunten guten (SefeÜftfiaft lüirb gefagt, fie
fei eine SD^ofai! öon gefc^tiffenen ^arrifaturen. Ober: „S)ie
meiften SJienfc^en finb, wk 2eibni^en§ mögliche SSelten, uur
gtetc^bered^tigte ^rätenbenten ber ©inftenj. (£§ giebt tüenige
S^iftenten.^' Unb fann man einen ejHufioeren ©tanbpunft
:^a6en aB ben, ba^ felbft in ben äu§erlic|en ß)ebräud^cn
ber 2eben§art bie ^ünftler fid^ Oon ben anbern aJienfc^en
unterfd^eiben follten? ®ie§ ift bie ariftofratifd^e ©ette be§
Sltf)enäum§. 9Iuf bie ^lage be§ ^ubtifumS, bie beutfc^en
5lutoren fc^rieben uur für einen f leinen ^rei§, ja oft nur
für fid^ felbft unter einanber, ermiberten fie tro^ig, bo§ fei
/gut fo, „bnburd^ irirb bie beutfd^e Siteratur immer me^r
^ ©eift unb e^arafter belommen." ®ie ^ünftler finb, fagen
fie, unter ben 9Eenf(^en, n)a§ bie SJJenfd^en unter ben anbern
95ilbungen ber ®rbe. ©ie finb $8rat)minen, eine p^erc
^ofte; aber — unb nun fommt ein Q\i'\a^, ber ben ganjen
9(u§f)3rud^ Ulieber bemofratifirt — fie finb nid^t burdt) ©e*
burt, fonbern burc^ freie ©elbfteintreiljung geabelt. Un=
ermüblirf) lüirb betont, baf3 e§ eine§ ^eben 83eruf unb
^flic^t ift, Tlex\\d), tünftler, ®ott ju tücrben. ©o baben
h)tr £)ier biefelbe 9}?ifd)nng öon Popularität unb ^friftofra-
5)a§ ^[t^enciitm. 55
li§mu§ lüte im ß^riftentfium: SSiele finb Berufen, akr
tüenige finb ou§ertüäf)It.
Surc^ ba§, n)a§ bie JRomantifer unter bem SSegrtff
„^ünftter" fic^ backten, tüirb bte SBürbe, bie auf einen
fleinen ^rei§ tefc^ränft fc^ien, auf bie gan^e 9)ienfc^^eit
erweitert: „^ünftler ift ein ^eber, bem e§ S'^d unb 9Jiitte
be§ ®afein§ ift, feinen ©inn gu bilben." ^J^ur auf ben
©ntfd^Iu^ fommt e§ an, „ficf) auf einig üon allem ß^emeinen
abjufonbcvn." 5lber no(^ auf anbre Söeife Jnirb bie Wöq-
lic^Ieit barget^an, ba^ ein Sf^e^^ fi<^ erfolgreich bem pd^ften
3iele 5uUienben fönne. „®enie ift ber natürliche Buft^m^
be§ äRenfc^en." 2Ber anber§ aU ber überfcfitüengücö fü^ne
©eift §arbenberg'§ njagte fo ju benfen unb fo fid^ 5U äußern?
S)a§ grij^te ^unftttjer!, fo |3^iIofop^irt ber @cf)üler gierte'»,
erf(^afft bte unbeliniBte ^^antafie be§ SJJenfc^en, inbem fie
au§ eigner ^raft bie 2BeIt fic^ aufbaut; ber Stebenbe, ber
bie beliebte tjergöttert unb ein anbetung§n)ürbige§ S3ilb
fie^t, ba§ nic^t ift; ber Sßilbe, ber bie Sprache fc^afft aU
ein bilbfameg, nac^ einigen ©efe^en tuanbetbareS ©tjmbol
für bie erfc^eiiienbe SBelt unb beineglicfien Körper für bie
ßiebanfen, fie finb mt ^ünftler üon ®Dtte§ ©naben, unb
e§ ^anbelt [id) für ben 9JJenfd^en nur barum, fi(f) auf ba§
®enie, ha^ in i§m ift, 5U befinnen, e§ in feine ©en^alt gu
befommen.
„3eber ungebilbete 9J?enfc^ ift bie ^nrrifatur öon fic^
felbft." ^arau§ folgt, bafe fid^ bilben ^ei^t: fein eigene^
Sbeal werben. 51lle§ Voa^ in biefem ©ebanfen liegt unb
fic^ barau§ folgern lä^t, faf3t griebric^ in ben SSorten gu»
fammen: „^eber gute StRenfc^ luirb immer me^r unb me^r
©Ott. ©Ott lüerben, Tlcn\ä) fein, fic^ bilben finb 3lu§brüde,
bie einerlei bebeuten." ®iefe 93ergötterung be§ Sc| ift
i^immelmeit entfernt öon ber unfrud^tbaren ©iteifcit bcrjenigen,
56 2)a§ ?(t[)enäum.
benen i^r eigenes ©elbft ber ^flod i[t, tüoran fte mit
hirjem ©tricE feftgebunben finb unb um ben fie fid) imaiif-
Ijörlic^ breljen. SDenn unter bem ©ottuierben ift öerftanben
(Srlueiterung ber eigenen ^erfönlidjtcit jur 3lufna!^nie öon
uncnblicfi bieten, „^ein SJienfd^ i[t fc^lcd)tl)in d^len\(i), fon-
bern !ann unb folt tütrftid; unb in 5!Bat)röeit auä) bie ganje
9JJen|(^t)eit fein." 2ßenn tvxi nun noc^ ®ott einen SIbt)[fu§
öon ^"'^iöibuatität genannt ftnben, ben einzigen unenblid^
^sollen, fo fetien lüir ein OietigionS^rojeft, ba§ gricbric|'§
©e^rnge trägt, bem gic^te'S ®ei[t aU Stern im D[ten ge=
leuchtet l^at.
2Bie ber golbne, 5lIIe§ burdjbrtngenbc Stetiger nmpllt
bie ^Dce ber Steligion t)it ganje ©ebanfeniüelt, bie |ier
oulgebreitet liegt. (Einer Sanbfc^aft gleid^t fie, in bereu
«S^^intergrunbe ein ungeheurer, 2llle§ überragenber S3crg mit
fd)immernbem ©ipfet lagert, ben mnn r»on jebem ^la^e au§
fe^en fann unb beffen unbertitgfcaren Umri^ man nod^ atjnt,
tütxm it)n filberne ^Dünfte ober grauet 9tegenn)etter üer=
fc^Ieiern.
„9^ur burd^ Sfteligion lüirb au§ Sogit Iß^ilofop^ie, nur
ba^er fommt Sltleä, iüa§ biefe mcljr ift aU 2Biffenfc|aft.
Unb ftatt einer elüig öoUen, unenblidien ^ocfic tuerben )üir
otiue fie nur S^omane ^aben ober bie ©pttlerei, bie man
je^t bie fdjöne ^unft nennt."
„^ie 9?eIigion ift ni(^t blo^ ein S:^eil ber 33ilbung,
ein Öilieb ber SLRenfd^^eit, fonbern ba^ Zentrum aller
Uebrigen, überall ha^ (Srftc unb !Qöd)'\ic, 'i)a§ fc^ted^ttiin
Urfpüngtid^e."
2öa§ ber (Srunbgebanfe öon ©d^Ieiermadjer'» 9teben
über bie Stettgion mar, ha'ß nämlid) 9ieIigion nid)t§ anbre§
fei aU 33e5iet)ung beS (gnblidien auf ha^ Unenbüdie, (Sefüljt
be§ Unioerfum§, ha^ finbet fic^ Iner im S^eime, in bli^-
S)a§ ?(tf)ennum. 57
artigen, [traff sufammengefaBten 5tu§jpriic^en , bie auf ben
S^erftänbniBüDlIen ftärfer tuirfen at§ @rf)Ieiermac^er'^ etit)a§
öenuäfferteg Sieben, ma» freüid^ befttmmt rvax, öon Sßieten
eingenommen unb begriffen 5U luerben unb feinen Swcd
aud^ erfüllte. 5l6er inniger aU bort füi)tt man {)ier, lüie
eine auffeimenbe Steligion f($on ben ^immel be§ Zeitalters
färbt aU öer^eifsungäoolle SJJorgenrot^e. ^unbertfad^ n)irb
mit bem „3aubetftab be§ 33iid^ftaben§" an 'i^a^ ßJeI}eimni§
ber öerfünbigten @onne gerüf)rt, haii 3?ät^fel ber 3tät^fe(
burd^ öermitteinbe ß^Ieid^niffe bem ©inn na^e gebrad^t, lüie
toenn man ben ß^Ianj be§ feurigen ®eftirn§, ber bem menfc^-
lic^en 5luge unerträgltd^ ift, bämpft unb beriranbelt, inbem
man e§ burdEi farbige ©läfer betrad^tet.
(Sine tröftltd^e ®eliii|fieit i)at ber ©trcbenbe: „®etn 3iel
ift ^unft unb Söiffenfd^aft, bein Seben Siebe unb 58ilbung.
^u bift ot)ne e§ ju lüiffen auf bem SBege gur 9f{eIigion.
©r!enne eg, unb bu bift ftd^er, bein S^^^ 5" erreid^en."
SSon biefem ©tanbpuntte au§ ift e§ begreifitdf), hal^ SSübung
al§ ba§ p{^fte (5)ut unb ha^ aKein 9f?ü^Ii(^e gepriefen ipjrb.
2)iefen Segriff oon 9ieIigion, hit „ben ®eift be§ fitt=
Itd^en 9D^enfd)en überaß umfliegen füll n^ie fein ©lement",
muffen tvh gegeniüärtig tjaben, um bie 3lu§fprüd)e über
9J?oraI 5U oerfte^en, hie Elftem, »üa§ man bisher barunter
begriffen ^tte, entgegengefe^t n^aren. 3uoi S3eifpiel: „9J?an
l^at nur fo t)iet SDZoral aU man ^^itofoi^^ie ober ^^^oefie
l^at." Dber: „Sie erfte Siegung ber ©ittlid^feit ift £)ppo=
fition gegen bte pofittüe ©efc^IidEifeit unb conüentionene
9ted)tlt(^feit — eine grengenlofc Stei^barfeit be§ (SJemüt§e§."
(£g ift berfelbe ßampf, ben ber Slpoftel ^aulu§ gegen
ha§ ®cfe^ fämpfte im 9Jamen ber Siebe, welche er be§
(SJefel^eS ©rfütlung nannte. 2(IIerbingÄ, fagte er, mu^, loer
haS' ®efe^ umiinrft, üom ®eifte regiert fein, ober, mte e^
58 5)a§ 9(tf)enäum.
W 9?omonttfer au§brücfen, er mu^ im Unfid^tbaren teBen,
fein Seben mu^ Siebe unb 93 Übung fein; jebenfaHS fann
man infotern ben Stomantifern mie iebem Sbeattftcn unb
jebem (Sfiriften ben SSortüurf matten, ha% fie eine |)errfc^aft
angriffen unb §u erfrf)üttern fuc^ten, um bafür eine§ 9letc^e§
SBürger 5U merben, ba§ für ben SRenfcfien elptg ein kommen*
be§ ifi, ttite föir ja auc^ beten: bein Steic^ fomme.
^m 2It£ienäum liegt ber ^eim ju 5Iüem, ft)a§ bie 9f{o=
mantit bringen fottte. 5)er 93egriff ber S^^onie, ber ein fo
h)id^tiger ©runbfa^ ber romantifc^en 5leftf)ettf war, ift oiet^
fad§ gu beftimmen öerfuc^t. ®ie gange ^JJaturpiiilofop^ie
liegt angebeutet in ben Söorten: „SBillft bu in'§ ^nn^J^c
ber ^S^i^fif bringen, fo laffe bicf) eintt)eiben in bie 9J?t)fterien
ber ^oefie." 5(ud^ bie ©ntbedung ber orientatifd^en ^oefie
mit il)rem gelDattigen SinfCuf? berettet fic^ bor: „5?m Orient
muffen n^ir ba§ ^öd^fte 3?omantifd^e fuc^en." „Söeldf) eine
Ouelle an ^oefie fönnte un§ au§ ^nbien fliegen."
@taunen§lt)ert^ ift für bie Sefer unfrer 3eit, trie un=
öeraltet biefe Slätter finb Ungö^Iigen GJebanfen begegnen
h)ir, bie fic^ in unfern klagen, i^rer S^eul^eit unb SSer*
einjelung benju^t, faum fo frei unb inut£)ig Jierbormagen,
mie fie bort auggefprocfien finb. SDJan fann fid^ nid^t rabi-
faler über bie (Smanjipation ber thronen auSfpred^en, aU
e§ Sc^teiermad^er, ein ^rebiger, in feinem ^otec^i§mu§ ber
SBernunft für eble grauen ttiat, tüo j. 93. fofgenbe ©ebote
gegeben finb:
„S)u foüft bon ben |)eiligt^ümern ber Siebe auc^ nid^t
ba§ ßleinfte miPraud^en: benn bie n)irb i^r gartet @efü|I
rertieren, bie i|re ®unft entn)eit)t unb ftd^ t;ingiebt für
©efc^ente unb ©aben, ober um nur in Stu^e unb ^rieben
aKutter ju ftterben."
„2)u foUft nidE)t falfd^ 3fU9"iB ablegen für bie aJZänner;
®n§ 9(t^eitäum. 59
bu foHft t^re iöarbaret nic^t befd^öntgen mit 255orten unb
SBerfen."
(Sine nod^ beutlic^ere, fc^Iogenbere (Sprache fü^rt bQ§
©laubcnSbefenntnife:
1. Sc^ glaube an bie unenblicf)e 9}?enfcf)|eit, bte ba
mar, el^e fie bie ^üHe ber SJJännlid^feit unb ber SEeiblid^feit
annahm.
2. ^d) glaube, ba^ tc^ nidjt lebe, um ju gcf)ord^en ober
um mid^ ju jerftreuen, fonbern um 5U fein unb ju tüerben;
unb id^ glaube an bie SO^ac^t bc§ SSifIen§ unb ber 93ilbung,
mic^ bem Unenblic^en luieber gu nähern, mid^ au§ ben
{^efieüt ber SJiiPilbung §u erlöfen unb mic^ üon bcn
©c^ranfen be§ ®ef(^Ied^t§ unabhängig ju machen.
9JJit ebenso fcEineibenber 9tücflid^t§Io[ig!eit faßt t^tiebric^
ba§ Urt!^eil über bie @^e:
„{^flft alle @^eu finb nur Sonfubinate, (Stjen an ber
linfen ^anb, ober üielme^r proötforifc^e SSerfucbe unb eut=
fernte 5(nim^erungen ^u einer lüirfltd^en @§e, beren eigent»
Iic^e§ SSefen, nid^t nac^ ben ^arabo^-en biefe§ ober jene§
@t)ftem§, fonbern nad^ allen geiftlic^eu unb lüelttic^en 9tecE)ten,
barin befielt, ha^ me{)rere ^erfonen nur eine iDcrben foüen.
SSenn aber ber ©taat gar bie mi^glücften S^eöerfud^e mit
©etoalt jufammen^alten toitl, fo ^inbert er baburcf) bie
SDJögtid^feit ber @!^e felOft, bie burd^ neue, tiielletc^t glü(f=
lid^ere SSerfuc^e beförbert toerben fönnte."
?ll§ noc6 üiel moberner berührt un§ aber bie S3emerfung,
hie eine me^r nü^Iid^e a(§ erfreuliche SBa^r^eit genannt
mirD, ba§ fogar bie befte @^e, ja bie SJJütterlid^feit felbft,
tüelc^e§ beibe§ bod^ geluö^Iic^ aU iia^ einzige 3iel ber {5rau
betrad£)tet 5U n^erben pftegt, nur aüju leidet hk '^lau ^tvah'
giel^en fönne, foba§ fie, mit ben Sebürfniffen ber ®rbe üer»
ftridt, il^re§ göttlid^en Urfprung§ unb (SbenbitbS nid^t met)r
'/^p^^
60 2)a§ ?(tf)enänm.
eingeben! bleibe. 2Borau§ frcific^ feine§lücg§ ber ©d^IuB
gejogen tütrb, 'tia'^ bie grau fid^ ber Siebe, @^e unb a)Jutter=
fd^aft ent§ie:^en fotte.
5ßon ber mobernen 2et)re üom Uebermeiiic^en finbet fic^
ein SSorflang in ben Söorten: „(5§ ift ber 3Jienfd)^eit eigen,
ba^ fie fid^ über bie SJZenfc^^eit erl^eben mu§." Sflf'fogi^
ie beinah to(Ifü|n erfcfjeinenbe 33e^auptung, bie in neuefter
^eit aufgetaud^t ift, nid^t Vxt ^unft rid^te fid^ nac^ ber
9?atur, fonbern umgefe:§rt, irirb in einigen flüchtigen SSorten
berührt, n)0 e§ ^ei§t, t>^^'^ ber menfd)Iic^e (5Jei[t ber um=
gebenben 2Sett feine (Sefe^e üorfd^reibe unb fie nad^ fic^
fd^affe unb moble.
Stuf Sttd^arb SBagner unb bie ie|ige Programm- unb
©ebanfen - 9J?ufif fd^eint fotgenbeS gragment propbetifc^
]^in§utüeifen:
„@§ pffegt ajJand^em feltfam unb läd^crlid^ aufjuf allen,
luenn bie 9}iufifer Don ben ©ebanfen in itiren ©ompofitionen
reben; unb oft mag e§ nud^ fo geji^e^en, tia'^ man ma()r»
nimmt, fie ^aben mebr ©ebanfen in ber W\x\\l aU über
biefelbe. 2Ber aber ©tun für bie munberbaren Slffinitäten
atter fünfte unb SBiffenfcftaften bat, luirb Vit @ac^e
Ujenigftenä nid^t au§ bem platten ©efic^t^punft ber fo-
genannten S^iatürlid^feit betradjten, nac^ luetc^er bie 9Jiufif
nur btc ©pradEie ber @m|3ftnbung fein foE, unb eine geroiffe
Senbenj aller reinen ^nftrumentalmufif jur ^bilofopl^ie an
ftd^ nid^t unmöglid) finben. 9Jiuf3 bie reine ^nftrumentat*
mufif fic^ nid)t felbft einen %tii erfc^affcn? unb mirb ^a^
%\)m\Ci in t^r nicfit fo entmicfelt, beftätigt, öariirt unb
contraftirt, raie ber ©egenftanb ber 9J?ebitation in einer
pbilüfop^ifc^en 3i>eenrei^o?"
2Ba§ für ein ibeatiftifcbe§ Zeitalter, in toetc^em eine
Seitf^rift Sefer fanb, bie feinen, aber aud^ gar feinen blofeen
Sas §ltf)enäum. 61
Ilnter^attungöret§ bot; hk me^r ftubirt aU^ geiejen fein
luottte. Sänge freiließ fonnte ha§ Sd^enäum \iä) ntc^t
fialten. (£§ erfc^ien in bcn Saferen 1798—1800. ^m
bemühten ©egenfat^e jur großen 9J?enge mar e§ auf ben
^ampfpla^ getreten; e§ njar be»f)a(b nic^t 5u oermunbern,
ha^ „'üa^ platte $ßoI! öon Hamburg big nad^ @d)tuaben"
einen Schrei ber Gntrüftung au§ beni üertuunbeten öerjen
erf(f)allen lie^. 21ber auc^ bte S;^eilna§me ber ©ebilbeten
mar geringer, ale man erluartet ]§atte. dJlan flagte über
bie Unoerftänblic^feit namentlich öon griebric^'g Fragmenten,
tva^ nid^t unberget^Iic^ ift, menn man 5. 33. lieft: „^arri=
fatur ift eine paffitje ^erbtnbung be§ 9kioen unb ®rote»fen.
2)er 2)ic^ter fann fie ebenfoiuot)! tragifc| al§ fomifc^ ge*
brauchen." Ober: „Urbanität ift ber 2Bi^ ber l^ormonifc^en
Unioerfalität, unb biefe ift bog (gin§ unb 5irie§ ber ^iftorifc^en
^^ttofop^ie unb ^^lato'l f)üi^fte aJJufif. ®ie |)umaniüra
finb bie @t)mnaftif biefer ^unft unb 2öiffenfc|aft."
Tlan mu^ gefielen, ta'^ bie 33equcnilicf)feit beg burd^-
fd^nittli(^ ©ebitbeten fid^ in ber 9teget öon einem fold^en
3been==3get äurücf§ie£)en rotrb, an bem fein ©eift fi(^ fo
ri|en fann, bi§ er fid^ i|m offenbart ^ot. ©ine Strt öon
©e^eimfprad^e — ein gemiffer ÜJ?l)fti5i§mu§ be§ 3tu§brud§,
löte griebrid^ fagt — bitbet fic^ leicht au§, menn mehrere
9}ienfc§en fic^ oft über biefelben ©egenftänbe i^reg gemein»
famen ^ntereffe» unterreben; unb aul Unterfialtungen S3e-
freunbeter ift ia im ©runbe ba§ ^ttienöum entftanben.
Sn einer munberöotlen fleinen Selbftöertfjeibigung, tuo
Saune unb ©ruft fi(^ reiäöotl mifd^en, beantlüorttte griebrid^
bie SSoriüürfe unb klagen über feine Unöerftänblid^feit. 2(n
feinen 53ruber fd^rieb er, ob e§ nic^t gut fein föürbe, fünftig
mit jebem §eft ein ©tüd §onigfud^en grätig augäut|eiten.
dx tvav umfome|r entrüftet, aU er fic| e^rltc^ uub leiben*
62 ®a'5 5ttl}enäum.
fc^aftltc^ be[trebte, populär 511 fein, ja iogar ta^^ SBort
Popularität l^äufig mit SSo^Igefallen im DJJunbe füfirte, er
öer in ber Unfunbe feineg finblic^en gürfic^lebeng ber be=
fc^äftigten SBelt feine lüeltferne ^erfönlic^feit, ben „Fredeiic
tout pur" fo o|ue 2Beitere§ jumut^ete!
SESie bem auc^ fei, an ber Unüerftänbtid^feit ging tia^
?lt^enäum ju ©runbe. Ser fc^metternbe Sufielton, ben hit
.^erolbe ber fommenben golbnen 3eit in bie SBelt gebtafeu
Ratten, oerflang im (55emü£)I, ba§ fie ntd^t achteten. ®enn ba§
ift ha^ ©c^önfte an biefem Suc^e unb ha^ Ä^ünftlerifi^e: U^
Stimmung, bie bie einzelnen X^eile fraftooff jufammenfa^t,
eine freubige (Stimmung üon SJIenfd^en, bie iüiffen, t)ü^ fie
ba§ Diei^te trollen unb glauben, bafe t>a^ Steckte fiegen
mu|, tpeil fortfc^reitenbe (Sntiüicfelung ba§ ©efeg ber '^dt
ift. 2)ie blitienben Slugen auf bie 3u^unft gerichtet, auf
bie @pi|e be§ ©erges*, überfa^en bie 51nftürmenben, lüa§
im 2Bege l)inberte unb brofjte. „3m 19. Sa^i'^u'^bert mirb
jeber hk Fragmente mit öiet Se^agen unb iöergnügen in
ber SSerbauunggftunbe geniefsen fönnen unb auc^ gu ben
^ärteften, uuoerbauüc^ften feinen ^Ju^nacfer beöürfcn", fagt
gctebric^, tüo er fein .Sperj auSfd^üttet über hie Unoerftänblid^-
!ett, bie man iiim t)orgen)orfen i^at. „®ie neue ^eit fünbigt
fic^ an aU eine fd^neüfüBigc, fotjteubeflügelte; bie iOiorgen-
rijt|e ^at ©iebenmeilenftiefel angejogen. Sänge i^at e§
geiuetterleucfitet am ^ori^ont ber ^]5oefie, in eine mächtige
SBoIfe war aCte ®eiüitterfroft beä §tmmel§ jufammengebröngt,
je^t bonnerte fie mächtig, jo^t festen fie ftc§ gu oerjie^en
unb bli^te nur au^ ber gerne, um balb beflo fc^recflic^er
tüieber^u'fe^ren: balb aber wirb nid)t me^r oon einem
einzelnen ©emitter bie Siebe fein, fonbern e§ tütrb ber gange
|)tmmel in einer ^^tamme brennen, unb bann njerben eud^
atte eure fteinen 33(i^ableiter nic^t§ meljr Reifen, ©ann
S)a§ 9ltf)enäum. G3
nimmt ha§ 19. Saljrt)unbeit in ber S^at feineu Slnfang, unö
bann mtrb anc| jeneS fleine Siät^fet ber UnüerClänblic^feit
be§ 2ltt)enäum» gelöft fein."
®a§ ^al^r^unbert, an luelc^el biefe ^(ppeKation gerirfjtet
n)urbe, ift haih üorüber unb überliefert fie einem neuen
9tid)ter; benn e§ t)at fic| im Saufe feine§ 2Bad^§tfjum§ Oüu
benen, bie feine ©eburtäljelfer uub 5;^aufpat^en inaren, un-
banfbar uub oerfeunenb abgelüanbt uub ift itjnen bie @nt=
fc^eibung fc|ulbig geblieben.
Du fdjleneft, loSfleriffcn Bon ber Srbe,
2Ktt leichten ©etftertrltten fcfioii ju »üanbclit,
Unb o^ne Sob ber ©tcrbllcfttelt geiiefen.
SSllöetm ©(Riegel an SRoöQliö.
$8on t§m muffe man fagen, er fei ein ©enie, nid^t er
^aht (Senie, fd^riet) fein greunb, ber ^reieamtmann ^ufl;
tüeil er nid^t ettoa eine befonbere Sefätjigung gu irgenb einer
©unft, 3Siffenfd^aft ober ^antirung gefjabt f)nbe, fonbern ein
©leid^gelpid^t aller Gräfte, fo 'ba'$ er in allem, toa^ er auc^
ergriffen Ijaben möd^te, fic^ au^gejeid^net i^aben icürbe.
@r lüar 2)id^ter nur infofern er 9)Jenfc^ njar, ein foldjer
^ünftler, trie bie 3fiomantifer meinten, baB ieber SJienfd^ fein
fönne ober bo(^ foHe. (5§ lag it)m aud^ burc^aug fern, at§
SDic^ter auftreten 5U lüoKen, ja üon feinen t^reunben luünfc^te
er augbrüdttc^ in erfter Sinie at§ 3}?enfd^ betrachtet unb
be^anbelt gn toerben. „®ie ©d^riftfteUerei" fc^rieb er an
^uft „ift eine Siebenfache. Sie beurtl)eilen mid^ mel)r biüig
nac| ber .<pauptfa(^e — bem praüifctien Seben. SBenn xä)
gut, nü^Iicl), tljätig, liebeöoH unb treu bin: fo laffen Sie
mir einen unnü|en, unguten, garten @a^ paffiren. ... ^d)
betjanbele meine ©(^riftftellerei nur aU S3ilbung§mittel. ^c^
lerne ®tiüa§ mit ©orgfalt burd^benfen unb bearbeiten —
ba§ ift 3tlle§, n)a§ ic^ baoon »erlange, ^ommt ber S3eifolI
eine§ fingen e^reunbe§ no(^ obenbrein, fo ift meine (SrlDar=
tung übertroffen. 9Jac^ meiner 9J?einung mu^ mnn jur
tJoUenbeten 33ilbung mand^e Stufe überfteigen; ^ofnieifter,
9?obaIi§. 65
1]Srofe[for, ."ganbiüerfer füllte man eine ^ett lang luerben mte
©c^rtftfteffer." ®o mar er in bemfelben Sinne nnb fogar
in nod) ftöfierem @rabe aU ©oet^e ®elegen^eit§btc6ter; benn
luenigi'ten? in einem geföiffen Sllter, namentlicj^ feit feiner
58efanntfd^aft mit Schiller, fing Qj^oetfie an ju biegten, um ju
bid^ten, §. 33. um gemiffe ^unftprobleme §u löfen. 5lIIe§
uia§ 9?oöati§ gefc^rteben (jat, fönnte mau 5:ageMd^er nennen,
tüorin aud^ bie ©d^lüäc^en feiner ^rofnlnerfe liegen. ®er
oollfommenfte 3JJenfc§ unb ßünftler njürbe hjo^l ber fein,
beffen 2age=^ unb SebenSBüdier, fo toie er fie natürlich nteber=
f(^riebe, jugleid^ bie fd^önften ^unftmerfe timren.
©eine ©c^önl^eit mar don ber 5lrt, bie ber ilfenge nid^t
auffädt, nur bem Kenner fic^tbar ift aU, lüie Sied Don
9loöan§ fagt, „bie reinfte unb lieblid^fte 33erförperung eine§
]^o^en unfterbfid^en ®eifte§." diejenigen, bie i§n fannten
unb öerftanben, fonnten tk fc^Ianfe (Seftalt mit ben bot"
neljmen ©eberben, bie 5Iugen tiott ät^erifc^er ©tut^ in bem
jartgebilbeten ©efic^te nid^t öergeffen. Sbenfo lüenig lag in
feinem 2Befen ha^ ,öeröDrftec^enbe, roa^ man gu J)äufig genial
nennt; benn abgefel^en baoon, baB er fid^ nur gonj Eingab,
menn er tiericaubte ©eifter fic^ entgegenfommen füf]Ite, luar
er 5U einfach unb oijne 3tffeftation , um auf Ungeübte
einen überrafd^enben ©inbrud ju machen. S3ei feinen großen
Senntniffen unb reid^em ©eifte mar er bod) nic^t ^od^mütljig,
er liebte ^armlofen Sdjer,^ in ber ®efellig!eit; meil aud^
ta^ (äeringfte t^m bebeutenbe ^been tüecfte, fonnte er leidet
burc^ ©efpräc^e über fd^einbar unbebeutenbe ©egenftänbe bie
Srmartung ber megr öom ©toffe 2lbt)ängigen enttäufc^en.
S)nrin beftanb eben feine bemunbern§mürbige Äunft be§
Umganges, ta^ er mit allen au§ allem etma§ gu machen
mufite. 25?ie er erfd^einen fonnte, menn er einem üerftönbnt|»
ooHen ®eifte begegnete, ha^ erfäljrt man au§ griebric^
§ucf|, SRomaiUlfet. 5
66 9JoöaIi§.
©d^IegeB ©c^ilberung, iiac^bem hk beiben Jünglinge fic^
fennen gelernt ()atten: feine fd^iDoqen 9Iugen feien öon ^ert-
lichem 5lu§brucf, j^rieb ©djiegel feinem Sruber SBilfietm,
tüenn er mit ?5euer — unbefc^reiblid) üiel geuer — öon
etroa§ ©d^önem rebe; er rebe brei ^al me^r unb brei Mal
fd^neller al§ ein Stnberer; nie l^abe er, @rf)tegel, fo bie
§eiter!eit ber ^ug^n^ gefe|en.
ViU er in bie SBelt !^inau§trat, trar er ein Jüngling,
bem e§ beftimmt fd^ien, bie gütle aller ©rbengüter gn ge=
niesen; benn einer öorne^men, tüo^Ifituirten gamilie ange-
prenb, fehlte e§ i|ni für feine Soufba^n nid^t an ben beften
5lu§fid^ten, er ^atte eine einne^menbe (5rfd;einung, eine ^er=
fbnlic^feit alle§ anänjietien unb ^erj unb ©inn alle§ ju ge-
nießen, ©in SSed^fetüer^äÜniß befielt smifc^en bem 5Dtenfd^en
unb ber SBett, baß fie bemjenigen liebeöott entgegenfommt,
ber fie mit aufrichtiger Siebe fuc^t. 9^id)t bie Siebe be§
Sbealiften 511 ben SJienfd^en unb S)ingen ^atte S^bbaliS, bie
in bittere SSerad^tung umfdjlägt, luenn bie überirbifc^en
Sraumbilber \\d) ni^t pünftlid) öeriüirflid^en; bielmeJir ba§
orglofe i^utrauen eine§ gutartigen ^inbe§, \)a§> mit einem
^erjen boK l^eimlid^er ©lüdfeligfeit in feinem fteinen ©arten
ein ^arabieg unb in feinen ©träud^ern unb S3üfd^en blü^enbe
SBunber fie^t. „3:able nichts ä)knfd)Iic^e§" fagte er; „mt^
ift gut, nur nid^t überall, nur nid^t für alle." ©iefer 2lu§-
fprucl feiner fpäteren ^af^xt beftätigt fd^ön bie S^eorie, bie
er ot§ nodE) nid^t 20jä{)riger Jüngling gegenüber bem tüdU
unb menfd^enfiaffenben griebrid^ ©dEiIegel öerfod^t: ha^ e§
nid^tS Söfe§ auf ber SBett gebe. 2)a§ tüar nirfit bie Uner-
fal)renl)eit fioffenber Sugenb, fonbern e§ ift bejeid^nenb für
ben Iiarmonifc^en äRenfdjen, beffen SSerftanb h)o(jI bie ®iffo-
nanjen fief)t, aud§ nid^t etwa bie Singen baüon ablrenbet,
ber aber ^raft genug l)at, bi§ ju i£)rer Sluflöfung borju»-
9?oöaIi§. 6 7
bringen. 3n feinem ^em|)eramente log bie 9?eigung ju
biefem fc^önen unb tiefen — !etne§tueg§ flad^en Dptimi§«
mu§, ber aii§ ber Drbnung bc§ eigenen Innern fic^ unbelpufit
bie ®elüi^I)eit ber Drbnung au§er f{(^ fcJ)öpft, ber an ben
(Steg be§ ®uten glaubt, tueit er bie Slraft jum ®uten in
fid^ fiat; eine (^ä^igfeit §um (SJIütf lag barin, ber äußere
Unfälle nid^t an§ Seben fönnen: tüie eine (SJeiftererfd^einung
bo^rt fid^ einem fold^en SJ'Jenfd^en ha^ ©d^merjenSfc^mert
mitten burd^ bte 33ruft, o^ne ju tobten.
®a^ er äußerte, er lüoITe, um alte bie ^errlid)!eiten ber
©rbe ju genießen, eine reiche ^eiratt) mad)en, tltngt an«
mutt)ig fomifd) im 9}Junbe eine§ STcenfc^en, beffen geflügeltej
@eele ber Stnjieliung ber SD^aterie fo mentg untertuorfen'
njar, ha'^ fie fi(^ faft in iebem 5lugenblicf l)inimeI^ocö über
bie @rbe auffdEuiiingen fonnte. @r gel)örte eben nict)t ju
jenen S^'ealiften, bie bie 5lugen an ben ©ternen l^ängenb
mit ben ?}üBen bitrd^ ben ©nm^f ttiaten, im ©egent^eil
pflegte er nod^ 9Irt be§ guten Diealiften me^r ju leiften aU
er Derfprod^, inbem feine Sleußerungen über fid^ felbft fid^
immer nur mit bcm S^äd^ftliegenben befd^äftigten, rt)a§ er in
fid^ erlebt l^atte unb niofür er einfielen fonnte. (So fd^rieb
er 5. 83. al§ Jüngling an S'X^iebrid^ Sd^legel, feine S3eftim-
mung fei bie ]^äu§Iid^e ber ganiilie, toälirenb Schlegel nadE)
3tufgang ber Sonne ge^e, gel^e er ben getoö^nlid^cn SBeg
nad^ SBeften; tva§ einen feltfam berührt, wenn mon bie
Sebeninjege ber beiben j^i^eunbe öergleic^t: tvk ber @d^legel§
in ben 9^ieberungen ^au§bacfener Sinnlirfiteit fid^ berflad^te,
njö^renb 9JoOali§ immer mel)r bem morgenrotljen |)immet
fid^ gu näl^ern fi^ien. Scl)leget erfe^nte immer bie äußerften
$)'ö^m, aber ein irbifc^er |)ong liefe i|n in bequemer ^än^"
tic^feit fid^ felbft unb feine Sc^lüungfraft öertieren; einfädle
Sl^ätigfeit im traulid^en gantilienlreife mar immer 9Joi)ali§
68 92onaIi§.
Sbeal, toä) lie^ fein QientuS e§ i§n nie erreid^en unb ent»»
rücfte il;n ben Slugen ber SJienfd^en, e!^e feine leidsten gü^e
jemolS feft auf ber (Srbe getjaftet i^atten.
Ser erfle ©egenftanb feine§ Ranges unb feiner ^raft ju
üere^ren tvax (Sd^iHer, beffen 33orIefungen er aB ©tubent
in Sena fcefud^te. 2Ba§ 9cooati§ fo mäd;tig ju ©dritter
l^injog, h)ar feine fittlic^e ©rö^e, bie traft, mit ber biefer
i^eroifd^e SD^enfd^ ben Sßiberftanb be§ S^^bifd^en üBerlninben
fonnte, nic^t feine ^oefie, für luelct)e 9ZooaIi§ bamat§ nod^
tüeniger ^ntereffe unb SSerftäubni^ i)atte. S)a§ er in ©dritter,
o^ne e§ 511 tttiffen, fein eigenes ^Öeal öerförpert fafi unb
liebte, fie£)t man beutlid^ au§ bem, tt)a§ er oorjüglid^ an
if)m rühmte: „biefe§ 2iSett6ürgerf)er5, bo§ für me^r al§
SKenfdEi^eiten fd)Iägt unb bod^ biefe ibeaüfc^e Siebe auf reine
©eelen um fid^ überträgt unb uidEit ben einjelnen entgelten
läfet, lüoS bie Statur minber für fie aU für§ gan^e ®ef(f)Iec^t
tt)at, eben ba§ nid^t auf (ärben ,<peimifi^e unb bod^ ^wfi^tebene,
nicE)t tiagenbe, .'peilige, 9tefignirenbe;" benn gerabe ha^, auf
ber @rbe nid^t |eimifc^ unb bod^ auf it)r glücftid^ ju fein,
be^eid^net, mag fo ganj fein eigene^ SBefen Ujerben foHte.
®eft)iB öerbiente ©dritter biefe ioingebung; aber ebenfo
n)ie für t^n nimmt e§ für ben Jüngling felbft ein, njenn
er fdfireibt: „S^jn^ ä« gefallen, iljm ju bienen, nur ein HeineS
Qntereffe für mid^ bei i^m ju erregen, luar mein 3)i(^ten
unb ©innen bei Sag unb ber le^te ©ebanfe, mit n^elc^em
mein 33en)U^tfein 5lbenb§ erlofrf). @ine Ö^eliebte l^ätte id^
für ifju U'einenb au§ bem ^n^tn geriffen, ttjenn bie SSor-
fe^ung ein fo §arte§ £)^fer »erlangt :^ätte, meinem liebften
Safjre taug gehegten SBunfd^c am diantie feiner ©rfülfung
entfagt; benn ba§ Seben ift nid^t ba§ ftärtfte Opfer, lün§
@ntl)ufia?mu§ unb Siebe it)rem angebeteten ©egeuftanbe
bringen tonnen, benn tuir fü[)Ien ni(i)t feinen SSerluft."
5«oüaIi§. 69
9)?erfiuürbtg tft ba§ rebnerifc^e Ißatfiog in ^cobali^' Briefen,
an unb über (Sdjider, \)a§ jonft, feinem @Ü)I burc^au§ ent=
gegengefe^t, fic^ nirgenbs Bei if)m finbct.
Wit biefem Sebürfni^, ^u üere^ren, ja fic^ aufjuo^fern
t)ätte er ein etüig fid^ nm anbere fd^Juingenber S^robant, mit
bie[er ISmpfänglid^feit ein 9Ja(^a£)mer unb ^nem|)finber, mit
biefer Suft alleg, tva^ er fo innig füllen unb öerftef^en !onnte,
ju genießen ein jerftreutec, oietgefdjäftiger, liebenSluürbiger
aber oberfläc^üi^er ©c^toärmer toerben fönnen. 'ahn er
l^atte toeit me^r Kraft unb geftigfeit a(§ feine ^öit^eit »er-
mutigen lie^. SBenn er auc^ au§ ben 3Serfucl^ungeu be§
©tubentenleben^ nic^t unberührt l^eröorging, benn er öer=
ftridte fic^ IeicE)tfinnig in (Sd^ulben, fo blieb bodi ba§ fd^öne
©leic^geiüid^t feine§ Innern ungeftört ober ftellte fic^ rafi^
tt)icber ^er. ©ine geföiffe Keufc^f)eit ber (Sm|3finbung, üon
ber griebric^ ©c^Iegel fagte, ha'^ fie i§ren ®runb in feiner
(Seele nid)t in Unerfa§ren£)eit ^aU, belua^rte i^n Oor folc^en
2tu§fd^reitungen, hk 511 ^rt^iefpa^t, @fel an ber eigenen 9catur
unb hänflid^em Ueberbru^ füljren. Kurj, rcie aiicf) ber
Seid)tfinn feiner Qüngüngäjafire befc^nffen gettjefen fein mag,
fein elaftifc^er ®eift mar nid)t ju jerbrüden, fonbern ftrebte
immer unb immer lüieber empor, feine SSernunft, föie er
felbft fic^ aii§brüdte, er()ielt ba» entfc^iebene Uebergeloid^t
über @inn(id)teit unb ^fjantafie. S)a§ entmideüe fic^ nic^t
nur fo üon ungefähr, ol^ne fein ^ut^un, fonbern unter ber
5Iuffid)t feineg 58emu§tfein§. ®r ^atte bie Sugenb ber 93c=»
fonnenfieit, jene ^lar^eit unb leiste ©egenn^ärtigfeit be§
®eifte§, bie alle ^anblungen lüie eine fanfte 9J?ufif begleitet
unb c\üd) bie milbeften, mit ber gaiijen Sünb^eit be§ S"=
flinftö einftürmenben burd) if)ren 9tt)t^mu§ ää^mt unb er»
leitert. Sitten anbern ^Romanttfern, @d)teiermac^er etn3a
aulgenommen, loar er burd^ biefe Kraft, fid^ felbft ju [äffen
70 9^ot)aIi§.
^ unb 5U lenfen, überlegen; aber ©c^Ietcrmadier, menn man
t^n überljaupt unter bie Siomantifer red^nen raitt, (}atte nieit
itieniger ©innlid^feit unb ^ijantafie ju bänbtgen. ?Iud^
9ioöaIi§ ^atte, lute %mt unb SBadenrober unb bie ©c^Iegel
unb un5äf)Iige 2)i(f)ter älterer unb neuerer Qeit, bie natür=
Ii(f)e Slbneigung gegen bie ^rorfenlieit eiueS Seru[e§; aber
nid)t nur au§ SBiUfä^rigfeit gegen bie SSünfd^e feines Sater»
unb @(^iller§ @rmai)nungen, fonbern ebenso fef)r au§ ge=
junbem <Sinn, angeborenem 2;rtebe 5ur Stiätigfeit unb ber
(Stnfic^t, meldten ^iu^en fein (Sfiarafter barauS fc^öpfen
roerbe, ttjibmete er fic^ ber praftifd^en Saufba()n etneS 33erg*
baubeamten. ©erabe in ber 5trt unb Söeife, Juie er ben
©toff, ber t^m in ben äußeren Sebengumflänben, ^unäd^ft
im Seruf, geboten mürbe, benii^te, beirie» er, ha^ ber
3}Jenfc§ tuirflic^ jener SD^agier ift, ber fic| feine SBelt er«
fdiafft unb ©taub burd^ feine 93erü!^rung in 63olb t)er=
manbeln fann. (S§ ift feine ^unft, fid), loenn man nur
@imi bafür ^at, in fdöönen ®id^tungen 5U berauf d^en; aber
in monotoner, bireft nur ben SSerftanb ober praftifc^e 5ä^ig=
feiten ange^enber 33efcf)äftigung ha§ allgemein ^ntereffante
unb görbernbe ^eraugjuftuDen, ba§ jcigt inneren 9teic^t]^um
unb unenblid^e @ntluicfelung§fäf)igfeit an. 2l(Ie§ erntebrigt
ben 9J?enfdf)en, mag er gejmungen tf)ut, ober mit SBorten
üon 9JooaIi§ felbft: „@in äRenfd^ fann 2(tle§ baburc^ abeln,
feiner loürbig mad^en, ba^ er e§ tüiU." 9}Jit bem ^nftinft
bei greigeboreneit mad;te er fic^ atte§, wag er für notf|=
trenbig erfannte, lieb, fo ba§ er aul freier Söa^I ju t^un
fd^ien, ja fc^Iie^lic^ t^at, loaS anfangt feiner Steigung fo
fern gelegen ^atte. 2(u§ jebem ©teine tunkte er Seuer ju
I fcl)lagen. 2lCte§ (Sinjelne mufstc er an 5lllgemeine§, alle§
\ Stbifc^e an ."pimmlifcliey anjufnüpfcn.
3n ber Siegel pflegen pl^antafiebegabte, fünftlerifd^ üer=
9(ütialiö. 71
anlagte SDienfc^en eine befonbere ^(bnetgung gegen bte Wlati)t'
iitatiE 5u j^aben, \o ha^ fie gern oötlige Untauglic^feit für
bie§ ®ebiet öorfd^ü^en unb fogar ftolj auf biefe angebliche
fiücfe ftnb. S^on btefer @infeitigfeit »uar S'iooalig föeit ent=
|ernt, ber in jeber (Sin5eüuiffenfcf;aft ben ®runbri§ 511 einer
jiffumfaffenben SSiffenfi^aft fii(^te, in jebem gefe^mä^igen
^erlauf ein ©leic^nifj ber -öarmonie be§ 51U§ fa^. 9äc^t
nur, baf? er mit @ifer SOZat^ematif ftubirte, er poetifirte fie'
lüie alles, luomit er ficf) befc^äftigte, burc^brang fie mit feiner ,
lebenbig roarmen ©eele; man lefe nur feinen ^tjmnuä an
bie aJiat§ematif, lüie man bie S^tge feiner Betrachtungen
barüber nennen fann. 2)iefer i3i;mnu§ beginnt mit ben
SBorten:
SDie 9}Jatt)ematif ift ec^te SSiffenfc^aft, föeil fie ge-»
machte ^enntniffe enthält, ^robufte geiftiger @elbft=
t^ätigfeit, lueil fie mel|obijc^ genialifirt. @ie ift aud^
^unft, lüeil fie genia(ifc^e§ 'iJerfa^ren in Siegeln gebracht
^at, ftjeit fie le^rt ®enie ^u fein, meit fie bie Siatur burc^
SSernunft erfe^t.
@r fteigert fic^ im Sßerlaufe fo:
2)a§ Seben ber ©ötter ift SJJat^ematif.
'äüe göttlichen ©efanbten muffen SJiat^ematifer fein.
Steine 3J?at^ematif ift Steligion.
Qüx ä)cat^ematif gelangt man nur burc^ eine Sf)eo=
:|3 Ironie.
®ie SRat^emattfer finb bie einzig ©lücflic^en. S;er
9}?at^cmatifer ipei^ aUeS. (Sr fönnte e§, tuenn er e»
nic^t lüüßte.
3)a§ er fic^ ben S^iaturiülffeufd^aften mit einer genjiffen
Seibenfd^aft ergab, fe^t lueniger in ©rftaunen, ha fie ha^
Stebling§ftubium ber ^^it luaren, 'i)a§: aud) bie übrigen
9tomantifer mit me^r ober lueniger 2)itettanti§mug betrieben.
72 9JoüaIi§.
§eute tüirb man ben ©c^inung, lüomit er ^ier öoit §t)po^
t^efe 511 §t)pot§efe ftürmte, DteHetdjt uniinffenjd^aftlid^ nennen;
jebenfallg genügten feine Senntniffe ben ©eleörten feiner
^eit, bie feine Se^rer lüaren, erregten fogar nid^t feiten
i^re S3en)unberung. S(m meiften ift aber ba§ ju rü:^men,
ba§ er ficf; and) in ber S^eriimttung, in ber praftifc^en
@eite feines 58ernfe§, |erbortf)at. 2öte erftaunte ber ^tei§-
amtmann ^uft, ber iljn in bie ©efcfiäfte einführen foHte,
ha'^ biefe ©efd^äfte unter ber ungeübten ^onb be§ jungen
5)en!er§ fo intereffant, fo (efienbig mürben; ha^ ber ®efi(i)t§=
frei§, innerljdb beffen er lebte, fid^ fo unenblid) eriueitern
Iie§. ßr geftanb fic^, 't)a^ fein ©cfiüter i§n öiel meiir unb
oiel 3Bid^tigere§ lehren fonnte, qI§ er ii)m ju geben im
©taube niar.
(gr felbft befinirte ^§iIofop§ie aU ^eimlue^, STrieb
überall 511 |)aufe 5U fein. 31I§ ein fold^er ^^itofo|3^ tcar
9ioöaIi§ geboren, ©ein |)ang, bie Singe in ber 2Irt ^u
betrad^ten, ba^ er fi(f) t)on Urfadje §u Urfai^e taftete unb
fid^ baran h)ie an einer ©tridleiter in i^re -tiefen ^erab-
Iie§, niadit ben eckten ^£)iIofop^en. Sin ber Slu^enfeite
eines S)inge§ ^aften 5U bleiben, mar i!^m burc^auS un-
möglich; ein ätf}ertfd^er ßi)rper brängte fein ©eift fid^ überall
in ha^ Snnerfte f)inein. ©0 mar er ^tiilofop^ immer, in
jebem Slugenblicf, mit allen ilräften, fooiel toie er 9}fenfd^
mar, meSmegen e§ iJ)m nid)t |ätte begegnen tonnen, hal^ er
eine St^eorie öerfodfiten unb i^r im Seben sumiber ge^anbett
ptte. ©eine ^^itofo^^bie mar mie feine ^oefie fein Seben:
erlernt im Seben unb barin angemanbt.
©ein größtes (SrIebniB mar ber 9?erlauf feiner Siebe ju
@opt)ie ö. ft^ün. „^eber geliebte ©egenftanb ift ber äRittel-
:|}unft einel ^^arabiefeS;" 't)a§ ^atte 9iooaIi6 an fid^ felbft
erfal^ren. (Sr ^atte biefe§ breiäe|nj[ä^rige SDtäbdjen jum
SJJtttelpunft feiner Sßelt gemacht, mit SSeiDU^tfein unb Slb»
fi^t. Stuf Sitte», iua§ bie ®rbe 9}ienfcfjen bieten fann, t)ätte
er mit f)er5lic^em, ja mutljnjitligem Säd^etn SSerjidit tjet^an:
biefe mar i^m not^menbig, ber 9J(tttter für bie ©otttjeit,
tk er fonft nid)t faffen, ot)ne bie er nid^t fein fonnte. (E§
finb oiele S^ac^rid^ten überticfert öon ber j^rü^reife unb bem
Räuber @op^ien'§, ben fie ausgeübt t)abe; ^JJoüatiä fetbft ^at
it)re lüedjfetnbe S3acff{fct)feete, auf tk er fo ftot^ tvax, forg-
fättig serlegt unb gefc^itbert. 2Ba§ ^ilft un§ ba§, ba nic^t§
Don Stftem, nid^t aud; öon tjunbert anbcren SJiäbd^en gefagt
luerben fönnte? Wöä)k fie auä) fo ober fo geluefen fein,
iot(^lig ift nur, \vai fie i^m wat, unb ha§ ift lüeit me^r
in t^m al§ in t()r 5U finben. 2tl§ fie franf mürbe, ift e§
erftauntid^ 5U feigen, Juie er ganj menfd)Itc§e SSerjmeiftung
unb ^ugteic^ gan,^ Sefonnentieit mar; er mar immer ebenfo
tief barin mie t)od^ barüber. ytidjt nur ba^ fein SSertrauen
in ben metobifc|en ®ang ber S5?ett unb inftinftioe £eben§=
guüerfic^t i^n bation äurüdijietten, bie SSermirftid^ung eine§
\ol<ijti\ ^^obeSfc^merjeg, mie i^r Sterben ttjm gemefen märe,
für mögtid^ gu Ratten, er glaubte al(e§ @rnfte§ burd^ bie
^raft feinet 2BiIIen§, biefe magifd^e ^raft, bie iSSetten auf=
bauen unb oerntc^ten, hk S3erge öerfe^en fann, e§ öer-
linbevn gu fönnen. (Sr bebadite ntd)t, ^a'ß eg t^r — un=
bemühter — SötUe mar, ber fid^ bem Sobe juneigte. ©0
erging bie Prüfung über i^n, üon ber er nic^t für mögtic^
getjalten ^atte, ha^ fie it)m gugemuttjet luürbe: ©op^te ftarb.
. S3ebenft man, ba^ fie 'i)a§' ©eftirn gemefen mar, um
ba§ feine SBett fic^ bemegt ^atte, mu^ man bar auf gefaxt
fein, ha'^ eine fo jarte, aud^ gu frühem S;obe oorbeftimmte
3lat\xt in fic^ jufammengebrod^en märe. „@^ ift Stbenb um
mid^ gemorben", fc^rieb er brei 5:age nac^ i^rem S;obe,
„mä^reub td) noc§ in tias, 9}?orgenrot^ tjiueinf at}." S)a|
74 9?üüaü§.
fein Seben mit i^retn Qehtn erlofdien fei, ftanb i!^in feft.
©§ lag aber eine foWje ^Inmut!^ in feiner ^J^atur, bie burc^
unb hüxä) erfüllt toar oon bem fcJiiuebenben (Slement feinet
@eifte§, ha'Q er ftd) nie bi§ jur iöemuBtIofigfeit unter bem
©c^idfal frümmte. ©elbft mo er fic^ in'§ .^er^ unb §u Sobe
getroffen füllte, blieb fein ^aupt frei unb immer feiner
mächtig. „(Sinfam lüte nod^ fein ©infamer toar, üon un=
fägtid^er Slngft getrieben, troftlog, nur ein (Sebanfe be§
(SIenbg noc^" gab er bod^ feinen greunben niemals ha§>
93ilb ber Serjtüeiftung unb ^cJ^i^üttung, fonbern feine feufd^
erhaltene ^tage ging fogleid^ über in ruljige S3etrac§tung
ber Sebeutung feine§ ©c^idfatg. ®enn in feinem roa^r^aft
frommen ©emüt^e toar ber ©taube an eine ^tmmlifc^e
Drbnung in jebem Seben nic^t bauernb erfd)üttert. 2tm
19. äJ^ärj 1797 toar ©op^ie geftorben, am 28. fc^rieb er
an bie grau beg S!rei§^auptmann§ Suft: „®eiüi^ i)ah id)
ju fefjr fc^mer an biefem Seben get)angen — unb ha ift freiließ
luot}! ein gemaltfame§ (Sorrectif nöt^ig" unb noc^ einige
2Boc|en fpäter mar e§ i^m flar gemorben, ha'^ i^r 'Xoh
ein ^immlifd^er Qn'jaU gemefen fei, ein munberbar fc^icftid^er
©d^ritt. „ÜJieine Siebe ift jur gtamme gelüorben", fc^rieb
er, „bie alle§ Si^t'tftfje nac^gerabe oerjei^rt." Unb loeiter:
„SKeine Strafte i^aben me^r gu al^ abgenommen — idf)
füt)Ie e§ je^t oft, luie fd^icflid^ e§ ^at fo fommen muffen,
aufrieben bin ic^ gan^ — Ut ^raft, bie über ben Xoh
ergebt, |obe iä) gan§ neu gemonnen. Gnn^eit unb ©eftalt
t)at mein SSefen angenommen — e§ feimt f(^on ein fünftige§
®afein in mir." ©ein bie ß^onfequen^ über alle§ liebenber
©eift fd^öpfte S3erut)igung barau§, ba^ er {Jolgeric^tigfeit
unb SSernunft in feinem ©d^idfal erfannt §u ^aben glaubte,
ta'Q er e§ fic§ erftären founte. 9?ad^ feiner Sluffaffung be-
.yuecfte i^r SSerluft feine Säuterimg unb SoSlöfung öom Seben.
Tlan ^at e§ für eine finbifd^e @(f)iyärmerei angefel^en,
bic man nac^fic^tig entfc^ulbigen muffe, ha'^ er mit bem
S^age t^re» Sobe» eine befonbere Zeitrechnung einfüljrte nnb
ben ©ntfc^lu^ fa^te, i^x nac^jufterben. S)a§ ift furjfic^tig
ober oberfläcfilic^ geurt^ciü. Slann man fic§ etroa§ (5r*
^abenereS benfen, al§ luenn ein 9Jienfc^ feinem ßjeifte W
^raft jutraut, fic^ affmätjlic^, au§ freier SBiüfür, ou§ @e^n-
fu(^t nad^ bem Ueberirbifc^en Oom jungen, genu^fä^igen
Körper, oon ber geliebten (Srbe loSjuIöfen? @o innig er»
Ubtt er ben ^beatt^mu» an ftd^, ha^ er fein ^d^, ha^ un»
fterblid^e, §u biefer :^öc^ften grei^eit unb Unfterblic£)fett gu
cr^ie^en firf) getraute. 2Sie unenbli(^ ütel füEiner, ftotjer unb
menfcf)Itcf)er luar biefer ^(an a(§ hu ro^e ^Ibtöbtung be§
gleif(f)e§, burc^ lüeld^e mittelalterliche .'peilige hit @rbe ju
überroinben fnc^ten. 2Seit entfernt loar er ja bte fc^öne
SBelt, auf ber er fid^ ein fo unerfc^öpflit^eS ©lücf geraünfc^t
!^atte, äu f)affen. „^ie (Srbe ^atte tc§ fo lieb", fc^rteb er
loenige Sage nad^ @op^ien§ 2:obe an eine greunbin, „tc^
freute mic^ auf bie lieben ©cenen, bie mir beüorftanben."
(Sr liebte tu Sonne, aber ha hu ^ad)t unöermeiblit^ bem
Sage fic§ anfc^Iic^t unb Sob ber 5(u§f(ang a(Ie§ Seben§ ift,
I entfc^toB er fic^ mit einem ftoljen 5Iuffd^tDung feiner ©eele
bie 9?ac^t unb ben Sob grensenloS 5U lieben, ä^nlic^ wie er
ben gorbifc^en knoten be§ 2Betträt^feI§ bem Silbe §u ^ai^
gegenüber löft. „Unb ioenn fein Sterblicher, nac6 jener Qn-
fc^rift bort, ben «Sd^leier ^ebt, fo muffen mir Unfter blicke
gu werben fachen." Unioürbtg wäre e§ ben Sob ju fliegen,
unmöglich i^n 5U Oerad^ten — au^er wenn man mit ^ei^efter
2{nftrengung tt)n an Seben anfnü^^fte, in Seben oenuanbelte.
I'üii^ gum Ueberwinber be§ Sobe§ betete 91oöali§ fortan mit
j neuem SSerftänbniB gu S^riftu§; aU bie mefentlic^ tob=
^lüberiüinbenbe 3ieItgion würbe i^m ba§ St)riftcnt^um, in
76 9?oüoIt§.
bem er erjogen wax, eine neue (grrungenfd^aft. 2öa§ btc
^flitofop^ie i^m fagte, ba^ ba§ ^d^ unüergängüc^ fei, n^ie
aud^ ber 2lugenfdEiein bagegen jeuge, ha^ gab ii^m nun ber
Hinbe, jd^reienbe «Sc^merj um ein geliebte§ SSefen aU gc-
banfenlofe Ueberjeugung ein, ha^ fie ntd^t tobt fein bürfe,
nid^t tobt fein !önne, biefe junge @ee(e, beren Sßotlcnbiing
gu förbern hit pd^fte ßrone feiner Siebe gemefen mar.
®a§ (Engagement mar nidEit für biefe SSelt getoefen, mie er
fagte; ntd^t in biefer gorm, nic^t auf biefer Stätte ^atte fie
reifen f ollen, unb auc^ i|m, fo glaubte er feft, fei e§ ni(^t
befd^ieben. ©eine ©eele ftrebte mit mübem, fefinenbem
glügelfc^Iage nac| ber ^eiligen ^üfte, tuo fie hn ber SSer*
lorenen ru^en fönnte. ®ama(§ mag in i£)m jenes raunber=
bare 2uh entftanben fein mit ben SSerfen:
9(0(1) luenig 3^^*^"'
©0 bin id) Io§,
Unb liege tnmfen
3)er Sieb' im ©c^o^.
Sd) fiitjle be§ SobeS
Sßerjiiiigenbe g-IutC),
3u 83alfnm unb 5(et^er
58eviuanbelt mein 93(ut.
^ct) lebe bei Sage
58on fölauben unb Wut^,
Unb fterbe bie 9aic^te
Sn beiüger fölutt).
§öd^ft cf)ara!teriftifc^ ift e§ nun, mie er feine innerlid^e
unb natürüd^e 3lblöfung üom Seben ^u beineriftettigen bad)te,
nämlid^ nid^t etroa fo, ha^ er fic^ ööUig öon ben SJJenfd^en
unb il^ren SSergnügungen jurücfgelalten ^ätte. Dljne fie
gerabe aufjufud^en, öermieb er boc^ feine gomitie unb feine
i^reunbe nid^t, ^eigte fic^ immer l^eiter unb mitgenie^enb,
fo aber rote etroa ein an frembe ^^üften öerfc^Iagener t^remb=
g?omIi§. 77
ling bte Sitten be§ Sanbe§ au§ ebler ©efödigfeit mitmacht,
beffen ©eele bod^ immer unb immer in bcr geliebten §eimat^
öermeitt. 'an greunben, bie i^m feine Srauer gerne letzter
gemad^t i)ätten, fetjlte es tljm m<i)t
(Sin fonberbareg 33er^ältni§ beftanb jiutfc^en i^m unb
griebric^ ©c^Iegel, einem feiner älteften greunbe. gaft mit
feinem anbern mar ber geiftige S3er!e^r fo anregenb unb
frud^tbar, mit feinem fonnte er beffer fi)mp^iIofop:^iren.
S^re beiben ^nteüefte liebten e§ jufammen fpajieren ju
ge§en unb i§re (Srtebniffe auSjutaufc^en. 5lber griebric^,
fo fein, mächtig, umfaffenb er aud^ backte, backte nid^t
]^er5tic§ wie 9JooaIig. Unb SJotiatig' fc^Ianfe, gefc^meibige,
feufdE)e ?iatur fc^eute manchmal tjor t5riebri(^§ frfiiüerfäniger
Ueppigfeit jurürf. @§ wax mt lüenn ein Grbgeift unb ein
Suftgeifl miteinanber öerfetjrten. gi^tebri^ fpürte ben reinen,
ftarfen, befeelenben ^^and), ber üon 9^ooati§ ausging, unb
liebte i^n mit einer gan,^ tieinen unb fei^r rü^renben Sei-
mifc^ung üon ^emut^; 9ZoöaIi§ mod^te roo^I feine leidste
@efta(t gern einmal an W unterfe^tere, irbifcf)breite be§
greunbe§ fc^miegen. SebenfaII§ üerga^ er getnife nid^t, iüa§
er a(§ 21 jähriger an griebric^ gefrfirieben ^atte: „gür
mic^ bift bu ber Dberpriefter öon ßleufiS geU^efen. 3<^
'ifobt burc^ bic^ ^immel unb §ötle fennen gelernt, burd^
bic^ oom 33aume be» @rfenntniffe§ gefoftet."
2BiI§e(m empfanb in 9coiiaIi§ etiuaS gerneg, 5rembe§
unb @d^öne§, tiaS: er nid)t ol^ne @t)rerbietung umiuarb; unb
luie £)ätte Caroline biefe i)armonifd^e ©rfc^einung nid^t lieb
^aben foHen? 5lber fie hnht maren für i|n, tt)a§ man
öietteic^t am füräeften 511 n)enig romantifd^ nennen fönnte.
„(Sr fprad^ tüte au§ einer tiefen SSergangen^eit be§ ®eifte§
l^eraul", fagt Steffens öon ^iooatis, wo er in ben Seben§=
erinnerungen feiner gebenft. ^n biefe Ijetmlic^e ^nnenluelt,
78 9cotiaU§.
WO er am Itebflen tüeilte, fonnten fie nid^t mit. ©ie liebten
t|n, luie man ben liebt, ber au§ einem fernen, ge^eimni|«
Hoffen Sanbe fommt, beffen ©prad^e einen jeltfamen, nie-
bernnmmenen 9lccent !^at, ber im ©pred^en 93itber ge6raucE)t,
bie einer Sanbfcfiaft üon nnbefanntem, unerhörtem 9teij
entnommen gu fein fc^einen. Ser liebftc unter ben 9ioman«
tifern n^ar i^m %kä, ber i^m an ^lar^ett be§ ®eifte§,
^raft unb 5lu§bauer tvdt nad^ftanb, feine 5arte ©mpftnbung
aber auf§ Snnigfte tfjeitte. Sie lernten fid^ aber erft §tüei
^a^re fpater fennen.
^(nfängtic^ mifd^te er fid^ nur au§ ^fCid^tgefü^I in btc
©efefffc^aft ber Uebrigen, ri^ er fid^ nur ungern ürn feinen
S:obe§betrad^tungen Io§. SIber affmälig loirfte bod§ hu
©d^toerfraft ber @rbe auf bte leidet fd^reitenbe, jum ©c^muuge
bereite ©eftatt. ©erabe lüeil ha^ Unfid^tbare mit bem ©id^t-
baren fo enge, für un§ unjertrennlid^ öerbunben ift. ^e
tiefer mon in bie ©rfc^einungen einbringt, befto lieber
merben fie. SBenn e§ auc^ bie SBiffenfc^aften n)aren, bie
il^n sunäd^ft in i^ren ^rei§ ^ogen, fo mar ha^ bod^ oud^
mit ^rbifd^em öerfnüpft. (Sef|)räd^e barüber, befonber§ mit
griebrid^ ©d^tegel, brad^ten t^n in eine angeregtere Saune,
aU er für feine Sage möglid^ unb fd^icEüc^ geJialten l^atte.
@r glaubte be§f)atb fid^ gerabeju Dor bem Umgang mit
biefem t^i^eunbe |üten §u muffen; benn 2lffe§, rt)a§ an 9JJut^=
Jrtffen, ©c^ers unb eleftrifc^em treuer in i^m mar, entlub
fid^, inenn er mit i§m in 93erü^rung !am.
9Jiit einem leifen S3angen füllte er fid^ untüiberftel^Iid^
öom Sebenbigen angezogen. ®ann öerfud;te er gemaltfam
fic^ in Ueberirbifc^cS gu berfenfen, on ©opl^ieng ©rabe
fi^enb fid^ i^r SBefen unb 5n(e§ ma§ fie i§m njar redE)t
greifbar unb entjünbenb bor bie ffüc^tige ©eele ju fül^ren.
Unb mit einem finblid^en ©tolje, ber rül^renb unb bod^
9iot)aIi§. 79
jugletc^ ergaben i\t, jetd^nete er auf, luenn e§ i^m gelungen
uiar, bte j^-(ügel tüteber auSjubretten unb mächtig in bie
jen[etttge gerne be§ dlad)ti)xmmtU einjubringen. 9J?an !önnte
ben SSerlauf btefe§ Sttngenl eine umgefei^rte Sragöbte nennen:
mit gur^t unb 9)iitlcib, aber boc^ mit SBonne erfüllt e§
5U fe^en, lüie ba§ Seben, öon bem ber ©ntfagenbe im erften
9lfte Slbfc^ieb genommen ^at, bnrdö feine einfädle ll'raft unb
©c^ön^eit i^n luieber in feine 3J?iitterarme lodt unb im
legten Slfte ben fd^am^aft ©lül^enben, 93efiegtcn lüieber an
fein ett)ige§ ^n^ brücft. ®er ©ieg mürbe bem Seben nic^t
leidet, unb nid^t o^ne fic^tbare (Srfd&ütterung ging hk lXm=
fe^r in feinem 58ufen t»or. Sienn er machte bie entfe^Iic^e
unb rät^feli)afte @rfal}rung on fic^, ba^ ba§ roal^rfte, reinfte
unb ^ingebenbfte ©efüljl, n:ienn ber Stnbltcf be§ geliebten
@egenftanbe§ bie t^^amme nic^t nöi^rt, erlöfd^en !onn, ha^
ba» treumeinenbfte ^lerg ber Untreue fätjig ift- Tian fpürt
ba§ SBanfen feines .^oer^enS an bem ^Jiad^brucf, mit bem er
fid^ öorliätt, n^ie er burd^ fein freiunllige§ ©treben ober
9iefignation be§ S^ebenä ber SSelt bie SJiöglidfjfeit ber Streue
über ben ^ob ^inau§ beraetfen muffe, ^n l)öd^fter 5lngft
ruft er bie {formet au§: S^riftu§ unb ©optici (S§ tüor
t^m ein @Iauben§fa^ geföefen, \)a^ fie bie |>älfte feinet
SBefenS ifar, ha'iß er bereinft ben S3unb mit i^r erneuern
muffe, bie burd^ bie 2Bei§tjeit einiger ©efe^e i§m je^t bon
ber ©eite geriffen iüar. c<patte er fi^ bod^ öorgenommen,
hjenn er in ber „alten löngft befannten Urinelt" fie tüicber=
finben ttJÜrbe, i^r 5U er5ä^Ien: „Sd^ träumte bon bir, i(^
5ätte bid^ auf ber (ärbe geliebt — bu glid^ft bir aud^ in
ber irbifd^en ©eftatt — bu ftarbft — unb ha tüä^xtt e§
nod^ ein ängftlid^e§ SSeild^en, ba folgte id^ bir nad^."
SIber e§ mar itjm nid^t mögtid^ ©d^atten ju lieben, ^n
greiberg, too^in er firf) nadE) bem 2Bunfc^e feine§ S8ater§
80 'DionaliÄ.
begab, um an ber 93ergafabemie 511 lernen, öerlobte er fid^
mit ^ulie ö. (5§arpentier, bte, tüte e§ fc^etnt, t^m Siebe
entgegenbrachte unb baburci^ bie fetnige tuerfte. ©teffenä
fdjilbert [ie al§ ^^oi^gebilbet, jd^ön, toeid^, mit einem tre^^
mütf)igen ?tn§bru(f.
Dh er fie, tük gefagt luirb, Weniger letbenfc^aftücf) liebte
al§ @opJ)ie, ift n)o|I jd)tüer ju entfd^eiben, aber unina^r»
fd^einlicl); benn e§ tnar nid^t feine Slrt, im gül^Ien ober
§anbeln ^aI6 5U fein. ®a§ fretltd^ ift nid^t 5U bejtüeifeln,
ba^ W (Srinnerung an feine Siebe, bie ftärfer at§ ber Xoh
|atte fein foUen unb e§ nic^t geroefen inar, 5U»üeiIen be»
engenb fic^ auf bie greube feine§ neubelebten ^er^en^
legte, (är gab and), tro^ 5lIIem, bal S5erl§ältni§ 5u ©op^ie
feine§rtieg§ auf. ©eine Siebe mar i^m 9?eIigion gelüorben.
(Seine Streuloftgfeit, ba er fid^ bod^ treu raupte unb fül^Ite,
feine ^oppelliebe tuurbe ba§ Problem, mit bem fic^ feine
©ebanfen immer befd^äftigten. (£r löfte e§ in feinem 9toman
', „|)einridE) öon Dfterbingen" in ber SBeife, bo^ ©opbie unb
'^Sulie nur in ber Söelt ber @rf(^einungen jroei finb, einft
ober, im Sanbe ber Erfüllung, ino aUeg @ef(^iebene ftd^
oereinigt, al§ eine unb biefelbe fid^ offenbaren. @r ^ätte
an fic^ felbft öerämeifeln muffen, nienn er fein früheres
©efü^I, ba§ fo ftarf unb ec^t in i^m geiuefen njar, auf=
gegeben ^ätte; be»§atb fud^te er e§ fid§ ju beluabren unb
mit bem neuen nüjftifd^ ju öereinigen. 3ebenfaII§ fal^ er
l^offenb unb liebenb in bie ^ufwnft unb fa§te fein SSer«
l^ältni^ grabe fo metapl}i)fif(f) auf tüie e^emall ha§ mit
©op^ie, n)ie au§ ben ©tropfen an "^uüe 511 fe^en ift:
„Saf] icl) mit naiiicnlü)er g-reube
®efäf)vte betnc§ 2eben§ bin
Unb miri) mit tiefgeviU^vtem ©tnit
5(m SBunber bcinev SBilbung tueibe —
^a\] luir Qujy ^""iöl'te üevmä^It
llnb icf) bei- 2)etne, bu bie 2JZcine,
S)ai5 id) noi- ':?l(Iem nur bie (Sine
tlnb bieje Giue inid) getun^ft,
®a3 banten luiv bem füfeen Sejen,
®a§ fid) un§ üebeüolt erlejen."
2)QmaI§, a(§ S^oöaltS bte Slrme nai^ bem 2;obe qu§=
ftredte, umfing t{)n ba§ Seben; nun er ben fiöc^ften ^ranj
beg Se6en§ bid^t über jetneu Soden tüä^nte, ftaub ber Sob
neben feinem Seite, ixt fürchtete iJ)n je^t. ©r ^Ite
Stimmungen gehabt, in bereu einer er ben fc^tüermüt^igen
Stu^fprud) getrau ^atte: „Sebeu ift eine ^ranf^eit, ein
Ieibenfcfiaftlic^e§ %])im." Stber e§ ftammt boc^ auc§ ber
^räc^tige $ßer§ öon t^m:
„'3iniy ift ®i3ttent nur gegeben,
S^nen 5iemt ber Uebcrflufj,
2(ber un§ ift .S'ianbeln hieben,
Sßlad]t ju üben nur föenu^."
Sm (Saujeu gef)i3rte bie Sln(jänglid)feit au ta^ Seben
mit ju feiner grömmtgfett, ba boä) ba§ Seben bie einzige
un§ befannte g^orm ift, in ber U)ir un§ entluicfetn fönnen.
llnb er njor bo^ ^üuftter: (Sr lebte fo gern im Sanbe ber
©iune, tüie er naä) bem SeridEit be§ ßrei§amtmann§ Quft
felbft fagte, rüenn and) nic^t in bem ber ©inntic^feit. ^n-
beffen gtüeifelte er bod^ nic^t Daran, ta'^, tüie unb tüo
immer e§ aud^ fein möge, jeber 9)?enfd^ audf) nad^ feinem
för|)ertic§eu Sobe bem QkU feiner SS'oUfommeufjeit lüciter
nad^ftrebeu bürfe. @r glaubte, ba§ uid^t§ gefd^e^e, lüa§ |
nid^t 5u feinem 33efteu fei. ?Ufo tuaubte er, ein ©terbenber,
feine tneic^enbe ^raft baju ouf, gelaffen unb Reiter 5U fein
unb fid^ 5U fügen. (Sr litt tjiet unter förperlid^en 93e^
ängftigungen, unb rütjrenb ift e§ in feinem 2;agebud§ ju
§ut^, Slomantiter. 6
U^
82 9lotiaIi§.
tefen, lute er btefer Slngft beijufommen, i^r SSefen ju er-
grünben unb mit (Sinfic^t unb gutem SBillcn ju überiinnben
fliegt. Sa^ man f)i§ jum Sleii^erften feine ^flid^t ju ti^un
^abe, mar i^m felbftöerftänbüi^; man tonnte fagen, ein
nngeBorene§ ©c^icflic^feitlgefütjl ^aht i^n öer^inbert, fic^
ge^en ju laffen. lieber hix§ SJer^öItni^ oon ®Iücf unb
^flic^t t)at er einmal etlna§ <Sd^öne§ gefagt; nämlid^ ber
fogenannte @nbämoni§mu§ fei ein eigentlid^er Unftnn: „Sn
ber S^at ift e§ feinem nac^bentenben DJienfd^en in ben
@inn gcfommen, ein fo flü(^tige§ SSefen lüie ©lücffeligfeit
jum ^öd^ften 3^ecf, gteiiifam alfo 5um erften S^räger be§
geiftigen Uniöerfumg ju mad^en. ©benfo tonnte man fagcn,
ba§ bie SSelttörper auf 2Iet§er unb Sic^t ruijten. SBo ein
fefter ^unft ift, ha fammelt ]xd) Stetiger unb Sic^t üon fetbft
unb beginnt feinen ^immltfd^en Sieigen; too ^flic^t nnb
^ugenb — 5lnaIoga jener feften fünfte — finb, ta ttJtrb
jenes flüchtige SBefen t)on felbft ein= unb auSftrömen unb
jene falten 9legionen mit belebenber 5ttmofp^äre umgeben."
Slul^ig richtete er fid^ für hk 9JiögIic^feit ein, ba^ ber
SBunfd^ feinet §er5en§ fic^ erfülle unb er bemnäc^ft §od^-
äcit mit Julien t)alten fönne, gugteid^ aber aud^ für bie
anbere, ha'^ feine Slranffjeit e§ nid^t geftatte; für ipetd^en
%aQ. er fid^ eine 9iei^e oon 5)ingen uornafim, mit benen
er fid^ befc^äftigen, bie er ftubiren luottte. 2Ba§ i^m auc^
befd^ieben fei, er moHte e§ für feine 58ilbung nu^en. ©ein
fc^mar^eS (Seifterfeljerauge fa| bem Seben§gange ju, ben
fein ©eninS i^m Juä^Ite, unb beleud^tete ben 2Beg mit fanft
burd^bringenbem Siifit. Ob eg fidE) nid^t bod^ mit 3:^ränen
füttte, al§ e§ erfannte, ha'^ c§ ber SSeg be§ 2:obe§ mar
unb nid^t ber ber Siebe?
Sie leife Seionncn^eit be» ai^joKo unb
bie ßöttlic^e Stuntenljeit bc5 Xion^foS.
griebr. gc^leget.
5Sif)en ift bc§ ®[au6en§ ©tcrn,
Stnbac^t alleä SäJiffen^ Sern.
griebt. ©(^legel.
5)ic Stomantifer maren bte Sntbeder bei Unbetüu^ten.
^nbienfud^enbe Träumer, fanblen fie t§re @eele au^ nad)
htm uralten SSiinberlanbe, öon bem tit 9JJär(^en ber SSor-
§ett erjä^Üen. 2)üfte, 33Iumen, bte abgeri[fen im SBaffer
floffen, üerfüubeten ben einfamen ©c^iffern oft bie 9M^e ber
blü^enben ^ü[te. 2Bie ^otumbug, mußten fie nid^t, \va§> fie
^efunbeit f)atten. ^enn nic^t 'ba^ entfernte 3)Httela(ter ober
irgenb ein lounberbare» Xraumlanb irar e§, fonbern in
i^nen felbft öffnete fic^ ba§ unenblic^e l^iacfibarlanb i^re§
Reifte», hk entgegengefeite Scheibe be§ bcfeelten ^(aneten,
Jüie einer öon ti^nen bte oer^ütlte ipälfte beg mit fid^ felbft
unbefannten SJJenfc^en nennt, ^atte fic§ t^nen sugeiuenbet.
Sm ^a^re 1807 fd^rieb 9titter, nad^bem er eine ®om-
nambule beobad)tet tiatte, an 53aaber: „Sine ©ntbecfung üon
2Bicf|tig!eit benfe id^ bnrd^ bie eineS |)affioen Seuni^tfeinl,
bie be§ UnmiHfürtic^en, gemad^t ju ^aben. @» n^irb burd^
grage, 5(ntn)ort erregt. . . . ^ier neue Stuffd^Iüffe in ber
SKagie. S)ann Sfieorie ber ^raft ber ^(jantafie. Stffeg
S^orgeftetlte ift itjirflic^, eben be»^alb aber [)at e» nur bie
|)älfte feiner SSirflic^feit, eine ^albiüirflic|feit, für un§,
6*
84 5(potlD unb Sionljios.
getabe \vk \ä)Dti jeber dritte un§ tod) nid)t \o tüirfüd^ ift,
aU loir un§ jelbft. gerner f)ier S^^eorte be§ @ett)iffen§,
tnbem aftiöeS 93eiüu^tfein fid^ öon :paff{oem nur baburc^
unterfc^eibet, ha'i^ bort bie Silage mit ber 2(ntlrort, unb ^ter
bte blofee ^Intmort §um S3ett»u^tfetn fommt. Stile unfre
reinen ^anblungen finb fomnambultftifd^, Slntföort auf grage;
UJir bie Si^ager. ^eber trägt felbft [eine ©omnombule bei
fic^ unb ift felbft ber äRagnetifeur üon i£)r. — gall tt)o
bie grage hk Stntmort felbft erröt:^, ober eigentlid^ tk be-
nju^te Untüillfurlic^feit felbft. ®ott im fersen."
SSon biefer empirifd^en (Sntbecfung eine§ ^)affioen S8e-
n)u|tfetn§, ba§ öon bem fonnentoac^en Seföufstfein oer-
f Grieben unb nit^t mit bem ®e|irn, fonbern mit bem fo»
genannten f9m|)at^ifd^en S^eroenfijflem oerbunben fein foHte,
nju^ten bie jungen "i^ü^m ber 3ftomantif noc§ nid^ts. Saliner
|)flegt ber (Srfafirung ein blinber ^rop^et ber 2Ba^r|eit öor*
au§5uge^en. Uebrigeng tvav 'i)a§' ®efüi)I, ha^ bem 2JJenf^en
gnjet ©eelen in ber S3ruft tt)ot)nen, !aum jemals unbefannt,
unb jeber fann 33eobac^tungen über i^r SSer^alten gu
einanber aufteilen. 3m Seben be§ ^inbe§ giebt e§ eine
furge (Spoc^e, too e§ fid^ nur al§ Dbjeft empfinbet unb oon
fi^ in ber britten ^erfon rebet; e§ ift §um @elbftbeiiiu§tfein
noc^ nic^t eriuac^t. SlUmälig töfen fid^ bie beiben ©eelen
t)on einanber ab unb trennen fid^ immer me^r — ebenfo
n)ie fid^ bie SJienfd^^eit in eine männlitfie unb eine rodh"
lic^e §älfte fpaltet — , lüorau§ bie I)ei§en kämpfe ber
reifenben Sugenb ju erftären finb, oon benen nur loenige
2J?enfd^en garni(^t§ erfahren. 9?un fteHt bie mac^e, fe^enbe
©eele ®efe|e unb ^heak auf, benen bie fi^loerföllige blinbe
nic^t folgen fann, ober umgefe^rt, ba§ überfd^n)än gliche
©efü^I ber blinben brängt ju Stliaten, benen bie berec^nenbe
fic§ n)iberfe|t. SBenn bie SiiQenb ju &ntt ge|t, mirb ber
5(|3orfci ittib 3)iom)fo§. 85
^tüeifampf fo ober fo cntf trieben, f)äufiger burd^ Ue6er=
tuältigung ber einen ober burd^ ein fd^tt)äc^Iic§e§ @id^=
miteinanberabfinben, at§ burd^ SSerfö^nung.
^n ber SSöIfergcfd^id^te ittieber!^oIt fic^ berfelbe SSorgang.
Äein ^ampf ift im Innern ber Spiere, tuo ber Minbe Sn=
fünft nod^ unangestneifett tierrfd^t; abgefetjen üon gewiffen
^au§tf)ieren, in benen unter bem (Sinfluffe ber äJ'Jenj'd^en
bie erften ^eime be§ ©etbftbeiüu^tfeinS [ic^ entfalten mögen.
?Iud§ bei ben futturtofen SSöIfern fann bie fc^raad^e Stimme
ber ©infic^t nod^ nic^t§ angrienten gegen bie nngcbänbigte
SÖSilbljeit be§ 3n[ttn!t§. S)er reine, ^armonifc^e ajienjc^ be§
gotbenen 3eitalter§ ^at nie gelebt; eine optifd^e S^äufd^ung
ber menfd^tic^en ^fjantafie oerfe^te i^n, tnie ben perfönlid^en,
feerou^ten ©ott, bie beibe am (Snbe aller ©efd^id^te [te(}en,
an i^ren 5tnfang. 5(IIerbing§ lebten bie (Sried)en, tuie n3enn
un§ ein SSorbilb gefegt fein foHte, nad^ bem luir ftrcbenb
un§ 5U richten l^ätten; l^ier tjerrfd^t eine innere Ueberein-
ftimmung toie bie jmifc^en Debipu§ iinb 9(ntigone: bie finb-
licfie {^ü^rerin f(f)miegt fic^ in öertraulid^em ©e^orfam an
ben blinben, reiferen SSater. S)a§ ©t)ri[tenti)um Uiar bie
erftc 5tufle^nung gegen bie $;t)ranni» be§ SlriebeS. S)a§
S3erften ber (Srbe unb ha^ Stunden be§ 5Sorbang§ im
2;empel luaren bie erften SSor^eid^en ber beginnenben ©eelen=
fd^Iad^t im 9J?enfd§en.
SBie im Seben be§ Ginjelnen Sage ober 3^^^^» luo er
fianbelt unb lebt, auf fotd^e folgen, njo er fi(^ auf fid^
felbft befinnt, ired^feln aud^ bie 3ftten in ber SBeltgefc^id^te
mit einanber ab; tt)äl)renb t^a^^ Snnenbeum^tfein rul^t, fteigen
bie großen S;naten gerüftet, entfd)toffen au§ ber 2;{efe be§ Un=
beiüu^ten empor, ©o löften aud^ im 5lRitteIaIter innerlid^e
unb äuBerüc^e Reiten einanber ab; aber bie ^nnerltd^teit
gab ber ganjen ©pod^e i^ren Gijarafter. 3Sie eine gro^e
86 ^(potto imb ®ioni)ioa.
Ü^ebolutton bie neue 3ctt eröffnete, ift fie huxä) eine anbre,
bie fran§öfifd^e befd^toffen, Jüä^renb gteid^jettig bte 9iomantif
ein erneute», erl)ö|te§ SJJittelalter ^crauffüljrte.
(S§ giefct feine intereffantere unb furdEitbarere S^^tf al^
ta§ frül^e SJJittetatter, wo ber SJJenfc^ fic^ im Innern einem
©ämon gegeuüberfa^, ber i^m fein eigenfte§ 9iei(f) flreitig
maä)tt, ben er fürd^tete unb l}a§te unb beffen er fid§ bo^
nid^t entlebigen fonnte, mit bem er n>ie mit einem 3>üilling?=
leibe öern^ad^fen raar, unb ber borfi etrig nad^ entgegen»
gefegter S^lid^tung brängte. (£r lini^te fidf) ein§ unb füJ)Ite
fidE) boc^ snpei, tt)a§ einen lt)o|I franf unb ujafjufinnig mad^en
fann. SSergebenS fud£)ten bie ^riefter bie bofen ©eifter au&
hm Sefeffenen aufzutreiben unb bur(^ SSefd^iüörungSformeln
bei ber ^aufe ben Teufel au» bem neugeborenen ft'inbe gu
bannen. Salb tüä^nte man in ber ebelften 93egierbe be§
äRenfd^en, ber nad^ (Srfenntni^, bie frembe, feinbfelige
SBirfung ju f puren, balb in ben natürlirf)en Seibenfc^aften;
nnbänbiger {freuet luedEifelte ab mit I)elbenmä^igen D^jfer-
t^aten unb h:)eltüberminbenber ©ntfagung. ®urd) bie be=
ftänbige, Wenn aud) feinbfelige S3erü()rung mit bem Un=
beUJu^ten n)ud§§ ha^ SSelüu^tfein mäd^tig; bem 5lntäu§ gteid^,
bem au§ ber mütterlidfien @rbe bie ^raft einftrömt.
5(uf einer inneren 3ii^eif)eit berul^t bie 3)?ögli(^teit be§
(SeIbftbeiuuBtfein§ überhaupt; je beutlid^er ficf) jene ausprägt,
befto fc^ärfer fann auc^ biefe§ n^erben. (ginige 5tu§fprü^e
ber 9iomantifer follen jeigen, bo^ fie bie S)oppeIerfd)einung
be§ S^ f^fl^ erfannten.
9^0 0 ali§: SDenn 9Jiemanb fenut fic^, infofern er
nur er felbft unb nid^t aud^ 5ugWd^ ein anbrer ift.
(Sine nirf)t fijutiietifd^e ^erfon ift eine ^erfon, bie
meljrere ^erfonen jugleii^ ift, ein (55eniu§. Qebe ^erfon
5^.10^0 imb ®iLimjlD§. 87
ift ber fieim ju einem unenbtid^en ß5entu§. Sie nevmag,
in mefirere ^erfonen gettjetlt, bod^ auc^ eine jn fein.
S)te fjödjfte Stufgabe ber 23ilbung ift, fid^ feine§ tran§-
cenbenten S«^ ä« bemäc£)tigen, ta^ S<^ fetne§ ^d^g §u-
gleid^ ju fein.
Unfer SDenfen ift alfo 3^uiefprad^e uub unfer ©mpfinben
©t)mpat(jie.
Sebe ^erfün, bte an§ ^erfonen befteljt, ift eine ^erfon
in juieiter ^otenj ober ein @eniu§.
grtebr. ©erleget in ber Sucinbe: SJur in ber Slnt-
tüort feineg ®u fann jebeS ^ä) feine unenblid^e @in^
:^ett gans fül^Ien. Sann triH ber SSerftonb ben inneren
ßeim ber ©ottäfinlic^feit entfalten, ftrefct immer mel)r
nad^ bem Qide unb ift fo öotl Grnft bie @eele ju Silben,
tüte ein ^ünftler ha§' eigene geliebte Söerf. ^n ben
SDZ^flerien ber SBilbung fd^aut ber (Seift haS^ ©piel unb
bie ©efe^e ber SBirtfür unb be§ 2eben§. ®a§ Sßerf be§
^t}gmaIion betnegt fid), unb ben überrafc^ten ^ünftler be-
legt ein ©d^auer im S3elüu^tfein eigener Unfterblic[)!eit,
unb tüte ber Stbler ben (Siant^mebeS reifet i^n bie gött-
lid^e Hoffnung mit mäd^tigem gittid^ jum Dltjmp.
9iic^t me^r fremb unb feinbfeüg alfo ftel)en bie 9J?enfd^en
t|rem ®u gegenüber; feit fie fic^ il^m gelüac^fen füllen unb
e§ beffer erfennen, feigen fie bie SJJöglid^feit einer SSer»«
ftänbigung, \a ha^ erfte ©djaubern liebenber S'ceigung über-
läuft fie. 93iit gutem ©runbe fprid)t man :^ier öon Siebe,
ba bie SBefenS^ätften be§ SJJenfc^en fid^ tnie bie i^olften be§
SJienf(^engefc^Ied)t§ pofitiö unb negatiü, männtid^ unb Jüeiblic^
5U cinanber üertialten,
Safe has, ©rfennen bag lueibtidie ^rinjip fei, liegt in
einer ber älteften Sagen be§ 9JJenfd^engef(^Iec^te§: (Söa loar
e§, bie ben üerljängnifeüoKen 5tpfel ppüdte. Merbing^
88 SlpoHo uiib 2)ioni)iD§.
fteüen eine 9J?enge grauen, btelleic^t fogar bie ÜJJcl^räa^I,
ef)er ein entgegengefe^teS ^^rinjip bor. ®iefe bergegen*
Jiiärtigen ben Urti)pu§, in bem bie ©efc^Ied^ter nod^ un^-
öermifd^t Bei einanber lüaren. SJian fann i^n nid^t anbrogt)n
nennen, ba er nid^t männlid^ unb n^eibtid^ tvax, fonbern
h)eber ba§ eine nod^ ha§ onbre, ein c£)aotiici^e§ S^eutrum.
Ser sodann, ba§ po[itioe, t^ätige, fc^öpfcrifc^e ^rinjip ri^
fiel juerft Id§ unb eilte öoran, bie grau folgt i^m §tüar
langfam nad), aber fie bertritt ha^ ifö'tjnt, luenn auc^ o^ne
t^n ohnmächtige ^rin5ip. X^aM^üä) inbeffen beretüigen
biele grauen nod^ ben Urtt)pu§ in fetner fd^tüerföHigen,
mütterlichen Xräg^eit. @r[t in neuerer ^eit tbirb bie
©iffereuäirung be§ aJZännlicElen unb SBeiblic^en immer fcJ)ärfer
unb bilbet fid^ ber rein lüeiblic^e S;t)pul ^erau§. 2lud|
fteCCen bie mobernen ©d^riftftellerinnen ben a32ann mit S3or-
liebe at^ ben gutartigen, etloaS rofien unb etrt)a§ toi»
:|3atfd^igen 58ären t)in, ber mit fdjtoercr Xa^t naä) ber feinen,
necfifc^en grauen 'SibeUe greift, bie i^n umfc^ioirrt. ^t
ftörfer bie Siffereuäirung fic| ausprägt, befto heftiger loirb
bie Stuäie^ung §tüif(^en ben ©cfc^ted^tern: ber pi)l}[ioIogifd^e
©runb, loarum bie Siebe in ben neueren Seiten eine fo biet
größere "äoUt fpielt aU im 2tttertl}um. @§ ift angunetjmen,
boB bie Siebe it)ren ßJiaraÜer loieber änbern luirb, luenn
einft ein bem llrtt)pu§ analoger SD^eufc^ entftetit, in bem
fiel a)iönntic|e§ unb 2BeibIicI)el bereinigt, o|ne in einanber
unteräugetjen.
5)iefer Umftanb atfa, baB e§ sttjei grauenttipen giebt
unb ferner, ba^ e§ iDeiblic^e 93Mnner unb mänulictjc grauen
giebt, je nad^bem lüeld^eS ^riujti) gerabe ftärfer entlüirfelt
Ujcrben foU, finb bie Urfac^e, ba^ bie grau bon ben SOZännern
meiftenl al§ SSertreterin be§ Unbctpu^ten t}ingeftent tbirb,
tt)ä|renb boc| gleic|5eitig bie iueibüc|e 9Zeugier, ©itelfeit,
^fpollü iinb T}ion\)fD§. 89
(SJefaHl'uc^t, grü^reife, ©cfjlaii^eit, $8oä!^cit, 58ett)u|3tf)eit in
91 der SOiunbe tft. ®aB bie S^Jeugter, ba§ SBiffenuiotten, lüetb=
lic^e» (Srbtetl ift, ift attbefannt. ^n ber 8prac^e ber 9?oman='
tüer fönnte man jagen: bie grau ift eine 'potenjirung be§
9}ionneg, t[t ber romanlifirte Tlann, ha^^ I}ei§t ber bemüht-
tuerbenbe. S)ie[en @inn tüirb man in folgenben 2(u§)prüd;en
öon 9^oDaIi§ über bie ^mu finben:
®ie ^oi^tol^ie unb ber Diamant finb ein ©toff —
unb bod^ XüU üerfc^ieben! (SoHte e§ \nd)t mit SJJann
unb 2Seib berjelbe gall fein? SSir finb 2:§onerbe unb
bie grauen finb SBeltaugen unb ©apl^ire, bie ebenfal(§
aul 2;]^onerbe beftei^en.
®a§ S3eiiüefen be§ 9J?anne§ ift ha^ ^auptiuefen ber grau.
Ungel^euere SSerftef[ung§gabe, 95erbergung§gabe ber
Söeiber übcrt^aupt. S^r feiner 33emerfung§geift. Me
S23eiber f)aben ba§, um§ ©d^Iegel an ber fc^önen (Seele
tabeft. ©ie finb ooHenbeter al§ tüir. greier, aber ge=
tüö()nti(^ finb njir beffer. «Sie erfennen beffer aU mir.
S^re 3?atur fc^eint unfre ^unft, unfre 9?atur i^re ^unft
5U fein. @ie finb geborene ^ünftlerinnen.
2lf[e§ forbert üon ber grau unbebingte Siebe jum
erften beften ßJegenftanbe. 25?etd^ ^o^e 9)ieinung bon ber
freien QJemalt unb ©e(bftfc^ö))fung§traft if)xt§ ®eifte§ fe|t
ba§ nic^t borau§.
StIIel bie§ unb ba§ ®oetI)e'fc^e 3Bort, ha^ ba§ (äiuig-
SBeiblid^e un§ l^inanjiele, fielet mit bem SWt)t:§o§, ba^ ba§
SBeib ben ©ünbenfalt öeranla^t iiabe, nur fc^einbar im
Söiberfprudj. Wan ift lei^t geneigt, bie Statur um i^re
©ic^erbeit unb Unfc^ulb ju beneiDen; bie forglofe 2eben§-
tüonne ber S;^iere, i^re förperlid^e Unbefangenheit, ^raft
unb S3eftimmt^eit erf(^eint un§ üorsüglic^er aU unfer äu=
fammengefe^teS SSefen, unb luir bebauern e§, menn ber
90 51|ddI(o unb l5ioni)io§.
ünbttc^e grol^finn n^ilber SSöIferjifiaften bei S3erü^rung mit
ber Kultur in Stngft, Unfic^eri^eit unb Sorge untergeht.
Unb tod) !önnen bie S:^iere nid^t lachen; ein 3"9 9^o^'
artiger S^raurtgfeit ift in tfiren (deficitem, ha wo öon ®e-
fid^t unb ®efic^t§au§brucf übertiaupt bie SfJebe fein !ann.
Sie 2{ng[t ber Slreatur fie|t au§ i^ren fle|enben 3lugen.
(Sbenjo erfennt man an ben öollen, fd^tceren, gefenften Sippen,
an einer Beftänbigen unlüillfürlid^en ©c^tuermut^ bei 5Iiige»
ben @fIaoen'5D?enfd}en, ber noc^ nn ber ^ette be§ ^nftinftel
liegt. ®aB jebe§ ®ef(f)öpf 5ur greifieit geboren unb öon
ebler 5lrt ift, betretft bie unbeiDu^te Srauer über bie
<Bä)maä) ber Untert^änigfeit. ©elbft bie n^unberbollen
griec^ifd^en ©ötter« unb ^elbengeftalten, ob fie nn§ nun in
ber ^lafttf ober in ber ^oefie begegnen, J)aben bei all iljrer
^rad^t eine ftolje, üerl^altene ©c^ftiermutl^ in ben Bügen,
aU Wären fie bom ©efd^Ied^te be§ Santalul unb trügen
ha?' efierne S3anb um W (Stirn, ha^ berbunfelt unb feffelt;
bie öer^äÜniBmä^ig niebrige «Stirn in bem formfd^önen,
frafttioHen 2tntli| ift ber fid^tbare ^lulbrud baöon. Unb
bie 5rö]^Iid^!eit bei 9?aturmenfd^en ift feine anbre all bie
bei ^inbel, bie jeben 5tugenbltc! grmiblol in bie öu^erfte
5:rübfelig!eit umfd^Iagen fann. |)äufiger ®enu^ oon 58e-
raufifiunglmitteln mu^ i^m ben bumpfen STrurf bei fieben-
müffenl erträglid^ macfien: ber 9tauf(^ giebt i^m t>k gtügel,
bie ber ©eift i^m noc^ nid^t geben !onn.
5JJur Seuiu^t^eit oerlei^t ec^te, bauernbe ^eiterfeit. Wa§
ift beni ^inbe fein ®Uid, um bal tt)ir e§ beneiben; bem
(Schmetterling, bem (Schläfer, bem 5:obten? Sie Solange
^atte 3RedE)t mit i^rer ^er^ei^ung: eritis sicut deus scientes
bonum et malum. Sie gried)ifc^e 9Jit)t^e erjä^It, ha^ Beul
ben 9}?enfd^en bal 2id)t ^aht oorentlialten irolten, bamit
fie nid^t ben Göttern gteidE) lüürben, unb lüie luirflic^ bal
?(pDl(D unb Sioni)i"D§. 91
Sid^t S3ringer bcr Kultur mürbe, ©benfo tük ^[Qc^e, beren
©ünbe tüie ©tia'g im ©e|en=, ba§ ^ei^t SBiffentüoITen be=
ftanb, na^ oielen erbulbeten Dualen an ber §anb be§
(geliebten ai^^ ©ötltn in ben DIt)mp eingebt. 5;teffinniger,
lüenn auc^ nic^t jo abgefd^Ioffen unb üoHenbet, ift bie
biblifc^e ^arftellung. 2öir feigen ba, irie W (Srfenntni^
bal bi^£)er öeranttüortungöfrete ©efd^ö^^f sunädift in ©cfiulb
üerftridt. „D^ne 'i)a§' ®e[e^ toax hk ©ünbe tobt", jagt
^aulus, 2Bir n^nen ben 3fttefenfam^f, ben ber tüerbenbe
©eift gegen bie 9?atur n)irb fämpfen muffen, bi§ er i|r
gleich unb frei öon iljr gelnorben ift. 2Bir berne^men, boB
ha§ burc| einen SEJienf^en öerlorene ^arabie§ burd^ einen
SD'Jenfi^en tüiebergeluonnen lüirb. Sieben ber tiefften -S^erab-
ttjürbigung be§ S5?etbe§ in (Süa fte^t, nac^ einem ge(egent-
tic^en Söorte Saaber'^, i^re ^ö(f)fte SSerfierrlic^ung in 9}?aria.
Sm SJ^ärc^en ift e§ bie ^rinjeffin, hit ben burc| eine Apejre
in einen gifc^ ober Sären Oerinanbelten ^rinjen burif) einen
freiroiHigen Ste6e§!uB erlöft.
jDie JRomantifer Ratten hai^ SSerbienft einsufe^en, ba^
bk (Srfenntni§, bie bie Stn^eit ber 9?atur jerftörte, bennod^
i^r |)eil unb ta^ Wütd ^u einer SOBicberOcreinigung auf
^ofierer (Stufe ift. ®al bebeutet iiio|I bie flüchtige S^ottj
öon 9^DbaIi§: „5tbam unb @oa. 2Ba§ buvd^ eine Steootution
beroirft föurbe, mu§ burc^ eine 9iebo(ution aufgeI)oben merben
(2I|)ferbife)."
3n einer bramatifc^en ^icfitung Xiecf'§ begegnet ^erbino
bem 2iebting§f)elben ber Stomantif, ©^afefpeare. 5Iuf
feine Srage, toas man auf ßrben bon i^m fage, antlüortet
3erbino:
„9^un, man fiält bid^ für einen milben, erhabenen ®eift,
bcr bIo§ bie DJatur ftubirt i^at, fic^ gang feiner gurie unb
SSegeifterung überläfjt unb nun bar auf Io§ bid^tet, tun§ e§
92 , ^fpotTo unb S)ioiü)fo§.
gtebt, gut unb fc^ted^t, erl^aben unb gemein burd^ einanbcr."
SSorauf ©^fefpeare antnjortet:
„©rüfee betne S5e!annten üon mir unb fag i^nen, ha'^
fie ft(^ irren. SSerfünbtge i|nen, ba^ bie ^unft immer meine
(Göttin Joar, bie ic^ anbete."
@§ tt»ar bie Entgegnung be§ SiomantiferS auf bie Se^re
bcr (SJenie§eit, ba^ bie ^oefie eine 53Iume fei, bie fid) nur
be§ 9^ac^t§ erftfilieBe unb bufte. 3^ac^bem eben bie (Stnfid^t
gelüonnen irar, ba^ nid^t bie @ele()rten, fonbern ba§ SSoIf
bie fd^önften ©id^tungen ^erüorgebrad^t ^atte, fing man an,
bie ^robufte eine§ gebilbeten unb unterrid[)teten SWenfd^en
mit 2)JiBtrauen 5U betrad^ten. D^iid^t benfen, nid^t lernen,
bamit bie Unfc^ulb be§ ^nftinftS nic^t jerfe^t werbe, liefern
fteinmüt£)igen ^effimiämu§, ber bem tulturmenfc^en nur
bie SSa^t laffen lüoHte, enttoeber fein ftol^el Erbe ber ^aijX'
l^unberte ober bie Kraft ber ^unft auf§UDpfern, f(^leubertc
9^oüaiig mit reüolutionärem Uebermut^ bie grage gu: ^ann
man ©enie lernen? um fie ju bejahen.
„^ann man ©enie fein unb werben tuollen? @d mit
bem 2Btf, bem (SJIauben, ber 9teligion u. f. lü. (£§ ]§at in
93e5iei^ung auf ba§ ®enie bisher beinahe ha^ ^räbeftination§'
f^ftem gei^errfc^t. Sie gum 2;^eit watjre Beobachtung liegt
ju ßirunbe, ha^ ber SBitte 5tnfang§ iingefc^icft Wirft unb
ba§ 3^aturf|5iel ftört — Stffeftation — unb einen un=
angenehmen ©inbrucf mac^t — im Einfang biirc^ 3:§eilung
ber ^raft — bei ber 5tufmer!]amfeit — ficft felbft unter-
gräbt unb au§ mangelhaftem 9lei5 unb mangelljafter (Sapa-
cität ba§ nid^t 5U leiften oermag, wag er bunfel, infttn!tartig
beaOfid^tigt."
^er oormaltge lächerliche 5(bergtauben, ©ete^rfamfeit
fönne ÖJenie erfe^en, üerwanbelte fid^ in ben froren (Stauben,
baf? SBiffen bem ®enie förberlic^ fei, an bie SJJöglid^fcit
SUpoüo itnb 5)iomjfü§. 93
etne§ unenblid^en gortfc^itttS in ber ßunft. „(Slaubt ifir
tiid^t", lä^t %kd feinen S)ürer jagen, „ba^ e§ ben fünfttgen
Reiten möglich fein trirb, (Sacfien barjufteUen unb @e=
fc^ic^ten unb (Srfinbungen au^subrücfen, auf eine Slrt, öon
ber mir je^t nid^t einmal eine SSorfteUung laben?"
©ern fpracfien bie 3f{omantifer öon ber abfid^t^öoHen
Söeil^eit be§ 2)ante, ßeroanteS unb @|afefpeare, bie g-riebric§
©d^Iegel ben ©reiflang ber romantifrfjen ^oefie nannte. 2(n
®oet§e'§ SJieifler Ijob er |auptfärf)Iic| ^eroor „hit geheimen
Slbfid^ten, bie er im ©titten öerfolgte, unb beren luir beim
©eniug, beffen Snfttnft ju SBidfür geworben ifl, nie ju öiel
öorau§fe|en fönnen."
Unter ben bilbenben Slünftlern mar ein Siebling ber
9iomantifer Seonarbo ha SSinci mit feiner überfc^auenben
Sutelligens, mit feiner gewaltigen ^^antafie, hk fic^ bennoc§
unter bie Seitung be§ grübeinben ^opfe§ beugte. „Uebrigen§
tft man bei Seonorbo uid^t in ®efa|r, einen ju tiefen «Sinn
in feine 2Ber!e §u legen. (5r backte fic| getuiß immer noc§
oiel meJir, aU er au§5ufü§ren im ©tanbe inar. ®iefe
Ueberlegen^eit be§ 9?erftanbe§ über ta§> auSübenbe S3er-
mögen giebt er felbft aU ^ennjeic^en be§ eckten l?ünftler§
an. @r i)ätte einer immer erneuten ^ugenb beburft. ©ein
bieliäj)rige§ Seben toar 5U furj für feine (SJebanfen, ber Sob
ri^ i^ren Iabt)rint|ifc§en gaben ah, S3ei i|m f)ielt ta^
(Streben nad^ 2Ba|r|eit mit bem ^unfttrieb nid§t nur gtetcEien
©c^ritt: beibe§ |atte fid^ gegenfeitig burc£)brungen unb toax
cin§ geiuorben. ©ein gorfc^ungSgeift lüar bur(f)au§ roman-
lif^, bijarr unb mit ^oefie tingirt, unb er »erfolgte |in-
njieber bie gorberungen ber Slunft mit ber ©trenge ber
SBiffenfc^aft ober ber ^flic^t."
2)iefe ©teile fommt in bem ©efpräd^e 2BiI|eIm'§ unb
Saroline'ä über bie ©emälbe oor, ha^ fie für ta^ 5tt§enäum
94 SlpoIIo unb SiouijjoS. .
f Gerieben; ötettetc^t Ratten [ie bie Stnrcgung ju biefcr 9(uf*
faffung Seonarbo'§ au§ SKadenrober'g §er§en§ergte^ungen
gefc^öpft, lüo ber ^(oflerbruber mit anbetenbem Staunen öor
bem ungeheuren SJJanne ftel^t, ber 3uglet(^ fd^affen fonntc
unb benfen, iua§ er fc^affte. tiefem flaren Reifte [teilt
SBacfenrober ben pt)anta[ttf(^en SJJaler ^iero bt Sofimo
gegenüber unb befd^Iie^t feine 53etrac^tungen mit ben a^nungS»
üollen SBorten:
„®a§ .^un[tgenie foK, mie id) meine, nur ein brauc^-
bare§ SBerf^eug fein, bie ganje D^atur in fi(^ ju empfangen,
unb, mit bem ©eifte be§ SJlenfd^en befeelt, in fd^öner $ßer=
tüanblung Uiieber§ugebären. ^ft er aber ou§ innerem Qn«
fünfte unb au§ überflüffiger, luilber unb üppiger ^raft emig
für fic^ in unruhiger Strbeit, fo ift er ni(^t immer ein
gefc^icfte§ SEerljeug, üietme^r möd^te man bann i£)n felber
eine 'äxt üon Sunfttüerf ber ©i^öpfung nennen."
Wan irrt fic^, luenn man aunimmt, e§ fei ben 9ioman=
tifern nur in iinüarer SSeriüorren^eit luo^I gelüefen; ouf
bie fogenannten älteren menigften§ trifft haS^ burc^au§ nid^t
ju. $JJooaIi§ nennt e§ im (Segentl^eif {^olge einer franf-
l^aften Konftttiition, (Sinfeitigfeit, ha^ ba§ ©enie bi§£)er
metften§ o^nt fein SBiffen tuirfte; ber SJJangel an S3elüu^t»=
fein fei fdiulb, ha^ e§ immer nur glüdlic^e Slugenblicfe
Ijatte. „®a§ erfte ©enie, ba§ fic^ felbft burd^brang", fagt
er, „fanb i)ier ben tl)piftf)en Seim einer unenblid^en 2BeIt;
e§ machte eine (Sntbediing, tüelc^e bie merfmürbigfte ber
SBettgefd)i(^te fein mu^te, benn e§ beginnt bamit eine ganj
neue ©poc^e ber 5menfc^t)eit." 2)a§ SBcrt „a«e^r Sid)t",
ba§ ©oet^e nid^t gefprod^en £)aben foK, irar hod) jebenfQlIg
tüie au§ feinem, fo auc^ au§ bem ©eifte feiner jünger
gefprod^en. @§ ift be5eitf)nenb, ba§ 9Jooali§ einen Xraftat
üom Sid^te ju fc^reiben beab fi(^tigtc. „ßid^t ift ©t)mboI
9(poffo unb 3)ioin)fo§. 95
ber ed^ten ©efonnen^ett", jagt er einmal. „?il[o ift Sic^t,
ber ?lnaIogte uad), 5(!tion ber ©e(6[tberüf)rung ber SJJaterie.
®er Tag ift alfo ha^ 93eiüu^tfein be» 2Banbe([terne§, unb
njö^renb bie ©onne tüte ein ®ott in eluiger ©elb[ttt)ätig=>
feit t)k SJJitte befeelt, tfjut ein planet nac^ bem anbern
auf längere ober fürjere 3ett ba» eine 5luge ju unb er»
quicft in fü^Iem Schlafe fic^ ju neuem Seben unb Stnfd^auen.
5l{fo aud^ ^ier 9teIigion. ^Denn ift ha^ Seben ber ^(aneten
etwa» 2(nbre§ at» Sonnenbienft?"
©djelling fa^ im Sic^t unb in ber (Scf)lt)ere bie Urbualität
ber 9^atur; wenn man atfo „ben B^^u^erftab ber '5>lna(ogie"
gcbraudit, müfjte man, luie bem Sic^t ha^ 33ett)u^tfein, ber
©d^luere ben bunfeln Srteb, ba§ Unbeiüu^te gleic^fe^en.
©mpfinbet man nic^t aud^ eine Seibenfc^aft, ber man tro^
allen Dringen» md)t §err Sterben fann, al§ Schwere in
fic^? ^m ®egenfa|e gu ben @turm= unb S)rang'9JJenfct)en,
bie mit SSorliebe in ber ®eiüitterfdE)rt)üIe ber Seibenfc^aft
otf)meten unb nur in i^ren trampfliaften 2(eu§erungen ßraft
fatjcn, feierten bie atomantifer ben elaftifc^en ®eift, ber bie
unbänbige SÖilb^eit ber ^^riebe gebänbigt ()at unb lenft.
„2)er Stbel be§ ^c^ befielt in freier (Sr^ebung über fid^
felbft — Safter ift eine einig fteigenbe Dual, 5lbf)ängig!cit
com UniDiHfiirlic^en, S^ugenb ein eiuig fteigenber ®enu^,
Unab^ängigfeit üom ^ufäüigen."
®ie gefc^meibige ^üngtingSfraft be§ S^oöaliS'fc^en ®eifte§
ift in biefen SSorten nic^t ju öerfennen; ein @eift, ber roie
Saöib, furchtlos unb fromm, ein fünftiger Äönig, ben Stiefen
^erauäforbert. (äl gab eine ^cit, ttio man bie got^ifc^en
ßat^ebraten, bie mit einer 5lrt bon 9tafererei allen ^atux"
gefe^en treten ju tuoHen fcfiienen, barbarifdf) fanb unb
5Ric^t§ gelten lie^ a(§ ben finblic^ an öatn unb SBatb ge=
fc^iniegten griec^ifc^en Tempel. SIber hk Stomantifer t)cr-
96 JCpoCo unb ®ioni)ioS.
ftanben ben fc^aurigen Sro^, mit bem ber mttteldterlid^e
©eift, bte ©c^iuerfraft be§ ®eftein§ im Sliefenanlauf über-
minbenb, leidet unb mäd^tig, titanenfjaft gegen ben §immel
anftürmt; if)r reisbareS Dijx Dernaljm ben fteinernen Striump^*
fd^rei, bie foto[fa(e §erau§forberung be§ 9)Zenfd^en an ben
alten 92aturgott. SBie ©oet^e früher geti)an ^atte, üer=
^errltc^te ^iecf ben ©tra^urger 9JJünfter in feinem ©tern"
balb: „@§ i[t gum ©ntfe^en, ha^ ber ajJcnfd^ au§ getfen
unb SIbgrünben fic^ einjeln bie Steine ^erüor^olt unb nid^t
raftet unb rul}t, bi§ er biefen ungeheuren (Springbrunnen
üon lauter gelfenmaffen ^ingeftellt tjat, ber fid^ eiuig, eiüig
ergießt unb tvk mit ber Stimme be§ S)onner§ Slnbetung
Dor un§ felbft in un[er fterblid^e» Seben ^ineinprebigt."
3)a^ ©clbftbeiüu^tfein be§ 5[Renjc^en redt fid§, bie Sölüen-
natur ju jäfimen. ©ieg über bie Srfiipere ift feine Sofung.
@§ ift fein SSunber, ta'Q bie (Srfinbung ber j^Iugmafd^ine
eines ber SieblingSprobleme ber mobernen 9}?enfd^§eit ift;
ein§ öon ben öielen $8eifpie(en moberner ^^antaftif, in ber
fid^ trocfene SBiffenfd^aft unb Sec^nif mit fd^iüärmerifd^er
©inbilbungSfraft mifd^en. Strieb in ^unft 5U üerlüanbeln,
\)a^ Unbetuu^te in SSiffen, toar \)a§ ©tubium ber 3?omantifer.
Man fönnte au§ i^ren Söerfen hk intereffanteften ^ufötnoien"
ftetlungen barüber machen. SBäi^renb 9^üöali§ tieffinnige
2tnbeutungen über bie ^unft be§ (SffenS mad^t, Ie:^rt 2;ied,
ha^ jebe 2;ifd^unterf)altung ein Sunftttjerf fein füllte, „'oa§
auf gehörige 2trt \)a§ Tla^l accompagnirte unb in richtigen
@eneralba§ mit i§m gefegt UJÜrbe/' ®ie Unter£)altung
ber greunbe im ^f)antafu§, bie toie ©lumengeluinbe bie
t)erfc^iebenen 9Jiärd£)en unb (Sr§ä^(ungen umrat^men unb t)er=»
!nüpfen, befteljen J^auptfäd^Iic^ in SSerfud^en, fid^ über Sn=
fünfte ftar §u merben unb bie uniüiHfürlid^en ©efüble ju
ergrünben; lüoburd^ biefe§ f)anbIung§Iofe ©elbftgefprnd^ fo
?lpDfIo unb Tioni)jo§. 97
unerfrfppfüd^ unb an§tet)enb tütrb. ®a luirb über bie
„^tefe unb ^snntgfett" be§ ®e[d)macfe» gef^uorficn, ber
garbenfinn bebanbelt: „2Bie luunberfam, [ic^ nur in eine
garbe aU blo^e garbe rec^t ju öertiefen. 2Bie fommt
e§ benn, ba^ ba§ f)elle ferne S3(qu be§ §imniel» unfre
©e^ni'uc^t erlDcdt, unb be§ 2Ibenb§ ^urpiirrot^ un§ rü|rt,
ein ^elle§ golbeneä ®elb un§ tröftcn unb beruljtgen fann,
unb iro^er nur biefe§ unermübete (Sntjüden an fvifdiem
®rün, an bem fid^ ber 2)ur[t be» 5luge§ nie fatt trinfen
mag?" ^mmcr näljer unb näfier fc^Ieid)! ber S)id)tor bem
5lbgrunb be§ Unbeiinifeten, eine fc^aurigc Siift be§ ©c^iuinbel^
lorft t^n, jid) ganj über ben fd^iimr^en "Sc^Iunb ju beugen
unb ben in 9?ebel umtlenben ©eburten unb ®e[tatten JU'
3u)e^en, bi§ if)n ein unnennbare^ ßjefütjl öon ^ngft auf=
fc^redt unb 5urüdtreibt. ©aS fie^t man üor fic^, n^enn
man il)n in feinen Schriften beobad)tet. „®ie ^unft ^at
biefe ®e()eimniffe tt)o|I unter t^ren öielfarbigcn Tlawtd gc*
nommen", jagt er int ^f)antafu§, „bafjer bie lüilbe S^er»
jiüeiflung in ber Suft mandjer bacd^antifd^er Stditer. — ©o
uioHten lüilb fc^märmenbe CIort)banten unb ^rtefterinnen ein
Unbefannteä in 9?aferei entbeden, unb alle Suft, bie über
bie ©renje fdjiüeift, nippt üon bem ^elc| ber 5(mbrofia,
um 5(ngft unb SSuttj mit ber t^reube laut tobenb gu »er-
mirren. '^üic^ ber Siebter lüirb nod) einmal erfd^einen,
ber bem ©raufen unb ber luilben ©efjnfud^t mel;r bie
3ungen löft." SJJit unmübli(^er 9iüftigfeit unb f^rifc^e 6?='
fämpft S3aaber ben ^acobifdien empfinbfamen ©a^, ha^
Tenfen bem güfilen fc^abe. 2öenn S^cobi fagt: ^er @ott,
ber gen)ufet irerben fönnte, njöre gar fein ®ott, entgegnet
58aaber: ber ©ott, ber D|ne ®ott gen)u{3t lüerben fönnte,
märe feiner; er erinnert baran, ha^ d^riftuS nid;t gefagt
:^ot: i^r werbet bie 2Ba§rt}eit füllen ober a^nen, fonbern:
§u(f), JRomntititer. 7
98 9t^DllD unb ®tonl)jo§.
t^r werbet fie erfennen. (£r üerfud^t eine SBt[[enfc^aft ber
Siebe ju begrünben unb unterfd^eibet bie freie Zuneigung —
Siebe — bie öom ©rfennen ausgebt, öon ber Seibenfifiaft,
bie, öon einem 9^ic§tgebad^ten auygef)enb, ein unfreies 58e=»
njegtfein ift: „ber 9}?enfd) luei^ in biefem feinem blinben
(finflern) ©etriebenfein nic^t eigenttid^, iraS er rviü unb
ti)ut, unb feine SBetüegung ift infofern feine lebenbigc, n)eil
fie nid^t üon feinem Snnerften ausgebt." ©anj ä^nlid^ fagt
9ioOaIi§: „Steigungen finb materiellen UrfprungS; 5(n-
§ie5ung§= unb 5(bftr^ung§fräfte finb !§ier n)irffam. SDie
9?eigungen macfien un§ 5U 5JJatur!räften. ©ie ^^erturbiren
ben Sauf be§ äJienfdjen, unb man fann tion leibenfd^aftlicfjen
äJJenfc^en im eigentlic^fteu Sinne fagen, ba^ fie fallen."
91n @(i)Ieger§ Sucinbe ift bie SBad^famfeit unb ftete ®egen=
niärtigfeit be§ 2)id^ter§ ba§ 9J?erftt)ürbigfte, tk i{)m inmitten
be§ @innenroufc^e§ ermöglid)t, „mit fü()Ier S3efonnen|)eit
auf jeben leifen ^ug ber grcube ju laufc^en."
SBie bie Siebe foll aud^ bie Stcligion ein freiem ®ef(f|ö).if
be§ S3euiu§tfein§ luerben, unb in ©oet^e'S 33e!enntniffen
einer fi^önen @eele finbet ©c^Iegel biefen ®runbfa| fünft-
lerifd^ bavgeftettt. „^a^ aud^ bie Steligion ^ier aU an-
geborene Siebijaberei bargefteUt mirb, W fid^ burc^ fid^ felbft
freien ©pielraum fd^afft unb ftufenlueife jebe ^unfl öoUenbet,
ftimmt üotlfommen ju bem fünftlerifc^en ©enuffe be§ ®an§en
unb e§ tuirb baburd^, mie on bem auffaHenbften SBetfpiele
gejeigt, bnfj er 5Itle§ fo beljanbeln ober betjanbelt luiffen
möd)te." ©a^ ber ganje SJJeifter eigentlich nidEit fotuol)!
bie ^unft be()anbelt at§ „bie Slunft atter «fünfte, bie ^imft
511 leben", ^atte griebrid^ ©c^tegel betüiefen unb gerülimt.
©ittlic^feit befinirt 9?oöaIiö al§ bie ^unft, unter ben
SOlotiüen 5U ^anblungen einer fitttic^en S5>ee, einer ^unftibee
a priori gemä^ ju iuä()Ien unb bie älZaffe innerer unb
9lpono nnb Stom))o§. 99
äußerer .Staublungen ju einem tbeali[c^en ©anjen 5U orbnen.
„5)ti(^t nur SJienfc^ luerben, tft eine ^unft", fjat er gefagt,
Jonbern bie[er unerfc^rodenfte unb äitgleid^ feinfle ber
romantifdjen Genfer fpric|t fogar üon einer ßun[tle§re ber
Unfterblic^feit.
®ie erften Stomantifer ^aben benn auc^ unermüblid^
gelernt unb ha^ ©riernte benfenb jum S3efi^ if)re§ S3e-
lnuf3tfein§ 5U mad^en gefud^t, ja fie alle lüoren äugleic^ |
Äritifer ber Slunft, bie fie ausübten. dliemaU glaubten fie,
toxt bie mobernen ^ünftler ju tfjun pflegen, fie lüürben bie
glücfüc^e ^raft ber ©efunbljeit be§ bunften Sttfttnfte§ ha^
burc^ lüieberfinben, ha^ fie \iä) in'§ ®unfel ber Umuiffentieit
öerftecften. hierin toie über^au|)t toar §erber ein SSorlöufer
ber Ütomantif, ber bie ^oefie llultur gum ©d^önen nennt,
tk S3efanntfc|aft ber neuen ^oefie mit ber SÜSiffenfcfjaft
freubtg begrübt, lüeit fie baburdCj on bem gortfrfiritt unb
2Sa(^§tf)um be§ menfd^Itc^en @eifte§ tt^eilneiimen lüerbe, ber
5ur befonncnen S^ac^aijmung anbrer S3ölfer aufforbert unb
aU bie 3Kufe be§ beluunberten Sriten hie 9ief(e£ton be-» "^
geid^net. @» ift befannt, ime Öioet^e beinat)e ^jebantifd^
feine ^enntniffe gu eriüeitern unb Drbnung in bem, mag er
mu^te, 5U (galten fud^te, tük er fogar nad^ SJiuftern ober
Sbeen, \a guUieiten um ©i-empel §u ftatiiiren, bic^tete.
S)a§ aber fjaben (Sc^iHer unb ötele 9(nbre aud; getljan,
unb äftiar gerabe fold^e, bereu ärgfte t^einbe bie Stomantiter
n)aren. 2Benn ba§ 2Biffen unb S3eiuufetiiierben aHein ben
9lomantifer madjte, luie luäre e§ möglidj, ba& fie mit gutem
©eiuiffen ben großen .'ilrieg gegen bie ^2luf!(ärung t)ätten
führen fönnen, bafs jeber beim Söorte 9?omnntif an ben
geljeimni^üotteu laufc^igen SBalb be§ 3)iärd^en§ unb ber
(Sage benft, in ben fie bie 9J?enfc^en tüieber eingeführt
laben; ba| in i£)rem ©efolge ber ^an^e^» ^ie 9Jiagte, ha§
7*
100 ?(pLiUo \mb 2)iom)fD§.
9?ätt)fel, bte ©e^nfuc^t — aüe bte üerf(f)Ieierten ©eftdten
be§ Unbertju^ten erfcfieinen? jDa§ tft eben, luaS man nie=
maU bergeffen barf, ba^ ba§ 93elnuf5tfetn be§ 5Romanttferl
mit bem Ö^ei)aüe be§ Unbeinu^ten erfüClt tft; ba§ Stior,
ba§ bte betben 9ieic^e trennte, t[t nid^t metir gefc^Ioffen,
fonbern nur angelel)nt, unb langfam ftrömt tia^ Sid^t öon
ber einen Seite in bie iualtenbe f^infterni^, löfcn fid^ öon
ber anbern Seite bie bunffen Silbnngen im Sichte auf.
93aaber fü()rt einmal folgenbe ©teile au§ einem atten
©(^riftfteßer an: „5)ielueil ©tubiren unb Semen eine @r=
tüecfiing ift be§, ba§ in mir ift, nämlic^, ba^ ic^ erfenne
unb gelüaljr n)erbe be§, ha^ in mir ift unb in alten
SJJenfd^en öerborgen liegt, benn ba§ ^limmlifc^e unb S^i^tfd^e
liegt in mir üerborgen. ^annentjero and) bie '»^tatonici ge-
fagt: diseero esse reminisci." SKit folrfiem ©ic^erinnern
unb ©i(f)befinnen tuar alle§ Sernen ber Stcmantifer ücr=
bunben. ®er unbelrufjte 9JJeufd^ luirb fid^ feine» inftinftioen
Sebeu§ nur baburc^ beuiu^t, ba^ e§ lüirft; in imgeftörter
©tiHe reifen feine (Sefül^re |eran, bi§ fie auf einmat al§
^anblungen an'§ Qid)t treten; fein ®enfen ift luei^eg Sic^t,
erft burdj ba§ ^ri§ma be§ Setuu^tfein» inirb e§ in bie
Stegenbogenfarben jerlegt. Sem bemühten 9J?enfdjen, ber
feine ©efü^Ie im Sid^te ^erfel^t, feljü leiber oft bie gormcl,
fie tüieber ganj unb lebenbig ju mad^en, fo ba^ man fageu
!ann: ©er- unbeluufste 9[Renfc^ ^at bie ©efü^Ie, aber fennt
fie nid^t, ber beUJU^te fennt fie siimr, aber ^at fie uidEit,
ber ^armonifd^e 3ufiinft§menfc^ tjat unb !ennt fie.
Tian fann fid^ ben Sßerfefjr stüifdjen ben beiben SBelten
ctUJO fo üorftellen, aU göbe e§ eine i^Iappe, bie bie obere Don
ber unteren trennte. 53ei bem gemeinen 2)urd^fd6nitt§menfc^en
öffnet fid^ biefe klappt niemals Hon felbft, au^er t)ieüeidf)t
im Traume. @§ fann and) l-^ti biefen 9>iele§ unb ®ro§e§
5(pono unb SiomjfoS. 101
]id) unterirbifd^ entiuicfetn, aber e§ tritt ntd)t iii'ä 33eiüu§t-
fein, fonbern je|t ficö in Strbeit um. ®§ finb bie ein-
fadien, T^anbelnben 9}ienf(^en, bie 5(tbeit5tl;icre, aber and)
foI(f)e, bie im ©taube finb, (jeroifdje Saaten ju tl^un. Tlan
fönnte biefen ben dauern* ober ben 9tömer-Si)pu» nennen,
ober dniad) ben männlid^en. 5l(» SJac^t^aJJenfcfien fönnte
man fie beseic^nen, infofern fie unbeJou^t (janbeln, aU %ac\=
S)Zenfd^en, tnfofern il^r 33en)u§tfein ber äußeren 2öelt nie
burd^ ^Kebel au§ bem Qnnern geftört luirb; toenn man
ntc^t unter Xag=9}ienfc§en biejenigen üerftel)en loill, benen
ba§ Unterirbifcöe überijaupt fe£)It unb bie in golge beffen
in biefe Setradjtung nic^t gel^ören.
9tun fommen bie SJJenfd^en, bei benen bie ^iappt immer
offen fte{)t, ober eine ©palte ift barin. (S§ ift gerabe, tvk
föenn ein 9ti^ in einer 2)ampfmafc£)tne möre, bie nidjt
arbeiten fann, ftieU ber ®ampf entiüei(^t unb feinen ®rutf
me[)r ausübt. 2)enn meil bie 2;riebe, elöe fie \id) anfammeln
unb bifben, in'§ ^Beinu^tfein eintreten, fönnen fie fic^ nicf)t
in ^anblnng umfe^en unb nadj au^en lüirfen. ®ie§ ift
ber n^eiblii^e ober artiftifc^e 2;t)pu§. S)iefe S[Renfc^en finb
ni(^t gro§ burc^ i^re |)anblungen, faum giebt e§ übert)aupt
eine 5(u§enluelt für fie, hit ganj burc^ bie unentberfte 5$nneu-
hielt in 5lnfprucf; genommen finb. SSorjügtid^ $DJufifer ge=
^ören ^ier£)er, 2)ic£)ter, Sdjaufpieter, alle Slrten üon Slünftler='
naturen unb Safenten, nur nid^t bie ganj ©ro^en, bie ha^
93teibenbe fc^affen. Studj @d)iiiärmer, Qbeatiften unb ^ritifer,
ttit Sttteg beffer n)iffen, ober 9Jic^t§ beffer madjen fönnen,
finb unter biefen. SJJan fann fie an<i) Uebergangä» ober
!3)ämmerung§menfd)en nennen.
5)er britte |)auptti)pu§ ift ber bie beiben früheren t)er=
einigenbe, ber mannnjeibüc^e. liefen ^t)pu§ trögt ba§
®enie. |)ier ift hie i^erbinbung jmifdjen ben beiben SBelten
102 ?(pDlfD uiib 3)iom)fo§.
burd^ eine geber geregelt. Ungeftört ge^t tie ©nttütdelung
ber Gräfte im Unterirbtfd^en üor fic|. ©inb fie aber reif,
JD lieben fie bic Mappe unb Betreten ha^ Stc^treii^. (2ie
fönnen fotool)! nad^ au^en tßk nad^ innen n)irfen. ^iefe
9Jienfd)en muffen fid^ nicE)t felbft gerftören, um ftd^ felbft 5U
fennen. «Sie broncfien nic^t beS^alb, lüeit fie triffen, auf
ha^ ^anbeln unb ©d^affen 511 öer^ic^ten. ©ie fönnen ^U"
tvdlen mit ben 9Jienf(^cn ber elften Maffe üeriuec^felt
toerben, lüie benn ha^ ©enie oud^ oft au§ primitioen Greifen
^eriiorge{)t. @ie fönnen einfad^, ja unbebentenb erfd^einen,
unb e§ fann ba§ Stnfe^en tjaben, a.B bräditen fie ta^, ©ro^e,
lt)a§ fie leiften, nur 5ufäIIig I)erüor.
gür jeben 2J?enf(^en ift ba§ @id)öffnen ber Mappe —
tüenn id§ hti bem elementaren 58ilbe bleiben barf — etlüaS
(Srtoünfd^teg, ba§ er ^erbei5ufiU)ren ftrebt: 3?aufc^ im
njeiteften ©inne, bie Ijöd^ften 9}lomente be» Seben§. ©§ ift
ha^ 2(uf(öfen be§ geften unb ©d^tueren im SWenfc^en, \ve^=
iüegen aud^ bie 58eraufd^ten, 5ßegeiflerten fid^ fo leicht fügten,
aB flögen fie. Man fönnte e§ aud^ SetuuBttoerben ober
9iomantifiren nennen, ©ine alte d^emifd^e 9?egel ^ei^t:
Corpora non agunt nisi soluta; bie Sl[d^t)miften gingen be§-
^alb barauf auö, eine ©ubftanj ju finben, bie jeben Körper
löfte: ^llfaljeft nannten fie bie§ ^tipot^etifc^e ^mittel. 5tudj
ber 3J2enfd^ luirtt nur, wenn t^a^» Unbeiou^te iti ii^m fic^
löft, fo "Qa^ er l^anbelt nad^ aufsen ober nadj innen, ©eine
SöfungSmittel fiub bor allem Sugenb, Siebe unb SBein —
bie ©riechen nannten 5)ioni)fo§ ben Söfenben — furj
SBärme. Sie fübIicE)en SSöIfer gebraurfien weniger SBein
aU bie nörblidjen, toeit bie Mappe ftd^ mit Seid)tig!eit, faft
aUjuteictit, Oon felbft öffnet. ®iefe unb bie ®äninierung§'
menfc^en, bei benen bie Mappe immer offen fte^t ober einen
9ti§ ^at — fold^e giebt e§ meljr im 3iorben — fiub bie
StpLißo unb !DiDiti)iD2. 103
^mmerberau^c^ten; ein SHfa^eft, ha^ norf; ha^n fommt, loirft
fie ganj über ben §au[en. ^u feinem ©ternbalb läfjt
Zitd ben 2ufo§ b. Serben, ben er aU fc^(ic^ten, iinermüb-
lic^ tljäticjcn, me^r fd^affenben al§ benfeiiben Tlamx fc^ilbert, nm
liebften nad) Zi'\d)t arbeiten, luenn er üom SBein erf)i^t tft;
n)ä§renb ber finnige, p^antafieüolle Sürer fagt, ba^ er im
©egentl^eil nur nüchtern malen fonne: „benn mir fteigt ber
SBetn in ben ^opf unb öerbunfelt mir ben ©ebanfen."
^unftgenu§ tüirft ni(^t auf Me löfenb. 3e seiftiger ta^
5tlfaf)eft ift, beffcn ber -njenfc^ bebarf, um ficf) fetbft ju
genießen, befto Ijö^er fte^t er. ©inft lüirb e» gan^ über»'
flüffig luerben: bann leben bie 3"funfi§nienfc^en, Oon benen
9?oöali§ fagt, ha^ fie immer ^ugleic^ luac^en unb fdjfafen
tüerben.
S)ie meiften 5Romantifer maren tueiblid^er Strt, ®ämme-
rung§menf(^en, aber fie ftrebten nacf) Harmonie, ©elbft oft
einfeitig, liefen fie hoä) nie hk (Sini^cit unb ©an^Ijeit au§
ben 2(ugen; in iljr &ihet an bie Sonne füngt bie berü{)mte
.'peraufbefc^ttJörung ber monbbegInn,')ten ^^ubernac^t ttjie eine
J)armonifc^e Begleitung einftimmiger 2)Je(obie hinein.
Snfofern al§ ba§ tt)acl^fenbe ©clbfibelDufetfein beftönbig
mit {Fragmenten, mit in ber (Juttuicflung unterbrochenen
Organismen ju tl)un i)at, bringt e§ franf^afte, derjerrte
Grfd^einungen ^eröor. 5)ie romantifc^e Literatur ift reic^
baran. t^riebrid^ ©erleget fagt fogar gerabe^u, Qcan ^aul
fte^e fo 1^0^ über 8terne, all er franf^after fei al§ biefer.
Slber t^r ^ntei^effe am ^ranff)aften n^ar nic^t etma blafirter
Ueberbrufj am ©infamen unb Schönen ober überreizte ©ud^t
nad^ bem no(^ nie ^agetoefenen, fonbern bie ©infid^t in
ba§ SBefen be§ ^ranf^aften atl <2t)mptom ber beginnenben
(Sntiuicftung, al§ ein notI)tüenbige§ Uebergang§ftabium, ha^
mit greuben begrübt luerben mu^, meil e§ bemeift, ha}^ ber
104 'ütpotto uub Siünl)io§.
^auipf, r()ne ben ber ©teg nid^t jein fann, nun boc^ im
©ange ift. S<^ ^iK einige barauf 6eäüglic£)e Semerfungen
öon 9^oöaIi§ anführen:
„^ranffieit gel^ört ^ur ^nbioibnatiiu-iutg. (5§ gilt I)ter,
löie aud^ bei ben menf(^(ic§en ©emüt^ern, gerabe ha^, \va^
in ber bitbenben Ä'un[t öon bem 2)üri)p!^orug ober bem
ßanon gitt."
„^ranffieiten jeid^nen ben 9}?enjcf)en öor ben ^jTanjen
unb 2:^ieren au§. 3iini Seiben ift ber HJtenfd) geboren.
Sitte ^'ranffjeiten gleichen ber ©ünbe barin, ha^ fie XxanS"
cenbenjen finb. Unjre ^'ranff^eiten jinb ade ^^änoncme
einer er^öljten ©enfatton, bie in p^eve ^raft iibergeiien n)ttt."
„^e nie^r ber 9JJenfd) feinen ©inn für'g Seben fünfUerifc^
au§bi(bet, befto me(}r intcreffirt iE)n aucE» bie 2)i§Ijarmonie —
niegen ber Sliiflöfung."
S)a^ e§ immer nur „tuegen ber 5(u|töfung" ift, barf nie
öergeffen loerben. Unb ttjte üerfc^ieben hk ©ntmicfhing öor
fid^ ge^en fann, geigt hc\§ S3eifpiel ber Aktionen. S3et ben
r om anif d^en S^öltern bifbet fic^ ber Stoff be§ ®efc^e£)en§
attmälig im Unbeluu^ten unb brid^t ptöt^Iid^ in fnrd)tbaren
Steüolutionen Ijeröor. 33ei ben germanifd^en SJöIfern geljt
bie ©ntiuicflung in f feineren SBettenbetoegungen, tangfamer,
juraeilen öerjraeifelt langfam, aber fie ift intereff anter,
rei(f)er unb ötel umfaffenber, befonnener. ^n ben @ng-
lönbern üereinigt fic^ bie |)ormonie unb ^raft be§ Uu'»
beraubten mit ber gülle, ^iefe unb SStelfeitigfeit be§ S8e-
rauf3ten.
®ie fd^önfte S3erf)errlid^ung ber „bunflen ®cfü[)(e" mu^
man bei SBodenrober, bem liebüc^ften, bem öerträumteflen
9iomantifer fuc^en. ©eine ^crjen^ergiefsungen eineS fünft-
liebenben ^tofterbruberl finb eine fdjraärmerifrfie SSer-
fünbtguug be§ ©laubenC^, baf; !(?*unft nict)t^ (Srlernbare^,
5()iono unb ®ionl)fo§. 105
fonbern götllid^e Gtngebiing, Djtentnriing fei. ®a§ Suc^
i[t Jüie ein§, bal lange, lange Sfllj^c in einer ßirc^e ge»
legen |at, ein ^[dterium mit golbnen unb jTammenben
Ornamenten jmifc^en ben mt)ftifcf)en (Sefäiigen unb burc^
unb.burd^ jü^ öon bem SSeitjraud^, ber e§ 6e[tnnbig um-
Jüölft l^at. 3^n ängftigte hav Sid^t, toeti er nie oödig au§
bem @d)Iafe erloac^t mar: jein ganjeS Sebeii lüar tüie ba§
Slufjd^recfen eine§ müben ©djlaferg, ber blinjelnb in'§
9JJorgenItrf)t fie^t, au§ ben umld^Iingenben 53Iumenranfen
feine§ SraumcS fidE) nid^t losreißen fann unb fict) luitlig
üon i^nen in ben ©d^Iummer jurücftocfen lä^t. „®ie SScIt^
ft)eii'en", fagt er, „finb au§ einem an fic^ löblid^en (Sifer
für bie SSat)r§eit irre gegangen; fie l^aben bie @e[)eimniffe
bc§ ^immet^ aufbecfen unb unter bie irbifc^en jDinge, in
irbifdie SBeleud^tnng fteüen luotten unb t)U bunflen ©efü^Ie
oon benfetben, mit fü^ner SSerfedjtung i&re§ 3fie(^lc§, an§
tt)rer 33ruft öerfto^en. SSermag ber fdituadje SJJenfc^ bie
(^eljeimniffe be§ §immel§ aufjufiellen? (Glaubt er üerluegen
an'» Sic^t jieljen ju fönnen, toaS ©ott mit feiner ^anb be=
bedte? 3)arf er lüot)I bie buufeln ©efii^te, luelc^e lüie öer=
pUte (Sngel ju un§ ^ernieberfteigen, t)oc^müt^ig üon fic|
föeifen? ^d) e^re fie in tiefer ^emiit^; benn eä ift grof5e
©nabe öon ßiott, baß er un§ biefe ed)ten ^fHQf" ber
SSa^rljeit ^erabgefenbet. ^ä) falte bie §änbe unb heit an."
SSeil er mit SBorten, ber Sprache be§ ^eimifetfein§, bie
buntlen ®ifü[)(e nid^t offenbaren fann, bie fo überiuöttigenb
au§ bem ©runbe feineg S^neru it)n überftrömen, ftüdjlet
er äur SJJufif. @ie fönnte iljn au§ feiner Sßebrängnifj er=
löfen. 2:er gan^e ©trom üon ©dimerj unb SBonne, ber
fi(^ au§ ben S:önen iiber ha^' luiberftanbelofe, bebenbe ^erj
ergient, roufdjt unterirbifc^ unter feiner ©prad)e.
„Unb fo erfüJine id^ mic^ benn, au;? meinem ^nnerften
106 5{poI[o imb 3)iom)fD§.
ben tütt^ren «Sinn ber Stoiifunft auSjufpred^cn unb fage:
SSenn alle bie inneren ©d^tuingungen unfrer ^erjenSfibern
— bie jitternben ber grenbe, hk flürmifd^en be§ ©ntjücfenS,
bie J)od^!top[enben ^nlfe üerjelirenber ^Inbetnng — , luenn
aHe bie ©pradEie ber SBorte, aU ba§ ß^rob ber inneren
ijerjenStunti), mit einem Stugruf jerfprengen: bann gelten
fte unter frembem ^immel, in ben ©ifiluingungen lolbfeliger
|)arfenjatten, n^ie in einem jenseitigen Seben in üerflärter
©d^ön^eit ^eröor unb feiern al§ ©ngelgeftalten ifjre 2luf=
crfte£)ung."
Unermüblid§ tönt feine n)o{)IIautenbe Slage über bie
fatten SSernünftler, bie ba§ „ftumme ©ingen, ben bermumm^
ten 3:an§ ber nnfid^tbaren ©eifter in i^rem Innern" an
ba§ Sid^t jerren tuollen; bie fid^ nid^t Begnügen, ben üer-
becften ©trom in ber Siefe i^re§ ßJemütp öon ferne
ranfd^en gu l^ören. Unermüblid^ lobt feine melobifi^e 3iinge
bie göttliche ^raft ber 9JJufif, bie un§ ha^ unenblid^e Sieb,
ha% lüir ha unten gel)ört ^aBen, auf bejauberten ©aiten
fc^öner luieber öorfingt, bi§ 5ule^t feine SKorte in S^ränen
fiel auftöfen. „?Iber ma§ ftreb' iä) S^öric^ter, bie SBorte
äu Sönen 5U jerfi^meljen? @§ ift immer nid^t, mt id^'g
fü^Ie. ^ommt, i|r S:öne, jietiet ba^er unb errettet mic| au§
biefem fd^merjlic^en irbifc^en ©treben nac| SBorten, tuidelt
mic^ ein mit euren taufenbfad^en ©tral)Ien in eure glän=
genben SBoIfen unb I}ebt mic| Ijinanf in bie alte Umarmung
be§ atlliebenben §tmmel§!"
2Bie ein feimenbe^ ^flänjc^en, ba§ unter ber tt^interlicfien
93Iätter^üae alläulange ber ©onne entjogen Umr unb nie-
mals frifc^ unb fröftig toerben tann, fe^nt er fic| immer
in ben bunfelu ©c^oB ber ©rbe. 5iber bennocö, unb oijne
biefen ^ug tnäre er fein echter Siomantiter, graut e§ i§m
gmueilen üor ber „freöelljaften Unfc^ulb, ber furchtbaren,
?(poI(ü unb ®ionij|o§. 107
orafelmä^tg-jtnetbeutigen 'Sunfel^eit" ber Wai']it. 9^arf)bem
er eine ©timp^onie in SSorten qu fid^ üorübergejanbert i)at,
fc^Ite^t er fo: „2)Qnn, luenn id) in ftn[terer Sttde noc^
lange ^orc^enö ba[i^e, bann ift mir, at§ i^ätt' icf) ein 2;raum=
gefielt ge^bt non allen mannigfaltigen menfd^Iic^en ^^(ffeften,
Jute fie, geftaltlog, ju eigener Suft, einen feltfamen, ja fo[t
nm^nfinnigen pantomimifd^en ^^anj 5U|ammen feiern, rok
fie mit einer furchtbaren SBittfür, gleich ben unbefannten,
rät^felljaften ,3aubergöttinnen be§ ©d^ictfalg, fred^ unb freOel«
]^aft burc^ einanber tanjen."
®§ ift bie leife ©eiuiffenSangft be§ Sräumer?, ber bie
l^eilige (Sriöferfraft be§ Siebtes a^nt unb e§ boc^ fliegt.
SSoriiü^ig :^at er ba§ Z^ox jum ^a\)t§ feine§ Innern auf-
geriffen, unb nun fc^iueben bie bleichen ©chatten i^m nad^,
umbrängen i§n unb tjerlangen Seben. ^ätte er fie in ta§
Sic^treic^ feine§ Seiou^tfeinS gefüfirt, fo lüären fie entineber,
n)ie man au? üielen äJiärd^en lüeiß, augenblic!(id^ jerflattert
ober in Slfc^e .verfallen, ober aber ber mächtige ©traljl ^ätte
i^re Seiber tjerftärt in Jslunft. 9^un aber, ta fie jurücf nic^t
fönnen, luerben fie in ifjrer Sobesnot!^ ju 3Sampl)ren unb fangen
ifjm bi» auf ben legten, jitternben Kröpfen 'i)a§' junge S3Iut au§.
@» ift ber ^rrt^um ber meiften mobernen ^ünftler, ha'^
fie, tueil fie if)r SBertJu^tfein mit ben ©eftalten ber Unter-
luelt äu beDöIfern begonnen ^aben, nun aul ber Oberiuelt
ein fHiid) ber ginfterni^ ju mad^en fud^en, mä^renb fie
grabe be§ Sid^teS am meiften bebürfen. ^^xt Unterwelt
entöölfert fid^, ein Schaffen im Unbeiou^ten ift für fie un-
möglich geworben, aber fie fönnten basfelbe im 93ert)u§tfein
erreichen; benn, fagt Ü^oöalil, ber ooHtommen S3efonnene
Reifet ber @ef)er. ö» ift Jua^r, baf3 fie junäc^ft burd^ bie
5lu§^ö£)Iung bei unterirbifd^en 5Reic^e§ fcf)Uianfenb itnb un-
fräftig luerben, aber burd^ S5erbreitung fünfllii^er ^unfef»
108 51^d[(o uiib 3)iDiU)iD§.
f)eit fönnen fie e§ ntc^t loteber auffüllen. Sied wax öon
biefer ©c^mäc^e, aud^ bem 33etüu^ten ben «Schein be§ Un-
Beiüu^ten auf^u^lünigen, nic^t frei. SSiele fetner ®ebt(f)te
finb in einem S?;on be§ ©tammeln§ unb 2alten§ gel^alten,
ber nic^t finblid^, fonbern albern ift. ^utfeiten mad^t e§
ben @inbrucf, al§ Ijahe er glücfticö fein aufmerffame§ 33e=
lun^tfein ^alblüegg eingefd)Iäfert unb bemiUje fic^ nun eilig,
el^e e§ luieber §u fic| fommt, fo üiel SBorte mie möglid^
^eröorsufprubeln; ober al§ fneife er bie 5(ugen 5U, um fid^
einfcilben ju fönnen, er träume. jDa» 33eftre6eu immer,
„au§ bem Snnerften 5U reben", tt)ie e§ bie 9^omantifer
unter fid^ uannten, tierfütjrt 5U Simili- Offenbarungen. 2ln
ben affeftirten gafeleien feiner 9Jac^aIjmer erfannte S;tecE
mit ©(^reden, tüot)in feine 5lrt führen founte, unb er |at
in bem ©d^lran! „2)er Stator", in ber ©cene, lüo ber S3e»
iDunberer bem 5(utor feine ßJebic^te üoviefen mitt, ein atler=
Iiebfte§ njarnenbeS S3eifpiel baüon gegeben.
5tutDr: Sie brücfen fiel) abev -furioie au§.
33en)itnbevev: (S§ mu\] immer au§ bem inuerften ©emütf) I;evaü§,
Hub oft iuitl e§ nicl)t meicl)en imb loanfen,
Oft fe^fen luo^I felbev bie ©ebanfen,
'3)a mufj man bie (Spnidje recljt bei ber SBur^el friegen,
9lU)§ bem ^nnerften iprcd)en, eö mag bred)eu ober biegen,
«So ift eö mir )d)on oft gelungen,
3u geratfjen auf treffiidje 95orftelIungen.
SBorauf er foIgenbeS 65ebic§t öorträgt:
©titte, ftiae
2Bie bie SSelle,
^n ben Seen
33Iumen ftedcn,
5(u bem 9iaube
©anfle 5Banbe,
Unb c§ flimmern
2iu ben Sd)imnu'ru
^tpoHü unb 2^toni)io§. 109
8iil5e Jone,
91 d) luie jdionci
jlomin' unb fröne
3}cein Sscilangen,
S'enu bein Santjen
Sl't fo feine
5Sie bie Sterne,
Siebe^blicfe
91 U mein ®Iücfe,
SBinben (vlammen
Sicf) jujamnieu,
®nf3 fie id)Uiammen;
9lrf) bie fd)öne 3eit,
^eit! weit!
£)b löir nun in ber 9ionmntt! balb auf ein Stulfd^luetfen
in bnnüen ®efüt)Ien treffen, balb anf SSergötterung be§
^nnftoerftanbe» unb ber Sl'ritif, ha^^ mörfite ic^ eben öor
eitlem betonen, baß ba§ 3bea( ber romantifcben 5left^etif
eine S?eretnigung üon gü^Ien unb S5?iffen irar. ®a§ luiff
auc^ bie lange Srflärung ^riebricf) ©c^Iegel'g fagen, üon
berief nur ben 5(nfang |ier anführen njill:
„Si^ie romantifdie ^oefie i[t eine progreffioe Unioerfaf-
poefie. St)re Seftinimung ift nid^t bloB, alle getrennten
Gattungen ber ^oefie tüieber 5U vereinigen unb bie ^oefie
mit ber ^t)iIofop^ie unb 9töetorif in $8erü^rung ju fegen.
Sie toid unb fotl auc^ ^oefie unb ^rofa, (Genialität unb
Slritif, ßunftpoefie unb Siaturpoefie batb öermifcfien, balb
oerfd)me(5en."
S)a§ SBort „romantifiren", ha^ befonber§ bei 91oüati§
I)dufig oorfommt, !ann man gunjetfen burd^ „Seluu^tmerben"
ober „SelüuBtmad^en", balb burd) „Unberou^tiücrben", „Un»
beipufetmac^en" überfegen. ?(u§ ber ^^üUe ber biefe 2Infid)t
beleuc^tenben 5lp^ori§meu fann td^ nid)t unterlaffen, nocf)
einige ^ier jufammenjuftellen.
110 5lpo[Io unb SionljfoS.
„®ente tft jtüar ntd^t @ac^c ber Sßillfür, ober bod^ ber
grei^ett, tüte 2Bi^, Siebe unb ©lauben, bie einft fünfte
unb 2i3iffenj(f)a[ten luerben muffen. SJian fod Hon ^eiin'
mann ©enie forbetn, aber ot)ne e§ 5U ertüarten. @tn
Kantianer iDürbe bie§ ben fategorifd^en Smperatiö, bie
Genialität nennen."
„Sn jebem guten Öiebicfit muß Me§ 5lbfic^t unb me^
Snftinft fein. S)aburc^ h)irb e§ ibealifc|."
„®ie ganje ÖJefc^icJ)te ber mobernen ^oefie ift ein fort*
laufenber Kommentar gu bem furjen Segte ber ^§iIofop§te:
atte ^unft foll SBiffenfc^oft unb alle Söiffenfc^aft fott ^unft
werben; ^oefie unb ^()iIofD^f)ie foüen geeinigt fein."
„S)ur(f) ^unft allein tüirb ber SJlenfi^en 5U einer teeren
gorm; burc^ 5)Jatur allein luiib er toilb unb liebloS."
„®a§ 33orrecl)t ber Statur ift gülle unb Seben; ba§
SSorrerfit ber ^unft ift (Sinl)eit."
„9f{eine Siebe ift fc^lec§t|in arm; alle t^re gülle ift eine
(Bäht ber 9iatur. Steine 9iatur ift nichts cl§ gütte; alle
|)armonie ift ein (S^efc^enf ber Siebe, ^^reunblic^ begegnen
fi(f) i^re beiben Unenblid^fetten unb bilben ein neue§ ©anjeg,
n:)elc^e§ aU bie ^rone be§ Seben§ greifieit unb ©d^icffal
bereinigt."
liefen 2Iu§fprüc^en üon ^yriebric^ Sc^tegel füge ic^ noc^
einige Oon 3ftoüaIi§ ^in§u:
„®ie Statur tüirb moralifd) fein, tüenn fie au§ echter
Siebe jur ^unft fie| ber ^unft t)ingiebt, t|ut, lüo§ bie
S?unft tüitt, bie i^unft, hjenn fie au§ ed;ter Siebe 5ur 9Jatur
für bie 9^atur lebt unb mit ber 5Katur arbeitet. SSetbe
muffen e§ jugleic^ au§ eigner 2öal)I, um i^rer felbft tüiHen,
unb au§ frember 2Bal)l, um be§ Slnbern tüillen tl)un. @ie
muffen in fic^ felbft mit bem Slnbern unb mit fic^ felbft
im Slnbern gufammentreffen."
9lpoI(o unb ®iomjfo§. 111
„^iae§ Unlinnfürtic^e fort in 2öt(lfürltc^e§ geluanbea
lücrben."
„®te 2:rennung üon ^£)tIo[oprj unb 5)i(f|ter ift nur
fd^einbar unb jum !:)tad)t^etl fieiber. (£» ift ein ^eic^en einer
^ranf^eit unb franff)aften (Sonftitution."
„Se^t ift bcr ©eift au§ Snftinft ÖJet[t, ein D^aturgeift,
er foH ein 5öernunftgeift, au§ ^efünnenl)eit unb burc^ ßunft
®ei[t fein."
Unter biefem ©ebantenf^ftem ^at ^^i^iebri^ @(i)(egel in
feinem bebeutenbften SuS^nbluerf, über ba§ ©tubium ber
griecf)if(^en ^oefie, bie antife unb moberne ^unft in i^ren
Unterfc^ieben betrad^tet. @r bebient fic^, um ta^ Unbelüu§te
unb 33eir)u§te ju bejeic^nen, geiüö^ntic^ ber 5lu§brüc!e Srieb
unb Slbfic^t, julpeilen and; für Srieb be§ fpäter burd^
(Sd^open^auer geläufig gelüorbenen äöilTen. ©c^on Qafob
S8ö^me nannte ben organifc^ luirfenben ^rieb SSitten unb
leitete ha§ Söort ah üon bem Stallen bei immer fc^iuangeren
@eifte§, beffen t^unftion e§ fei, bie innere ©eburtägeftatt
mit unb in feinem Seibe barjuftellen. Xie antife ^^^oefie
nun, fagt ©d^Iegel, fei eine «Schöpfung be§ Sriebel, hie
mobeine eine ©(^öpfung ber Slbfic^t. 2Ba§ ber S;rieb
^eröorbringt, prangt in organifc^er S3of(enbung unb ?}ülle;
e§ fei baran nid6t§ ju tabcht, luie jebe ^ftanje in i|rer
5(rt ift e» fc^ön. 5Jiid^t genug fann ©d^Iegef hit reijenbe,
feiige SSoUfommen^eit jener 9laturfunft rühmen, hit hnxä)
bie „d^^mifd^en Serfuc^e" be§ SSerftanbe*, fein nnUfürlicEiel
©d^eiben unb SJJifc^en, nur 5errüttet mirb. 5lber nid^t§-
beftoiueniger n^enbete er fid^ gegen ta^ allgemeine S3orurt(ieit,
el fei bie ^unft nic^t§ aU eine grüi^tingSbtüt^e ber ^Jfenfd^"
^eit, beftimmt, ju blühen, 5U reifen unb ju roetfen, nichts
aU ber unmillfürlid^e (Srgu^ eine» leibenfd^aftlii^en ^erjenS
ober eine§ unbeluu^ten 9Jaturmenf(fjen, nid^tS aU ein fü^er
112 ?().->onD unb Sioni)iD§.
^inbertraiim, ber im Sichte ber 23ilbung unb SBiffenfc^aften
jerflie^en muffe, ^k ^unft §tnar, bte ber unbeitnt^te 2:rteb
fieroorbringt, öergel^t tute jebe S3ilbung ber 9Zatur; afcer e§
gtebt eine anbre, luelc^e einen fe^enben gü^rer f^at „@o
iine e§ eine ^oefie giei)t", fagt Saaber, „W a^nenb unb
träumenb bem ©ebanfen öorange^t, fo giebt e§ eine beffere
^oefie, lüeld^e bem flaren ©ebanfen fiel gugefeHenb, i^m
bienenb folgt." e^ür btefe luerbenbe ^oefie, bie ha^ SSc»
tuu^tfein, tangfam ^toax unb auf ^rrlüegen, ber SSeröott*
fommnung entgegenfü^rt, giebt e§ ben ^Jatur^iüang be§
©intens unb 53erge^en§ nid^t, tüdi e§ feine ©c^ranfen be§
?5ortfd;rttt§, ber SBeiterentroirflung für fie giebt. ^n @oet§e'§
Grfc^einung erblicfte ©erleget eine S3ürgfd§aft, ha'^ bie burd^
ba§ 33eiüuBtfein öerlorene @(f)ön]^ett mit 33en)u§tfein lüieber"
gewonnen werben tonne, unb jtüar aU eine untiergänglic^e.
tiefer SlbIer = Dptimt§mu§ mit ber 2)et)ife ,,Asrondam"
mai^t bie Siomantit fo etüig jung unb l^errlic^. Sie
ätt)eifelten nidft, ba^ fie, tüenn auc§ ^unbert Tlai gebtenbet
unb gelähmt, ein Tlat ba§ Slntli^ ber ©onne berühren
lüürben. Unerfcfiütterlicf) mar ii)x ©taube, ba§ alle ®e-
fpenfter unb ©c^reden ber SJiitternac^t fid^ im ^age?Iic£|te
in fc^öne 2Birt(ict)!eit oeripanbeln müßten, ha^ jeber ©d^merj
be§ £eben§ nur auf einer ^'äufc^ung be§ nod^ umflorten
3tuge§ beruhe. Sie moberne ^I^antafie benft fic| it)re
Siebter nic^t blinb, loie bie bitten ben |)Dmer unb 2)emo=
bofog. ©c^tegel erinätint, e§ fei nad^ ^inbor eine alte
©age, „ta'^ ber Sid^tcr, n)enn er auf bem ©reifufe ber
S)Jufen fi^e, nid^t bn ©innen fei, fonbern mte eine Cuelle
aUeS ^itftrömenbe lüittig öon feinen Sippen ffie^en taffe."
©emotrit foll bie befonnenen 5)ic|ter bom ^arna^ üerbannt
laben. Unb fc^tie^tid) fagt ber platonifd^e ©otrateS im
^^t)äbro§: „2öer fid) aber o^ne 9iaferei ber SOiufeu ber
9(|5o((o uiib 5?toni)io§. 113
Pforte ber ^oefie nähert, in ber 9JJetnung, bte ^unft atlein
fönne if)n fc^on jum Siebter machen, ber bleibt unüottftäubig
unb gelangt nidjt in'^ ^etligttjum; er unb bie ^oefie be§
S^üc^ternen finb nid^t» gegen hie ^oefie be§ Üiafenben." 2tm
ou§brü(IIic^[ten öerrät§ hk Sliiffaffiing ber (Sriec^en bie
(Sage, bn^ ^uno ben Seirefia§ blinb mad^te, ei^e fie i|m
bie @abe ber 2Bei[[agung öerliet> 2Barnm hk^? ®a§
Setüu^tfein, ba§ bem gried^ifd^en Siebter tieri)ü(It tüerben
mu^te, luenn er fingen joHte, tuar onberS aU bn§ unfrige.
(5§ mar nur öon ber äußern SSelt erfüllt. @r richtet fein
Singe fo unüeriüanbt auf biefe, bafj e§ ifem geiüaltfam nad^
innen gefe^rt Uierben mu§, bamit c§ bie ^tvdk §älfte ber
SSelt, bie innere, loa^rnimmt. S)er moberne Wm\d), in /
beffen SeiüuBtfein ba» Unbemu^te fic| aufjuröfen beginnt, ■
ift üon 9?atur ber biDnt)fifc^e; aud^ nüd^tern eiütg berauf d^t
üon ben betäubenben 2)ünften, hk burc^ bie ©palte c^x^
bem '^QxÜQvdtWti be§ (Srbinnern auffteigenb fein ^oupt um-
fd)n?eben. @r mu§ ^porio anrufen, ho!^ bie ßlar^eit be§
(Sonnengottes fein üertnorrene^^ Stammeln orbne. (Sine
SelSptatte bebedte bie oerfiängni^ooUe Spalte im Innern
bc§ antifen SJ^enfd^en; ungetrübte Sid^t^eÜe ^errfcfite in
feinem opoHinifi^en Raupte. (Sr mu^te 5U ^iont)fo§
flcl^en, ba^ er mit ber traft feine§ ®ötterrauf(^e§ ben
(Stein föegiüätäte unb bie fefte ©rbe erfd^ütterte, \^\% bie
magifd^e ®eburt fid^ au§ i^rem Sc^oo^e löfte unb nac^
oben ftieg.
®a§ 2Ber! eine§ biont)ftfc^en ®ic^ter§ tuirb ftd^ burd^
(Stimmung, SReic^t^um unb güUe auS^eid^nen, aber föäj^renb
man fid^ im Sefen an taufenb Sinjel^citen erfreut, toirb
man am önbe n^unberlid^ enttäufc^t fein; gegen ba§ ©anje
hJtrb fid^ ber etiuaige Sabel richten. %tx apoHtnifc^e SDic^ter
ift ärmer unb fälter, aber er ^at bie gorm in fetner ©e-»
jQuc^, Siomantifcr. 8
114 St^oHo unb 2)ionl)fo§.
toali, unb beS^alb tüirb fein 2Ber! bie ^terjen im erften
Slugenblid Jüentger ent^ünben, aber e§ Jüirb leben unb
bauern. ®te gorm t[t ba§ Drgantfc^e unb n^irb au§ bem
UnbeiDU^ten |erau§ gefd^affen, bie feinste SSitbung unb güHe
be§ ®eifle§ fann fie nid^t geben; ber Körper mit^ au§ bem
^ör|3erli(f)en geboren tüerben. ^n ber @l)mboIif ber griec^i»»
fd^en 9)Zl)t!§oIt)gie bebeutete 5Ipolto W CSin^eit, ®iDnl)fo§
bie $ßieli)eit.
^n ben füblii^en Sänbern folgen Xüq unb S^ac^t einanber
o^ne Uebergang. 5lm Steige ^errfd^t befpotifc^ bie un»
gemilberte ©onne, erft in ber 9kdE)t roagt fid^ ba§ Seben
^eroor, S^^iere unb 9J?enf(f)en breiten il^r ©emütf) öertrauen§=
üoU gegen ben üerbunfelten ^immel au§. Sn ben nörb»
lid^eren breiten giebt e§ ga^Kofe Uebergänge. Unb felbft
im I)ei|eften ©ommer ift ber %aQ bod^ bie ^eit be§ 5lr=
beiten§ unb 2Sad£)ene, ber ©d^Iaf fäUt immer in bie S^ac^t.
®er Sag fd^miljt allmälig in bie 'tflad^t iiinüber, bie 9cac^t
in ben %aQ. ^n unfern S)ämmerung§träumen !önnen tt)ir
a^nen, toie e§ fein mag, toenn toir einft, lüie 9ioüaIi§ fagt,
immer gugletc^ fd^Iafen unb load^en. SSer bie norbifd^e
Sommernacht fennt, Juo fid^ gtuei Wttxe oon ©onnenfd^ein
unb 9}?onbfd^ein gegenübernpogen, ol^ne ha^ ein§ im anbern
erlifc^t, fann fid^ OielteidC)t nod^ ein beffere§ SSilb öon biefem
9}Jt)fterium mad^en.
S)aä 3iüie(id)t ift e§, ha^ ben 3^orben jur ^eimat ber
3flomantif mad^t. Unb bie ®efat)r be§ mobernen ^ünftlerg
liegt barin, bo^ er, öon ber Dämmerung t)er5ärtelt, ben
Sag ni(^t me^r ertragen fann. (Sr öergi^t, ba^ rüftigeS
©d^affen nur am Soge möglid^ ift. ^tniiier ftärfung§=
bebürftig fd^lie^t er oor bem Sage bie 5(ugen im 5S3a()ne,
't)a^ bann 3^ac^t fei. 9lber bie baIfomif(^en Duellen be§
©ternen^immel§ betrauen i^n nid;t; fd^Iaff unb ücrbroffen
9(pD[(o nnb '4)iüm)io§. 115
crmac^t er au§ feiner tünftlid^en ytac^t unb finbet fic^ un-
fähiger aU giioor.
SBie hu 9Jad^t S^röfterin unb jugleid^ Sntfe^en ber
SJienfd^en ift, fo ift e^ mit bem Unbenju^ten. 2)al Un-
beuui^te ift ha§ ©ämonifc^e. SlJJan fann einen Haffifc^en
unb einen mobernen 2)ämDnilmu» unterf (Reiben: ber belDuf5te
9}Jenfd^ ift bämonif^, menn ba§ Unbelru^te in i^m erfd^eint,
ber unbeiDu^te, lüenn e» in il^m tüixlt. (Seluö^nUd^ nennt
man nur ben erfteren bämonifd^, in bem ha^ öerfunfene
9x{)eingoIb, ba§ Bei anbern SJJenfc^en ungefe^en in ber
unjugänglic^en 5;iefe ru§t, beftänbig in fcfiiuebenber, fc^man-
fenber 53eiuegung nac^ oben ift, fo baf3 ein bunte» Sli^en,
glimmern unb gunfeln üon (Söelfteinen burcö ha^ tüedifelnbe
©elüäffer ber Seele gucft; benn ha^^ bämonifd^e SBefen ber
naiöeren SD^enfd^en tüirb nid^t erfannt, bi§ einmal au§ itjrem
immer ru|eootIen, fpiegelglatten ®emüt[)e unoorbereitet, un-
geaJint eine befeligenbe ober öernic^tenbe S^^at fpringt, tüie
au§ bem fc^Iummernben SJJärc^enfee, Joenn bie ©eifterftunbe
gefommen ift, ber fd^leierlofe 2eib ber S^üje glängenb ^er-
öorfteigt,
2lu§ ber SSec^feltüirfung jlpiff^en bem 33eiüu^tcn unb
UnbettJuBten entf:prtngt bie 9}iagie. 9iein t^eoretifc^, burd^
bie ftürmifd^e donfequeng feine§ ©enfenl, beftimmte 5RoöaIi§
ba§, tüa§ wir je^t aU |)t)pnoti§mu§ fennen. 2)a§ ^Se«
^errfc^trterben be§ UniuiUfürli^en burc^ ba§ Semu^te n^ar
fein Xogma. 5(ud^ ber belou^te ©eift be§ SFJenfc^en I)at
feine förperlic^e @rfd^einung§form, bn§ Serebralft)flem, aber
fein 25?irfen ift nic|t an förperlid^e SSermittfung gebunben,
fonbern fprtngt über, n)ie ein eleftrifc^er gunfe, auf anbre
©eifter. „Mk geiftige 33erü|rung gleid^t ber S8erüf)rung
cine§ 3aut)erftabe». 9lIIe§ fann jum ^fluberiuerfseug werben."
23aaber fü^rt einmal aU Ciitat au§ einem „übrigen^ :|3offir-
8-^
116 5{|3ono imb ®tom}iD§.
lid^en ©(^riflftclter" bte[e merfmürbtgen SSorte an: ha%
tvex nur t)e§ ®etj"ie§ genug in fic^ ^ätte, nm i^n ouc^ in
frembe Sei6er jpebiren gu fönnen, biefe Seiber öon innen
I)erau» bemegen lüürbe, iDte feinen eigenen. — 2Ba§ ie|t
erfüllt ift, fe^te 3ioüaIi§ aB logifd^ not^tuenbig öorauS nnb
folgerte tueiter, ha^ nid^t§ aU unfre eigene ©(^luäc^e nnb
Unfertigfeit biefer SBirffamfeit be§ ®eifte§ auf bie 9Jatur
eine «Scfjranfe fe|e. ^od) fönnen mir meber unfre eigene
©omnambule, norf) bie ber Slnbern, nod^ bie eine gro^e
(Somnambule Statur ööUig magnetifiren; aber er meiffagt
eine ^eriobe ber 3JJagie, n^o ber Körper ber ©eele ober ber
©eifteriüelt bienen loerbe. „^er p^ijfifcfie 9)?agu§ n)ei§ hit
^ainx §u befcelen nnb iDittüirltd^ loie feinen Setb ju be-
^anbeln." 21I§ folc^en a«agu§ fc^ilbert bie Sßlbel ©ott,
ber fpradfi: e§ njerbe Sidfit! unb e§ iparb Sid^t. SDaS !ommt
einem in ben «Sinn, menn man bie merfiuürbige ^oü^ üon
3^oOaI{§ lieft: „(S^efä^rlti^e ©ebanfen. ^^iä^ern fid^ ettua
manche ©ebanfen ber magifd^en (Strenge? SSerben manche
de facto UJO^r?" ®elüt§ £)at e§ ^eber fd^on in ftd^ erlebt,
ha'^ er irgenb einen bunüen auftau(^enben ©ebanfen rafd^
erbrücfte in bem plö|lid^en, ma^nfinnigen 2lngftgefü(}(, er
!önnte mit ein§ tuirflic^ werben.
Sa nun ber ®eift fo nnab!^ängig üom Körper ift ober
ein lann, fo mu^ er aud^ unob^ängig öon i§m leben unb
erfc^einen fönnen. SSenn er in ein frembcg 58en)U§tfein
überget)t unb öon bort au§ einen fremben Körper regiert,
erfdieint er ja gelriff ermaßen fd^on in biefem; man ^at oft
beobachtet, ba^ Tlaim unb grau, bie ja, iDenn fie in inniger
©eelengemeinfdfiaft leben, fic^ gegenfeitig ^l^pnotifiren, einanber
ä^nlid; merben. ^ann er atfo fic^ in einem fremben menfdfi=
lid^en Körper materialifiren, lüie hit jetügen ©piritiften e§
nennen, fo barf man bie Folgerung nic^t au^f^Iie^en, bafs
Sf^joHo itnb SDionijioS. 117
er e§ in jebem beliebigen (Stoffe gu tijim fä()ig fei. ^te§
etwa mag ber ©ebanfeiigang 3loüali6' geiuefen fein, aB er
golgenbeg nieberfc^rieb: „®a§ unHfürIid;fte 5Sorurtfjeit ift,
M^ beut 9}?enfc^en boo SSermögen, aufeer fid^ ju fein, mit
iöelun^tfein jenfeit» ber (Sinne ju fein, öerfagt fei. ®er
93Jenfc§ öermag in jebent Stugenblicf ein überfinnli(^e§ Söefen
ju fein. D^ne ta^ tuäre er nid^t SBettbürger, er umre ein
Sfiier. greilicl ift bie S3efDnnen()eit, Sid^fdbftfinbung in
biefem ^uftanbe fe^r fd^iüer, 'öa er fo unauf^örli^, fo not^*
n^enbtg mit bem SBec^fel unfrer übrigen ^uflänbe berbunben
ift." — „SDie ©eifteriüelt ift nn§ in ber S^at fcfion auf"
gefi^Ioffen, fie ift immer offenbar! SSürben loir plö^Iic^
fo elaftifd^, üU e§ nöt^ig märe, fo fällen luir un§ mitten
in ii^r. Unfer je^iger mcingel£)after ^uft^nb ma^t immer
eine ^cilmetl^obe nöti^ig, fie beftanb eljema(§ in gaften unb
moraüfd^en Steinigungen, je|t märe dielleic|t bie ftärfenbe
äJJet^obe nötJ)ig." 5)a§ ()ei§t: et)emal§ mu^te man ha§
llnberou^te bämpfen unb ba§ Semu^tfcin ^eben, fe^t, tnie
ha§ S3emu§tfein fid^ burc^ Stufna^mc be§ Unbeiuu^ten unb
auf feine Sloften erweitert Ijat, mü§te man umgeW;rt oer=
fahren.
(So traten bie Stomantifer bie erften Sd^Iäge an bie
^Pforte Der ©eifterföelt, an^ lüelc^er balb ha^ unheimliche
9iad^tüolf in ©c^aaren lerborftrömen fotite. 2)ie güfjrer
maren nic^t fc^ulb an ben SSerirrungen unb SRiBöerftänb^
ntffen ifjrer jünger; fte fonberten gmar SJatur unb ®eift,
aber fo ei-trem fie auc^ it)re 5lbftra!tionen bcrfolgten, be*
hielten fie hod) i|re (£ini)eit im Sinne unb modten nie ta^
(Sine o^ne ba§ 2tnbre.
9)Jan fann fi^ bie »Stabien be§ Seiou^tfeinS an einem
matt)ematifd^en Silbe flarmadien. 2)er £rei§ mu^ un^ bie
üollftänbige Unbemu^tEiett öorfteUen, lüo bie beiben ^lälften
118 5t|3one unb ®toni)Jo§.
be§ ^d) nod^ unsertrennt finb: ber ^rei§ tft eine GCttpfe,
in ber bie betben Srenn|3un!te jufammenf allen. S)te @IItpfe
ttiäre bann bie gorm be§ üoHenbeten @elbftbeli)u^tfein§, mo
jeber ©tra^I, ber bon bem einen @ee(enbrenn^unft auSgel}!,
nad^ bem anbern refleftirt tütrb. Slu§ ber ©ttipfe aber
h)irb, njenn man hu 2)urci^fc^nitt§ebene be§ Greife? jo bre|t,
ba^ fie fetner ©ettenlüanb |)arallel tüirb, bie ^arabel, ba§
t)et^t, ber eine 33rennpunft rüdt in'§ Unenblii^e, bie un=
bemühte (Seele bereinigt \iä) mit ber 9Jatur. S)a§ !önnte
man ba§ Mbeföu^tfein nennen. Seber ^unft ber Unenb-
lic^teit ift SSrennpunft für ba§ ^ä) gelt)orben; fein @traf)I
gel)t bom Unenbli(^en aü§>, feiner bom ^d), ber ni(^t nac^
^ier unb bort refleftirt ibürbe. Sre^en mx bie Sbene nun
nbd^ tüetter, bi§ mir luieber beim Jllreife angelangt luören, fo
I)ätten ibir ein 58ilb be§ romantifirten UniberfumS, be§ be-
wußten ßf)ao§.
Scr vomauti)c()c (ii}avaUn\
SBJct etiDQ§ UneiiB(tcfic§ \mü, ber lueift
tücf)t, luaä er luiU; aber umfcßrcn läfet
ftd) Blcier ©qI> iiicfjt.
Öriebr. ©^(egelj^
C wie iued)ielnb ift
S)Dd) mein ©emütf), jo luanbelbav ueränbevlid)
3l"t nid)t§ mef)r in ber weiten Söelt: beim balb
SBin id) fo glüdlid), jo uon ^erjen Ixot),
<Bo in mir felber groß, ba)! id) mit g-red)f)ett
Sie Steine pflüden mi3d)te unb mie Slitmen
3um Ätanje für mein 4'>flupt jujammenjledjtcn.
©in Stugenblid, jo med)jelt bieie g-lut^,
Sie tritt äurüd nnb mad)t bav Ufer nadt,
Unb ärm(id) büntt mir bann mein gauseS ^nn're.
S)aun tonnt tc^ mit bem 33ettler taufd)en, jterben,
Sn fenie, nie befudite ^LUjIen tried)en,
^n ewiger 33etrad)tung meine§ ^"'"'"ei'3
©in Iange§, qualenuoüey ilibtn fd)madjten.
®ann jef)' id) i()ren 33Iid, ein i!äd)eln grü^t
S)cn eingefrümmten ®ei[t, unb 5(l(e§ ift
SBergeffen, mir ge()i3rt bie ganje 5BeIt.
®a§ ift ber romantifc^e ß^arafter, lüte er träumertfd^,
bie 2(ugen in ben SBoIfen, burd^ bie SBerfe ^iecf'g unb
feiner ©efö^rten icanbert, i§r eigener Doppelgänger; ber
belüu^tlüerbenbe, ber moberne, in bem (Steift unb ^atux, t)on
einanber geriffen, ficö immer iuieber berühren unb 5U Oer^»
mifc^en ftreben, um Ijeftiger aug einanber ^u fliegen; ber
"ba^ ftarfe S3anb nic^t ^at, ba§ fie trennt foiuoi)! luie der»
einigt. 2Ba§ i^m fetjlt, ift (S^arafter unb Harmonie, aber
120 ®ei-" i"omantiid)e Gf;avafter.
er Ijat, luenn man ben 23erü^rung«puuft be§ Unbetuu^ten
unb 58elüu§ten fo nennen barf, ©eele. (5r ^at einen
Körper, in bem ha^ an^gelaffene ^erj Balb gu gefi^iuinbe,
balb äu träge üopft, ein ©efidEit, nu» bem un§ fnc^enbe,
a^nenbe fingen öolf ®e|eimnt§ anfet^en.
2)er 2(u§fpruc^ 5riebric§ ©c^Iegel'l: „5n?on nennt ötete
Kün[tter, bie etgentttc^ Kun[tlüer!e ber 9ktur finb", tft auf
tit meiften Stomantüer anjutüenben; Ujeil [ie feI6[t im
«Strome be§ ©eftattetmerbenS flutteten, tonnten fie nic^t
geftalten unb lüollteu e§ bod^, rvtii fie beffer aU ein
gertiger tunkten, vok e§ babei jugel^t. ©ä tft erftaunlic^,
i,-' bi§ 5U ttjeld^em ©rabe e§ S:iecf mißlang, 9)ienfd^en gu
fd^affen. ®ie unjäi^Iigen ^erfonen, bie in feinen $8üc§ern
auftreten, finb nid}t§ aU bunte Figuren einer Lateina
magica, bte, auf eine SBanb geluorfen, marionettenortig mit
judenben iöeluegungen an bem ^Befc^auer üorübergleiten.
(Sie fpringen in erftaunlic^er güHe, mü§elD§, au§ feinem
^Dpfe; eben Jueil e§ nur lopfgeburten finb, o^ne gleifd^
unb Sein, „(gg gtebt älüei 5lrten, SJJenfd^en ju fc^ilbern",
fogt 9bbati§, „bie poetifd^e unb bie lüiffenfd^aftltd^e. S^ne
gibt un§ einen burd^aug inbiüibnellen Quq — ex ungue
leonem — , biefe bebucirt doKftänbig." Xkd'§> 5lrt ift hk
luiffenfd^aftlidfie, unb infofern ^aben feine äRenfd^en ein un=
enblicf^ea ^ntereffe. Tlan mu§ il^nen bie aufgelebten (Stt-
quetten abreißen unb fie aUefammt Sublyig 3:iecE nennen;
benn in 2öal)r£)eit finb fie nur Srec^ungen biefe§ einen
Stra^Ieg. SIu(^ finb tnir i[)m für feine Strt §u fdjilbern
bantbar; benn e§ märe fc^abe, einer fo Üinftlid^en Spielul^r,
U)ie e§ ber romantifd^e GfjaraÜer ift, nur jusupren unb fie
tiid^t auc§ einmat aufäumatf)en unb im Snnern arbeiten ju
fet)en — voir ce qn'il y a dodans, fagle ein Keiner Sunge,
e§e er fein Spieljeug gerbrad^.
S)er romantifcf)e (5f)arafter. 121
Sn bem i)armDni[cf;en SOJenfd^en enttütdeln fid^ bie beiben
SöefenSljälften, 2JJann iinb 2Beib, Xljter unb ©ngel, glcic^«'
mä^ig, fobafj fie in guter Slanierabfc|aft neben einnnber aiig«
I)alten Bnnen, liue bte alten germantfc^en |)etbengötter nie
o|ne ein eble§ S|ier erjc^ienen, ba§ {I)nen gemö^ mar; ber
romantifrfie 9)?enf(^ tjt eine ^erfonificirte unglücEIid^e (S^e
unb 9Jii§l)eirat() , geipöljnltd^ be»uiegen, lueil bie grau fic^
bem 9J?anne überlegen füljü, mauc^mat audj tueil jie i^m
ni(f)t geiüa(f)fen ift, unb ringt ni{^t in i()m unterjugeljen,
ober benn, i)a^ fie \i(S) nun einmal nid^t üerfteiien fönnen:
gegenfeitige unüberiüinblid^e 5Ibnetgung. Slber bie @;^e be§
9J?enfd)en mit fid^ felbft ift luirflic^ ein (Saframent, unauf«=
U^üä), 5um Swtde gegenfeitiger (Srgielung, eine oft qual*
üoHe 33iIbung§fcE)ute. 9Jieiften§ ift ber Üicmantifer ber
tüerbenbe (Suget, ber bie 9}?enfcE)ti(f|feit ^a^t, bie i()n noc^
mit ber ®rbe öerbinbet. SSie ba§ unglürfüd^e Dpfer ben
Sei(^nam, mit bem fein Reiniger e§ jufammengebunben Ijat,
um bie S^obelqual gu öerfdjärfen, möchte ber ^nteüeft ben
SBiften bem fic^ fto^en, ber bcd) ber feinige ift: „@in (Suget
barf, ein 9}'ienfc^ mag ic^ nid^t fein, nur bie ^öde bleibt
bem Unbef riebigten übrig", biefer S3er§njeiflung§fd^ret auö
%kd'§ ^Ibbatla^ ift ba§ 2;[}ema enbIo§ )D^antafirenber flogen.
„D ba^ id^ mid^ ftürjen fönnte in ha§ SJJeer ber un=
erme^üd^en @öttlid^feit! ®iefe taufenbfad)en ©c^ä|e in
meinen Sufen f äugen! Slönnt' id^ fie feffeln unb eluig tvaä)
erl)atten in metner Sriift, biefe göttlichen (Sefü^te, bie ie^t
burcE) meine ©eele §ittern! 5tdE) ha'^ ber ©efang bur(^ bie
Saute raufd)t unb nad)^er üerftummt! ^ä) ^öre ha§> ^od^en
meines ungebulbigen ©eifteä: luag ift biefe unnennbare,
unauSfüHbare Seere, hk mid) ftet§ im ©eniiffe fo !alt unb
tobt ergreift? ©in frembe» ©treben ringt mit meiner
SBegeiftcrung unb lüirft fie nieber. ^d) fd£)iuinble auf ber
122 2^ei' vomanttfc^e 6t)ara{ter.
greiibe I)öc^ftem ©ipfel unb ftürge in ben ©taub betäubt
5urücf."
„D ha'^ ber 9}ienfcl^ in feinem S3u[en einen unöerfö^n-
Ii{|en geinb mit fic^ i)erumtragen mu^, ber i^n unabläffig
quäft! S)a^ ha§ ^eillofe drängen imjrer ©eele, ba§
©treben gegen hk Unmöglid^feit un§ ben ®enu^ unfrei
®a[ein§ raubt unb un§ gegen un§ felbft üerberblid^e Söoffen
in bic §anb giebt!"
„SDie Seele ftei)t tief |inab in einem bunfeln ®ett)ölbe
in einem bunfeln ^intergrunbe unb lebt im tueiten ©ebäube
für fid^, lüie ein eingeferferter Gngel; fie ^ängt mit bem
^ör^er unb feinen öielfac^en 2;^eilen ebenfotüenig jufammen,
h)ie ber SSerbred^er mit ber ©tabt, in ber er gefangen ft^t.
— — 2Bo§ fann ic^ alfo für meine ©eele t{)un, bie n)ie
ein unaufgelöfte§ ^Röt^fel in mir h?D()nt? ®ie bem f{dit=>
baren SDienfc^en bie größte SBiUfür lä^t, n^eil fie i§n ouf
feine SBeife befjerrfc^en fann?"
Mit einem anbern Silbe, ba§ baSfelbe bebeutet, ^örte
tc^ S^manb feine S^iatur mit einem n)ilben ^ferbe öer-
gleid^en, ba§ fein @eift nid^t bänbtgen unb lenfen fönne."
©d^Iii^ter al§ Sied, aber finblid^ rü£)renber erjä^tt
SBadenrober, wie fein ^afob 33erglinger an biefer 9JiiB=
I)eIIig!eit ^u ©runbe ge§t; wk e§ i^n anftiibert, bie Seute
auf ber ©tra^e fd^lüa^cn unb lad^en ju feigen, toenn er in
überfinnlid^em (5nt§iifia§mu§ au§ bem ßoncerte fommt, unb
luie er fid^ bonn üor fid^ f eiber fd^ämt, wenn er e§ fid^
beim (äffen, im Greife alltägtic^er S3efannter, tuo^Ifd^metfen
tö^t. (Sin unauf^örlid^er Äam^f, nur unterbrodEien burd^
erzwungene, äu^erlid^e SSerf5|nungen.
3Iud^ Sf^oüaliS' (Sieift fd)Wang fid^ oft ^od^ über feine
Statur empor, aber er fe{)rte immer gern unb freunblid^ 5U
i^r gurüd. (£^ war eine Siebe, ntd^t wie bie ber ^eiligen
Ser romantifc^e Sfiara!ter. 123
^aare be» 93ZttteIaIter§, bie ©ott gelobt Ijatten, fic^ niemal§
gu berüfjren, fonbern eine fold&e, beren Setbenfcf)aft 511 einer
reinen glamme oer!(ärt tvax: ebenfo lüilltg ju ^uB unb
Umarmung, lüie ju 2;rennung unb Sfjätigfeit, ec^te 5i^ei()eit.
Stnberä i[t e§, luenn ber ^ntetteft fid) bem Söillen ^ingiebt,
ben er im ©tiden fürchtet unb '^a'^t Um bie geheime 2lb*
neigung §u betäuben, unfähig, bem finnlidjen 9teij ju tüiber»
[teilen, ftür5t er fid^ blinbling§ in fc^melgerii'c^e§ ©enteren,
bi§ 5ur (grfd^öpfung unb Zerrüttung. 9^ic§t (S^e ift e§,
Jonbern S3ut)If(^aft, unb alle golgen eineS unreinen unb
uniuai)reu SSer^äItniffe§ fnü^fen fid^ baran. „2)a§ ©d^tuelgen
an ben Gräften be§ (5Jemüt^§ i[t bie unerlaubte[te aller
SSerfc^iüenbungen, bie f(f)Iimm[te alter ^Berberbt^etten", t)a^
ivax dm (Srfa^rung, bie Siecf an ficfj felber gemacf)t batte.
5tll er einmal einen Ijalben Sag unb eine 9iaci^t buri^ o^ne
Unterbred^ung, feine (Srregt^eit felbft abfid^tlic^ fteigernb,
einen bamaB beliebten ©c^auerroman gelejen tjatte, befam
er luirflicf) einen Einfall öon SBal^ufinn, ben feine lüfternc
^liantafie ilim fdiou fo oft öorgefpielt Ijatte. SDurd) einen
großen S'JatureinbrucE, ben er balb barauf föä^renb einer
^arjreife empfing, fü^tte er fid^ gerettet. 5(ber feine
Sffettung gab e§ für SSadenrober, ber lueit unfd^ulbiger
lüar als Siec!, aber fd^iüäd^er. ©ein @eift luar toie ein
partes SD^äbi^en, ganj S)emut:^ unb Eingebung, bie bem
©trome üon Seibenfc^aft, ber auf fie einbringt, nur mit
einem bangen, f(ef)entlic^en 58l{c! 5U hpe^ren öermag, föä^renb
i^r fünfter Seib fid^ il)m fi^on guneigt.
S)a§ ©eiouBtiüerbcn, bie beftänbigen ^Berührungen
groifdjen Statur unb ®eift, benen nie eine gänjtid^e SSer-
einigung folgt, bie aufregenben ©tellbidfieiue in ber Däm-
merung finb bie Urfac^en jener grcnsenlofen ©e^nfudjt,
jenes iinerfättlic^en S3erlangen§, woran ber ^Romantüer fid^
124 ®e>-' vonmntijcfie Gtjaratter.
oufsefirt. ®ie SButfi ber Unfeefriebigung ^at e§ ^^nebrid^
©erleget einmal genannt. SBer I)ot nti^t ba§ ©e^nen be§
^ergen^ in fid^ gefüllt, beüemmenb aber fü^, ta^ ber er[te
S^aunnnb be§ Saf)re§ ober bie Bacd^antifc^e ©terBeluft be§
^erbfte§ ein6au(f)t'? ©in leifer 3w9f Qian lpei§ nid^t Iüd=
^in, Oielleid^t nad^ einer fernen, fernen Sßalbluiefe, auf ber
ein atterfd^önfte§ $8ilb auf un§ wartet, fei e§ Siebe ober
S;ob, SBiUfommen im ollmäd^tigen Slicf. SBa§ aber hei
ben meiften 9J?enfd)en nur ein flüd)tige§ SD^itgittern ber
(Saiten in ba§ gro^e |)arfenfpiel ber Statur ift, ba§ ift ber
©rimbton be§ romantifcfjen ß{)nrafter§, fein 2J2er!maI, fein
|)au^töermögen, feine @c§ön!§eit, fein ^tud^. S)a§ fie biefe
jel^renbe ©eJinfud^t nid)t fannte, mad^te bie ©rö^e, ©d^ön»
^eit unb SSoEenbung ber Stntife, aber tfire 33egren§t6ett
liegt auct) barin. 2tu§ ber ^erriffenljeit be§ mobernen
SOienfd^en Juäd^ft fie t)erau§, eine ?Jcarterbtume mit tiefem,
blutenbem ^eld^e, au§ bem ftd^ feelenberaufc^enbe S)üfte un=
obläffig in bie Unenblidifeit ergießen.
SSarum 6cf)macl)ten?
SSarum £ct)nen?
5nie Sfjräncu
^lä) fie h-QcI)ten
9fa(^ ber g-erne,
SSo fie joäf)ncu
©c[)ön're Sterne!
5)a^ fie e§ nur iräl^nen, tia^ ift e§ eben. jDa§ blanfe,
locfenbe ©ternbitb ift eine gata ?JZorgana, bie üor bem
9^iä^erfommenben ttjeid^t, eine l'uft-Dafe, bie niemals ben
brennenben Surft löf d^t. 9tiemanb Ijat luie Zkä, mit fo
güngelnben, ftacfernben, lobernben {5euerbud)ftaben hk @l)mp^
tome biefer ^ranf^eit gefd^ilbert, bie ©efc^idjte ber ^o, bie
ber ©tad^el be§ Söal^nfinnS raftlog burc^ alle 2BeIt jagt.
3)er romantifc^e d^aratter. 125
„5(6er tra» tft e§, ita'^ ein ©emif? nie unfer öer^ ganj
au»fiitlt? SBelc^e unnennbare, toeijmüt^tge 8e^nfuc^t t[t e§,
bie mic^ ju neuen, ungefannten greuben brängt? ^m öollen
©efü^I meine» ©lücfe», auf ber ;^öc^[ten ©tufe meiner 336«=
geifterung ergreift mid^ falt unb geiualtfam eine 91ücl^tern=
^eit, eine bunfle 5l^nung — • lüie foU id^ e§ befc^reiben —
luie ein feudaler, nüchterner 9J?orgenn)inb auf ber ©pi^e
be§ S3erge§ nac^ einer burd^ioad^ten '3lad)t, tt)ie ba§ Sluf«
fal^ren au§ einem fd^önen 3:ranm in einem engen, trüben
3immer. fö^ebem glaubte ic^, biefe§ Beflemmenbe ©efü^I
fei ©e^nfuc^t nad^ Siebe, ®rang ber (Seele, fid^ an ©egen»
liebe ju üeriüngen — aber e§ ift nid^t ha^; and) neben
SImatien quälte mic^ biefe tt)rannif(^e ©mpfinbung, bie,
luenu fte .s^errfd^erin in meiner @eete mürbe, mtd^ in
einer emigen ^erjenSleerl^eit bon ^ol gu ^ol jagen
tonnte. (Sin folc^e^ SBefen mü^te ha^ elenbefte unter
®otte§ §immel fein: jebe greube fliel^t tjeimtücfifcf) jurürf,
inbem er banad^ greift, er ftei^t tüu ein öom Srf^icff at
üerfjö^nter SantaluS in ber 9latur ha, une Si'ion lütrb
er in einem unauf^örlidjen, marterDoIIen 2BirbeI ]§erum=
gejagt; auf einen foldjen fann man ben orientalifd^en
Sluöbrucf anlüenben, ha^ er t)om böfen geinbe oerfolgt
föirb."
„^^ möchte in mandfien ©tunben öon |ier reifen unb
eine fellfame D^atur mit il^ren SSunbern auffuc^en, fteitc
gelfen ertlettern unb in fc^luinbelnbe Stbgrünbe ^inunter=
friec^en, mid^ in §ö§Ien uerirren unb ba§ bumpfe Staufd^en
unterirbifd^er Sßäffer üerne^men, ic^ mi3c^te ^nbien§ feltfame
©efträuc^e befe^en unb au§ ttn glüffen SSaffer fdjöpfen,
bereu 9Jame mid^ fd^on in ben ^inbermäri^en erquicfte;
©türme möd^te id^ auf bem 9J?eere erleben unb bie ägt)p-
tifc^en ^^ramiben befud^en — o 9tofa, Juotiin mit biefer
126 ^ei-' rDmantiicI)e 6f)amtter.
Ungenügfamfeit, unb trürbe fie mir nid^t felbft gum Drfu§
unb im Glijfium folgen?"
Sie gelben alter romantifd^en 93üd^er finb fa[t fceftänbig
auf ^Reifen: 2)ott Ouijote \o gut tüie Söil^etm SJJeifter unb
alle ii^re ^J^ad^fommeu. Sie Siebter liefen i]^re ®Dppet=
ganger an i^rer ©teile auf bic erfe^nte SBanberfc^aft ge^en.
5ltle§ locft unb sie^t:
23ie mit füfjeit g-Iötenftimmen
9iufen alle golb'nen Sterne;
SSett mn^ mandje ^öoge jd)iutinmen,
^eine Sieb' ift in ber g'^nie.
Sft fie e§ trirllic^? j^inben fie fie jemals? ^eimlici^
loiffen fie e§ tool^t, ba^ ein 5tuf§ören ber Sel^nfuc^t Stuf-
l^ören be§ Seben§ tuäre:
Sie ?cacf)tiga[[ fingt au§ weiter g-ern-:
2Bir locfen, bamit bu lebe)t gern.
3)a^ bu bid) nod) un§ fe^nft unb immer matter fefjnft,
Sft, iDa§ bu tt)öric^t bein Seben iuäf)nft.
©in moberner Slomantifer, ber ®äne Stt^o&fenf ^it üoll-
enbeter, al§ bie öor 100 ^a^J^cn e§ fonnten, im 9JieI§
S§Qne bie ®efd)id)te einer fold^en 9?eifeluft erjä^It unb
mit ber ^er55erreiBenben ©infic^t beenbigt, ba§ nid^t» ^r-
bifd^e§ fie füllen fann. ©eelenüoKer t^ieKeid^t unb tröftlic^er
Iä§t Siecf fca§felbe feinen ©ternbalb em^finben in einer
uie^müt^ig feiigen dlaä)t:
„Sie <Bä)nhi be§ SJ?onbe§ ftanb feinem ^ammerfenfter
gerabe gegenüber, er betra^tete i^n mit felinfüd^tigen Singen,
er fud^te auf bem glänjenben 9iunbe unb in ben gleden
Serge unb Söälber, munberbare ©c^loffer unb sauberifd^e
©arten ooH frember S3lumen unb buftenber 58äume; er
glaubte (Seen mtt glänjenben ©rfituänen unb jie^enben
©d^iffen tüa^rjune^men, einen Sl'a^n, ber i^n unb bie ©e*
/In^'-
a
%tx romantifd^e CS^aratter. . 127
liebte trug unb um|er retjenbe SJJeeriueiber, bie auf frummen
9JZufc^eIn dliefen unb SS?af[erblumen in bie 93arfe ^inein=
reichten. %^ bort! bort! rief er ait§, ift öteaeidjt '^xt §ei=
matf) aller Se^nfuc^t, aller S5?ünfc^e; barum fättt aud^ iuof)!
fo füfee ©c^ttjermutl) , fo fanfte§ (gntjücfen auf un§ ^erab,
lüenn \i(!A ftiüe Sic^t öott unb golben ben ^immel herauf*
fd^mebt unb feinen filbernen ©lanj auf un§ ^ernieber gie^t.
Sa er erlüartet nn§, er bereitet un§ unfer ®Iücf, unb barum
fein tüe^müt^igee |)erunterblicfen, ba^ tuir noc^ in biefer
5)ämmerung ber (Srbe öer^arren muffen."
©g ift aber natürlid^, \i<x^ bennoc^ bie Säufd^ung —
unb öieHeid^t ift e§ gar feine — immer lüieber !ommt, al§
muffe biefe fc^merj^afte Seere auf (Srben au§gefü((t irerben
füunen. Siebe fann e§: unfehlbar fi^er füfjlt baä jeber
SJienfd^. 3«nä(^ft aber luödift unb iräc^ft nur \iQi^ SSer-
langen, unerträgltd^, bi§ enbüc^ im E)öd^ften ©euuB ber
Siebe W etüig ftac^elnbe ^ein untergeht, ©in SCugenblirf
i^immlifc^er 9tut)e, bann iäf)e§ SCuffc^recfen: \iQi^ atfo tüor
bie Söfung be§ unergrünblic^ fc^einenben StätljfeB!
5ltte biefe ©eelenmarter, bie ()immelftüräenben 2:itauen«
gebanfen, ba§ 9^ütteln on ben S;f)oren ber (ärfenntni^ tuar
nur ein Krampf ber ©innlic^feit. 9iic^t in ben ^immel ber
^bcate, an bie Sruft eine§ beliebigen 9J?äbc^en§ mu^te er
ftc^ Pesten, um für bie ^o|e Ungenügfamfeit, „ber Sonne
unb SJJonb §u irbifc^ finb", 93efriebigung ju finben. Sitter-
bingg nur für einen Siugenblicf; bonn ftö|t ber Ernüchterte
feinen 5(bgott üon fid^. 5Iber menn lieber ein grauenfteib
i^n ftreift ober ein ttiarmer 33ncf if)n berührt, fommt bie
Hoffnung tüieber unb n)ieber bie ©nttäufd^ung, h\^ er ft(^
fc^Iie^Iid^ ni(^t einmal nief)r felbft betrügt, fonbern beinu^t
au§ einem fRaufc^ in ben anberen taumelt, ©o Iä§t Stecf
feinen Sooett finfen, finfen unb immer rafc^er ftür^en; e§
128 Seic romnntiidjc 6:f}arafter.
ift lüunberüoH, mie man in bem engel»reinen, [d^raärmerifc^en
Siingüng bie fraffe ©enufsle^re fid^ au^bilben fieljt. 2)ie§
ift feine Seben§iüei§^eit:
„^uiüd) ift SBoIInft ha^^ gro^e ßie^eimni^ unfre»
SBefen§, freilid^ inill aud^ bie retnfte, inBrünftigfte Stc6e fid§
in biefem Sörnnnen lüijkn, fie foU eben fterben, bamit wix
fiiljlen, ba^ wir äRenfc^en finb, ha^ wix üon täufd^enben
^^antomen erlöft werben, bie un§ aU ©ngeisgeftatlen be-
fnd^en unb hoä) gurien werben, wenn fie ta^ gtänjenbe
©ewanb fallen laffen. S)enn fd^Iäft nic§t bie wilbefle SSer»-
jroeiflung, bie grö^tic^fle 5lngft, ber blutigfte ^a^, Selbft--
morb unb aUe ©räuel im Innern biefe§ ©efii^lS? ....
®a| wir ©innlid^feit ^oben, ift feine§weg§ öcräc^tlid^ unb
fann e§ nicC)t fein, unb boc^ ftreben wir unaufhörlich fie
un§ felber abjuleugnen unb fie mit unfrer SSernunft in
@in§ §u fc^meljen, um nur in jebem ber öorüberftiegenben
®efüt)Ie un§ felbft achten gu fönnen. S)enn freili(^ ift nidE)t§
al§ ©innlic^feit t)a§ erfte bewegenbe 3?ab in unfrer 5D?a=»
fd^ine, fie wäl§t unfer S)afein öon ber ©teUe unb mad^t e§
fro^ unb lebenbtg — 2lIIe§ wo§ wir aU fd^ön unb ebcl
träumen, greift ^ier f)inein. . . . ©innlid^feit unb SBoIIuft
finb ber ©eift ber 9Kufif, ber 9}iaterei unb aller fünfte,
atte SBünfdje ber ajJenfi^en fliegen um biefen ^ol wie
WMtn um ba§ brennenbe Sic^t. @d^önl)eit§finn unb ^unft-
gefüljl finb nur anbre ®iale!te unb 9lu§fprac^en, fie be-
5eidl)nen nichts weiter at§ ben 2;rieb be§ SJJenfd^en 5ur
SBolluft ^d) l^alte felbft bie 9lnbac§t nur für einen
abgeleiteten ^anat be§ rol)en ©innentriebe§" — unb 5um
(Sd)lu^ fommt hk alte ^lage — „id^ barf fein (Sngel fein,
aber ungeftört will id) aU Tlmid) baljinwaubeln."
SBenn Soöell in feieren ©ebanfenoerirrungen fid^ öer-
wicfelte unb erwürgte, barf man nid^t folgern, fo fei e§
^er romantti^e G^avafter. 129
%itd ergangen. (Sr glaubte an SteBe unb ©fürf, aber er
faf; ein, bafj bn§ „um§ ben 9J?enfc^en gans befriebtgen foff,
fein (55efü|I unb feinen SSerftanb sugleid^ auSfüflen mu|."
Unb in iijm waren ßjefü^l unb ^öerftnnb „jniei neben einonber
laufenbe «Seiftänjer, bie fid^ eiuig i^re ^unflftücfe nad^a^men,
einer öeradEitet ben anbern unb rtiH i^n übertreffen."
SDariim ift ber romantifc^e ß^araüer ber ®efa|r in "^u^'
fc^Jöeifungen fid^ ju öeriuüften um fo öiel nietjr au§gefe|t
aU ein anbrer; benn nur im 9?aufd^, fei c§ ber Siebe
ober be§ SBeinel, Wenn bie eine §älfte feine! 2Befen§, ba§
Söeumfetfein, betäubt unb eingefc^Iäfert ift, fann er bie Söonne
genießen, um bie er jebe! St^ier beneibet: fid^ ein§ 5U fül^Ien.
„£) SBein! bu ^errlid^e (S^abe be§ §immel§! fliegt nid)t
mit bir ein ©öttergefü^t burc^ alle unfre Slbern? gtie^t
bann nic^t 2lIIe§ jutücf, rva^ m\§> in fo mancher unfrer
falten ©tunben bemüt^igt? SSir burd^fc^auen tuie mit «Selber*
blirfen t>k 2BeIt, loir bemerfen bie i^iu^t in unfern Qöt"
banfen unb SDJeinungen unb füllen mit tarfienbem SBoI)t-
be^agen, lüit teufen unb gü^Ien, 2;räumen unb ^l^ilofop^iren,
luie alle unfre Gräfte unb -iTfeigungen, afle triebe, 2Sünfd^e
unb ©enüffe nur (Sine, (Sine glänjenbe Sonne auSmad^en, bie
nur in un§ felbft juiueiten fo tief iiinunter finft, ba^ iDir i^re
üerfd^iebene @tra|tenbred^ung für unterfc^iebene getrennte
SSefen lalten."
^ie @ine, (Sine glänjenbe ©onne, ba§ ^d), ta^ nid^t
me^r jerf^aitene, bie (Sin^eit be§ eigenen SBefen§, ha^ ift 1
im (Srunbe ha§: ^tel atter ©e^nfud^t; man fann e§ nid^t
beutlid^er unb fd^öner fagen, a(§ %kd ^ier getl^an |at.
©ein ^d) ift ba§ Söilb, ha§i er unermüblic^ jagt, ha§ Sanb,
nad^ bem er aufjie^t, ber |)immel, nacfi bem er fid^ fe^nt.
©ic^ felbft fuc^en ift t)k Strbeit feine! gan5en SebenS. geft
gebannt ift er an ben 5Ibgrunb feine! ^nnern unb ftarrt
^uc^, SRomamifer. 9
130 ®ci-' vomautifdje (£^ara!ter.
bezaubert in \)a^ lüadenbe G^ao§. „^enn ex fo in fein
beiuegteS ®emüt§ falj", er^ä^It S;iec£ oom ©tcrnbatD, „jo
tvax e§, al^ lüenn er in einen nnergrünblid^en ©trubel
l^inabf^aute, wo SBogc on ^Boge brängt iinb fc^änmt, unb
man toä) feine SBede fonbern fann, wo otte glut^en fic^
beriüirren unb trennen unb immer lüieber burd^ einanber
njirbeln, o^ne ©tillftanb, ofine Sinlje, luo biefelbe, SWelobie
fic^ immer tüieber^olt unb boc^ immer neue ^(bmed^felung
ertönt: ^ein ©tidftanb, feine S3emegnng, ein raufi^enbeS,
to[enbe§ 9tätbfe(, eine enblofe, enblofe 5S3utf) be§ erzürnten,
ftürsenben Elementes." Unb babei, ba§ ift auffaHenb, fe^rt
immer bie ^(age luieber, ha'^ er fic^ felb[t nid)t fenne; eben
ber 9it)mantifer, ber öiel me^r oon feinem Innern n^eiB al§
ein anbrer SJienfc^, ift fid^ felbft ein 3fiät^feL (£§ ift im
©runbe leidet §n erflären. (Sine geiftreic^e S)ame fd^ilberte
mir einmal ben ^ufiönb i[)re§ inneren, inbem fie fagte,
an ber ©ren^e il}re§ S3eiiuiBtfein§ ftäuben öiele ^oliäei^
folbaten unb Zollbeamten, bie jebeS au§ bem UnbeiDufeten
auftauc^enbe Ö^efü^l fogleii^ confiScirten; e§ märe in golge
beffen ein ganzer Sei(f)enl)ügel oon ®efü|t§embrl)onen in
i^rem ^o^jfe aufgeftapett. ®an5 äüintic^ fagt Xiecf, ha^ roir
oft, lüie SKörber ängfttic^ hm nod) ^alh belebten Seid^nam
mit Srbe bebecfen, ©mpfinbungen Oerfd^arren, bie fid^ in
un§ gum S3emuBtfein empor gearbeitet :§aben. Defter§ l)at
er biefen gel^eimni^oollen ä^organg fo anfc^aulic^ gefd)ilbert,
ba^ tüir ben getfterfiaften SSerfe^r jioifclen ätoei unficf)tbaren
Söelten mit 5tugen 511 feigen glauben.
„SSenn id) mandC;mat in ber 2(benbbämmerung fi|e unb
finne, ba ift e§, aU fd^ioingt fic^ mir etioa§ im |)er5en
empor, ein ©efü^I, ba§ mic^ überrafc^t unb erfc^recft unb
babei boc^ fo ftitt unb feiig befrtebtgt: icf) greife bann mit
bem ©ebäd^tnil loie mit einer §anb banac^, um e§ mir
S)ev romantiicrje K^arafter. 131
felber nufsubeiiml^ren. SIber fonberbar, e§ tft in mir unb
öerfd^luinbet mir bann boc^ gänjltd^ juieber, fo ba)l id^ feiner
nic^t öab^aft iperben fann. 5ltte meine ©ebanfen fielen mir
5U ©ebote, alle meine Erinnerungen unb 2ln)d^auungen, aber
ha§i i[t ein ©efü^I, ba§ fetner unb geiftiger ift aU ?ttle§
übrige; aber mag ift e§ unb luo^er fommt e§ unb tuo^in
ge^t e», menn e§ ntdjt mefir in un§ bleibt?" . . .
„5lu§ meinen Slinberjal}ren falten mir mand^e S^age
ein, 11)0 i(f) unauf|örlid^ etma§ ®räuli(i)e§ unb @ntfe^Iid^e§
benfen mufete, Wo id) ftatt meiner ftiffen ©ebetc ®ott mit
ben grä§ücf)ften glüd^en läfterte unb barüber meinte, unb
€§ bo(^ nic^t unterlaffen fonnte, wo e§ mic^ nnauf^örtic^
brängte, meine ©efpielen §u ermorben, nnb iä) mi(^ oft
fd^Iafen legte, btofe um e§ nid^t ju t^un. ®ama(§ mar id)
gemiH unfd^ulbig unb unöerborben, unb bod^ mar biefe (Snt-
fe^Iid^feit in mir einfieimifc^ — ma§ mar e§ benn nun, ba§
mic^ trieb unb mit gräfelid^er ^anb in meinem ^erjen
uniötte? ?Jfein SSiHen unb meine ©mpftnbung fträubte fic^
bagegen, unb boc^ gemährte mir biefer ^uftanb luieber innige
STöoIIuft."
2Bie ber flüd^ttgc @c^etn einer früJieren (Si-iftenj, ber in
feine ^linberjalire ^inetnfpiegelte, fd^ienen i^m biefe fremben,
unerflärlid^en Silber, bie nac^ eigener SSidfür, feinem (Sin=
flufe entgegen, in feinem ^nnern ^eimifd^ maren. SSenn e§
möglid^ märe, fi(^ bnrc^ Slnfd^anungen be§ inneren fennen
5U lernen, müßten fold^e SJienfd^en fidE) !ennen. '?(ber bort
finbet man nur ba§ aJZenfc^enmöglic^e, niifit ha^ ^nbioibuelle.
9^ur an feineu §anbliingen erfennt man fid^. Unb mo finb
bie? ^n ienem 8eic^en()ügel oon @mbrl)onen liegen fie be»
graben; barau§ Ratten fie Werben foKen. ^Ii>ie fie au§fe()en,
menn fie aul ber ungeftalteten ®efüt)I§maffe fid^ bilben unb
beteben, mei^ ber 9tomantifer, aber reif merben fie Hjm nun
9*
132 2)er romantifdje (It)ara!ter.
ntd^t mefjr. Tlan tueife, ha'^ man bte 'SRxld) rttc^t anrHf)ren
barf, trenn fie im ^rojeB be§ (Srftarren§ ift; fonft tpirb [te
nidit btd. <So f)at er bte (Snttüidelung fetner ß5efü^te unter-
brochen; nun fönnen fie nic^t me^r aU äutierfic^tli(^e, gnnje
gro^e .<panblungen in'§ Seben greifen. ®a§ tft fein tüe^eöoHfteg
Seiben: niemals ein einiget, ftarfe«, Iebenbige§ ß^efü^I ju
^aben, ha^ einen untüiberftefitic^ :§ier()in ober bort^in riffe, fid^
niemals in ber ©turmeS^anb eine§ (5Jeniu§ gu fü|Ien, mit
beffen ©ötterftimme man ol^ne S3efinnen, freubig, fiege^geJüiB,
SD^enfc^en unb ©eftirnen §um S;ro^ fagt: l^ier fte^e ic^, icf)
fann nic^t cinber§, ®ott lEielfe mir, Stmen. Stnftott beffen
öerbammt immer an fic^ 5U gtueifeln, auf ben unentfd^Ioffenen,
gögernben, freubtofen SSerftanb aU SBegtüeifer angetinefen,
immer nur ?^ragmente, ©plitter, @efül)te öon ®efül)len.
51I§ ^van^ ©ternbatb nac^ jahrelanger 5Ibtuefen^eit gu feinem
fterbenben SSater !ommt, möchte er iljm gern alle feine
gtü^enbe Siebe geigen; aber anftatt beffen mufe er an ©e«
mdlbe öon Traufen, üon trauernben ©ö^nen unb tvt^-
flagenben SJJüttern benfen-, unb ebenfo ge^t el, at§ ber
Sßater nun ftirbt; in Betrachtung be§ ©d^merseä oerloren,
fü!^It er ben ©d^merj nid^t, lec^jt nad^ Sttjränen unb finbet
feine. „58in id) njaljufinnig ober n)a§ ift e§ mit biefem
tpric^ten .f)er§en? SBelc^e unfic^tbare §anb föl^rt fo järtlid^
unb graufam gugleic^ über alle Saiten in meinem ^nnern
^inloeg unb fd^eud)t alte S;räume unb SBunbergeftatten,
©eufjer unb SE^ränen unb öer!(ungene Sieber au§ i|rem
fernen .'pinter^att ^erüor? D mein (Steift, id) füllte e§,
ftrebt nac^ bem Ueberirbifc^en, ba§ feinem SJJenfc^en gegönnt
ift! SD^it magnetifd^er ©elüatt giel^t ber unfic^tbare |)immel
mein ^erj an fid^ unb beinegt alle 9lf)nbungen burd^ einanber,
bie längft auSgetoeinten Seiben unb unmöglichen SBonnen,
bie Hoffnungen, bie feine Erfüllung jutaffen. S)a^er aber
2)ev vomanttfc^e (Sf^arafter. 133
gebrt(^t mir bte ^raft, bte ben ü6rtgen 9)^enic^en öerliel^en
ift, unb bie un§ gum Sefien nottjinenbtg bleibt, i^ matte
mid^ ab in mir felber unb feiner ^at beffen ©etninn, mein
aRutI) oerje^rt fic^, ic^ njünfc^e, \va§ id) felb[t nicfit fenne.
SBie ^atob fel^e xd) im Sraum bie Himmelsleiter mit i^ren
öngeln, aber ic^ fann nid^t felbft binauffteigen. ..."
®a§ Unbeum^te ift lüie eine ?Jcaffe, bie bem SJJenfd^en
ba§ nötfjige Ö5elüi(f)t giebt, feinen SaHaft, bamit er nic^t
ben Sßtnben unb 22eüen ein Spiet luirb. Söenn ey fic^
ouflöft unb tüie ein beraufc^enber SSein in ben ^'opf [teigt,
üerliert er ta^ ©leic^geunc^t unb ben i)alt, er baftet nic^t
me{)r am Soben. 9Znn luirft bie Sraft ber Statur nirf)t
me^r in iljm, niemals fü|It er i()ren luarmen, feuchten,
frud^tbaren ^aud^ in |id^ lueben, niemals i^ren treibenben,
fcf)tuellenben ©oft in fid^ auffteigen. D^ne ^ujammen^ng
mit ber (Srbe ift er toie eine märrfien^afte gieberblume, bie
fid^ nur öon Sic^t nä^rt, n^ie ein Io§gerifjene§ Slatt, haSi
beiueglid^ auf eioig benjegten Sßellen fc^raanft. ^n bem
Satine ebenfo gut bo§ eine Juie ha^ anbre t()un ^u fönnen,
ebenfo gut ja tote nein fagen ju fönnen, fütilt er fid)
(^arafter(o§ unb fd^eint e§. ®arin liegt bie Unmännlic^feit,
tit ben meiften Siomantifern eigen mar. Sie j^aben nie
eine fefte Ueberjeugung, e§ ift ttjuen niemals gan§ ©ruft;
lüenigftenS fd^eint e§ fo. 2;iecf erjäpe in fpäteren Salären
feinem Sreunbe ©olger, luie er fic^ in ber ^"9^«^
mit „freoeltiaftem Setcbtfinn" in bie üerfd^iebenften ®eifte§-
ftrömungen getüorfen Ijahe: „erinnere id^ mic^, burd^ meld)e
glutt) raec^fetnber ©ebanfen unb Ueberjeugungen idj ge-
gangen bin, fo erfc^recfe id^ unb mir fällt önme'g S3et)aup=
tung ein, tta^ bie Seele nur ein (StmaS fei, an bem fic^
im gtu^ ber 3ett oerfc^iebenc (I-rfd)einungen fid^tbar machten."
SBenn Sied felbft fo über feine Unfic^crljeit unb Unjuoer*
134 2)£i-" vomantijcfje d^arafter.
läf [{gleit bad)te, tft e§ 5U begreifen, raenn Semanb auber§,
eg wax iiarotine, einmal üon it)m fagte, er fei im ®runbe
ni(^t§ aU ein mürbiger unb anmut^iger Sump; ira§ freiließ
aud^ cum grano salis ju öerfte^en tft. yinx ^anbelnb unb
lüirfenb fönnte ber romantifd^e SJienfc^ für ha§ S3erIorene
©rfa^ geiüinnen unb bann boppelt reid) fein; aui feinem
Söeuni^tfein ftiürbe fid^ ein 9^ieberfct)(ag bilben, eine neue
SJtaffe, (ärfenntni^ in Qnftinft üerluanbelt. „&müi)n^tit tft
eine 5ur Siatur geworbene ^unft. 5Raturgefe|e finb ©e^»
rt)o]§nf)eit§gefe|e." Söie fott aber ettpaS @rlernte§ anber§
gur (SJeiPoi^n^eit unb jlueiten 9^fatur lüerben aU burcf) fleißige
Hebung? Unb ber romantifd^e ß^arafter ift faul unb ftol^
auf feine gaul^eit. 9iur 9looaIt§ mar ein 5Romantifer mit
3fiiefenarbeit§fraft unb »Suft. Xkd gelang e§ niemals, feine
Slbneigung gegen mett)obifc§e§ Strbeiten ju überminben. 5lud^
©ternbalb iinb SoöeH finb im (SJrunbe nic^t tiid me^r at§
gebilbete SSagabunben. 9?ege(mä^ige S8eruf§tptigfeit fc^eint
t^nen untimrbig unb erniebrigenb, ber ®efd^äft§menf(^, ber
alltägtidf) feinem SSerbienft nad^ge^t, öeräd^tlid^. @r fü^Ü
feine 2lrbeit§frf)eu aU S3ürgfc^aft, ha'^ er ju §ö^erem ge=
boren fei. 5JioüaIi§ iiat ein ftrengeg, aber nid^t unbillige^
SBort barüber gefagt: „2Ber nid^t öorfä|Iidf), nac^ ^lan unb
2(ufmer!famfeit tl}ätig fein fann, üerrät§ ©d^luäc^e. ®ie
(Seele mirb burtf) bie ^ei^fefe^ng §u ftfi^acf) — oft ift SSer«
ttjöbnung baran frfiulb. ®a§ Drgan ber 5lufmerffamfeit ift
auf ^'often be§ tljätigen Drgan§ geübt — oorauSgcbilbet,
gu reijbar gemad^t raorben. ^Jun jie^t e§ ade üia\t an
fic^, unb fo entfielet biefe ©igproportion."
S)aB e§ (5d)roäd)e imi, ahnten fie im (StiUen gut genug
unb litten fcfimer^Iid^ barunter. @» ift ergreifenb, wie bie§
Söemufetfein überall, balb aB Weljmüt^ige ©rtenntni^, balö
all bitteres ©c^amgefüt)t burd^bric^t. ^m ©ternbalb ift
®er romantifd)e G^arafter. I35
imtner unb immer trieber üon bem „emjigen gleite" Slürer'g
unb be» Sufa§ ü. £et)ben bie $Rebe; unb ber müfeig fc^luär«
menbe granj a^nt, bei oHern jc^üd^ternen ©tolj auf feine
übcrirbif($e ©efü^lStüelt, ha% gerabe btefer prunflofe bürger»
lid^e %U\% bie ^ünftlerjc^aft jener bciben ©ro^en üollenbet,
ta^ fein eigener Unffei^ mit bem liefften, oeri^ängni^öoHcn
SJJangel feiner dlainx jufammenpngt. 9JJit berfelben a^nuiigä'»
üoKen ©c^eu berid^tet SSacfenrober öon bem unermüblicfien
2(rbeit*eifer ber großen Slünftler ber SSergangenfieit, unb
fein ^atoh Sergtinger, ber nid^t ^(rjt fiatte Inerben föollen,
tt)ic ber S3ater njünfc^te, franft an bem „unbe|agü(^en SBe«
mu^tfein, ta'^ er mit aUem feinen tiefen ®efüf)I unb feinem
innigen ^unftfinn für bie 2ßelt nid^t§ nü|e unb tueit ineniger
n)ir!fam fei ai§> ieber §anbtper!§mann." 2Benn er bie SBelt
fämpfen unb ringen fielet, fommt er felbft ftc^ bor tüie ein
„lüfterner (Sinfiebter, ber nur innerlich an fc^önen §armo-
nieen fangt unb ftrebt, bie Secferbiffen ber gc^ön^eit unb
(gü^igfeit ^eraugjufoflen", SIngft unb (gd^am übcrtüältigt
i^n, er möchte ein a^fetifc^er Tläxit)xtx lüerben, um mit ber
leibenben SSett in'§ ©letd^geföicfit ju tommen. 5{u§ berfelben
Cuerte ftieBt ba§ überreiche 2«itgefü()I Gmil'g in 3:iecf'§
Siebegjauber, ber fid^ an feinem ^oc^jeitätage, Jüeil er ein
93ilb fd^mu^iger 5{rmut^ gefe^en |at, fc^Iuc^^enb auf bie
@rbe tt)trft unb fterben möchte. „Empfange mid^ balb, bu
freunblid^er ^goben, oerbirg mid^ in beinen füblen 5(rmen
üor ben njilben Sfiieren, bie fic^ SOienfd^en nennen! D ®ott
im §immel, ipie tierbiene id^ e§, ha^ ic^ auf ^Daunen ru^e
unb ©eibe trage — 0 jetjt üerfte^ id^ euc^, i^r frommen
^eiligen, iJ)r Sßerfc^mäf)ten, i^r ^öerl^ö^nten, bie i^r SlfleS
hi^ auf euer ©elranb ber ?{rmut^ auSftreutet — fetbft eleub
föurbet ii)x, um nur biefe ©ünbe be§ Ueberfluffe§ öon euc^
äu merfen." Unb biel n^aren boc^ Stiecf'g (Smpfinbungen,
136 ~£^' vomantifdje C£f)arattcr.
be§ ^anbn:)erfer[o^ne§, ber, aU er jo fc^rieb, beftänbig mit
9iaf)rungyforgen gu lämpfen ^atte. 9lur ha§> Semu^tfein,
einen ernftlicEien ^ampf nm'§ 2)afein niemals befielen gu
fönnen, jeber flraffen Slrbeit fleinmüt^ig auSjuipeicEien, liefe
tljn ]xä) fo jc^ulbig füf)Ien gegenüber ben ajJiUjfeligen unb
33elabenen.
©djetling'g (Sr[d^etnung, aU er in ben ®rei§ ber 9ioman'
tifer trat, lutrfte im|3onirenb auf fie, fa[t üerblüffenb. äJJan
fai) i!§m an, bafs er \\d) auf^ ^errfcJien öerftanb. ®r tiatte
bie ftarfen ^nftinfte, hk blinben 3'i" »nb 5lbneigitngen, um
bk jene ben S^alurmenfc^en beneibeten. 2Iber tvn burd^
Snftinfte J)errjd^t, fann aud^ i(jr ©flaöe merben; unb barin
tnaren fie i^m überlegen, ta'i^ fie biefer ®efat)r nic^t aus-
gefegt loaren. Sie ®eifte»frei^eit, bie fie fdEimiidte, luar nur
be§iüegcn nid^l bie f}ö(i)fte, iiieil fie bie Solge eine§ äRaugeB
luar. ©injig in 9'ioüaIi§ erfd^ien fie ganj aU ©tärfe, unb
ba§ tüor oielleid^t bie Urfac^e, lüarum ©cfieHing ii)n nie-
mals leiben fonnte; il}m gegenüber luar er tüie ber Söiüe,
ber uniüitlig, mit ©eberbcn üerljaltener SSut^, öor bera
9}ienfd^enauge in fic^ jurüdfried^t. UebrigenS aber ftaunte
er bie Seic^tigfeit unb gefd)meibige 33eii)egtid^feit biefer ©eifter
an, bie für bie 2öuct)t unb ©djinerfälligfeit feiner ©c^iuaben-
natur unerreid)bar iror.
©ben jener Seic^tfinn, ber julüeilen an'S t^reüelljiafte
grenzte, ift bie ©tärfe biefeS ß^arafterS. (Sr öerfd^afft t^m
ßutritt, lüü immer bie ©enien be§ ©d^erjeS unb 3)Zutt)=
lüiltenS unb ber JoItf)eit fic^ jum ^an5e treffen. Unb luenn
ber 9iomantifer fein feftgegrüubete» ^au§ für feine ©eele
i^at, fo toeifj fie gelenfig burc^ bie fd^malfte Sti^e in frembe
SBol^nungen einjufdjiüpfen unb bort fid^ ju tummeln unb
um^ufc^auen. @r befi|t jene „"J^reif^eit unb 33l(bung", bie
?5riebric^ ©c^Iegel üerlangte, fid) felbft nad) S3elieben p()iIo-
®er rDmantifrf}e ßtjaraftev. 137
fop^ifi^ ober pljilologifc^, antif ober mobern fltmmen ja
fönnen, „ganj luiltfürlid) luie man ein Snfi'^iiöifiit ftlmmt."
Unb ebenfo fann er fid^ in nnb auf jebe ^erfon ftimmen.
^iefe jÄ^tgfeit, [td^ ju ftimmen unb fic^ in anbre S^araftere
j^tneinjutäiifd^en, mac^t ben ©diauf^ieler; unb e§ ift nid)t
jiifäHig, ha'^ bie ©urfit be§ S^eaterjpielen^ im Zeitalter ber
9tomantif cpibemtfc^ auftrat. Siecf fagt im ^^antafuS:
„®a unfer ganzes Seien au§ bem boppelten S3eftreben be-
fte^t, un§ in un§ fetbft ju oertiefen unb un§ fetbft ju öer»
geffen unb au§ un^ Ijerau^juge^en, unb biefer SSedifel ben
9tei5 urfre§ ®afein§ auSmai^t, fo t)at e§ mir immer ge=
fcfiienen, ba^ bie geiftigfte unD lüi|igfte ©ntiuicfetung unfrer
Gräfte unb unfrei ^nbibibnumg biejenige fei, uu§ felbft
gau§ in ein anbre§ SSefen I)inein nerloren ju geben, inbem
mir e» mit aller 5tnftrengung unfrer geiftigen «Stimmung
barjufteHen fud^en: mit einem SBort, tuenn mir in einem
guten ©d^aufpiel eine 3ftoIIe übernehmen."
dlüd) bem Urt^eit 5111er, hk iljn ^aben fpielen fe|en,
^ätte %ud ber größte ©djaufpieler feiner 3eit merben fönnen.
find) 2Bi(i)eIm unb j^riebric^ Oerfuc^ten ficE) bariu, mie ^ehn^
mann; aber griebridf) glänjte nur in gemiffen 9?oC[en, bie
i^m entfprac^en. %kä Ijingegen fonnte ithe benfbare ^^erfon
mit einer eigent{)üm(irf)en unb für fie l^affenben ©eele be-
leben. Dttemaub, bem jene ißorlefuugeu nic^t ^^i^^e^cnS im
©ebä(f)tni^ blieben, mo er ©ramen nicfit fornoi)! tjortrug aU
burc^ hk ©eiualt feiner aIlau»brucf§t)otten Stimme oorfpielte.
S)a§ (5rftaunüd)fte fdjilbert ©teffenö: mie er eine ganje oon
Uebermut^ unb Saune funtelube ^offe, auf ein gegebene^
3:;^euia, improöifirte. Uebertjaupt ift e§ fc^mer gu entfc^eiben,
ob er me()r ^Qipi^oüifator ober STicEiter mar; biefe reijenbe
gefelltge &dbt £)at i£)n um ben l^öc^ften Sorbeer gebrad^t.
(Sr bic^tete ganj mie 9lubotf im ©ternbalt), oiine 5tnfang
138 ®ei^ rDinantiic()e ß^arafter.
unb ^ä)\u% über 5ttte§ unb 5yJi(f)t§, wie loenn er nur eben
ben ^ol^n öffnete unb fliegen lie^e, bi§ S^iemanb me^r
Irinfen fann.
S)o§ Sücferfi|en he^ ©etfleS erleicf)tert ben Umgang;
man füljlt ben ^loang unb jDrud fetner S^Jatur ntc^t, man
fie^t fic§ gleic^fam felbft 5U, line man gelponbt unb äterlic^
tk Pantomime ber @efellf(f)aft aufführt. @§ liegt jirar in
biefer (Sigenfd^aft auc| ber (Srunb ju aller Ziererei, 'äfjd-
iation, furj äffifc^em Sßefen, föie S:iecE e§ auSbrüdte. 3SteI
gefä^rlid^er aber noc^ ift bie 2lngelüö^nung, auc^ im n)irf=
liefen Seben, n)enn e§ ©ruft gilt, ^Rotten gu fpielen. (5§ ift
in SoöeH meifter^aft bargefteKt gu fe]^en, mie fic^ auf biefcm
SBege eine naiö freche Sügenfiaftigfeit ^erau§ bilben fann.
SSenn Sodett ein Wähdjen oerfü^ren toill, beflamirt er i^r
juerft in beiuu^ter SSerfteHung, £)eimlid^ fie unb fic^ üer«»
lac^enb, feine Siebe Cor; altmälig aber entjünben feine ^Ijan"
tafie unb feine «Sinuc \\ä) an bem bengalifcfien geuer, unb
er fd^iüärmt i^r enbli^ feine 3)Jeineibe mit Eingebung unb
nic^t o^ne Sireu^erjigfeit oor. ^öd^ft merfiüürbig ift 2;iecf'§
SSerfuc^, ben ©fiarafter ©romtüeU'» au§ biefer greifieit unb
Seföeglic^feit be§ ®eifte§ ju erflären; lüie er nämlid^ ent»
berft ijaU, hal^ ber (SntJ)ufiagmu§, ber i^m 2lnfang§ natürlich
gemefen fei, beffen er aber, um fein 3ic( gu erreichen, öfter
benöt^igte, aU ber ^rieb i^n brachte, fid^ aud^ beJüufst ^erbei=
lorfen laffe, luooon er benn häufigen ®ebrau(^ gemad^t Ijobe:
„auf bie 5lrt mu^te bem großen S)taune balb jiüeifel^aft
Werben, \üa§' in i^m ma^r, iüa§ falfc^, tt)a§ ®rbi(^tung, \va§
Ueberjeugung fei; er mu|te ftd) in mandjen ©tunben für
einen S3etrüger, in anbern luieber für ein au§geU)äJ)Ite§ 9tüft-
§eug be§ |)erru l^olten." S^iecf erlebte ba§ beftäubig in fic^
felbft; balb erzeugte ta^ S3eiDU§tfein, jebe SMgung, jebe Sin«
ficf)t nad^ 93elieben oon fic^ luerfen unb gegen eine anbre
5)er rDniontifd}e G^arafter. 139
oiiltaufd^en 511 fömien, f:prü^enben Uebermutl) in ii)m, bann
roithex ^ft'fifff» ©eiuiffensiangft unb öeqiueifelte Un[ic^eröett.
Gebern 9JJenfd§en liegen eine SJJenge HJföglirfileiten be§ |)an*
beln§ äur Stuötualil cor , a\id) 5U üeriüerflic^em 3:^utt
tommen ©inlobungen, bie nirf)t§ oB ein unuu(lfürli(^e§ Huf*
land^en öon Erinnerungen finb, mecJ)anij'(i)e§ Umbre^en ber
©ebäc^tnilliüdje, lüie e§ oucE) im 3:raum gejd^ie|t. derjenige
nun, ipeld)er ben Unterfd^ieb jiuifd^en einem genügenben Strieb
jur |)anblung unb ber S3orjtetIung baöon nic^t fennt, nimmt,
nja§ nur 3>uifc^enaft§mufif ift, für iiaSi ©lücf felbft unb red^net
fic^ mit oeriiängni^üoKer SSermecfifelung geträumte ^^aten an.
21I§ Soöell, nod^ ein ßnabe, mit feinem greunbe einen Serg
befticg, locfte e§ i^n unii)iberflel)lic|, ben 9lrgIofen öon einer
fc^n)inb(igen ^li^j^e i)inunter5uftD§en, bi§ er, um ber SJinrter
ein (Snbe ju machen, i^n unter i^eftigen 2;I;ränen an feine
S3rnft riü, luorauf ber S3unb für'^ Seben gefrf)Ioffen ruurbe;
nad) 3a(}ren aber fud)te er, au§ Üiad^fuc^t unb (Selbftquälerei,
bem greunbe baburd^ eine töbtlic^e ^ränfung ju üerfe^en,
ba^ er ii)m biefen S3organg offenbarte, um ju beraeifen, bie
fi^einbare (^-reunbfc^aft fei nicf)t au§ Qkbt, fonbern öielmel^r
au^ |)a^ unb SJiorbluft ^eroorgegangen. 9Jfit ä^nlid^en (Sr=
lebniffen 5erf(eifc^te %ud \id) ^äufig, befonberS in feinen
^inber« unb Sugenbja^ren. @r mad)te fic^ in SBa^r^eit
für jebe unibe Siegung feiner aufgeregten Sräume öerant=
n)ortItc^ unb f^auberte oor feinem eigenen ©elbft jurücf,
njenn feine (£inbilbung§traft e§ t|m öerjerrt oorgefpiegelt
^atte. S)a§ Selou^tfein, ein ^eimlic|er ÜJiiffet^äter ju fein,
brücfte i^n nieber unb tonnte iJin, ben 65efe(Itgen, menfd^en=
fc^eu machen; bann f^Iiii er mit bem ©efü^I ^erum, ha^
fürd^terlic^e Ö^ei^eimnifj feiner erträumten S^erbrec|er=Drgten
»ergraben ju muffen, beffen ©ntbecfung i^n in ©ct)mac^ unb
©c^anbe ftürjen loürbe. 2)ie fc|önere Seite biefer ©igen»
140 ®ei^ vcimautiid)e Gfjaraftcr.
t^ümlic^feit t[t ha^ inarme, freiließ aud) quätenbe 9)?ttgefü^(
für jeben {^reüler; benn „lüo tft ber 33öfeiuic^t, ber nid^t
jum ©ngel lüürbe, Wenn er ben 5Rid)ter in bie ge!§etme
2Berf)"tätte feiner Seele führen fönnte?" unb e§ liegt ja, n)ie
S:iecf an anbrer @teKe fagt, giuifcfien gut unb böfe, gmifd^en
iJreub' unb Seib, ^ietiften unb ©otteäläfterer, bem Patrioten
unb Sanbe§öerrätf)er nur eine ©efunbe.
2öä§renb ber boUfommen unbelt)uf3te 3J?enfd^ nur einen
2Beg be§ ^anbetng fie^t, ben feinigeu, überfielt ber öoll*
fommen berou^te eine unenblic^e SRenge, aber nid^t o£ine einen
öon Slnfang an aU ben feinigen ju erfennen; beibe ^aben
eine richtigere (Sc§ä|ung öon fic^ unb 5tnbern, ^tntx freiließ
fein SSerftänbnig. S)er betüuBtiuerbenbe, ber jDämmerung§«
nienfc^, mit feinem @ingeJ)en in 5Inbre, feinem ^(uffd^Iucfen
ber fremben ^erfönlid^feit, feinem 2Iufge|en in i^r, ift ber
geborene 35ertraute ber äRenfdj^eit, Künftler ber greunbfd^aft.
Ser inftinftiöe ^"9 "nb ©c^iuung be§ ©efü^I», ber bie
gelben ber Siebe mac^t, fehlte ben 9iomantifern meifteng;
in ber feinen, fpielenben Slunft, ®eift an ®eift ju reiben unb
ju entjünben lüaren fie SOieifter. ^m ^^antafuS |at 2:iecf
ein S3ilb ju geben gefu(^t öon biefer garten, Iieben§iuürbigen
©efettigfeitSfc^iüa^erei. 9iirgenb§ tritt ha^ SBeiblid^e ber
JRomanti! me^r ^eroor. SBürben äRänner, bie nid^tl all
SJJänner finb, mit fo biet ©ragie ftunbenlang über ben
^unbertften 2beil ber Safer einer ©mpfinbung reben, p(au-
ttxn unb plaubern au§ lauter Sanjluft be§ ®cifte§, tieute
burd^ S)tcf unb S)ünn eine S3ef)auptung Dert^eibigen, um fie
morgen auf'§ 33Iut ju befämpfen — „o 33rüber, (Sngel5-
^erjen, tuieoiel tt}öric^te§ SeuQ rtiollen luir mit cinanber
fd^ioa^en!" ^ierf ^atte oon Slßen taS' größte Salent jur
greunbfc^aft. Gr ^atte für S^ben SSerftänbui^ , Seber
fonute glauben, oödig mit il)m übereiuäuftimmen; loa» in
Ser rontantifcf}e ßfjaratter. 141
bem ^(ngenbltcf fic^ aud^ fo üert)iett. Sein (Sinflu§ auf bie
9)Jen)($en fanb f^auptiöc^Iic^ biirt^ perfönltc^e ©egentüart
ftatt. G§ tljat fo iPD^I, fid^ in feinem empfänglichen ©eifte
tt)iebergefpiegelt ju fe^en; aber aüc Spiegel befommen i^ren
eigentlichen SSert^, n)enn man batior fte^t, ja fie finb im
®runbe nur ©tirag, infofern fie etn^aS 5tufgefangene§ iuiber=
ftrai)Ien. ®ie§ ©efüljf, oudö luieberum Don benen abhängig
ju fein, benen er fo biet gab, mag 5U ber rü^renben ^tetät
beigetragen l^aben, mit ber er ha^ 5(nbenfen ber alten ^teunbe
feft^iett, njä^renb fic§ beftänbig, bi§ an fein Seben^enbe, neue
um t^n fammelten. 5(1§ er eine 5(u§gabe feiner Si^erfe ber»
anftaftete, ^atte er ben Sinfalt, jeben 33anb einem greunbe
gu njibmen mit 3Borten, au§ benen eine feine, geiftige unb
barum unroanbelbare ^iirtlic^feit fpric^t. jDe§ f^reunbeg
(Sigenart efiren, fic^ öon ^ebem befonber§ ergänsen laffcn,
mar bie @runbte^re feiner greunbfc^aftsfunft: man fann
ütelTeic^t öor bem ©inen ©e^eimniffe !^aben, bie man mit
einem n)eniger Sßertrauten t^eilt, luenn bie ^JJatnr berfelben
^enem unjugänglidjer ift. „Verarge bod^ bem greunbe nid^t,
vocixn bu a^nbeft, ha}i er bir (ättnaS üerbirgt; benn bie§ ift
ja nur ber S3ett)ei§ einer järteren Siebe, einer (Sd^eu, bie fic^
ängfllic^ um bid^ betoirbt unb fittfam an bid^ fc^miegt"; n^ie
fc^ön ift |ier ber befc^eibene ©eift ber greunbfdiaft (^ara!te=
rifirt im SSergleic^ jur t^rannifd^en Siebe. 5tud^ ©(^leiermadber
unb j^riebrid^ p^ifofop^irten über greunbfc^aft, namentlid^
griebric^ Jiatte Unerhörtes mit ber unfid^tbaren Sirene, mit
ber neuen ^anfe oor. 5Iber gerabe er rtiar biet ju maffib
für biefe ät^erifc^e (Smpfinbung unb t)atte, tro| aller leiben-
fc^aftüc^en 5lbfic^t, fein &IM bamit. 2Benn Zkd unb
SBacfenrober "äxm in ?lrm am ©iebic^enftein über ber ©aale
fafeen unb bie 23e(t l^inter ixd) berfinfen liefen, ober burd^
ba§ alte S^ürnberg mit einanber fd^loeiften, trunfen bon gemein«
142 3)er vomanttii^e (S^arafter.
jomer 58egetfterung, (ätner bitrc^ ben Stnbern beglücEt unb
gehoben — ha^^ wax romantifd^e j^reuiibfc^aft; romonttfd^
aud) babiird^, ba§ bie öeri^üKte ©eftalt be§ 3::obe§ bid^t tüic
xili ©djatten ifinen nad^jog. (5tn langes Seben öoll ^ranf-
]§eit roar bem ©inen beftimmt, SBacfenrober ein iä^e§ (Sterben
in ber ^ugenb.
Sßarfenrober: ein 9)?enf(^ öon fofd^er Steblic^feit, ba§ ba§
§artefte SBort jn :plump fd^eint, um fein 3Befen gu bejeic^nen;
unter ben übrigen 9Wenfd^en )x)ie Daniel unter ben Söioen,
aber o^ne be[fen er!^abene ©ic^erfieit. S)enn er roax jc^eu
unb nie o^ne öerljaltene SIngft üor bem Seben, oor bem
^uöiel; befonber? üor bem ^uüiel be§ ©tüdeS. SBenn %kä
t^m feine glü^enbe (5^eunbf(^aft bet^euerte unb tüie er nid^t
p^ne i^n leben fönne, erfc^raf er faft me^r aU er fid^ freute,
unb h)enn S^iecE, t3on itjm getrennt, ein 2Bieberfe£)en unb
längeres 3ufat"Qienteben üorfc^Iug, mehrte er fogar mit in*
ftänbiger Sringlid^feit ah: ba§ flopfenbe ^tx'^ möchte ben
liebften SBunfc^ fo gerne f äffen unb Ijdten, irenn eS nid^t
gu gerfprtngen fürd^tete, bie ^rone beS (5ilü(fe§ fd^eint gu
f(f)irer für t)a^ bemüt^ige §aupt. @r mic^ au§, lüenn ha^
t^üll^orn be§ UeberfluffeS fid^ i^m juneigte, lüeit er nid^t
nju^te, lüie er l^ernad^ ba§ (Sntbe^ren ertragen foltte. 'Jtber
tt)enn has, (Simone bod^ fam, empfing er eS banfbar unb feiig.
©in geiüiffer überirbifd^er (Srnft fd^eint i^n niemals nertaffen
gu Ijaben, menigftenS mu^te er bei ben gemeinfamen S^^eater*
auffü^rungen ber f^reunbe, als ber am meifteii ba5U geeignete,
bte ^aifer unb Könige barftellen. SlflerbingS tüar eS tl^m
onjumerfen, ha^ er in einem unfid^tbaren Königreiche lebte
unb \id) niemals in ber ©rbenregion jured^tfinben fonntc,
Wo er auf einmal als ein geiuölinlic^er Untert^an mit ber
förperlid^en SBelt ^antiren follte. @r gab fid) gro^e SJJül^e
bagu unb litt beftänbig unter 9}ii|erfolgen. Um baS gelpalt-
®er romanttfdje Sf)araftcr. I43
l^üttge 9}?enf^enöoIf ntd^t 511 üerle^eu, luagte er [id^ mit
feinen 'ißrin5enibeen nic^t Ijeröor unb quälte fid^ bod^ mit
©eiuiffen^biffen ükr fold^e Unet)rticf)feit unb f^etgtjeit. ©r
fd^Iep))te fid) luunb unb mübe an ber 2a\t be§ 33erufe§, ben
fein SSater i^m aufgejtnungcn ftatte, am ©tubium ber Surig=
prubenj, unb !onnte bod), hn ader ^od^ac^tung öor ber
SBiffenfrfjaft, feinen SBiberiuiHen gegen einfeitige S:|ätig!eit
be§ fritifc^en 5ßerftanbe§ nid^t überiuinben. ©r beneibete
bie ^riefter barum, ha'^ i^r einziges ®ef(^äft SSere^rung
unb 5In6etung mar. Unb ta^ tft ju bettjunbern, lüie ftreng,
fdfiarf, fritifc^ er fein fonntc, tüenn e§ galt, Xkd'^ erfte poe^
tifc|e 5ßerfud^e, bie er mit übermütt^iger S^iac^Iöffigfeit 5U=
fammenfc^rieb, gu beurt|eilen; er liefe bem greunbe, an beffen
^ic^terberuf er glaubte, nid^ty 9}JitteImäfeige§ |inge§en.
S3on grauenliebe fdjeint er ntd^t§ geujufet gu ^aben;
%kd gehörte bie ganje gülle feine§ järtlid^en ^ergenS.
93ieIIeic^t a^nte er, bafe er fic^ an ber S3ranbfa(fel ber Siebe
fogteid^ oerjei)rl !^aben ipürbe. S^oII Setbenfdjaft unb ©inn«=
lic^feit mar er unb £)älte öieHeic^t ein luitber, auSfcfimeifenber
9)?enfc^ tücrben fönnen, luenn nid^t in feinem Innern (£t>ua§
entjtpei geiuefen märe: id) meine ben 5Rife in ber (Scheibe»
manb jtüifd^en bem Semußtfetn unb bem Unbelüufeten. 9?un
ftrömte, loaS fid) fonft öieHetc^t in furd)tbaren önlfanifd^en
5(u§brüd^en entlaben ^ätte, al§ betäubenbe§ ©ampfgemölf
an§ Sic^t unb mad^te i^n jum |3t)antaftifc^en STräumer. ®em
@cifte, in bem feine @innlid;feit fid^ aufgetöft Ijatte, l^eitte
fie all ii)r ©üfee§ mit. ®en 9JebeI aufzufangen unb §u der«
lf)eilen, ^atte bie «Sonne feine§ SSemufetfeinS nid^t bie ft\aft,
unb fo mar ein mogenber, bämmeriger ©d^teier über feinem
@eifte»Ieben — eine bezauberte 9;)cärd^enlanbfc^aft, bereu
reijenben Umrife man nur a^nen fann, jumeilen bred^en
(Strahlen burc^ unb e§ fc^eint Har ju merben, auftatt beffen
144 S)ei^ vomanttfc^e G^arafter.
aber lütrb ber ^Jlefcel btd;ter unb bunüer unb Iö[d^t ba»
liebe S3tlb au§.
9tm S3e[ten ^at fic^ SBadenrober felb[t gefd^übert in feinem
^o[e^I} S3ergltnger: „'\tix\e ©eefe glid^ einem sarten SSäum«'
c^en, beffen 8amenforn ein SSoget in ha§ ®emäuer ober
3?uinen faden tie^, lüo e§ jtüifc^en garten ©leinen jung-
fräulid) Ijeröorfc^ie^t . . . 5Iber fein ^nnereS f(f)ä|te er über
2tlle§ unb l^ielt e§ öor 5lnbern ^eimlid^ unb öerborgen. (So
ijäü man ein @cf)a^fäft(ein »erborgen, ju treld^em man ben
©d^Iüffet 9^iemanb in bie §anb giebt. — (5§ genügte if)m
nidjt bie bloBe ©efunb^eit ber Seele, unb ba^ fie i^re
orbentltd^en ©efd^äfte auf (Srben, aU Slrbeiten unb ®ute§
lf)un berrid^tete — er lüollte, ta^ fie auc^ in ü|Dpigem
Uebermuttie ba^ertanjen unb 5um |)immet al§ ju i^rem
Urfprunge ^inaufjaud^äen foHte."
Unb mit aufbli^enber ©rfenntni^ fagt er am Sd^Iuffe
ber Seben^befd^reibung, traS man al§ 30^otto über bie 2Ber!e
fo mancf)e§ 9tomantifer§ fetten fönnte: „^d^, ha'^ eben feine
J)o|e ^{)antafie eg loar, bie il^ii aufrieb! ©oft id^ fagen,
ba§ er oielleid^t me^r baju gefd^affen lüar, ^unft 5U genießen
aU aiiSjuüben? ©inb biejenigen öielleid^t glüdlic^er ge»-
bilbet, in benen bie llunft ftiH unb :^eimlid§ tt)ie ein oer»
l^ütlter ®eniu§ arbeitet unb fie in i^rem ^anbeln auf (Srben
nic^t ftört? Unb mu^ ber Soimet;begeifterte feine ^o^en
^^antafien bod^ auc^ öielleic^t at§ einen feften (Sinfc^fag
fü£)n unb ftarf in biefe§ irbifc^e ßeben einfd^tagen, ipenn er
ein echter ^ünftler fein miH? ^a, ift biefe unbegreiflidje
©c^öpfungSfraft nirf)t ettra überl)au|3t ganj etnja§ 5lnbre§
unb — lüie mir je^t erfdjeint — etinaS nod^ SBunberOoHereS,
nodi Göttlicheres nt§ bie ^raft ber ^s|antafie'?"
S)a^ Genie Qualität fei, fintten beitfenbe 9tomantifer
crfannt. S[)a§ S3erfd)tüimmen be§ 93eH)uBten unb UnbeiuuBfen,
3)er rDinantifd)e (S^arafter. 145
bcr beiben ^erfonen be» ^d) in etnanbet, aljo ni(f)t fd§arf
genug aufogeprägte 2;ualttät tft bie Urfac^e, luarum bte
^ünftler, bie tcf) ^\n bie romantifc^en im engeren ©tnne
genannt tjahe, feine fd^affenben fein fonnten. ^^tifiologifc^
tt)ürbe e§ ©cfielling aU ungehemmte ^robuftiüität bejeic^nen.
®cnn hit Statur, jagt er, tft in einer unenblid^en ß-öolution
begriffen, unb niemals lüürDe ein ^robiift entftefien, lüenn
bie ett)ig ftrömenbe ^robuftiöität nic^t gehemmt luürbe. S)a§
gefdiie^t burc^ bie 9?efIeinon: „bie 9Zot§liienbigfeit ber 9tefIeyion
auf unfer ^anbeln in jebem 9}?oment (bie beftiinbige 5)upli»
cität in ber ^bentität) ift ber gefieime ^unftgriff, lüoburi^
unfer ® afein ®auer erhält." 2)ie reine ^^robuftiöität gei^t
auf ©eftaltlofigfeit , eine entgegengefe^te Tladjt mu§ ben
^lü^ auf f) alten, bamit er geftattet erfc^eine. „^ie 9iatur
^ängt einmal nad^ bem SSerluilbern ^in, unb barum mu^
man 3:og unb D^a^t bagegen arbeiten", fagt ber alte ©ärtner
im Sobell, unb ^iecf ift auf biefen ©ebanfen, ber i^m befon=
ber§ bebeutung§üDff erfc^ienen fein mag, fpäter au§fü^rlid^er
jurücfgefcmmen.
9Jac^ ©c|elling'§ Se^re ergießt fic^ bie ^raft ber ytatxix
im (Strome i^rer ßntiüicfetung über brei Stufen: Sfieprobuf«
tionSfraft, Irritabilität unb «Senfibilität, bon benen hie
(Senfibilität bie l^öc^fte unb le^te ift. SDa fie hk gä^igfeit
ift, ®inbrücfe aufjunel^men unb ^i^ittabilität bie ©egenmirfung
gegen biefelben, fo fteJ)en biefe beiben Gräfte im SBe(f)feI=»
öerbältni^ unb bilben sufammen, lüaS man gelüö^ntid^ <Su
regbarfeit ober 3fieiäbarfeit nennt. 2öo bie a^eprobiiftioni-
fraft ba§ Uebergetoic^t ;^at, tüie dwa beim Söluen, finb bie
Stei^barfeitiSäu^erungen feiten unb fd^tüer, aber fraftöoH; Wo
(Senfibitität Ijerrfc^en lüirb, nehmen fie an Seic^tig!eit ju,
föofür fie aber frnftlofer tüerben. ®er mobernc, retjbare
ajienfd^ ift ha^ ©egenftüd be§ Sümen: föä^renb biefer ein
§uc^, SRomantiter. 10
146 '^^^ romantifcfje Gtjavaftcr.
Uebergelind^t nad) unten 'i)at, !§at jener e§ nad^ oben; e§ ift,
h)ie wenn bie ^robuftiüttät beim Sömen nic^t in 5Iu§ föme,
beim romantifd^en Tltn\ä)tn fid^ nirgenb ftaute. @r ift
be[tänbtg befd^äftigt, ouf bie sa^tlofen Steijungen, bie er
empfängt, ju reagiren, fein |)er5, (Si| ber Irritabilität,
mattet fid^ ah in biefem Kampfe unb jagt baö S3Iut mit
^eftig!eit burd^ ben Drgani§mu§ bi§ §u !raftIofer @r-
fc^öpfiing, an§ ber neue Steige e§ aufftören. Sötuennatur
mit ber Steijbarfeit eine§ romantifc^en SJienfc^en tiereinigt
tüürbe ben größten ^ünftler mad^en.
2Bie tiielfagenb ift e§ nac^ biefem ©ebanfengange, tüenn
^ied ben ®eift be§ S)id^ter§ — einc§ foIcEien Uiie er Ujar,
natürlich — mit einem elüig beiuegten ©trome tiergteic^t,
beffen murmelnbe SJielobie in feinem Hugenblide fdE)tüeigt,
ben jeber §aud^ rüljrt, ber jeben Sidf)tftrat)I wiberfpiegelt.
'^ad) immer neuen Silbern greift feine ^£)antafie, um bie
luollüftige ^ein biefeg unermüblid^en 9Iuf unb 2(b in ber
S3ruft 5U fd^ilbern. „Tldn Seben ift ein raftIofe§ S^reiben
ungeftümer SSünfd^e", fogt Sotiell, „luie ein SBafferrab tiom
tieftigen ©trome umgeluäl§t, je^t ift haS' unten mo^ eben
nod^ oben luar, unb ber ©c^aum ber SBogen raufd^t unb
lüirbelt burd^ einanber unb mac^t ben 33ti(f beg 93etrac^tenben
fd^lüiuDtig."
©iefelbe grage mieber^ott granj ©ternbatb: „SSenn nur
ba§ elüige ?luf= unb 5lbtreiben meiner (SJebanfen nic^t märe!
SBenn bie $Ru^e bod), hk mid^ mand^mal nur im SSorbei-
fluge fü^t, bei mir eiul^etmifc^ luürbe, bann fönnf td^ üon
(BIM fagen, unb e§ unirbe oieHeid^t mit ber ^eit ein ^ünftter
au§ mir ... 3l(f) xd) fet)' e§ ein, nod^ me^r füljt' td^ e§,
ba§ luirb mir emig nic^t gegönnt fein. Z^d] fann nid^t bafür,
td^ fann mic^ nic^t im Qamn tialten, unb ade meine ®nt*
tuürfe, Hoffnungen, mein Zutrauen gu mir gc^t öor neuen
5?cr rDmanti)d}e dljarafter. 147
©mpfinbungen unter, unb e§ luirb leer unb \vü'\i in metner
©eele, tüte in einer raupen Sanbfd^aft, tüo bie Srücfen üon
einem luilben SBalbflrom §njammengeriffen finb."
^ied felb[t f tagte noc^ im Sttter barüber, ha'^ auf bie
ipertobe bei „Seidötfinnl" immer longe Reiten ber SJ?eIan»
c^olie, 3)hiti)Ioftgfeit, ja S^erjlueiflung folgten, Jüo er ftumpf
unb unempftnblicf) , burc^aul unfähig fei irgenb etloaS 5U
unternehmen unb ätuerfloS inl Seere brüte.
3n Söacfenrober biefelbe ^rnnf^eit: „S<^ fomme mit
mir felber nid^t auf feftel Sanb. 9Jietne (Sebanfen über-
uml^en unb überfugeln fic^ unauftprlid^. — Unb fo lüirb
meine Seele luot)! lebenslang ber fc^luebenben Steollljarfe
gleidien, in bereu ©aiten ein frember unbefannter ^auc^
ttje^t unb med^felube Süfte na^ ßJefaden |erumtiiü^teu."
®aB bie „feltfamfteu 5Ibfprüuge öon ber ^öc^ften §ö|e
5ur tiefften Siefe" feinem @efut)Ie fo geiüö^n(ic| maren, fanb
griebrid^ ©d^Iegel ai§> Jüngling am meiften an fid^ 5U tabeln.
€§ t)erfte|t fid^ öon felbft, 'i)a^ er biefe Einlage feinem Quliul
in ber Sucinbe lei^t, öon bem er erjätilt: „Samt beraufd^te
er fid^ in SSilbern ber Hoffnung unb Erinnerung unb Iie§
fi(^ abfid^tlid^ öon feiner eigenen ^tjantafie üerfül^ren. Qeber
feiner SBünfc^e flog mit unermeßlicher ©d^nelligfeit unb faft
o^ne ^mifd^enraum öon ber erflen leifen Stegung jur grenjen^
lofen Seibeufd^aft. Sitte feine ©ebanfen nahmen fic^tbare
©eftalt unb 93eiüegiing an, luirtten in t^m unb luiber ein=
anber mit ber finnitcbften ^(arfieit unb ©einalt. ©ein ®eift
ftrebte nii^t, bie 3^9^! ber Selbft^errfcbaft feft 5U Ijalten,
fonbern luarf fie freimittig meg, um ftd^ mit Suft unb
UebermutI in bie§ C£t)aD§ oon innerem Seben ju ftürjen."
dMt ber i^m eigentl)ümlic^en ©rünbltd^feit t)at er biefe für
bie SO^enfc^en feiner ^eit fo d^arafterifttfc^e @rfd)einung
unterfudE)t unb bcgiitarfjtet unb tarn ju bem @d)Inffe, ha'^
10*
14,8 ®^^' i-'omantijd)c 6f}arafter.
3flet5l6arfett bQ§ gefäfjrlid^fle tüte ba§ fc^öttfte ®e[c|ett! ber
® Otter fei. „@e^t in einetn ©etnüt^ bie ©mpfängtid^fett
fe^r gering, bie Steijbarfeit fo grengenloS, ha^ bie leifefte
93erü^ritng if)re gan5e ©d^nelüraft anregt; bie ©elbftt^ätigfeit
fei fo ftor!, bofe fie bie ^errlid^feit be§ Set)en§ mit ber
Sfteijbarfeit ti)eile. «Sein ®afein irürbe ein ftete§ ©d^tt^anfen
fein tt)ie bie ftürmifc^e SBoge, eben fielen fie no(^ bie emigen
©ternc ju berühren unb f^on ftür5t fie in ben furd^tbaren
Slbgrunb be§ 3Jieere§. ®iefem ©ernüt^ fiel au§ ber Urne
be§ 2eben§ ba§ ^ödifte unb ha^ tieffte 2do§ ber 93Jenfc^f|eit;
innigft üereint ift e§ bennod^ gang getrennt unb im Ueber=
fTu^ öon Harmonie unenbtic^ jerriffen."
©0 mödjten fie Me ha^ ®anaergefd^enf bod^ nid^t miffen
unb finb ftotj auf ta^, \va^ fie aU i§r Unzeit empfinben.
Mit beiüunbernStüert-^er ^Iar|eit er!annte %itd, ha'Q hk
SReiäbarfeit ber (Stachel mor, ber i^n nie baju fommen lie^,
ein ruf)ige§ objeftiöeS Urt^eil gu getoinnen: feine ©inne,
bie ©aufler, lüie er fie nennt, f droben immer neue (S^egen-
ftänbe giinfdjen i^n unb ta^' beobachtete S3ilb, bi§ e§ gonj
üerjerrt unb jerriffen tvav. Unb hod) mad^te e§ i|n glücflid^,
tüenn i^m immer neue (5)ebanfen unb ©efü^Ie „loie fd^ie^enbe
(Sterne Durc^ hk ©eete flogen unb einen btaugolbnen ^fab
l^inter fic§ machten" unb er !annte nid^t§ (5dE)önere§ ot§ ein
®urrf)einanber oon ©efü^ten, «Stimmungen unb Stnflängen,
ha§ ben ajJenfd^en tüie mit einer glamme burrf)fd^immert.
ebenfo flammert fid^ ©ternbatb, oblüo^I er beftänbig flagt
über fein Sittern, (Sd^manfen unb Sd^raeben, ba§ i^n am
fräftigen Schaffen ^inbert, an biefe ^ranf^eit, biefen 9iaufd^,
biefen 2Bat)nfinn aB an fein $8efte§ unb @cf)önfte§ feft; unb
boc^ fielet ^ürer, al§ ber 9JJäcf)tige, gro^ unb unantaftbar
im ^intergrunb, unb e§ Hingt, aU tüolte er mit Ujenigen
fc^Üc^ten SSorten feine felbftöerftönblic^e Ueberlegenfjeit er=
®er vomanttictje G^arafter. 149
!(ären, tucnn er fagt: „9Kir §ot ber |)immel ein gelaffenel
33rut gefc^enft."
^lar, fcf)ar[ unb feinen perfönlid^en ?(nt£)eil oerrat^enb
ift, \va§ S^oöalil über hie Steiäbarfett gefagt §at:
„Slffju gro^e geiflige Semegltc^feit unb «Senfibilität
beutet auf 3Jianget an (lapacität. ©ie§e bie pl^antafiereidien,
atjuuugSöoden SJ^enfcl^en."
„Söer eine reijbare ©eele ^ot, bei beni Ujecft ganj
natürlid) hk ©egeniuart eine§ Ungtüif bie gange @c|aar
be§ anbern Unglü(f§ auf, unb nun ge^t im Sturm unb
gittern 5tIIea bunt burd^ einanber, o^ne S5erftanb unb Ueber*
legung."
„(Sine reijbare 95ernunft ift eine fc^mäcfilic^e, §cirttt(^e;
baJ)er bie äJJoroliften unb 93emer!er oft fo fd)Ie(^te ^raftifer."
®ie 3ieijbarfeit gab ben 9tomantifern ha^ eioig 3üng=
lingl^afte; benn bie ^iigenb ift bie ^eit be§ fd^äumenben
S3Iute§, wo nuc^ bem ®e(affenften luo^I einmal hk 3ügel
au§ ber |)anb fallen. ®§ ift ntd^t bie runbe, unfc^ulb^«
öotte, ftaunenbe, nid^tl öon fid^ lüiffenbe ^inbIicE)feit, W
naioc SJienfc^en aud^ im SUter |aben fönnen; eS giebt aud^
frül^reife, fdjmate ^inbergefii^ter mit großen, erfc^rocEenen
Slugen, bie mef)r föiffen, al^ fie faffen unb ertragen !önnen,
bie nid)t orbnen fönnen, n)a§ 5l(Ie§ auf fie einftürmt, unb
beäiüegen nid^t au§ unb ein lüiffen in bem üeriüidelten
£eben.
„Gin ttrtb üoU ÜSe^mittt) unb üoE 2;reue,
SSerftofjen in ein fvenibe§ 2anb" —
fo ^atte 9?oüati§ feinen greunb %kd angerebet. S^iecE er<=
jä^Ite in fpäteren ^a^i^en, luie er at§ f leinet ^'inb mit feiner
2Bärterin auf bem ©cf)(ü§p(a^e in ^Berlin gemefen fei unb
^erjlic^ öergnügt bie Dielen ©egenflänbe um fid^ |erum be-
trad^tct §abe, unb loie ba bie Söärterin, üon it)m unbemerft,
150 ®ei-' vomantii(f}e Gf)arofter.
gum ©dierj fid^ l^tnter einem Pfeiler öerftedt l^aBe; ha
ergriff it)n jum erften Tlal bQ§ Öiefü^I öon S3crlaffenfetn
fo fd^rerflic^, ba^ ba§ !(etne, berfc^üc^terte @emüt^ fid^ gar
nid^t lüieber tuoHte Iröften laffen. Ttt^v aU cnbre SJJenfc^en
^at ber romantifd^e ßfjarafter Ö^rauen öor ber Sinfamfeit
unb ein an ©d^ipöd^e gren5enbe§ S3ebürfni§ nad^ ©efetlfd^aft
unb befreunbeter UmgeBung, unb bei allem ^ang unb aller
Qöabt 5ur greunbfd^aft erf^toert gerabe i§m feine 9?eij6arteit
ben 5ßer!el^r mit SJJenfdEien itnenblid^. ^the Slbtceid^ung
öom Sbeal, öon bem Silbe, bo§ feinem fc^ön]^eit§füd)tigen
3Iuge öorfd^tüebt, ftört i^n unb fann i|n gu erbittertem Un-
njillen reiben, „©ein greunb §u fein, ift bie 5Iufgabe aller
Sluf gaben; benn er ift fo reijbar, ha'^ man nur l)uften,
nid^t ebel genug effen ober gar hu ^ö^ne ftod^ern barf,
um tl;n töblicl) ju beleibigen." ©elbft nid^t ^armonifd^ l^at
er ein Ieibeufd^aftli(^e§ 93erlangen not^ Harmonie in 2tnbern.
'^üx SSenige iniffen bie Siebe jum SoHfommenen mit 5)ul-
bung be§ noc£) UnnoHenbeten gu oereinigen, unb bod^ ift
jene nur mit biefer grofel^erjigen S^lad^fid^t oerbunben fdEiön
unb gut. „Zittau heftige Unleiblic^teit be§ UnooHfommenen
ift (S^lüäc^e", fagt 9^oOali§.
®er einzige, ben bie 3?omantifer ol^ne SSorbe^alt üer=
ehrten, tvax ®oet|e. @r mar für fie etma§ ber antifen
^oefie (^tei(^3uftettenbel: ein ©innbilb ber @d)öu^eit, ber
fie juftrebten. ©benfo tüie bie moberne ^oefie im ©egenfa^
jur antuen irar i^r ßf)ara!ter uic£)t fc^ön, fonbern intereffant:
intereffant bebeutet 3>uifd^enfein, alfo SSerben. 5llle§ gilt
öon t^nen, tva^ S^iebric^ ©c^legel gum Sabel unb jum 9iu^m
ber mobernen .^unft fagte: bie ^erüorbringenbc ^raft raftto§
unb unftät, bie ©mpfinblid^feit immer ebenfo unerfättlid^
luie unbefriebigt, SSenuorrenljeit, (Sefe^lofigfeit, ©fepticilmug,
öielfeitige Gljarafterlofigfett — 'äUt^ in Willem ein e^ao§.
5)er roniantijcfie G^arafter. 151
Win au§ bem Gf}ao§ f^uf ber fc^önfte ber ©ötter, ®ro§,
eine SBelt.
SBenn nun ba§ S^ao?, um einen 5(u«brucf bon griebric^
®d)(egel ju Juieber^olen, nur auf bie ©erü^rung ber Siebe
lüartet, um eine :§armonii'c^e SBelt fieroorjubringen, fo er-
innert ^a^ an bie 5Iu|ic^t üon 9^ot)a(ic>, jebe SSerbefferung
unüonfommener (Jonftitutionen laufe barauf ^inau§, ba^ mau
fie ber Siebe fähiger mac^e. Unb nierfiüürbig ftimmt bamit
bie SeJire überein, bie ber alte 2)?ann in S:iecf'ä Sftoman bem
©ternbalb giebt, baf3 \ia^ i^öd)fte tuaS ber SJJenfc^ erlangen
fönne, 3ufriebenl)eit mit fic^ felbft fei. „9Jtit fic^ guf rieben
fein", rief ber Sdte, „mit allen 5^ingen §ufrieben fein, benn
algbann tjermanbelt er fic^ unb 5tIIe§ um fic^ ^er in ein
]§immlifcl^e» ßunfliuerf unb läutert \\6) felbft mit bem geuer
ber ©ott^eit"; unb einbringlicf) fnüpft er bie ©mpfe^Iung
on ben Jüngling baran, feine ^^unft unb fic^ felbft ju lieben
unb 5u oeretiren, \a fetner nad^t^eiligen ©elbftüerai^tung
Zugang ju geftatten. 9Jian fonnte eg für fe^r lüunberUc^
galten — roeiin man nic^t gar Ziererei barin fie^t, — ba^
eine (Sd^iuierigfeit barin liegen foll, fic^ felbft 5U lieben.
Unb bocl tuar es feine 5tffeftation, tuenn fo otele ber Stoman»'
tifer nac^ btefem fo natüilid;en Sriebe mü^fam rangen
aud^ griebric^ ©c^Iegel betjauptete, baB bie Unfä^igfeit fic^
felbft 5U lieben i^m bie 33abn jur ©röfec öerfdjtie^e. 5Ib-
gefeben baöon, bofi bie betben ^erfonen, bie ba§ ^c^ bitben,
übeteinftimmen muffen, luenn fie fic^ lieben fotlen, mu§
man bebenfen, 'ha% bie ßunft tl^atfäc^Iic^ barin liegt, ben
richtigen ®rab ber ©elbftliebc ju treffen, fo 't^a'^ man üor
©elbftüber^ebung ebenfo fieser ift tote üor 8elbfterniebrigung,
ferner ba§ richtige 5ßer^ältni§ jur 9läc^ftenliebe ju finben.
(S§ giebt 3J?enfc^en, benen e§ oer^ältni^mä^ig leicht ftiäre,
ben 9Jäcöften me§r al§ fic^ felbft 5U lieben, luä^renb fie ba§
152 ^ei' vomanttid)e ©r^arafter.
©ebot, toeld^e» befte:^(t, t^n trie \id) felb[t §u lieBeu, nti^t
erfüllen fönnen. ®em fRomanttfer ift e§ eigen, jtüifdjen
einer fid^ jelbft luegmerfenben Eingebung an bie SJienfd^en
unb ©fei an i^nen gu fd^lüanfen. 9Jian bergteid^e bie ©teile
im ^^§antafu§, too S:iecf bon ber ©mpfinbung, mit ber er
im ^lutar^ öon großen SJJenfd^en lieft, mit einer anbern
in Soöell, tüo S3alber feiner 3JJenfd^enoera(^tung 5ln§bruc!
giebt. S)ort fü§It er eine SSett gu biel unb möd^te fic bem
angebeteten |)etben in ben ©d^o^ luerfen, ein quätenber
©rang fid^ aufguopfern befeelt i^n. |)ier ^ei^t e^: „'üld^
ha^ Söraufen bon a)JüJ)Iräbern ift berftänbiger unb an»
gene:§mer aU ba§ Klappern ber menfc^Iid^en KinnbacEen; ber
äJJenfd^ fte^t unter bem 5lffen, eben beSwegen, lüeit er bie
©proc^e ^at, benn fie ift bie fläglic^fte unb unfinnigfte
Spielerei. — . . . Sd^ ftanb in einer fernen SBelt unb
gebot ^errfc^enb über bie niebrigen @c^iüa|t^iere, tief unter
mir . . . unb rief ben gieifc^moffen gu: S^r ^Irmfeligen
— Klumpen bon tobter (£rbe — ^l^iere unb 33äume finb
in i^rer Unfd^ulb bere^rungSftürbiger aU bie beräcf)tlid^e
Sammlung bon ©taub, bie Jüir 9Jienfd)en nennen." ©inb
aucE) biefe SSorte einem SBa^nfinnigen in ben SJiunb gelegt,
fo ^ört man i^nen bod^ an, ta'^ S'ied fie in fic^ erlebt l^at.
Unb man fielet ^ier, loie ©elbftberad^tung unb 3Jienfd£)en-
öerad^tung fic^ gegenfeitig bebingen.
SSir fe^en ben ®ämmerung§menfd)en, ta§> Si^aog, in
bem bie aJiaffen trübe burc^ einanber fd^tuanfen. S)a§ Sic^t
ift eingebrungen unb fud^t fie gu t^eilen — noc^ luirb e§
nur al§ bie fc^eibenbe Tlaä)t empfunben, bie au§ einanber
fc^neibet, lüaS mit bumpfem SBol^tgefüi)! in ein» berfd^mommen
njar. 9ieic^t|um, Harmonie, SSoHenbung nannte griebrid^
©d^tegel bie brei S^^eile, bie jur reinen 5öon!ommen!^eit be§
(S^arafterS geirrten, lüomit nid^t§ 5lnber» gemeint ift at§
S)er vomanti}cI}e Gfiaraftcv. 153
SBtllen (Srtet), UnbelDuBteS), Sntelleft (9lb[ic^t, SSelru^tfein)
unb Jßereinigung biefer betben ^älften in eine SBelt. ^nbem
er jagt, SSoHenbung äußere fic^ aU ©elbftänbigfeit ober
fitt(i(f)e SteBe, mad^t er e§ itn§ flar genug, nja§ tutr barunter
oerfte^en follcn. ®tcfe Sretetntgfett ift feine anbre aU bie
^erber'§: Sic^t, Siebe, Seben.
SBenn bie bämmernben 3}?affen be§ C£f)ao§ in 3:ag unb
S^Jad^t gefc^ieben jinb, bann er[t fann bie Siebe fte ^armonifc^
tjerbinben. äl^it ber einfd^tagenben buc^ftäblid^en S^ic^tigfeit
fla[[i|cl^er Offenbarungen nannte ber Slpoftel ^aulu§ hii
Siebe bo§ Sonb ber ^BoHfornmenl^eit.
(S§ finb man^erlei Sräfte, aber e§ ift
ein ©Ott, ber ba tnirtet Siae§ in «üem.
qjautug, fforint^cr XIl, 6.
Surcfi atte Söne tönet
Sm bunten ©rbentraume
ein lei(et Xon, gejogen,
fjür ben, ber l^eimlic^ lauftet.
tJriebr. ©ifilegel.
Sl(§ ein 9}?ärd^enlanb, wo '3tIIe§ SBunber ift, benfen tüir
un§ bie Stomantü; unb bod^ bürfte ^ant, bem unerfcitt-
Ii(^ften Genfer, ein 5D^onument barin errichtet tüerben. S^iid^t
lüeil er in blaue bunflige gerne l^inein bie l§ängenben ©arten
feiner inteHigibeln SBelt baute ober mit nnburd^bringlic^em
Säd^eln bem ©eifterglauben bn§ Söort rebete, fonbern lueit
er ben ©d^iüer^unft ber ^lilofopl^ie in ben 9J?enfc|en öer-
tegte. „dla<i) ^nnen gel^t ber ge^eimni^öolle 2öeg", öer=
fünbigte fpäter SfJoOaliS. liefen SSeg |at ^ant einge=
fc^Iagen. SSon ollen (Seiten ]§atte man in bie SBeltöefte
einjubringen gefud^t: ba entbedte er eine fteine übertüad^fene
Pforte, bie bisher überfe^en tuar, einen unterirbifd^en 3"'
gang jur ©d^a^fammer, föo alle iDertfjüoHften ©üter auf»
gef^eid^ert finb. 9?un ftürste fid^ ber Strom be§ gorfd^en^
in bie bämmerige, unabfe|bare .'pötjle hinein.
^ant'§ SJJeinung mar gemefen, bie ©renjen unfrei @r=
fennenl 5U geigen unb bie Unmöglirf)feit, ba§ ®ing an fid^,
ben ^ern bei (Srfd^einenben, ju greifen, fo lange mir in
bie SD^alfe unfrer Sinne unb angeborenen SSorftelliingen
9iümantiiii)e ^'f}iIoio|3l)ie. 155
toermummt finb; luie jiuet ^Ritter in JRüftung, tuenn fie fic^
bie ^aiib geben, ntc^t bie ^anb felb[t, fonbern nur ba»
iinempfinbltdöe (Sifen bcrüfjren unb füfilen. ©o etiua foHten
ficö ber 9}?enf(^ unb bie Ä^elt gegenüberfte^en: äluet 93er-
mäl^Ite, benen bie erfte, blinb feurige Umarmung bie er-
träumte ^Bereinigung unb 93efriebigung nic^t gebrad^t ^t,
unb bie nun, nad^bem fie allmälig öon i^rer bitteren @nt*
läufcfiung unb (Srfältung jurücfgefonimen finb, Derjiifiten unb
\xä) äu einem freunbfi^af Hieben, fcbonenben 9Jebeneinanber='
leben entf(^Iie^en. 2Bie angemeffen, tapfer unb berüunbernS-
lrert| tit^: avid) unter Umftänben fein mag, fo ift e§ boc^
ntd^t§ 3(nbre§ aU ein modus vivendi; ber 3}?enfd^ ift ein
geborener .C-ielb, ber, luie ^d^iHeS, aud^ in lueibifd^eS ©eluanb
öerfleibet, nad^ bem ©c^iuerte greift, fomie er ein§ öon ferne
flirren (jört; ein ^önig^fofin, beffen 9Jatur nad^ ber ßrone
§u trad^ten, lüie jurüdgebrängt fie oud^ burd^ Su\aU ober
Stbfid^t fei, früi)er ober fpäler befto märfjtiger |eröorbrid^t.
5)a^ e§ bennod^ möglid^ fei, möglicE) fein muffe, hie 2Be(t
ju burd^bringen, i^re ©eele ju bcrül^ren, allraiffenb §u
njerben, trar bie erfte bunfle pl^ilofop^ifdEie 9iegung im
Greife ber JRomantifer.
„®ie ©eifteriüelt ift nic^t uericfiloffen,
®eiu Sinn ift jn, bctn .sjerj ift tobt,
?luf, habt, <5d}iUer, nnüevbroffen
5)ie irb'icf)e 33ruft im TOorgcnrott)",
biefe ®oet§e'f(^en SBorte erffärte ber funge griebric^ @rf)Ieget
für feinen 35?a(}Ifprucf). ©oetije, ben SSertrauten ber D^atur,
proflamirten fie im Stt^enöum al§ i£iren gü^rer, at§ ben
93ertreter ber neuen Seit; neben if)m aber einen anbern
9J?ann, einen Sd^üler ^ant'ö, ber ha§, iüa§ er 9latur nannte,
nic^tad^tenb mit bem gufee üon fic^ ftiefe: girfite.
2(u§ feinen Silbern fetjen un§ feine großen 2tugen mit
156 9tomanti)d)e ^^iIofo|3f)ie.
einem fanatifd^en, äetjienben ©eiftblW an, ber ntd^tS öon
ben wecfijelnben farbigen unb |3laftijc^en 65ec\enftänben um
fid^ ^er tüalrjune^men fclieint; man fönnte fic^ au§ feinen
Stugen feine ^^ilofop^ie erffären: für fie giebt e§ nid^ts ai.§
ha^ Stbfolute, ein grofeei? 33egripgerippe anftatt be§ atl^-
menben, blutumrmen 9ZaturIeibe§. S)a§ toHfü^ne @t)ftem
berührt ben 33oben nur in bem einen ^^unfte: ^d) bin ic^.
S5on ha au§ tprmt e§ fid^ fd^iuinbelnb empor. 2Ser hin-
auf flettert, greift oergebenS nad^ einem feften ^alit au|er-
|atb, babei tüagt er lueber über nod^ unter fid^ ju bliden,
h)0 ringS ber 5lbgrunb be§ 9iid^t§ ift, unb bie Suft mirb
bünner unb bünner. (S§ leuchtet ein, ha^ ba» nii^t ^eber^
mann§ @ad§e ift. ^nbeffen mer geiftige ©elcnügfeit unb
©nergie genug befiel, um ben SSerfud^ nic^t ju fd^euen, bei
bem fann bie :^aI§brecE)erifd^e Uebung fogar gur ^affion
luerben, unb er geiuöljnt fid^ baran auf bie (S^efal^r {)in,
fd^Ite^Iid^ einmal haS^ ®mid babei 5U bredjen. 5;ro|bem,
aud^ lüenn man annimmt, bie 5trbeit be» abftratten 2)enfen§
fei ber bamaligen Sugenb nid^t fo n^ibernatürlic^ unb |)einlic^
geipefen, fd^eint e§ erftaunlid^, ha^ eine fold^e Se^re unter
i^r (Spod^e machen fonnte, ba§ fie, n)ie e§ t^atfäd^Iid^ ber
^aU tüax, bie ftürmifd^en iungen ©emütljer jener reoolutio*
nären S^^^ bcgeifterte. S)ie ^ßerlüanblung ber SSelt in ein
Qd^, bie i^i<i)tt üorna^m, war hk f)eroifd^e 2:I)at, bie it)m
hk ^üngerfdjaft ber mobernen ßJeifter gemann. 5)a^in
brängte bie ^eit, e§ tüar, ma§ jeber in fid^ erlebte. ®a^
hk SBelt bei t^id^te nur eine äußere unb ha^ ^ä) nur ein
erfennenbe§, öorfteHenbeg, beiuu^teä tuor, fein füt)tenbe§,
biefer SJiangel öerfc|nianb junäctift üor ber gorm be§ mäd^^
tigen ©ebanfenS. @§ gebe, fugte gid^te, nur giuei Strien
ber ^t)üofo|)f)ie: bie fritifd^e, bie bie ©renje be§ 3d§=83e-
lpuf5tfein§ nid^t überfd^reite, bieg fei bie St'ant'fdE)e, unb im
3f?omantiic^e ^^(}tIDfopf)ie. 157
©egenfa^ ha^n btc be§ ©pino^n, uield^er jene ©ren^^e ü6er-
fcJirttten i^ahe. ®tne ^äufd^ung i[t cl §u tüäfinen, e§ gäbe
nod^ ein ^tu^er^alb biefer (SJrenje; beim tann trgenb ehüa§
fein auBer in un[erm Seumfetfein? SBa§ un§ tion un§
unterfd^ieben ju fein, iüa§ nn§ nid^t S<^ S" fetn fd^eint, ift
bod^ and) mieber nur eine in un§ ejciftirenbe SSorfteHung;
unb lüeit tüir ben SSegriff be§ 3^ nic^t bilben fönnten ol^ne
etmal, n5a§ ni(^t ^d^ ift, muffen mir eine SEelt üon un§
löfen unb un§ banon uutcrfd^eiben. 6ine optifi^e 2'äufcf;ung
gfeid^fam öertegt ba§ S)ing an fid^ naä) aufjen; tüir finb e§.
9luc^ ber ftumpfefte SKenfd^ njirb geboren mit einer (Sin»
btibunggfraft, hit i^m bie Söelt fc^afft: er ift ber ©ott, ber
au§ bem G§ao§ Sic^t tnerben lä^t, ben §immet öon ber
(Srbe fd^eibet, ben ®ang ber ©eftirnc orbnet unb nad^ einem
moralifclen ®efe^, ha^ er aufftcKt, bie |>anblungen be§
®eifte§ regelt.
®aB nichts aufter bem ^c^ fei, wai ba§ ^adenbe unb
Unantaftbare in gid^te'^ Sefire; luäre er nun no^ barauf
gefommen, ha^ jene ©renje be§ S<^=S5eliniBtfein§ im ^ä)
fetber liegt, ha"^ alfo ha§ 9Jid§t-S^ tft, aber allerbing§ nic^t
au§er bem 3d§, fonbern in i^m, feine bunfte §älfte, fo
^ätte er in SBirflid^feit bie SSelt mit eingefd^ (offen, üon ber
er je^t abftra^irte unb ber 9latur, bie if)m ie|t nid^t§ aU
öergänglid^e SJJaterie Juar, ben @eift gegeben. ®enn ha^
Sd^ unb bie SBelt finb, nad^ einem 2Borte üon S^Joüali^,
integrante §älften.
(Serabe in '\^xd)tt'§ ©infeitigfeit lag eine üerbtüffenbe
©röfee. 2öte ein blinber 9iiefe fc^ritt er burd^ bie 9Jatur
unb üer^üHte fie mit feinem Sd^atten bor ben S3(iden berer,
bie \id) i!§m anfc£)Ioffen. Iiinreifeenb unb er^ebenb iüir!te
fein ßJIaube an ha^ ^itCtoermögen be§ menfd^Iic^cn ©eifteS.
2)ie 9JJenfc^beit fing an ju aljnen, tüa» e§ eigentlid^ bebeutc.
158 9tonmutii(l)e 'Jp[)iIofo|3:^ie.
ba§ fic jum SSilbe (Sottet gefd^affeu fei. „SSa§ tft benn
unfre SBürbe", fc^rieb grtebric^ ©d^Iegel, jtuanjtgjäfirig, an
feinen S3ruber, „aU bie ^raft unb ber Gntfrf)tuB, ®ott äl)n-
lic^ gu Serben!" ®te§ taftenbe ®efüt)(, ba^ ein unenblic^eS
3iel unD eine götlticfie S3eflimmung uor bem Tln\)d)tn liege,
erleu(i)tete ?5ic|te mit bem fd)arfen Sid^te feinet 33elnu§tfein§.
Sin bem ÖJebanfen ber ©tnjigteit nnb ^öf)e be» 9J?enfc^en
fonnte fic^ ber §er6e Genfer beroufdien, unb biefe abftraüe
2;runfen|eit, in bie er fid) gulueilen in feinen ©d^riften
fleigerte, ift luoi^t geeignet, fic^ bem Sefer mitäut^eilen. ^d^
unll ein S3eifpiel herausgreifen, wo er folgenberma^en über
bie SBürbe be§ SJfenfd^en fprid^t:
„ßrft biird^ ba§ ^d) fommt Drbnung unb |)armDnie in
bie tobte formlofe SJJaffe. Sldein üom 9Jienfc|en au§ ber»
breitet fic^ 9legetmäBigfeit runb um it)n i)erum U§: on bie
©renje feiner SöeobacEitiing — unb mie er biefe Leiter öor*
rürft, tt)trb Drbnung unb Harmonie Uorgerüdt. ®urc^ feine
^Beobachtung falten fic^ bie 2BeItförper jufammen unb tüerben
nur (Sin organifirter Körper; burd^ fie bre^en bie ©onnen
fid^ in i|ren angeroiefenen S3a()nen. SDurc^ ba§ ^^ fte^t
bie ungeheuere (Stufenfolge \)a öon ber gled^te lbi§ §um
©erap^; in i§m ift ba^ @t)ftem ber ganjen ®eiftern)elt, unb
ber ü)JenfdE) erwartet mit JRed^t, iia'^ ha^ @efe^, ha^ er fid^
unb i§r giebt, für fie gelten muffe; ertuartet mit Sfiec^t bie
einfüge atigemeine 5lnerfennung beSfelben. '^m ^<i) liegt
ha^ Unterpfanb, ba^ öon il)m au^ ux'§ Unenblidie Drbnung
unb Harmonie fid^ öerbreiten inerbc, tuo nod^ je^t feine ift;
ba| mit ber fortrücfenben Kultur be» 9JJenfd^en augleid^ bie
Sl'ultur be§ SBeltaHg fortrüden merbe luaS euc^
3:0b fd^eint, ift feine Steife für ein ^öljereä Seben — in
jebem SDJomente feiner ©i'iften^ rei|t er ettua§ 9ceue§ au|er
fid^ in feinen Slrei§ mit fort, hi§ er 2ltle§ in benfelben öcr-
9}omantifcf)e '^n)t{ofo)j()ie. 159
fd^Itnge: bi§ ade 9JJaterte ha§^ ©epräge jetner (Siniuirfung
trage unb alle ®et[ter mit feinem ®ei[t (Sinen ©eifi au§s
mad^en. ®a§ ift ber Wm'iä); ha^ i[t ieber, ber fic^
jagen fann: id) bin äJienjc^. ©oHte er ntd)t eine ^eilige
(5l;rfurd§t üor jid^ jelbjt tragen unb jd^aubern unb erbeben
bor jeiner eigenen 9}iaiejtät? . . . ."
Sieje Ueberjeugung üon ber jd^öpjerijd^en Stellung be§
9Jicnjc^en im 3KitteIpun!te ber SBelt, öorgetragen o^ne ben
enipürenben Uebermnt^ be§ ®m|Dorfömmting§, Jonbern mit
bem angeborenen 58eiini^tjetn, bof; 5lbel öer^jlic^tet, irecfte
ben tauten SBieber^all in ber S3ru[t ber romantijd^en ^ugenb;
ha''^ im eigenen Innern bie Söjung aller ©e^eimnijfe unb
ber OuetI aller 3u^"»ft i^uIk, loar eben i^r ©taube unb
i|re 5ll^nung. 53egrünben fonnte gierte bie unert)örten
gorberungen, bie er an bie äJienjd^en jteHte, nur burd^ ba§
dommanboirort: bu jollft!, ba§ mit ©teruenjd^rift am |)immel
jebe§ 33etüuBtjein§ ftammen jollte, eine angeborene moratijc^e
(Sonne, bereu ®ajein oorau§5UJe^en luar.
@§ ijt mertiüürbig, tüie loenig 93eein[Iujfung eine ptitto-
jo|)!^ijc^e 2e£)re aui^übt, Juie jie jelbjt tjielme^r üon jebem
©eijte, ber jie auffaßt, Umbilbung erjal)ren mu|. gür
äJJanc^en mochte ^id)tt'§ 3lnjid^t eine ©tü^e be§ ebeljten
«Strebeng, eine @c^ule ber ©r^aben^eit jein, jc^mac^e unb
unflare ®emüt|er jogen jid^ ®ijt baraul. Siecf, in bem
fein 3ug tnit gierte jl)mpat£)ijirte, |at im SoöeH unnad^-
atimtic^ bargejteHt, wk gerrüttenb bie jtrenge Sc^»2Bijjeu-
j(^aft auj ÜDpI unb ©ernüt^ tüirfeu fonnte. ^n ba§ gejüf)l§«
fromme ^erj be§ ^üngtingä bringt bie Se^re, ha^ bie Statur,
bie i§u umgiebt, ber er jid^ mit jo je^njüdEitiger Snnigfeit
i^injugeben pflegte, nid^t§ ijt al§ ein SBilb, ha^^ jeine @in=
bilbunggfrajt i§m oor bie ©inne jtellt; nirgenbS, nirgenb§
antiüortet jeiner 2khe ein begegnenbeS ®efüt}I, jid^ jelbjt jinbet
160 Diomanliicfje ^^tlofop^te.
er in entfe^Iic^em ©tnerlet, »üo^tn fein berlangenbeS ?(uge
fie^t, "Die ganje 2Sett ift nur ein Spiegel, ber ii^m bie @n)igfeit
feines troftlofen StUeinfeinS öor^ält.
„3c^ fomme mir nur felbft entgegen
3n einer leeren SSüftenei."
3Bie ein Safd^enfpieler unb ^ou^erer fielet er etnfam
inmitten ber ipefenlofen ©(Ratten, bie er auf bie teere loei^e
SBanb rt)irft, bamit er fie nur nic^t fie^t, bie aufeer it)m
baS ©injige ift, mal ift. Spönnen i^n bie Selüegungen ber
Hampelmänner intereffiren, bie er f eiber tanken lä^t? @oII
er ben ©prüc^en laufd^en, bie bie 9}?arionetten auffagen, ta
er fie i|nen felbft in ben 3)?unb gelegt I}at? ®§ efelt i^n,
immer unb immer nur bie eigenen ©tiicfe aufführen §u fe^cn.
„Oft fc^tüebt bie 2BeIt mit i^ren SJtenfc^en unb Zufällig-
fetten tük ein beftanblofeS ©d^attenfpiet öor meinen 5lugen.
Dft erfc^ein i(^ mir bann felbft tük ein nütfpielenber ©d^atten,
ber fommt unb gel^t unb ficf) Jnunberlid^ geberbet, o^ne ju
iüiffen marum. Sie ©trafen fommen mir bann nur üor
h)ie Steigen bon nac^gemad^ten Käufern mit i£)ren närrifd^en
93elD0^nern, bie SJienfd^en üorfteHen, unb ber ajJonbfd^ein,
ber fid^ mit feinem rt3e^mütf)igen ©dEiimmer über bie (Waffen
aulftrecft, ift inie ein Sid^t, ha§ für anbre ©egenftänbe
glänzt unb burd^ einen 3wfatt oud^ in biefe elenbe läd^er-
lic^e SBelt hineinfällt."
^mmer nur fein eigene! Söelnufjtfein aulfd^öpfenb, ge-
räf^ er in entfe|Iid^e SSerarmung. ®em ^önig 9Jiiba§
ä|nlid§, bem fid^ §tlle§ in (Solb öermanbelte, mal er effen
motite, mu^ er berfd^mac^ten, meit er feinem ©eifte feine
anbre ©peife all bal eigene ^d^ 5U geben ^at. SBä^renb
für benjenigen, ben eine t^ülle bermanbter, befreunbeter ober
ber£|ü((ter (Srfd^einungen umringt, bie 233elt ein ©d^taraffen»
lanb ift, bal aulsumeffen er fid^ ^a^rtanfenbe bei Sebenl
Dbrnanttjclje ^;p[)iloiopt)ie. 161
tüünfc^t, ftel)t er gelangtneUt, öetB^uncjrtg, ausgeleert juüjd^cn
ben (Spicgelbitbern [eine? franfen ^d^:
„^d^ ^a6e fc^on oft l^etmüd^e ißeriüünfc|Hngen au§ge«
flogen unb grä^lid^e ©prüd^e üerfud^t, um bie ©egenftänbc
um mid^ l^er in anbre gu öermanbeüi. Stber nod^ Ijat ftd^
mir fein ©etjeimni^ enthüllt, noi^ ]^at bie Statur ntdjt
meinen Sejauberungen geanttuortet; e§ i[t grä|Iic^, nid^t§
metjr ju lernen unb feine neue ©rfal^rung ju madEien "
3)er 3>ueifel an ber 2Birf(ic§!eit ber finnfäüigen 5Iu^en=
n^elt rei^t ben grübeinben ÖJeift lueiter jum lüa^nfinnigen
^U'eifel an jic^ felbft. SJiit btejer toHen ©elbflüernic^tung
ttjeclfelt aber ber UebermutJ) be§ ptö^ti^ Slönig geworbenen
^Inbeä. 5)enn ber bisher aU ein Stebenber unb 3[nbetenber
im ^eiügtl^um ber Statur gefniet !^atte, erfäljrt auf einmal,
ba§ er üjx iperr ift, ber fie gemad^t ^at, luo fie fcf)ön i[t,
auf beffen S^roft fie ^arrt, luo fie 9J?ängeI i)at
Sie 23efen finb, lueil wir fie bacf}ten.
^in trüben Sc()tnuner liegt bie Titelt,
ti^ fnflt in if)ve bunfcln ®d)nd)te
6'in (Scf)immev, ben luir mit nn§ bracfjten:
SSarum fie nid)t in U'ilbe Sriimmer faßt?
SSir finb ba^ Sdjictfaf, ba-3 fie nnfvec^t t)ält!
Dfjne 3't^etfel fönnte bie§ 33elüu^tfein einen ftarfen @eift
§um pd^ften §eroiSmu§ entflammen; aber ben tueic^Iic^en
SoöeH brücft bie SBürbe balb nieber, balb teilet fie iJ)m hen
SSormanb, feinen Seibenfd^aften ben ^ügel f^ie^en ju laffen.
„@o bel^errfd^t mein äußerer ©inn bie p^i)fifc{)e; mein
innerer ©inn bie moralifd^e Söelt. 2lIIe§ miterluirft fid^
meiner SBidÜir, jebe ©rfd^einung, jebe |)anbtung fann id^
nennen, luie e» mir gefällt; bie (ebenbige unb leblofe SSelt
f)ängt an ber Jlette, bie mein ©eift regiert, mein gan§e§
Seben ift nur ein 3:raum, beffen mancherlei ©eftalten fic^
j5uc^, SRomantiter. H
162 3bmanti!cl)e ^f)i(oiop[)ie.
nac^ meinem Sitten formen! ^d) felbft bin ba§ etnjige
Öiefe^ in ber ganjen 9Jatur, biefem ®efe|e gel^ord^t 2llle§."
( (5§ ift fetbftöerftänblic^, ha'^ man nidit gid^te bafür öer-
anttoortlii^ mad^en !ann, lüenn junge Seute i^r franf^aft
angei'd^lüollenel, Ieibenbe§ S<^ [einem ^öc^ft correften Segriff
unterfd)oben uiib bann an biefer popularifirten ^f)iIofop]^ic
äu ©runbe gingen, ^n 9bt)ali§' fcf)önem ©emütt) ent^ünbete
jeber t)inetngef)3rü:^te S^eenfunfe eine fd^Ianf auflobernbe
flamme; luie er nic^t§ erleben fonnte, ha^f il§m ntc^t tüo^I
t^at unb t§n ntc^t förberte, fonnte er aud) feinen ©ebanfen
aufnehmen, ber ntd)t neue, lebenSüoHe ©ebanfen in if)m be-
lebt ^ätte. Sßie h^unberüDlI öermifc^en fic^ Sirunfenlieit unb
S3efonnen^eit in feinem ijljilofop^if^cn ^ubelrufe: „2Bq§ id)
tüiU, iia^ fann id^. S3ei ben SJJenfd^en ift fein 5)tng un-
möglich." ®§ fönnte fd^einen, alg ob ba§ f^ic^te'S ©prad^e
föäre; aber tüenn er unb 9^oöaItä „xd)" fagten, fo t)atten fie
ettüa§ ganj SSerfd^iebeneg im ©inne. 5lu» Sfteijungen ber
Sinne f^afft fid^ ber 9}^enf(^ eine bunte, geräufc^ooHe,
greifbare, ja eine beruünftige 5ß5elt: er ift ein tauberer;
aber id^ saubere, o^ne e§ ju lüiffen, alfo bin id) e§ nidjt,
fonbern ein anbre§ ^d^, ba^ jenfeit meinet Seinu^tfeing
i]nx\d)t, boUsielt in jebem 5(ugenblic! btefe unerbörte Sßer»
tuanblung. Söenn el mir gelingt, mtd^ biefe§ trQn§cenben=
taten ^d) 5U bemäcfitigen, bann bin id^ tauberer, bann Uli
i(^ erft in 2Ba^r|eit ganj ^d). 5tn if)rem pfeilgraben, ftoljen
galfenffuge erfennt man bie ß^ebanfen DfJooalie'. offenbar
War e§ t^m, hal^ ber ^ÜJenfc^ fein innere^ ^önigreic^ nod)
md)t gang fannte, gefc^iuetge benn beJierrfd^te, au§ einer
unabfe^baren 3:iefe, luoljin ber S3tidE nid^t bringen fonnte,
brang ber Son mäd^tigen 2eben§, unb of)ne Söeiterel loagte
er ben öerhjegenen ^arraSfprung hinunter. 2)ie beiben
9?eic^e gu üerbinben, unter ein ©cepter ju bringen, bie un-
9?ümnnttid)e ^f)Uofop^te. 163
beluuBte 3a»^erfraft Betuu^t unb baburd) fic^ erft ju eigen
ju machen, wax fein Programm für bie ^i'funft ber SJJenfd^»-
Ijeit, bie ^lufgabe, hk er i^r ftettte. 90kn foH t^n felbft
fprec^en !)ören:
„'Ser größte 3a»Berer luürbe ber fein, ber fid^ jugteic^
fo Bezaubern fönnte, ha'^ i£)m feine Räubereien tüie frembe,
felbftmäc^tige ©rfd^etnungen üorfämen. Slönnte ha§> mit un^
nic^t lüirfüd^ ber gati fein?"
„Unfer Körper foH ipitüürlidj, unfere Seele organifd^
lüerben."
„SSidfürlid^e (Slieber finb Sinne in ftrengerem Sinn.
5ßermei)rung unb 2tu§b.ilbung ber ©inne gehört mit ju ber
Hauptaufgabe ber 5^erbefferung be§ 9Jienfc|engef(^lec^t§, ber
®raber^öt)ung ber 5D?enfc^^ett. Silbnng unb SSerme^rung
ber ©eele ift ha^ tuid^tigfte unb erfte Unternehmen."
„Xn 9JJenfc^ ift biejenige ©ubfianj, tüelc^e bie ganjc
3fJatur unenblidifac^ bricht, b. i. polarifirt. Sie SBelt be§
9JJenfrf)en ift SBelt, ift fo mannigfad^, al§ er mannigfach ift.
^ie Sßelt ber %^int ift fc^on ärmer unb fo tierunter."
„Stunft, unfern SSillen total ju reatifiren. 2Bir muffen
ben Slörper loie bie «Seele in unfere (Setoalt befommen.
S)er Körper ift ha^ SSerf^eug gur S3ilbung unb SJiobifüation
ber Söelt; mir muffen alfo unfern Körper jum aUfä^igen
Organ ausjubilben fuc^en. SJJobififation unfrei SSerf^eugg
ift ajJobifitation ber 5a3ett."
„SSerfäeuge armiren ben SJienfd^en. Tlan fann mol^t
fagen, ber SD^enfd^ öerfte^t eine SBelt ^eroorjubringen, e§
mangelt i^m nur am geijörigen 5tpparat, an ber 0er§ältni^=
mäßigen Strmatur feiner Sinne^merf^euge. ®er Slnfang
ift ba."
„Unfer ganjer Körper ift fd^Ied^terbingg fät)tg, oom ©eift
in beliebige S3eroegung gefegt 5U n^erben. 2)ie Si^irfungen
11*
164 ÜbmantiicTje 'ip^i(o)o^^te.
ber ^unft, be§ @c^rerfen§, ber S:rauri9feit, bc§ '^tiht^, be§
3orn», ber Sd^am, ber gteiibe, ber ^^antafie u. f. id. finb
Snbifattonen genug. Ueberbem (jat man genugsam $8eifpiele
üon aJienfc^en, bte eine lütllfürlic^e ^errfc£)aft ü6er einjelne,
geiüötjnlid^ ber SBitlfür entjogene Sljeile t^re§ Körpers er=
langt ^aben. ^ann irirb jeber fein eigener ^(rjt fein unb
ficl§ ein boIIftänbtgeS, ficfiereS unb genaue^ ®efü^t feineg
Körpers erlüerben fönnen, bann luirb ber DJ^enfd^ erft \va^x=
^aft unabhängig öon ber Statur, tiielteid^t fogar im @tanbe
fein, üerlorene ©lieber ju reftauriren, fid^ blo^ burc^ feinen
Söitlen jn tobten unb baburc^ erft lüa^re ^(uffc^Iüffe über
Körper, «Seele, SBett, Seben, Sob unb ©eifterroelt erlangen.
(S§ lüirb öicUeid^t bann nur öon if)m abhängen, einen ©toff
§u befeeten — bann trirb er öermögenb fein, fi(f) tion feinem
Körper jju trennen, tüenn er e§ für gut finbet."
(äanj tüie gierte nannte 9ioüaIi§ ben menfc^Iicfien Körper
ben einzigen Sempet, ben e§ in ber SBelt gebe: „man be-
rührt ben |)imniet, trenn man einen 9Jienfd^enteib betaftet",
unb ganj lüie i^icbte üerlangt er öom 9JJenfc^en, ba§ er
(Sräiefier ber 9?atur jei, bie moralifd^ Jnerben muffe burc^
i^n. 5tnberfeit§ fiatie aud^ i^iä)tt don ber 3:^eilbaifeit be§
^d) gefprod^cn unb ha^, n)a§ er Täd)t'^(i) nannte, ba§ Db'
jeft, aU njieberum tl^eilbar, bem t^eitbaren ^d) in i^m felber
entgegengefel^t, fo ha'^ man l^ätte meinen füllen, er ^ätte an
ber ^Realität ber 3lu^entuelt, bie ba§ ^d) in fic^ fiat, il)r
iüirflid^e§ 2)afein überf)aupt unb t^ren ^»fooimen^ang mit
bem SOZenfc^en erfannt. 5Iber bei gicf)te blieb SÜUc^ tobter
SSegriff, luaS 9toöa(i§ lebenbig machte. SSenn 9Joüati§ fagte,
bie D^atur fei ein encljüopäbifd^er, fyftematifdEier Snbej; ober
Pan unfere^ ®eifte§, fo fonnte Sichte bo§ unterfc^reiben;
aber er geljörte ju benen, bie \\d) „mit bem b(o§en SSer-
jeic^ni^ unfrer ©djö^e begnügen" luoUen, luä^renb 9ioüaIiä
9?omantiicf)e ^^iloiop^ie. 165
aufforberte, fie felbft 311 betrad^ten, ^u bearbeiten uub 5U
benü^en. „Söa§ gatum, ba§ iin§ brücft", fagte er, „t[t bie
2;räg^eit unfrei ©eifteS. Si^urcl^ ©riueiterung unb S3tlbung
untrer 2;bätigfett luerben mir un§ felbft in ha^ "Saturn
üeriuanbeln. '3ltle§ fd^eint auf un§ tjercin^uftrömen, roeit
tüir nid^t ^eraii§ftröinen. 2öir finb negatio, lueil n^ir uiollen;
je pofitiöer tnir lüerben, befto negatioer tnirb bie 21'elt um
un§ f)eruni, Viv am ©nbe feine 9Jegation me^r fein lüirb,
fonbern mir Meä in Mm finb. ®ütt luitt ©ötter."
@o flö|te 9Jot)aIi§ S3tut unb Seele in "iia^ ftarre
^nrc^engerüft öon gic^te'^ ©ijftem unb bemerfte gar nid^t,
ba^ er fefbft ber ©d^öpfer biefeg pulfirenben 2cben§ luar.
5)a^ ba§ gic^te'fc^e ^ä) eine 3Serftetnerung tuar, lo^geriffen
öon bem 5ufammenf)aug ber lebeubigen Statur, empfanben
olle biejenigen, bie ben ©trom i^rer unenblid§ entiuirfelnben
Straft in fic^ auf» unb abfd^iueHen fü|)Iten. S3iele, bie fid^
an ^ant unb 5ic£)te gebilbet unb bie toiffenf^afttid^e SKe»
t|obc banfbar angenommen l^atten, geriet^en in eine tro^ige
2Biberfel3lic^feit, aU fie inne umrben, ba^ ber CueH ber
Siebe in i^nen öerf^üttet luerben foHte. ^m ^a^xt 1796
»erfaßte Sranj S3aabcr eine ©djrift gegen ^ant, bie bamati
ungebrucft blieb, n)orin er beffen moralifc^en Soiperatio
angriff, ba ein 9}?enfc^, ber nur einem „hn foUft" get)ord^enb
gut i^anble, baneben ein abgefeimter S3öfeiüid^t fein fönne.
5tuf bie moralifc^e SBittenSneränberung fomme 5(f(e§ an,
öon ber .^ant, bie Dcatur für unheilbar böfe ^altenb, ni(^t§
föiffe, unb im ®egenfa§ §u bem ßantifd^en: lex est res sui-da
et iuexorabilis füi^rt er jiüei Sprudle frommer unb menfd^en*
freunbtic^er Reiben an, ben be§ @eneca: Sanabiiibus aegro-
tamur malis, nosqiie. in rectum genitos, si sanari velimus,
natma adjuvat; unb ben be§ ^^liniuS: Dens est moitali
juvans moitalem. (Sbenfo ©c^elling: „9^ur in bem ^unÜe,
166 Siomanti)d)e ^[}itoio).i()ie.
tüo bn§ ^beal un§ felb[t ganj anä) ha^^ 23irfüc§e, bie ®e-
banfeinuelt jur 9taturipett geluorben t[t, allein in biejem
^un!te liegt bie le^te, bie pd^fte Sefriebigung unb SSer-
föi^nimg ber ©rfenntni^, tüie bie (SrfüIIung ber [iülic^en
gorberungen allein boburc^ erreid^i mirb, ba^ fie un§ nic^t
me|r aU &thanltn, §. S. al§ Gebote erfd^einen, fonbern
jur 9Zatur unfrer ©eele unb in un§ tüirflid^ gelporben finb."
Tlaii i'ie^t, ba§ [ic^ ^ier ein uralter ^ampf erneuern
füllte, benfelben, ben ^aulu§ gegen ba§ (SJefe| fämpfte aU
SSerÜinbiger ber 9?eIigion, ber grei^eit imb ber Siebe.
®enn burd^ ba§ ®efe| !ommt (Srfenntni^ ber ©ünbe.
©0 liatten tuir e§ nun, ha'ig ber 9)ien[c^ geredet luerbc
oi^ne be§ ®efe^e§ SSerfe, ollein burc^ ben ©lauBen.
®enn (I^ri[tu§ ift be§ ®efe|e§ @nbe, lüer an ben
glaubt, ber i[t gerecl;t.
^Ufo i[t ba§ ®efe^ unfer ^w^toieifter gefttefen auf
ß^riftum, bafj lüir burd^ ben ßitauben geredet luürben.
9iegiert eud^ aber ber (Seift, fo feib t^r nid^t unter
bcm (Siefe|.
Sie Siebe tl)ut bem 5«äc^ften nichts S3öfe§. <Bd ift
nun bie Siebe be§ ®efet^e§ Erfüllung,
©e^t man für ®cfe^ (Srfenntni§ ober Slbfic^t, für
©lauben Srieb ober ^nftinft, fo ftetjt man, ba^ Siebe in
$aulu§' ©inne nid^t§ anbre» ift aU tva§ bie Ütornantifer
^Bereinigung Don S^rieb unb ?lbfid^t, 93eluu§tem unb Un*
bemustern nannten: ift Der ^nftiuft burd^ bie (Srlenntni^,
aU burc^ feinen ^ucljtmeifter, fo erlogen, ba^ itjm ta^ ®ute
nalürtid^ geioorben ift, fo ift er frei bon i^m ober ein§ mit
il-jin in Siebe. (S§ ift begreiflich, ha^ bie 9?omanti!er, bcnen
bie Serüljrung öon Statur unb 33euni^tfein im ^ä) eigen»»
tl^ümlic^ loar, bie bie beiben ^älften be§ tljeitbaren ^(i)
gleichmütig 5U Juertlien Jini^tcn, 5-t^te eine ^^it ^^"g öer-
9JomQntifcl)e ^^fji(oK1l]ie: 167
göttern fonntcn aU geborenen 3"f^tQiet^ter, eine SSerförüerung
beinah bei (S^eje^el, aber aU er bie 3lf[eint)errfcE)aft be-
anfprud^en lüoKte, fic^ uüberfet^ten im ^od^gefüt)!, ha^ fie
nirfjt ber Tla^h £tnber feien, fonbern ber freien. |)ötf)ft
c^arafteri[lifd) ift e§, iüie fid) bie ßJIieber be§ greunbeS-
!reife§ gu i^m [teilten: bie beiben ©i^Iegel, benen Iüie it)m
felbft ein gänslid^er SO^angct an 9iatur[inn eigentl^ümtic^
n)ar, öermiBten nic^ty Ü[i>efentlicfjeg an feiner ^f)iIofD))f)ie
nnb tuaren auä) biejenigen, bie iJ)m ben S:|)ron aufgerid^tet
Ratten; DIotialiS bielt für fetbftöerftänbli(^, ha^ er ben Ueber-
gong gur Statur nod) einfd^Iagen lüürbe nnb l^ielt an it)m
feft, folange er biefe Ueberjeugnng ^atte; ÜSadenrober mochte
fic^ nie mit i^m befdjäfttgt Ijoben, %kd empfanb itjn ge=
rabe^u aU tt\va§> geinbfeligeS. Sen 2)ämmerung»menfc|en
tüav er ju grell nnb fd^neibenb; fie tüaren rt)ie Slinber, hk
aiid) nid^t für einen Stngenblicf, einem furjen abentenernben
©treifjuge gu Siebe, ha?» fileib ber 3Jtutter Io§Iaffen mochten.
9^ur öon i^r n)oIIten fie 5l(Ie» lernen unb erfai^ren. „2Ber
bie @rbe fo Wk eine geliebte SSraut an fi(^ brüden üer=
möi^te, ha^ fie i^m in Stngft nnb Siebe gern xi)X ^oftborfteS
gönnte!" ^unbertnml gurücfgeftoBen fc^miegte [lä) Siecf bod^
immer lieber an ben geliebten Seib ber Statur, unerfc^ütter-
lid) in bem rüt;renben ©faubai, fie lebe loie er unb muffe
ficf) einmal i§m offenbaren.
„^d) erinnere mid) au§ meiner S?inb]^eit, ha'^ un§ bie
lueite ÜJatur mit i§ren S3ergen in ber gerne, mit bem Ijo^en
geinölbten blauen ipimmel, mit ben taufenb belebten @egen-
ftänben, luie mit einem getualtigen (Sntfe|en ergreifen fann.
®ann ftretd)t ber ßieift ber Statur unferm Reifte öorüber
unb rü^rt t^n mit feltfamen ©efüijlen an, hk n^anfcnben
S3äume fprec^en mit öerftänblid^en Sönen ju un§, unb c§
ift, aU Ujodte fid) ba§ gan^e ©emölbe pIöMic^ äufammen-
1(38 9fiDinantiic[)e ^f)iloiopf)ie.
rotten, mib ha§ SBefen unüerffeibet fiernortreten unb fi^
jetgen, ba§ unter ber SKaffe liegt unb fie belebt
Dft ift mir iet^t, aU luottte ba§ ©euianb ber ®egen[tänbe
entfliegen tt)ie üon einem ©turmluinb ergriffen, unb D!^n=
mächtig fättt mein Ö^eift gu Soben, unb bie @etnöl}nlic^!eit
tritt an i^re ©tette gurücf."
UnBefriebigt üon ber SEiffenfc^aft be? 2age§ 50g er fic^
in feine 2Balbeinfam!eit §urücE mit bem allen ^aloh S3ö(jme,
beffenöerpateäRi}ftifiI}möerftnnbIic^ern)araI§gtc^te'^unbieg-
fome Cogif. 5)a Ia§ er öon ber einen Statur, bie burd) ta^
©eignen nac^ ®otte§ Si(^t offenbar luirb, üon bem fel^nenben
SBitt'en ber S^catur, bie ha^ ^arabie§ in fic^ fpürt unb im
^arabie§ bie SSottfommcntjeit, monad) fie fid^ er|ebt unb
brängt unb ängftet, in uieldjem drängen fie immer etttja§
@d^önere§, |)ö:^erea, 9Jeue§ l^eroorbringt. „S^cun ift ein
©eift anbre§ nichts aU ein aiiffteigenbcr Söitte, unb ein
SBitten i)at bie 5(engftli(^feit jur ©eburt, unb in ber ^lengfl»-
lidlfeit gebiert fic^ 'oa§' geuer, unb im geuer ita^^ Sid^t, unb
üom Sirf)t tüirb ber SBitte freunblic^, lieblic^, milb unb fü^;
unb im fü^en SBitten gebiert fid^ bie ^raft, unb in ber
J?raft gebiert fic^ ha^ 9?eic^ unb bie §errlic^feit." ®er
beftricfenbe ^ou^er, ben bie)e ge|eimni§ootte SSerfünbigung
auf ben Siomantifer ausübte, lag o^ne 3'üeifel barin: ba§
|ier feine unoerfö^nlid^e ©ntgegenfe^ung oon ©eift unb
Siiatnr tüar, ober 5lu§fc^tief3Uiig be§ (Siuen, fonbern ha^
nirfjtS tuar au^er ber einen 9'Jatur, bie ßraft i^re§ feEjuenben
SBittenS fid^ manbelt unb erljebt burd^ ba§ Sic^t gum 9teic^
®otte§ unb ber ^errlid)feit.
3ltte§, Jüa§ man an gierte öcrmi^te, tC)eiI§ noc^ öon if)m
ertuartete, n^ooon bie 9iomantiter unffar träumten, tav
lüurbe I^Iöl^Iid^ burd^ einen gang jungen iOJann, üom ßatfjeber
Ijerob, feft, überlegt, macE)lODtt ücrfünbet aU eine neue
9iomantiicf)e ^'f)iIo)o^:it)ie. IGO
SBifl'enfc^aft: Dcaturp^llofo^j^ie. Tlan fann fic^ faiim bor-
ftellcn, lüie ©c^eHing bte jungen ©eifter padtt unb l^tnriB;
feine Öet)re luar t^nen eine ^Befreiung. Slugenblidüd^ fc^teben
fic^ feinblic^e Sager; fein gelbjug, an ber ©pi^e eine§
fleinen aber leibenfc^aftltrfjen Sruppy, tvat inie ber etioo
gteic^aeitige eine» anbcrn ®enerat§, S3onaparle'§, ein ©türmen
üon Sieg ju ©ieg. ®a§ ®ro^e, 9ieue, ^^adenbe in ben
fleinen ©d^riften, bie er nad^ einanber öeröffentltdjte, mar
nun eigentlid^ ber ©taube an bie ©int)eit unb 5ßernünftig!eit
be§ 2I(I§. „Chatte Kepler feine gorfdfiungen mad)en fönnen
o!^ne ben ©lauben an bie S3ernünftigfeit be§ ©onnenfi)ftem§?"
fagte SSaaber einmal, ©ben biefer ©tauben tvai bie ©runb-
tage öon ©(^etting'» ^^itofop]^ie. 2Sät)renb er nod) burc^au§
gic^te'g 5{n^änger n?ar, fc^lüebte i^m ber ©ebanfe cor, ha^
(Sintert üon Söiffen, ©tauben unb SBotten hav te|te, ^öi^fte
^iet ber 9}knf(^^eit fei; ba§ ©ein unb (Srfennen, ©cgenftanb
unb ^ßürfteltung im ©runbe ein§ feien; ba^ bie ©efcE)id)te
be§ 5ta§ eine ©efc^ic^te be§ ©etbftbert'U^ttüerbenS fei. (är
biftigte, ba^ e^id^te in feiner ^^ilofoplie öom ^d) ausging,
lüie benn gierte e§ auct) nic^t labette, ha^ ein Stnbrer üon
ber 9iatur ausginge; benn S3eibe muffen ftdE) ja not^ioenbig
treffen, beibe SSege feien gteid^ richtig, beibe hätten baSfetbc
(SrgebniB. ®ie Statur nömtic^ fämpft fic^ burd^ 5um SdE|. /
©c^etting'^ ^§itofopt)ie ift eine (Sntiüicfetung§tet)re. S)ie ^
organifd^e Dhitur fa^ er an at§ eine |ö^ere ^oten5 ber
anorganifc^en, ipenigften§ bie Hoffnung liegte er, ba§ man
einmal aUt Organifationen at§ fucceffiö, attmätige (Snt=
tt)icfetung einer unb berfetben urfprüngltc^en Drganifation
barfteften fönne. ®ie (Sntioicfctung gefd^ie^t in ber gorm
eines ^Riefenfampfe» 5tptfc^en ^tod ©runbgetratten, bie auf
unjä^tigen ©tufen in uu^ä^tigen S^erlnaubtungen erfrfieinen:
ber ^ampf ift bie ©efc^ic^te ber 9Jatur unb be§ Seben^.
170 9ipmanti|cf)e 'i|iI)i(ofop{iic.
2)ie 5«atur tft ba§ trägfte Stjter, ba§ MeS Jiafet, lüa§ e§
jur 93euiegung unb jur 3:l)ätt9!eit ätütngt. SDarum f)a§t fie
bie !SuaIität, bte bte Urfad^e be§ 2e6en§ i[t, ^a^t ba§
(Sefd^Iec^t, IjaBt haS' Snbiüibuum, unb mod^te e§ in ten
©d^Iummer ber 93elüuf3tIofigktt jurüdjteticn. „®te ^Jiatur
^a^t ba§ ©efd^Iec^t, utib tüo e§ entftef)t, ent[te:^t e§ tuiber
tdren SBtHen. S)ie Trennung ber (55efct)Ie(f)ter tft ein un-
öermetblic^e» Sc^tcffat, bem fie, nadjbem fie einmal organifd^
ift, ficf) fügen mu^, unb ba§ fie nie öermeiben fann. —
S)afj fie ba§ ^nbioibuum nur gejftiungen unb ber ©attung
luegen auSbitbet, erhellt barau§, ha"^, Wo fie in einer
Gattung ba§ ^ubibibuiim länger er!§alten ju njollen fd^eint
(oBgleid^ ha^ nie ber gaU ift), bagegen bie (Sattung un=
fidjrer mirb, inbem fie hk Öiefc^ted^tcr mittx au§ einanber
tjatten unb gteid^fam bon einanber pd^ten mu^, ^n biefer
9tegion ber 9iatur ift ber Sßerfall be» ^nbioibunrnS minber
fic^tbar fdjnell oI§ ha, wo bie (S^efd^Ied^ter fid^ nät)er finb,
lüie in ber fd^ncHlDelfenben 5ßlume, wo fie bei i^rem (Snt-
fteJien fd^on in bem ©inen ®eld^ tuie in ba^ Srautbett gefaf3t
finb, wo ahn beSraegen auc^ bie Gattung gefid^erter ift."
S3eftänbig brängt bie Sitatur auf ben Drgani§mu§ ein,
fein Seben t^ren d^emifd^eu Gräften ju unterlDerfen. Slber
eben tt)a§ ta§ Seben jerftören fodte, erl^ätt e§; benn im
Slntäm^fen gegen Ut 9ktur, um fein (Sinjelredit gegen fie
5U behaupten, bitbet ber Drgani§mu§ feine ©lieber gu
immer tüd)tigeren SBaffen unb begegnet jebem Sieig öon
au^en burd^ er^öiite, öerfeinerte 2Bir!fam!eit. ©o beröiel»
fältigen unb fteigern fid^ bie S3ilbungen im Ü'ampl um'§
®afein.
9Kan fönnte ^ier einen intereffonten SSergleid^ öerfolgen:
has, Sebenbige ift ber ^roteftanttymu§, ber fid^ au§ bem
?!}?utterfc^o^e ber atigemeinen, aUeinfeligmadjenben ^ird^e to^"
9?omantiirf)e ^^fnlofoptiic. 171
geriffen ^at, ba§ negatiöe, bernetuenbe, prote[tirenbe @(ement.
@ie giebt t^ren 3Infpruc^ nic^t auf, immer ftrecft fie t^re
5trmc ftel&enb, locfenb, üerfprec^enb, bro|enb nac^ ben 5lb=
trünntgen unb ^e^ern qu§. SBenn fie bem 3?ufe folgten
unb trenn jebe ^roteftation aufi)örte, müf5te, h)te fid^ ha^
:5eber au§ ber ©efdjidjte folgern fann, Stufie, S3erfall unb
S5erli)efung fcfiliefslii^ eintreten.
SBenn ber äußere Stetj ber S^iatur, ber ben Drgantömug
angreift, um il^n ju jerftören, aufhört, ober richtiger gefagt,
tuenn ber Drgani§mu§ unempfinblid) für i^n Jüirb, gteid^fam
non i^m unabhängig, ift er bem (Srlöfd^en na^e; benn eben
' tampf unb Senjegnng ift has, SBefen beä Sebenö. Sllfo ift
©ei^nfud^t nai^ diü^t ©efinfud^t nac^ bem 2;obe.
„^IIe§, toaS ba lebt unb leibet, ge^t üu§ biefer 'äU"
brog^nenhift J^eroor", fagt $8aober, „fie ift bie getieime,
unburd)bringli(^e, magtfd^e SBerfftätte alle§ Seben§, ha^^ ge=
l^eime ©^ebett, beffen 9iein= unb UnbeffecEter^altung ha^
feiige, gefunbe, beffen SSerunreinigung ha^i nnfelige, franfe
Seben gebiert. Qebe lebenbige Kreatur in ieber ©tufe unb
©p|äre be§ Seben§ ift, lüic bie Stitcn fagten, folarifc^ unb
terreftrifi^ ober fiberifd) unb elementarifd^ äugleid^, unb ba§
©aframcnt be§ £eben§ tuirb ifinen 5(tlen nur unter biefen
5h)eien ©eftatten bargereic^t." ^uin erften äRale ftettte
©d^elling bie» ®rama be§ Söeltall», biefen ^loiefpatt im
(Sinen, ta§ enblofe ©td^fuc^en, 9?ereinigen unb 5fu§einanber=
fliegen ber getrennten ^ole, hit ®i§:^armonien, bie fidfi in
einem großen :^armonifc^en 3uföQii"en!Iang auflöfen, mit
überttjöltigcnbem Ungeftüm bar. 5(n hk ©teile be§ gid^te-
fd^en ftarren: ^d^ hin — trat ein unenbüd) Ieben§üoCte§, au§=
fid^t»reidf)e», §offnung§0olles: ^d^ luerbe. „SBir finb gar
nid^t ^c^, tüir tonnen unb foUen aber ^d) toerben, tuir
finb Sleime jum ^c^'^Berbcn", l^ei^t t§> hn DJooali'g. Unb
172 9\Dmantijd)e ^f)tlo}D:t3:^ie.
iitd^t (Uva Jiatte bte§ einige SSerben ctn?a§ troftfofeS @r-
mübenbeS: bie altumfaffeube @tnf)eit ficljt tute ein befänftigen-
ber ©olbgrunb i)inter bem bunten, ftürmifc^ beilegten ©e-
mälbe, njie eine ©onne ftill im Steigen ber Planeten. @in
33anb berbinbet (5nbli(f)e§ unb Unenbltd^e§, S8eti»u§te§
unb Unbewußtes — «Sd^eHing nennt e§ bie Gopula —
bie unenblic^e Siebe feiner felbft, bie Su[t be§ ©id^-
offenbarenS, lauter SSeja^ungSfreube. 2)ie§ 53anb erfennt
man in ber 9Jatur al§ ©d^roere, im 9}ienf(f)en foll e§
bollenbg burdjbred^en unb ha§i SSerbunbene gur 5rei{)eit
führen.
©d^eHing gab bie§ SlffeS nic^t fljftematifd^, fonbern ftite
e§ in iljm entftanb, in jpringenben (Siiifäden, bie e§ i§m
immer !tarer unb ftarcr tüerben ließen. ©1 iraren lauter
33Ii|e, bie fd^neH, judenb bie gotbene Unenblid^feit be§
§immel§ aufriffen unb bann n^ieber öer^üüten, fobaß eine
unftitlbare ©e^nfud^t surüdblieb. SSietleid^t feffelte er gerabe
baburc^ fo fei)r. 5ln ber ©teile eine§ S3riefe§, ben ber
junge S^orlueger ©teffen§ im Qa^re 1800 an ben nod^
jüngeren ©d^etltng fc^rieb, möge man ben (Sinbrud ermeffen,
ben feine erften naturp^itofop^ift^en SBerfe madjten: „9Jic^t§
f)at mid^ fo begeiftert luie S^i'e Sranlcenbentalp^ilofop^ie.
®§ ift ha^i Umf affenbfte , tnaS ic^ fenne — 'ba^ loaljrfte
©l)ftem — ein er|abene§ ^unftiüerf — immer [(ie[)t fid^,
\üa§ \id) fud^en foK — i^ gerietl) iu bie fürd^terlid^fte
©pannung, uerlor mid^, um bie Ä^elt gu behalten, l^ergrub
midE) immer tiefer unb tiefer in bie ^ölle ber ^^ilofop^ie
f)inein, um bon bort ben |)immel jn fd^auen, h)eil id^ t|n
nidE)t unmittelbar luie ben bi(f)tenben ®ott in meinem 93ufen
^aU. ^ier fat) id) naä) unb nad^ bie ©terne ^eroortreten
— bi§ ^lö^Iid^ hk göttlid^e ©onne be» Öienie» aufftleg
unb Stffe» erJieHte. §ier aber ergriff midEi eine tüunberbare
D;Dmantiicf)c ^fiilojoptjie. 173
1Hü(}rung. S^rnnen bcr fettigen SSegetfterung [türmten au§
meinen ^ugcn, unb id) öerfanf in bie unenbltd^e güllc bcr
götttid^en Grfc^einiing. . . . C^ier lege ic^ ben Sranj öor
Sl^re gü^e, ben ein fünftige^ Zeitalter ^^nm fidler reichen
lüirb."
gür bie 9f{omantifer inat aber ble§ ba§ SBid^tigjtc: 'Da^
ba§ if)nen angeborne ®efü|I, 9Mtur unb (Seift at§ (Sin§ ju
feilen, burd^ ©c^eüing beftätigt unb ju einer röiffenfc^aft-
lic^en 5lnfic^t er£)oben \vax. (£r tüu§te genau, gu lüa§ für
üer^ängnif^üoHen Si^^'t^ümern e§ führen !ann, tt^enn man
coej:iftirenbe (Srfd^einungen nur aU Urfac^e unb SStrfung
öon einanber f äffen !ann; luelc^e barbarifd^e ^(umpl^eit be§
®en!en§ fpäter einriß. 5tl§ coei'iftirenbe (Srfc^einungen, bie
fic^ gegenf eilig erklären, betrachtet er Statur unb ®eift,
3nnere§ unb ^leu^ereS. ©in Sieblinggfd^riftftcKer ber ®e=-
brüber @d)legel, §emfterf)ui§, ^atte gefagt, ber Körper fei
geronnener (Seift unb ba§ förperlid^e Uniöerfum ein ge^
tonnener ®ott. griebrid; ©d^Iegel'g „(Seift ift D^atur-
pf)i(ofo|3^ie" unb mehrere 2lu§fprüd^e öon 9coöoli§: „Sie
SBelt ift ein Uniöerfoltro^ju^ be§ (Seifte§, ein fl]mboIifc^e§
i8tlb beSfelben", „®er 9}?enfd^ ift eine ^Inalogienquelle für
ba§ Seltalt", „®a§ ^teuf^ere ift ein in ©eljeimnifsjuftanb
erhobenes innere", „©ie ^ö[jere ^^ilofo^iiie be^anbelt bie
e^c öon 9ktur unb ©eift", „2Bir felbft finb ein fic^tbar
gelüorbener ^eim ber Siebe jluifdEien $JJatur unb (Seift ober
Sunft" finb lauter berfc[;icbene, fuuMnbe gaffungen be§
®runbgebanfen§ ber SJaturp^ilofppl^ie, lüie er in ben köpfen
fid^ geregt l^atte unb burc^ ©c^eüing jum 33eh)u^tfein ge-
brad^t luar. Öiemi^ n^ar el burc^au§ nid^t nur ba§
tat^olifc^e SSefen in Siecf'S (Senoöeüa, ha^ bie S«9enb fo
mäd^tig bezauberte, fonbern ebenfoiuoi)! jene ©teilen natur=
^^ilofop^ifc^cr ajJtjfti!:
174 Diomantijc^e 'ip^ifofo^'^ie.
23a§ in htn §i:mnel§h'eifen fiel) beiuegt,
S)a§ muß aurf) bilblid) auf bev Grbe malten,
®a§ tuirb aud) in bev 9Jfen)d)en Sruft euegt,
9tntur fann nid]t§ in engen ®renäen {)alten,
Sin 5Bli^, ber anfiuärtS au§ bem Gentro bringet,
ßr Spiegelt fid) in jeglid)cn ©e[talten,
llnb i'id) ©eftivn unb ?DJenjd) nnb Grbe idjnnnget
©Icid)mQfeig fovt nnb ein§ be§ anbern Spiegel,
'S^er %on buvd) alte Streatnren flinget.
Srnm mer bie 'Ji?ei§t)eit fennt, fennt feine 3"3*^^
Sr fie^t bie ganje 3SeIt in jebem 3^^'^^"'
Qux ©terneniuelt trägt i^n ber fül)ne g-Uigel.
Unb luieber:
Süd) ipurbe mir jeüfanter SÖeife uerüefjen
3n innere !Jiefe ber 'DZatnr jn )d)auen.
5)a fa;^ tc^ Jüa§ getrennt sujammenöängen,
Unb luaS bent blijben 5tuge einig jd]eint,
, ^n ferne ©renken an§ einanber f(iet)en.
Sie Stein im '^Jlügrnnb bie llietalle formen,
3Sie ©eifter bie ®eiriäd)ie fignriren,
3Sie fic^ ©ebant' nnb SSifie forporiren,
5Sie ^^ß^ontafie jum Sern ber 3)inge bringt,
Surd) Sinbilbnng ItnmöglidjeS gelingt,
3iMe jeber Stein un§ ftumme ®rüf3e beut,
Sine ®inge nur finb ber ©eifteriuelt ein ^leib.
Sarin ift aUerbtngS me^r öon ^atoh SBö^me aU bon
@c^elltng'§ ®et[t. ©» ift bcsei^nenb, ha'^ Zud 2(eu^ernngen
ber eben angeführten 2lrt faft nur gefä^rltd^en unb bämo-
nif(^en aJJenfc^en in ben Sliunb legte: mt)fttfd^ gcfproc^en
!annte er faft nur bie fd^marje 9Jiagie. 9^ur mit ber
^^antafie, luie er in jenen Jßerfen fagt, tüoKtt er jum ütxn
ber 2)tnge bringen, ©eift in ber 3?atur ju feigen, npar im
©runbe nid^tg 9^ieue§. ®a§ ^inb, bem Cuell unb Saum
unb S3Iume leben, hit alten ©ötterle^ren, bie nid^tg 5tnbre§
traten al§ bie 3fJatur befeeten, jeber Siebter, jeber ^ünftter
9{ümantifd}c ^^ifofopOie. 175
toax lütütg auf biefe Sßerittanbtung eingegangen, 'ahn ba§
ift naiüe Sttnblic^fett, bie nocfi garniert jiutfc^en fic^ unb
ber 9iatur unteifd^eibet. ©rft narf;bem bie 9J?cnf^I)eit bie
9?atur entgottert ^atte, inbem fie i^x hmä) ben fc^eibenben
$ßer[tanb ben (Seift ent5og, raurbe fie ii)x furd^tbar unb ber
©ebanfe, e§ fönnte eine ©eele in i^r leben, entfe^enerregenb.
©obatb man firf) flar ift, ta^ ber ®eift, ber bie Statur
regiert, beiuu^tlofer ©eift ift, mu^ jebe^ ©efü^I be§ ®rauen§
fc^minben; nur freiließ: ift e§ ©eift, fo fann i^n boc^ ber
®eift be» SJ^enfd^en berüJiren, auf i^n tvixhn, i^n erfe^en'
unb fo bie ^raft ber S^Jatur für fic^ benu^en! ^n biefent
(Sebanfen be§ 3wftti"oien^ange§ jtuifd^en beni SJJenfi^en nnb
ber 9Jatur fliegt ber CuetI aller SBunber. Sn i^n taud^ten
5ttle, bie bie ge^eimni^üolle ^Dämmerung liebten, unb luenn
fie, tt)ie S;iecf, bie gäf)igfeit gel)abt l^ätten, einmal mit ftarer
Sßerftanb»facfel in ba§ bunfle (Gebiet hinein ju leuchten, unb
e§ nur au» lüoUüftiger Sc^mäc^e unterließen, belegten fie fic^
nie o^nt (Setuiffeuaunrutje barin, bie ha§ ©rauen unb (Snt«
fe^en eigentüd^ erft ^eroorrief ober bod» fteigerte. 5)ie
Stnbern öerfenften fic^ in biefe SJac^tmelt o|ne ©c^auber,
öielme^r mit ber freubigen S3egeifterung be§ (£ntbeder§.
SBenn 8(^etling ober 33aaber ober Sboalil fic^ in ba§[
UnbeiuuJ3te, hk $ßergangenf)eit, bie 5JJatur, bie 9tacf)t be§j
2}^enfc^en tiertieften, gef d^a^ e§ nic^t, um fic^ unb 5(nbre|
5U bctöuben linb ju öermirren, fonbern um burc^ biefe!
Pforte in'l innere ber $Jiatur ju bringen unb fie befto
flarer 5U erfennen.
SBa§ fc^abet e§, an SBunber §u glauben, bie natürlich
finb? SInbre gab e§ nic&t für ben ^yjaturp^itofop^en. Stber
gerabe be§^alb föaren fie afterbingä bereit, an jebel, M^
bie SSorgeit überlieferte, ju glauben. Sie ^örten tk ftam=
meinben p^ilofopl^ifc^en Sräume ber mitte(alterlicf)en 9}Ji}ftifer
176 9^üntanttfd)e ^^ilofop^ie.
mit berfclben S&etltia|me lüte bte ftra^Ienben ©ntberfungen
moberner D^faturforfcEier. (Stnem fpäteren ©efd^Ied^t iourbc
ber Srteb, 3ltle§ im ©aiijen gu betrachten itnb üon jeber
©injel^eit auf ba§ Stßgemeine ju ge^en, unöerftänblid^.
griebrid^ ©(^legel'S Semerfung, e§ fei luunberbar, tnie man
bon ber ^^l)fi! fofort auf ^oSmogonie, 5IftroIogie, 5:^eDfDp^ie,
!ur§ auf bie mtiftifc^e SBiffenfd^aft öom ©anjen gerat£)e, ba
man bod^ fein G^lJeriment mad^en fönne ol^ne ^tjpot^efe
unb jebe confequent gebat^te ju einer ^t)pot^efe über ha^
ßiange führen uiüffe, njäre i^nen läc^erlid^ unb üerberblid^
— romantifd) — erfd^ienen. (Sbenfo lädjerlid^ unb un«
üerftänblic^ toäre e§ ben S)en!ern unb gorfc^ern jener 3eit
gelüefen, eine (Sinjelerfdjeinung o^ne §inblicf auf ha^ Ö^anje
ju ftubiren; benn hJeld^en 233ert£) ^ätte fie an fid^ ^aben
fönnen? 9iaturn)iffenf(^aftlid^e ©tubien trieb bama(§ jeber
©trebenbe, unb ber einjige gro^e 3tt.ied lüar, in'§ innere
ber '^Raiüx 5U bringen.
$8aaber l^atte ber ^ant'fd^en Seiire üon ben nott^inenbigen
©renken be§ menfc^tic^en (£rfennen§ borgeluorfen, fie fomme
auf ben Sinn be§ alten ^aller'fd^en S5erfe§ §erau§: „3n'§
innere ber 9tatur bringt fein erfd^affner ®eift; ju glücEIid^,
luem fie nod^ bie äußere Seeaale tpeift." ®iefe ftrenge (3elbft=
einfd^ränfung ^atte W neue ^4>^ifofopl}ie üon fic§ getfian unb
gab bie SJienfd^en ifirem angeborenen triebe 5ur Slllnjiffen-
i)tit tüieber. S)ie einen fui^ten bie ©eete ber 2SeIt brausen
in ber 5Ratur, anbere luagten ben bunften 2Beg burd^ il^re
innere 9iatur nac^ ber öu^eren. Tlt^i ober lüeniger beutlicEi
fc^trebte i^nen al§ Stern t^re SBeltanfd^auung üor: ha'^ bie
©iittüirfetung ber 9?atur ein ©eiüu^tluerben fei, ha^ im 9J?enfd^en
feinen ^öfiepunft erreid^e, üon loelcEiem ber Strom n)ieber
in ben Slu^gang^punft einmüube. ^d) \viU groben geben,
tvk üerfc^iebene romantifd^e 2)enfer, 9?oüati§, Sc^eHing unb
9iomantiic[)e ^Ijilüiopfjie. 177
^ted, bieg ^^ilofopl^iic^e ©laubenSbefenntniB jeber in feiner
tSßeije bari'teHten. Snnit eine 3»iamnieni"tPÜung Oon 9lotijen,
tüte fie 9ioöa(i§ all ©runblage ^u einem größeren ^erfe
niebergefd)rieben ^atte:
„2Bir i)aben jmei (Stjfteme Don ©ein, hk, fo oerfc^ieben
fie au6) erfc^einen, hod) auf ba§ Snnigfte unter einanber öer-
U'ebt finb. ©in Stiftern i^eifet ber Körper, ein§ bie ©eele.
Senel fte^t in ber ^btiängigteit don äußeren Sfteijen, beren
Inbegriff mir bie 91atur ober bie ändere SSelt nennen,
^tefel fte^t urfprünglic^ in ber 5{b^ängigfeit etne§ Inbegriff»
innerer S^eije, hk mir ben ©eift nennen ober bie ®eifter-
toeÜ. Tlan bemerft hall), ha^ beibe @i)fteme eigentlid^ in
«inem ootifommenen 2Bec^ieIoerE)ä(tniB fielen füllten, in melc^em
^ebel, öon feiner 2BeÜ afficirt, einen ©tnffang, feinen ©tnton
bilbet. Sur§, bnbt Söeften, fomie beibe S^fteme, foüen eine
freie Harmonie, feine 2:t»^armonie ober SJionotonie btiben.
2er Uebergang oon SJJonotonie jur Harmonie roirb freilid^
burc^ ^il^armonie ge^en unb nur am @nbe mirb eine ^ax-
monie entfielen."
„2Bie ber Körper mit ber 3BeIt in SSerbinbung fte^t, fo
t)ie ®eele mit bem Reifte. Seibe Sahnen laufen öon bem
SUienfc^en au§ unb enbigen in @ott. ^titit SSeltumfegler
begegnen fic^ in correfponbirenben fünften i^rer Sa^n.
^eibe muffen auf 9J?itteI benfen, tro| ber Entfernung bei=
fammen ju bleiben unb jugleic^ gemeinf(^aftlic^ beibe 3fieifen
ju machen."
„SWet£)a|3f)i)fif unb 3lftronomic finb (Sine SBiffenfc^aft.
2)ie Sonne ift in ber Stftronomie, ma» ®ott in ber Tltta»
p^t)fif (ber 9J?enfc^ ift eine Sonne); grei^eit unb Unfterblicö«
feit finb mie Sit^t unb 2i?ärme. @ott, t^rei^eit unb Unfterb«
lic^feit merben einft bie ^a^nen ber geiftigen ^f]9fif ebenfo
§ud), Momantiter. 12
178 Diontantijclje ^^f)i(ofo|:)f)ie.
tüerben, luie Sonne, Steigt unb SBärme in ber irbifc^en
mm-"
„SSor ber 5Ib[tra!tion tft alle§ @in§, aber ein ®^ao§;
nad^ ber 5ib[tra!tion ift lieber 2lHe§ bereinigt, aber biefe
SSerbinbung ift eine freie SSerbinbung felbftänbiger, felbft=
beftimmter Sßefen. 5lu§ einem Raufen ift eine ©efeUfc^aft
gelporben, ba§ S^ao§ ift in eine mannigfache SS^elt öer-
luanbelt."
„5)ie SBelt be§ SO^ärc^cnl ift ber SBelt ber 2ßat)r:^eit
burcfianä entgegengefe|t unb eben barum i|r fo burd^au§
oEintid^, mie ba§ G^aoä ber üoUenbeten Schöpfung ä^nlic^ ift.
Sn ber fünftigen SBelt ift 2lHe§ h)ie in ber ehemaligen unb
bod^ burd^auS anberS; hit fünftige SSelt ift ha^^ öernünftige
(£^ao§; ba§ (S;^ao§, ha§> ftc^ felbft burc^brungen, ba§ in ftd^
unb au|cr fic^ ift."
„aJlit Snftinft ^at ber SJienfc^ angefangen, mit Snftinft
foH ber äRenfd^ enbigen. Snftinft ift ha^ ©enie im ^ara«
biefe t)or ber ^eriobe ber ©elbftabfonberung. ®cr SJienfd^
fott fid^ felbjmeien unb nic^t allein ba», fonbern oud^ felb-
breien."
„®ie SBelt ift bte Summe be§ SSergangenen unb bon
un§ 31bgelöfteu. ©o ift felbft ber :perfönlic{)e ®ott, ein roman=
tifirteS Unioerfum."
„SSenn unfre Snieüigens unb unfre SBelt l^armoniren,
fo finb njir ©ott gleic^."
„Unb toa§ |nben h)ir in ber 3eit äu tl^un, bereu ^foedf
©elbftbetüuBtfein ber Unenblic^feit ift?"
„@l ift ^öd^ft begreif üd6, tüarum am ®nbe 5((Ie§ ^oefie
lüirb — irirb uid^t am (&nhe bie SBelt ©emüt^?"
„®ie inbioibueHe Seele fott mit ber SBeltfeele überein=
ftimmenb tüerben."
9?omauttf(^e $f)ito)o).i{)ie. I79
„Sc^t regt \iä) nur I;ier unb ha ©eift; tvann tüirb ber
®ei[t \{d) im ©an^en regen? SSann loirb bie 3}?enfd^^eit
in SJfaffe fid^ felbft ju 16e[innen anfangen?"
„5l(te ^f)ötigfeit ^ört auf, lüenn ha?' SBtffen eintritt.
2)er 3»ftfln^ 'h^^ 2Bt[fen§ ift (Subämonie, feiige 9?u:§e ber
93efc^auung, ^immlifd^er Ouieti§mu§."
„SBir njerben bie SBelt öerfte^en, toenn tüir un§ felbft
öerfte^en, ineil luir unb fte integrante ^ätften finb. (S^otteg-
ftnber, göttlid^e ^eime finb tüir. @inft irerben toir fein,
ftia§ unfer 93ater ift."
„®Dtt unb D^atur mu§ man alfo trennen, ©ott i)at
garnid^t§ mit ber S^Jatur ju fc^affen; er ift ha^^ Qid ber
9Jatur, baSjenige, mit bem fie einft tiarmoniren foll. ^ie
D^atur foH moralifdö werben. ®er moralifc^e ®ott ift cttnaS
öiel §ö^ere§ al§ ber magifd^e QJott."
3lu§ ben beiben ^nU^t angeführten @ä|en fie^t man,
baB 9Zoöatil bem unbeiuufsten Sf^aturgott, ^an, einen ©ott
entgegenfetjt, ber fid) felbft gauj burd^brungen ^at; man
barf fagen: ben jum üoHfommenen @elbftben)u^tfein ent*
h)icfelten 2Jienf(^en. SBelc^en man atlerbing§, 00m @efid^t§=
fünfte ber (Sin^eit ou§, öom ^eitbegriff abfe^enb, all elüig
unb alfo gegeniüärtig e^iftirenb anjufelen bat.
©d^eUing ijatk feine ^^ilofop^ie, mit ber 2lbfid^t, bem
Slt^enäum einen Seitrag §u liefern, in ^nittetüerfe gebracht,
bie jluift^en (Sd^er§ unb 58egeifterung öorgetragen finb;
„ißüfjt auä} nldjt, iinc mir üov ber SSelt foHt' graufen,
^a id) fie fennc bon innen unb auBen.
3it gar ein trag' unb jatimeS 2^ier,
®a§ roeber brauet bir nocl) mir,
iDhij? fid) unter ®efet\e fd)mieijen,
9iuf)ig 5U meinen g'üfeen Hegen.
12*
180 9}omanti)d]c ^^f)i(ojo)jfne.
Stecft äiimr ein 5Riefengeift barinnen,
3ft aber nerfteinert mit feinen ©innen,
ßann nicfit au§ bent engen ^anjev fierau§,
9Jcöd)t' fprengen ha^ eiferne 5?erferf)an§,
Obgleid) er oft bie g-lüfl^t regt,
6id) geiüaltig befint unb bewegt,
Qn tobten unb lebenbigen 5)ingen
X^ut nadi 93e>üUBtfein niäd)tig ringen,
S)at)er ber ®inge önatlität,
SBeil er brin quellen unb treiben t§ät,
[§ier eine ©pur oon 3af"& Sö[)me]
%k ^raft, luoburd) gKetafie fproffen,
Säume im S-rüf)ling aufgefd)offen,
©ud)t rco^l an allen ©den unb Gnben
©id) an'§ Sidit berauSäumenbeu,
Säfet ft(^ bie 9Külie nid)t verbrieften,
X^ut jel^t in bie §ö^e fdjiefjen.
Unb fömpfenb fo mit ^-uf; unb §änb'
©egen mibrige CSIement',
Sernt er im Kleinen Kaum geiuinuen,
®artn er juerft fommt ^u 33efinnen;
^n einem groei'S^" eiugefd)Ioffen
SSon fd)öner ©eftalt unb graben ©proffen,
§cif3t in ber @prad)e 9.1tenfd)entinb,
5)er Stiefengeift fid) f eiber finb'.
SSom erften 3iingen bunfter 5lräfte
33i§ gum @rgu^ ber erften 2eben§fäfte,
2Ö0 5?raft in traft unb ©toff in ©toff üerquiat,
3)er erfte S5Iid, bie erfte finofpe fdiiuittt,
3um erften ©traf)t oon neu gebornem 2id)t,
S)a§ burd) bie yiadji wie ämeite ©d)öpfung brid}t
Unb an§ ben taufenb 9(ugen ber 2SeIt
®en .'pimmel, fo 2;ag mie Tiad)i erbeftt,
|)iuauf ju beö ©ebautenS l^i'Ö^^^traft,
SBoburd) 9?atur Oerjüngt fid) luiebcr fd)afft,
Sft ©ine ilraft, CSin 'i}iuls;fd)lag nur, C£in Seben,
®in SBedjfetfpiel üon .'pemmeu unb oou Streben!
9?omnntijcf}e ^'f)i(oio^iI)ie. 181
Wan ^ört btefen SSerfen an, aud^ luenn [ie luentger
fau[tifd^ Hängen, ttjürbe man e§ t{)un, ba| bie§ eine $^tlo^
fop^ie öon nnb für ©oet^e tuar.
^ule^t möge man nod^ ^ören, n^te Stecf, in gorm eine»
finnöüllen 2:raume§, bie ^Pofo|3i)ie üon ber S3erou|tlucrbung
ber SBelt 6e!annte: „^c^ mar faum eingefc^Iafen, aU e§
mir öortam, bie ganje SSett nm mid^ tier ^abe ein neue§
®e[t^t, bie Säume Der^ogen i^re SJJienen, bie ernftf)aften
S3äc§e unb getfen fc^ienen su lachen, bie ©tröme ftoffen
mit rauf(^enbem ©etädjter iljre 93a£)n i)innnter, bie ^Blumen
bel^nten ficf) auil unb ftrecften fid^ in allen i^ren garten unb
fc^icnen luie öon einem tiefen Schlafe 5U erroad^en. @§ über=
fiel micf), ba^ bie gan^e SSelt in allen il)ren Xtjeiten fic^ ju
einem frö^Iic^en 93enni^tfein ent^iinbe, unb ha'i^ ein neue§
Sic^t tk uralten Schläfer anrü:§re, in olle tief öerfc^Ioffenem
Kammern ge£)e unb fie rufe unb erraede. 2Bd lüill e§ J)inau§?
fagte iä) 5U mir felbcr . . . (gg gefd^al^ aber )3lö^tic§, bafe
au§ ber gan5en SZatur ber Sob unb bie i^emmenben Gräfte
t)erau§genommen mürben, unb nun fc^iuang fic^ bie Utjr mit
allen it)ren Stöbern geiualtfam unb rei^enb ^erum, bie Ströme
ftür5ten märfitig unb unauf^nltfam bie Stiäler l^inunter, bie
f^clfenftücfe trennten fid) ah unb mürben lebenbig toie S3Iumen,
bie grünen Zi)äUx i)ohtn \\d) unb fanfen medEifelnb nieber.
5(IIe (SdE)ö;)fung§fräfte rannten unb fliegen mettlaufenb bie
albern ber 9Jatur J)inauf unb ^inab, bie Süume fnofpeten
unb blüf)ten, unb Stugenbticfg quollen bie grüc^te ^erüor, fie
fielen öom ©tamme nieber unb ha^ Saub oermelfte, morauf
ein rafd^er grü^Iing fic^ tuieber behüte unb in i^nen trieb,
unb fo jagten fic| grül^üng, (Sommer, |)erbft unb SSinter;
bie ©tröme riffen unb luaren üom augenblicflic^en @ife ge-
!)emmt, roorauf bie ftürsenbe Söoge mieber lebenbig mürbe.
©0 ängftigte unb ertji^te fi^ bie 9tatur in fic^ felber, unb
182 5Romantijcf)e ^>f)ifD)opf|ie.
enblic^ fprang bie ^nofpe ber ^eit unb gab bie eingefeffelte
@it)tgfett mit einem geiüalttgen Klange frei, ba§ ber|üHte
i^euer hxad) au§ allem S^bifc^en ^eroor unb ba§ etuige ur«
atte (Slement be§ Sid^tg ^errfd^te luieber über ber Siefe, unb
alle ©eifter rannen in (Sinen (Seift 5ufammen."
@§ irirb bem (Sd^Iäfer f(ar, bn^ er erlebt, tüa§ man ben
jüngften ^ag gu nennen pflegte.
^ic ticuc Olcügiom
3f)r ftnunt iiöer ba§ 3«i">'ter, Ü6er
bie gä^rctibc Stiefeiifroft iinb lüifst nicfit,
iDeI(fie neue ®ebiirt \f)x erlnarten foHt?
Sluferftc^ung ber iReüGion.
griebr. ©d^Iegel.
„ 9^oc^ t[t 5(IIe§ nur 5tiibeutung, aber fie berrät^
eine neue (Sefd^td^te, eine neue 9}?enfc^§ett, bie jü^efte Um-
armung einer iungen, überrafd^ten Sird^e unb eine§ lieben-
ben ®otte§ unb bie innige SmpfängniB eine§ neuen SKeffia^
in if)ren taufenb ©liebern jugleic^. ®a§ Sieugeborene inirb
\)a^ Slbbitb feine§ SSater^, eine neue, golbne ^eit mit buntlen
nnenblic^en Stugen, eine prop^etij^e, Junnöert^ätige unb
tuunben^eilenbe, tröj"tenbe unb eluigeg Seben entjünbenbe
3eit fein, eine gro§c S^erföfjnungSjeit, ein ^eilanb, ber tvit
ein ed^ter ®eniu§ unter ben SJJenfdEien einf)eimifd^ , nur ge-
glaubt, ni(^t gefe^en ttterben fann, bod^ unter ja^nofen ®e»
ftalten ben ©laubigen fic^tbar, aU 93rob unb 2Sein öer^eiirt,
aU ©eliebte umarmt, al§ Suft geat^met, aU SSort unb
©efang öernommen unb mit l^immlifd^er SBoffuft aU %ot,
unter ben §öd^[ten ©c^merjen ber Siebe, in ba§ innere be§
berbraufenben Seibe§ aufgenommen n)irb."
©0 matte ^IJotialiS bie neue 3ieIigion, bie au§ bem
reid^en, toogenben (i^aoä ber ^eit auffteigen foUte.
Unter griebric^ ©d^Iegel'S bieten planen lüar ber größte
unb erftaunlic^fte bie ©rünbung einer neuen ^Religion, luo-
bon er, im begreiflichen Strgibotin, bie greunbe möd^ten
184 ^ic neue Saeligion.
ettca fein gro^e» ®en)id)t barauf legen, mit befonberem
^ad)'i)md ^u oerftctiern liebte, »üie erni't e§ t^m bamit fei.
@r fü:^Ite [id^ fä|tg, ba[ür mie Sut^er.ju prebigen unb ju
eifern, tüte 9J?o^ameb „mit bem feurigen ©d^mert be§ SSort^
ba§ 9teid^ ber ©eifter ttjelteroBernb ju überjie^en", mie
ß^rifiuS bafür ju fterben. SludE) ftac^elte er unermüblic^
bie ©enoffen gum @i)mbiMifiren an unb laf) mit ®enug=
t^uung, )üie ein SDireftor, ber feine Slngeftellten muftert,
©(^leiermacEier in feine 3fieIigion§reben unb Zkd in feinen
^atoh SSöl^me üertieft. 3t(§ feinen eigentlichen 9J?itarbeiter
aber betrad^tete er 9iot)ati§, ben ©injigen, oon bem feiner
ber ^reunbe bejn^eifelte, ba§ er Steligion ^abe: ein ^unft,
in bem fie fic^ etferfüd^tig controlirten. @r öert^eilte hit
grollen in ber SSeife, bof; 9ioöaIi§ ber S^riftu§ ber neuen
Steligion loerben folle unb er fein ^aulu», mit toeld^em
©larüfter er öorjüglic^ beSi^alb Ste^nlic^feit ju !§aben
glaubte, n)eit „eine geiuiffe (Snergie unb {^urie ber SSa^r^eit
nur "iia entfielen fann, wo reblid^er Unglaube nic^t au^
Unfätjigfeit, fonbern au§ ©d^iuerföHigfeit öoranging".
31I§ bie 3eit feines Unglaubeng mu|te j^rtebric^ tüo^t
bie ru^elofen ^üngtingSjal^re betrac£)ten, tno er in peinöoüem
9ftingeu ®ott in fic^ ju bilben fuc^te. ®amaly Oevlangte
er, ber ©egenftanb be§ @nt^iifia§mu§ muffe für ben reifen
ajiann fein eigenes beffereS ©elbft fein; ba§ fei nic^t (Sgoi§=
mu§, fonbern ba§ ^ei§e fein eigner ®ott fein. 2)ci§ ^eran-
bilben beS eigenen ^d^ jur SSoIIfommenI)eit fa^ er aU ta^
roic^tigfte ©efc^äft be§ SJ^enfdEien an: ba» S3efte, lüaS id^ mir
ju benfen öermag, ift meine S^ugenb. Siefe 5Infid^t, eben
tk, burd^ meldte er fic^ mit gierte eini füllte, entbel^rte
gettii^ nid^t ber (£r^abent)eit. ^ein SSormurf ift ungerechter
als ber, ben man tüo^l mactien ^ört, hu 9tomantifer Ratten
fid^ fetbft öergöttert, um ungeftroft jügelto» leben ju bürfen;
3)te neue Oieügion. 185
im (SJegentfjeil erlegt haS' Selru^tfein, einen göttfic^en Seim
in fic^ ju gelben, ber nacf) ©nttüicfelung brängt, eine SSer-
antluorttic^feit nuf, bie eine ebenfo grofee Stnregung 5ur
S^ugenb fein fann, tuie irgenb eine ?lu§fic^t auf ^immlifc^e
S^ergeltung; el fommt nur auf ben ®Dtte§begriff an, ben
ein Seber fid^ mac^t. SBenn griebric^ gelegentlich baoon
fprac^, ha'^ ber greife, tugenbtiafte SDienfc^ ©ott öeracfiten
fotte, fo ift bamit ber alte Diaturgott, ^an, gemeint, ber
©Ott, ber gleic^fam bem SJJenfc^en gegenüberfte^t am 5lnfaiig
ber ©nttüicfelung, bte S3afi§ ber ^t)ramibe, bereu ©pi^e ber
SJ^enfd) ift. @o unterfd^eibet aud) 9iotiQli§ inofit einmal
^\ütx ©Otter: „®ott unb 9iatnr mu^ man atfo trennen.
@ott ^at garntc^tg mit ber 9ktur ju fcfiaffen; er ift tja^
3iel ber Statur, baSjenige, mit bem fie nic^t ]^armoniren
foK. ^ie 9catur fotl moraIif(^ loerben. 2)er morarifc|e
©Ott ift ettüa§ t)iet öö^ere§ aU ber magifc|e @ott."
S)a§ ©efc^icf füt)rte nun f^riebric^ auf einen Segriff,
ber i^m bi§ ba^in gönälid^ gefehlt Jiatte: ben be§ Uniüer*!
fum§. 2öa§ in biefem $au(u§ ben Umfc{)U)ung :^erbeifüt)rte,
ipar nic^t^ ©d^recf- ober ©(^merj^afteg, öielmeljr ha^^ @(ücf,
ha^i i^m plö^Iii^ begegnete. S3or|er f)atte er ft^ immer
Oereinjelt gefüllt im Kampfe gegen bie 2öelt, bie er fic^
ntd^t 5U offimiliren luu^te, nun berü()rte fie i^u liebenb unb
oerftänbni§ooü. (Sr ftjar tüie @iner, ber ftarr über einen
glu^ gebüdt fein gefpiegelteS 93ilb betrachtet ^at unb ben
auf etnmat gute ©enien umiuenben, fo ba§ er Söalb unb
SBoIfen, S3ögel unb SJJenfc^en fielet, bie hinter if)m iE)r
frö^(icf)eÄ SBefen treiben. ®ie ftrenge ©|)ra(^e römifd^er
(Srbaben^eit oerga^ er nun, unb an il^re (Stette trat gtütienbe
^(nbetung be» Uniöerfijnig, in ba§ er „fnoHig üerliebt" ju
fein mit großem 2öot)IgefafIen befannte.
„Ter ©ebanfe be§ Uniüerfum» unb feiner ."parmonie
186 5)ie neue Sxeligion.
tft mir @in§ unb 2lffe§, . . . . tft ein getüiffer, geje^tic^ or^
ganifirter SBed^fel jtütfc^en Snbioibuatität unb Uniöerfatität
ber eigenttid^e ^ulSjc^Iag be§ ^ö^eren Se6en§ unb bie erfte
$8ebingung ber fittlic^en 63ejunb!§eit. ^e üollftänbiger man
ein Snbiöibuum lieben ober bilben fann, je me^r Harmonie
finbet man in ber Söelt; je meJ)r man öon ber Organijation
be§ Uniöerfumg öerfte§t, je reid^er, unenblid^er unb luelt-
ö^nlid^er tüirb un§ jeber (Segenftonb; \a, icE) glaube faft,
ha^ toeife (Selbftbejd^ränfung unb ftille S3ef(f)eiben|)eit be§
(^ei[le§ bem 93ienf^en nic^t not^tuenbiger i[t ali§ bie innigfte,
ganj raftlofe, beinah' gefräßige ^^eilna^me an allem Seben
unb ein getuiffeS ßiefü^I öon ber §eiligfeit öerfc^tüenberifd^er
gülle."
S)a§ neugelüonnene Suftgefül^I, ©lieb eine§ @an5en gu
fein, eine§ großen, elüigen, üernünftigen ©onjen, tüar
griebrid^'g Üiciigion. 2)ie tinblid^ ftoläe greube, bie er
über biefe (Eroberung be§ Unioerfumg empfanb, t^eilte \\(i)
feiner Umgebung mit unb fitngt in @c^Ieiermad^er'§ 9teben
über bie Sf^eligion nad^. ®enn tuaS bort nad^ allen 2tb=
ftraftionen ber Sf^eligion bleibt, ift aiid^ nichts tceiter aU
@efü§I be§ Uniöerfum§ ober: menfdjIid^eS ®efü^I, obge5ogen
öon jeber (Sinjelerfd^einung, einzig belogen auf ha§: Uni=
üerfum. ©d^Ieiermad^er'g ©rflärung, man folle nid^tl au§
^Religion t|un, aber 5llle§ mit Steltgion, fie muffe irie eine
SJiufif ha^ Seben begleiten, ift in et»ua§ anbern SBorten,
h)a§ gi^iebrid) in feinem 93rief an S)orol|ea fagt: „Obgleich
mir aber oud^ ta^, \va§> man geiuötinlid^ ^Religion nennt,
ein§ ber tounberbarften, grö^eften ^^änomene ju fein fd^eint,
fo !ann id^ boc^ im ftrengen Sinne nur haS' für ^Religion
gelten laffen, toenn man göttlid^ benft unb bid^tet unb lebt,
trenn man ooU oon ®ott ift; menn ein ^aud) Don 2lnbacE)t
unb S3egeifterung über unfer gan§e§ ©ein auSgegoffen ift;
Sie neue 3ielii]iou. 187
luenn man nid^ty me^r in ber ^^flic^t, fonbern 2(IIe§ au§
Siebe t^ut, blo^ lueil man e§ tütll, unb lüenn man e§ nur
barum toiU, Jueil e§ ®ott fagt, nämlti^ ©ott in un§."
SBieber finb lutr mitten in bie ^^aulinifd^e j^eljbe gegen
^ant unb j^ic^te t)erfe^t; nid^t ein getrenntes ©ölten unb
SBoIIen im Tlm\d)en ift ha^ ^öd)'\k, fonbern SSerfc^meljung
ber betben, bamit nic^t Sefe^I unb ©e^orjam |errfd^e, fon-
bern bie grei^cit ber Siebe, ©o erflärt fic^, föenn griebricf)
fagte, 'Oü'q eine @t)ntt)ef{§ öon 5tc£)tc unb Ö^oet^e 9teIigion
geben mürbe: ^ant unb gtd)te f)altn bie ^f)itüfo|)!^ie öon
ber einen <Bexk bi§ an hu ©d^ioeHe ber ^Religion geführt,
auf ber anbern lufttüanbele ®oetI)e in ben ^ropt)Iäen be§
3:empelS. Unb irieber benfetben @inn I)at feine 93emer!ung,
ba§ bie antue fReügion bie Sieligion be§ SebcnS, ba§
G^riftenttjum bie be§ 2;obe§ fei, ba'^ ahn Job unb Seben
etgentüd^ ein§ feien; n^eg^alb 9ioöaIi§ öom d^riftent^um
fagte, e§ ft^Iiefee fid^ an bie 3lntite aU ber jiueite ^aupt-
flügel: „S3eibe tialten 'ba^ Unioerfum, al§ ben ^ör|3er be§
(Sngelg, in eioigem ©c^ioebcn, in eiuigem @enuB üon 3taum
unb S^i^'"
Sin bem gtc^te'fd^en (SIement be§ 2Biffen§, be§ @efe|e§
fe^Üe e§ ber ^eit nic^t, man empfanb fogar bie 5Rüt^s
luenbigteit, e§ jurücfäubrängen. 9M(f)t (Siner unter ben 9to*
manttfern, ber nic^t ein paar San5en für ha§> SBunber
gegen bie ^lufflärung gebrorfjcn Ijätte. @ie fütjiten, bof3
ba§ Uubeluufjte, ber nnmberttjätigc ß^Iauben geftärft loerben
muffe, gür bie uene 3eit (jätte man ben ©a| be§ ^aulu§,
ta^ luir im ©lauben unb nid)t im ©d^auen loanbeln, um=
fef)ren muffen, ^enn bie Si^raft be§ ®(auben§ pflegt gu
öerfümmern, loenn bie be§ ©c^auen§ junimmt, toie ^ü'
lüeiten ber ÖJeift mäc^ft, luenn ber ftörper fd^tüinbet.
2(ber bie Stomantifer furf)ten ben fctjlummernben 3}iagier im
188 2)ie neue Steligion.
SJJenfd^en lüieber ju ertüecfen. 9^eue, überiüälttgenbe 5ln-
fid^ten be§ ®IauBen§ unb be§ SSunbcrS taucfiten in ifjretn
Greife auf. „^n bem 51ugenbltcf", fagt eine yioti^ tion
5yJotiaü§, „m iä) ©ott glaube, ift er." 2Bie bie SSelt ift,
treu man fie glaubt; e§ t[t ber öerbtd^tetfle Sbea(i§mu§,
bcr 5um uubelyufeteu SBillen, jur 9lctur §urü(fgefe|rt. ®a§
©temenl ber jc^affenben ©laubengfraft ift im ©egenfa^ pm
proteftantifc^en ha^ !att)oItf(^e, im @egenfa| jum c^riftlic^en
ba§ t)eibntf(f)e. jDie§ toar ba§ (SIement, ba§ bte Statut in
bie 9teIigion t)ineinfü()rte, roetc^e ba§ S^riftentl^um aB
Schein t)erni(^tet, an welche ba§ ^eibent^um glaubt, inbem
e§ fie göttlicf) befeelt. SBte eine Offenbarung empfing man
©dE)eIIing'§ jubelnben Slufruf: ^ommt I)er jur ^f)t)fif unb
erfennt haS (Smige!, unb bie jatjlreic^en (Sntbedungen auf
bem (Sebiete ber Statur lüiffeufc^aft famen bem (Sifer ent«
gegen, mit bem man il^m i^olqt leiftete. 5Iu(^ ^atte griebrid^
ber ^t)t)fif, mit tuetd^em 9^amen man bamal§ alle§ Slatur»
njiffenfd^aftlic^e umfaßte, einen großen ^Ia| in feiner 9?eli-
gton gugebad^t: fie foltte bie ©runblage ber 93h)t£|oIogie
bilöen. 2Bie biet me^r fonnte man je^t bie 5J?atur per»
fonificiren, ba man i£)re Gräfte aU bicfelben erfannte,
bereu 2Birfen man im eigenen Innern füfjite, unb atfo
bie 2öiffenfcf)aft jene SSertüanbtfd^oft mit bem SJienfd^-
lic^en beftätigte, bie ba§ Slltert^um geahnt §atte, griebrid^
fdjIoB feine 9lebe über bie neue 9}it)t^oIogie bamit, ha^
er hk i^reunbe, an bie fie gericf)tet mar, jum ©tubium
ber ^^t)fif aufforberte: i^r luürbeu bie I)eiligften Offen*
barungen ber SfJatur cntfpringen. ©ine mobern miffen-
f(^aftlic^e 9^aturreIigion tonnte man fic^ rvoU an^ @d^elling'§
5Raturp^i(ofop[}te f)erau§bilben, unb tvk fie i^m felber
öorfc^njebte, ^at er in flinfen SSerfen 5U uerftei^en ge=
geben:
5}ic neue 5Re(iijioii. 189
®e^e Weber jur ^irclje no(^ jur ^rebigt,
S8in al(e§ ©lauben§ rein erfebigt
?fuf,er an bie, bie mid) reciiert,
aJiid) ju Sinn unb 5)iditung fül)rt,
3)a§ iicrj mir lägüd) rüljrt
93iit eiu'ger |)anblung,
S3eftänb'ger ^erwanblung,
C^nc ^M)' nodi Sauinnii";
©in Offen (^el)cimniii,
ein unjterblid) Okbid)t,
®Q§ ju aüen Sinnen fprid)t,
Sn beren tief gegrab'ncn S^W^
SJiuB, wag \vai}\: ift, üerborgen liegen,
Surdi Jorm-unb iöilb fie ju un§ fprid)t
llnb üer(ief)let felbft ba§ 3"n'i"e "'"^J*,
®aß roir au§ ben bleibenben (Jbiffern
aiUigen aud) bo§ Ö3ef)einie entjiffern —
Savum ift eine SJeiigion bie redite,
Wüßt' fie in Stein unb Wcio§gefled)te,
^n SBIumen, '•Bcetad unb aüen Singen
So gu Suft unb Sid)t fid) bringen,
^n äffen Söffen unb liefen
Sid) offenbaren unb £)ierügh)p()en.
SSon eigentlid^em (5[}riftent^um ift ba junäd^ft feine ©pur.
2Ba§ für eine anbre 2SeIt t^ut fic§ un§ ouf, tüenn lüir
nun ju 9iotiaIi§ ge^en unb au§ feinem befd^etbenen SJiunbe
SSorte hörten lüie bie: „UngHicf ift ber 33eruf p ©ott" ober
„Siebe ift biirc^au^ ^ranfljeit; ba^er hk iDunberbare Se»
beutung beg (Il)riftentt)um§." ©§ ift, aU ob mx üon ber
braufenben Uepptgfeit ber SiaturfüUe ^inn:)eg in ein ein=
famel, t^ränenfü§e§ aJJenfcfienauge fä^en. SDie D^Jatur butbet
ha^ «Sc^mac^e nid^t; ben franfen ä^ogel, ber nid^t mit nac^
©üben fliegen fann, tobten feine ©efellen, fagt ber $8oIf§-
munb. Sn bem ungefieuren ^^ampfe [)at ^eine§ 3eit nac^
bem §u fe^en, toa^ njunb am 23ege liegen bleibt. SZic^tl
190 3)ie neue Sieligion.
unterfi^eibet fo fe^r ben aTcenfd^en bon ber ^latiix, at§ ba§
er barauf derfaUen fann, ©c^nier5 unb ^ranfiieit gu lieben.
®a§ faffung^Iofe (Srftaunen ber |)etben über ben gefreujtgten
ßiott, tl^r gefunber ober äft^ettft^er 5lbj(f)en betueift, bn^
etiuaS grunbfä^Iid^ 9Jeue§ barin kg, bem nalürltc^en 9}?en=
fcJien grembeS. (S§ tft feiten ober unmöglid^, ba§ ein ganj
©cfunber bie ©c^öntieit in ©dimerj, STranfl)eit unb Xot)
fe^en fann oi)ne ©etüaltfamfeit ober ^i^ierei, nnb baB ntcfit
onbrerjeitg ha^ efftatifd^e SBefen be§ Uranien, ber in feinen
Seiben fc^luelgt, obftö^t; bielleid^t mu§ man gefnnb unb
fron! gugteid^ fein, um fie in eine fo ernfte ^olbfeligfeit
Üeiben ju fönnen, tüu 9^ooati§ t^at.
©c^eHing befinirte ^ranffjeit aU 5lblüei(f)ung nic^t nur
üon ber abfoluten Proportion ber Gräfte, fonbern anä) öon
ber inbiüibuellen, öon ber ein beftimmte^ Söefen ab^öngt.
9J?an !ann fid^ nun h^o^I eine geiftige Sonftitution benfen,
in ber eine 5lbineic^ung gar nid^t möglich tnäre, oljne ha'^
ba^ gebred^ttd^e ^robuft gteic^ §erftört würbe; ober eine
fold^e, bereu Gräfte nii^t felbftäubig genug ioören, um au§
ber 9?egel 5U treten, ober eine unenttoicfelt finblic^e, h)o
feine Gräfte fii^ entjtreien unb gegen einanber empören
fönnen, toül fie nocf) eine jufammengefaltete S^nofpenein^eit
bilben. 5llle biefe 5trten ber Öiefunb^eit finb meber juüer^
täffig nod^ e^renöoU; au§ loeld^em ©runbe auc^ in ber
©age üon ber SSerfud^ung in ber SBüfte (Sf)riftu§ aU ber
©ünbe fä§ig ge5eigt iuerben follte. O^ne öorauSgegangene
©ntjJüeiung ift nid^t nur feine SSerfö^ming, fonbern oud^
feine Siebe mögtid^, bie ja nur giüifdjen jtuei ©efonberten
entftef)en fann. Unb ©onbern ift audf) ein 9lblüeic^en;
93aaber bat barauf aufmerffam gemad^t, ba^ ©ünbe üon
©onbern fommt. ©beufo ift jebe @rf)öl§ung ber Gräfte eine
3Ibiüeid^ung unb atfo eine Slranffjeit, tuetd^e ©etradCjtung
Sie neue 9ie(ic)iou. 191
9JoliaIt§ mit ttef[inniger getnfiett auf bte (Sntlütcfelung ber
Organismen angeluanbt liat, inbem er fagt: „^ranJ^eiten
ber ^flanjen finb 5(ntmaItfationen, ^ranffieiteu ber S:()iere
9i*ationaIifationen, ^ranfljciten ber Steine SSegetationen."
^ranf^eiten ber SJJenfcJjen, fönnte man J)tnju fe|en, finb
S5ergöttlic^ungen. ©o mii^ man anbre 3(n»fprüc^e öon
9Jooati§ öerfle^en:
„.^ranl^eiten jeic^ncn ben 3J2enfc^en oor ben ^fCanjen
unb 3;()ieren au§."
„Wan fodte ftolj auf ben @(f)mer,^ fein — ein jeber
©djmer^ ift eine (Erinnerung unfereS l)o^en Stange!?.'"
„5t(Ie ^ran!I)eitcn gleicfien ber ©iinbe barin, ha^ fie
S^ranScenbenjen finb. Unfre ^ranf^eiten finb alte ^^ä=
nomene einer erteilten ©enfation, hk in tiöl^cre Sltaft über^
gelten lüitl."
5l[ier nid^t oUein ba§ ift ber Söert^ jeber ^tbtüeid^ung,
©ünbe, ^ran!f)eit, ha'^ fie auf Iiö^ere Stufen, fonbern ba^
fie 5ur fiemu^ten Harmonie auf berfelben fiteren. „33ebürfnife
nad^ Siebe öerrät^ fc^on eine öorljonbene ©ntjnjeiung in
un§." Unb eben ber Siebe f ollen tüir bebürfen §um 3iüecfe
ber belüu^ten (Sin^eit. ®amit tüir Siebe lernen, S'raft jur
^Bereinigung, finb nac^ S^ooaliS alle Seiben, 9J?ängeI unb
Slegationen be§ Scben§ ha. S)ie Disharmonie fü^rt au§
ber aJionotonie jur Harmonie. 6» ift ha^ SSefen ber Siebe,
ba§ S3ebürftige 5U n)ä£|Ien, tüeil fie baran i()re j^vei^eit unb
^raft üben !ann, unb tüeil nur ber S3ebürftige Siebe brautet.
Denn ©ei^nfud^t ift bie Solge be§ äRangelä unb Siebe ift
bie (J-rgänjung ber ©e^nfuc^t, tjer^ätt fidf) ju i^r tute ha^
^ofitioe 5um 9tegatiüen. 2Se§()aIb aud) jeber Siebenbe fic^
felbft erniebrigt, um 2itte§ öom (SJeliebten ju em|)fangen.
©0 nennt 9fcot)ati§ bie d^rifllid^e Sieligion bie eigentlidfie
9teIigion ber SSoIIuft. Denn: „Die ©ünbe ift ber größte
192 5)ie neue 9{eIic]iDn.
Steis für bte Siebe ber ©otttjeit; je fünbtger fic^ ber 50Zenid^
fü^It, be[to d^riftltd^er tft er. Unbebtngte SSeretntgung mit
ber @ott[)eit ift ber Stütd ber ©ünbe unb Siebe."
2(tle§ 5ufammenge[a|t: um ber grei^eit SBitten mu§
©ntstueiung fein, benn in ber iinentjiueiten 9?atur ^errfc^t
ber 3^flng be§ SriebeS, unb um ber SSerfö^nung SBiHen
muB Siebe [ein. 2)ie[en ©ebanfengang fl)mboIi|irt bie 58ibet.
®ag ^arabie§ i[t tk Unfd^ulb ber unbemufeteu ^iatur, bic^
SSerfü^rung ber ©d^Iange ber erfte Üieij be§ SSemufetmerben^.
„^I§ ber Tiei\\ä) ©ott Wtxhm njoHte, fünbigte er." (Sr
fonberte [ic^ ah aU ein ©injeluiefen an§ bem c^aotijd^en
S(ß, ein ftoljeg, freoeInbe§ aber bod^ gro^e§ S3eginnen, gut
unb böfe gugleicl, une ber S^arafter ber ©ünbe iiber^aupt.
Söer rafenbe S^erfuc^, au§ einem 5Üom, einem ©anbforn,
einem 2:f)iere ©ott ttjerben gu tüoüen, fann nur baburd^
gei'ül^nt toerben, ba^ er gelingt. Stber ha^i ®efe^, haS' bie
(Srfenntni^ be§ ®uten unb S3öfen aufgeftellt ^at, t[t bem
ringenben @efrf)öpf §u jd^ttjer. 2)iefe ©ejc^ic^te erjäfjlt ha§
S((te S:eftament: 3f)^ SBiffen beleud^tet ben SJJenfc^en nur
tf)re Unjulänglic^feit unb il^r ^ampf erfd^eint enbloy, of)ne
^u§[id^t. S)a er[(^eint ein ^immlifc^er griebenSbote, d^rifluS,
ber ©ottmenfd^. ©eine ©rfd^einung öerbürgt ben |)offnung§=
llofen, 'Da^ i^re ©ünbe nicEit unfü[)nbar ift: ba§ ilTteufd^Hd^e
ijfann mit bem ©öttlicöen üereinigt lücrben burd^ ein 58anb.
S)ie§ S3anb ift bie Siebe. ®a§ 33ilb, bo§ ^?autu§ gebraucht,
I)at barum einen fo be5aubernben 9?eali§mu§: „lieber 2lIIe§
aber jiefjet an bie Siebe, bie ba ift iia^ Sanb ber SSod'
fommeui^eit."
Sft 9teligion bie Se^re Don ben 9JJitteIn, fid^ mit ber
©ottfjeit 5U üerbinben, fo ift Siebe, aU tia^ 33anb, ha^
n}efentli(^e Gfcment ber 9JeIigion. S)ie» pflegte 9JooaIil in
feinen Semerfungen über Steügion ju betonen:
Tie neue ^Ifeligion. 193
„^a§ |)er5 tft ber Sdjfüffel ber 2BeIt unb be§ 2eben§.
SJian lefct in btefem f)üIfIoicn 3")"tanbe, um ju lieben unb
SInbern öerpfltd^tet 5U fein. jDurd^ UnooHfommen^eit niirb
man ber (Siniinrfung Stnbrer fäE)ig, unb biefe frembe (Sin«»
n)irtung ift ber Qwed. ^n Sranf^eiten fönnen unb foUen
un§ nur 5(nbre lelfen."
„®tebt e§ liebloje Staturen, fo gtebt e§ auä) irreligiöfe."
(5§ tft nun eigentlid) burc^auS nic^t überrafc^enb , ba§
für dlomü^ bie begriffe (5|rtftent()um unb ^Religion 5U-
fammenftelen. 5luc^ grtebriii) ©c^tegel Juar, tro^bem er
fanb, e» muffe eigentlich fo öiel 3teIigionen trie ^nbiüibuen
geben, ber 9J?einung, bie öollften ßeime ber ^Religion lägen
im (J^riftent^um. ©er unter ben $Romantifern beliebte, öiel
gelefene ^ahh SSöfjme Batte fogar bie i^eiönifc^en ^ieligionen
unentiuicfelte§ (II)rtftent^um genannt. 3Senn atterbing§ ber
ßern bei (I^riftent^uml S^ernic^tung be§ Seligen, 3(pDtJ)eofe
ber 3ufiinft ift, tt)ie 9^oöaIi§ fagte, fo tft nur ber ftrenge
2tt^eift ober 9JiatertaIift •}?ic^t=Sf)rift. Slud^ @c^Ieierma(^er
erflärte in feinen Sieben, obmo^I er ba§ (Sntfte^en neuer
9ieIigionen rceber für unmöglich nod^ für unerlaubt anfa^,
bas> Siiriftent^um für bie Unioerfalreligion, in bereu Um^
fang jebe möglid^e ^Religion l^inein paffe unb ge[)öre.
2Iber bie (äntrüftung tiieler offizieller S?ertreter be§
©^riftent!^um§ beim ©rfc^einen üon ©c^Ieierma(^er'§ SBerf
belüeift, ha'^ ni(^t ^eber, ber ei^rlic^ überzeugt Wax, ein guter
(S^rift §u fein, bie romantifc^e 2;efinition bittigte. 2ltter=
bing§ mocfiten fie mand^e ber geläufigften religiöfen ^gegriffe
gar nii^t miebererfennen, al§ ®ott, S^riftul, Unfterbli^feit,
ett)ige§ Seben. SSon ®ott gab ©c^Ieiermac^er gu üerfte^en,
ta^ bie perföntic^e gaffung be§ ®Dtte§begriffe§ e^er auf
eine tiefere Stufe be» S3ett)u^tfein§ gehöre. 93Zand^mat
!ommt e§ einem öor, al§ fönne man feinen tote grtebrid^
§u(f), 5Romamifer. 13
194 S)!*^ "cue Sieligioit.
@c^tegel'§ (Sott einfad^ burrf) Uniüer)'um erfe^en. |]muet(en
tuirb beutücE) ein 9?aturgott, ^etioönt), unb ein G^etftgott
unter jcf)ieben; im ©runbe nur jtüet (Seiten be§ Sinen. ®te
mertluürbige Stnfid^t '^o'oaiW, ®ott muffe :^ülf§6ebürftig
fein, bamit n)ir i^n lieben fönnten, tueld^e ?lnfgabe eben im
(I|riftentf)um getöft fei, beutet auf bte (Srfaffung (Siotte§ aU
eine» SBerbenben ober oom menf(f)It(^en Glauben Stb^ängigen,
Ujte ja benn bie 5ßotIfommen|eit unb ©anjtieit nirgenbS ift
al§ in ber Qbee be§ 9}Jenf(f)en, ber an fie gtaubt unb fie
üerlüirftidien imU. UnD bartn finb fid^ 5ltle einig, ha'ß e§
einen au^ermeltlic^en unb au^ermenfd)ti(i)en ©ott nid^t gebe.
„Unter 9JJenfd^en mu^ man ©ott fliegen", fagt 9?ouaIi§
ebenfo n^ie ^atol Söö^me: „2öo tuitlft bu ®ott fuc^en?
Sn ber Siefe über ben (Sternen? ®a toirft bu it)n nid^t
finben. <Suc^e i|n nur in beiner Seele, bie ift au§ ber
einigen 9Jatiir, barinnen bie göttliche ©eburt fte^t;" aud^
bie 9Jit)fti!er be§ Mittelalters luaren tton ben eigentlid^en
2;|eDlDgen angefeinbet morben.
SEie eine ^o|e greunbeSgeftatt Siegten bie 9tomantifer
S^riftu«. @r toar i^nen tute ein üerflärter 33ruber, ben
man fid^ ä^nlic^ unb bod^ I)od^ über fid^ füfjlt unb bem
man gteicE) werben toiU. 33ei ber 33etrad^tung einiger (5)e=
mälbe äußerte Caroline einmal, fie fe^e ben (Sriöfer am
Itebften aU ^inb, ha ha^ ®e!§eimnt§ ber Sermifd)ung beiber
^fJaturen in bem ©el^eimni^ ber ^inbtjeit am beften gelöft
fei; auc^ einem ©^riftu§ öon ßarraccio, ben fie übrigen^
fe^r bettiunberte, fe|Ie ber 93rennpunft, tüo hie pc^fte ^raft
unb S)ulbfam!eit gufammentreffen. D^ne jemals barüber
nad^gebac^t ju §aben, betrachtet aud^ fie ef}riftu§ aU ©ijmbol
ber 5(nbrDgt)ne. Qu feine 9)JittIerfc^aft oertiefen ftc^ Schleier-
mad^er unb 9ioöati§ mit SSorliebe, beibe aber barin einig,
bafe bie ganje D'fatur, 58rob unb SBein, Stein, 93Iume ober
®ie neue ?)ieIic]ion. I95
SDJenfrf;, jum 9J?ttteIgIieb giinfdjen 9D^enfd§ unb ©ottfjeit er=
]^ot)en lücrben fönne. 2)ie§ toar ber ^unft, mo inonDtf)et=»
fttfc^e» (5^rtftent:^um unb pant^ei[tifc^e S^aturreligion in ein*
aitbcr ükrgingen; auf nichts aber fa^nbeten bie offi^ießen
S^eologen mel^r al§ auf ©ijuiptonie beg ^nut|ei§mu§. 5IB
öerfappte ^aut^etfleu lüurben benn aud; bie romanttfc^en
ßfjtiften bon t^uen angefe^eu.
®urd^au§ etgenttjümtic^ \vax t§rc 5tnfid^t öon ber Un-
fterbltc^!ett. 9(n ein Ueberleben be§ 2:obe§ glaubten 'äUt,
©oet^e etngefc^toffen, tüie e§ jene marmornen SBorte über-
liefert fjaben: „@inb benn aud^ SDinge, bie mir nic^t an-
flehen, fo fomnie iä) barüber gar leidet I^innjeg, tt)eil e§
ein 9trtt!ul meines ®Iauben§ ift, ba^ Wh hxnd) ©tanb«
:^aftig!eit in bem gegenn^ärtigen ^uftanbe ganj allein ber
^ö^eren ©tufe eine§ folgenben merti^ Ujerben, fei e§ nun
fiier jeitlic^ ober bort eiüig." ©cgen bal ftarfe S3e!enntni§
be§ ®reife§, Juie reijöoH finb bie feelenöolten melobifd^en
SBenbungen, bie, oiele ^ai)u üor^er, ber gu frütjem Sobe
beflimmte Jüngling D^oöaliS bemfelben ©ebanfen gab: „®ie
Statur ift S^einbin enjiger ^efi|ungen. . . . SBenn aber ber
S'örper ein Gigent^um ift, n^oburd^ iä) mir bie 9^ec|te eine§
attioen (Srbbürger§ erloerbe, fo fann id^ burd^ ben SSerluft
btefe§ @igent^um§ nid^t mid^ fetbft einbüßen, ^d) berliere
nld^t§ aU bie ©teile in biefer ^^ürftenfc^ule unb trete in
eine |ö^ere Korporation ein, ftiol^in mir meine geliebten
3JJitfd^üIer nadifolgen." @r liebte e§, fic^ in bem füllen
Sab^rint!^ be§ nnterirbifd^en @otte§ 5U ergeben. Ob er nun
ben Xoh eine SSeränberung ber Gapacität nannte ober eine
©elbftbefiegung, bie föte jebe ©elbfiliberminbung eine neue,
leichtere ß^iftcuj üerfdiaffe, baran föar fein B^fifet» 5)a§
jebem 9J?enfd^en ÖJelegenfjeit, bie SSoITenbung gu gewinnen,
gegeben toerbc. „©oltte e§ nid^t auc§ brüben einen Sob
13*
196 ^if "^"^ Siefigion. .
geben, beffen 9?eiuÜat irbifdfie ©eburt tuäre?" Unb mit
yctnen üerträumten ®eban!en, bte er fo fc^mtegfam au§5U=
brüden luu^te, badete ba§felbe %kd:
„^d) ging toetter nac^ einer alten großen Sinbe, meinem
Sieblinggpla^ im SBalbe. §ier fe^te id^ mic^ nieber unb
lefinte mid^ an ben Stamm be§ S3aume§. 2)er SSinb l^attc
92ac^tfd^metterltnge au§ ben ^iüetgen gefd^üttett, unb fte
lagen betäubt unb fd^Iafenb am SSoben unb jucften nur 5U-
tüeilen mit ben e^ü^en. Sie frümmen fic^ nun, fo fagte id§
ju mir felbft, unb Jüäljen fic^ in bumpfer ^Betäubung, bi§
bie ©onne untergef)t unb ber SO^onb ^erauftritt; fte fd^tafen
nid^t unb föad^en nid^t. ^[t ha^ nidE)t ötedeid^t ein S3ilb
unfrei rätt)fel^aften Seben§? Siegen lüir nid^t ebenfo am
Söoben gefeffelt unb fämpfen unb ringen mit un§ felb[t?
®er Xoh ift üietteid^t ber Untergang ber @onne, unb tuir
erluad^en tokhtx unb beiuegen un§ fro^ unb frei."
Wart !onn tro^I biefe 3lnfd^auung§n}eife im 5iCfgemeinen
oI§ eine ©eelenmanberungSt^eorie bejeid^nen, an bie 5I^nung
einer auffteigenben ©nttnirfelung ber Drgcnilmen gefnüpft.
5)ii^t§ öon ber büftern ^ärte be§ irbifd^en ®Iauben§ lag
barin, ber bie§ SBanbern ber ©eele rtiie eine Straf anftalt
betradf)tet, üielme^r, mie bie ^bee burd^au» nac^ miffenfd^aft-
Iid)er Mar|eit ftrebte, Jüar fie aud^ ber 5Iu§brucf ftol^er
3uöerfid^t unb unerfättlid[;er SebenSluft. SQ^it breiftcm 9iea-
Ii§mu§ nannte DIoüalig bie eigentlid^e beffere SBelt bie
3u!unft. 3^irgenb§ anber§ aU ouf ber (Srbe — ober benn
auf anbern Ö^eftirnen — fuc^te er ben ^immel, unter Weix^
fd^en, bie aller i|rer üerborgenen Gräfte |)err geworben
finb. Sieffinnig genug luäre alfo ber alte ©emeinpla^,
baB bc§ ajJenfc^en ^immetretdö fein SSiae ift. ©er SSunfd^
ber Utopiften unb ^Reoolutionäre, ha^ ffitid) ®otte§ ju ber-
föirtlid^en, bon ttjeld^em griebrid^ ©c^fegel ben Einfang ber
5)ic neue Sicligion. 197
Diobernen ©efc^td^te battrt, tuäre htmnaä) nicE)t an fid^ ein
SJJt^üerftänbnt^, fonbern nur üerfrü^t unb überftürjt, unb
ta^ ®ebet, t)a^ wix an ®ott richten: ju un§ fomme betn
9tei(i), bejöge fic^ nur auf Harmonien be§ 5)ieä[eit#, foiuot)!
in ber ©eelenmonarc^te jebeS (äinjelnen wit in ber Siebet»
republif ber gan§en S)Jenfc^^ett.
93ieine 93et)auptung, ha^ bie 9tomanttfer bte Slnfid^t üon
ber S)auer be§ SnbtüibuumS nidjt nur al§ eine bämmerige
|)offiiung jc^iuelgerifc^ genätjrt l^ätten, ift nun aUerbingS
nid^t leidet ju üertbetbtgen, wenn man nidjt fd^on hk S^'
»erficht, ha^ grofee 9!Jit)[tertum tnerbe fid^ empirifd) f äffen
laffen, in'» ©eiüid^t luiH fallen laffen. Um intereffanteften
ift 58auber'ö X^toxk üon ber Unterfcfieibung jmtfc^en 9}iateric
unb Statur, qI§ einem öergängttc|en unb unüergängltd^en
Stoffe, wdd)t öaaber auc^ hn ^atoh S3ö^me ftreng burc^=
geführt fanb, unb auf loelc^er ^aulu§ feine Se^re oon ber
Sluferfteljung be§ gleifc^e§ gegrünbet ^at. S" i>fni berühmten
Srief an bie ©ortut^er bejietieu fic^ baraufbie foIgenben@ä|e:
„mä)i ift atteS gleifc^ einerlei greife^."
„Unb e§ finb l^tmmlifc^e Sl'örper unb irbifd^e Körper.
SIber eine anbre |)errlic^fett ^aben bie ^immlifc^en unb
eine anbre bie irbifcfien."
„(S§ tüixh gefäet oeriüeSlii^ unb loirb auferftef)en un=
öerineSltc^. (£§ roirb gefäet in Unehre unb loirb auferftel^en
in |)errlid^feit. (£§ loirb gefäet in ©c^ioac^^eit unb ttjirb
auferfte^en in ^raft. (£^ loirb gefäet ein natürlii^er Seib
unb n^irb auferfte£)en ein geiftlic^er 2tih. fQat man einen
natürlichen Seib, fo i]at man aud^ einen geiftlict)en Seib."
„5tu(^ loirb t)a§ SSerroeSlic^e nxd)t erben ba§ Unöer=
n)e§Iic^e."
„Sie^e id) fage euc^ ein ®e|eimni^: 2Bir loerben nid^t
Me entfcf)Iafen, mir luerben aber 5{lle Oerioanbelt loerben."
198 Sie neue 9ieIigion.
„®enn ta§> SSeriuesIic^e mu^ anfielen ha^ Unoenues-
Itd^e, unb bo§ ©terblic^e mu^ anjici^en bte Unfterbltc^fett."
Sin ein Seben au^ertjatb be§ SVör^er§ lütrb ^ier burd^=
au§ nic^t gebadet, nur ha'Q ba§ 2)afein eineg anbern gletjd^eS,
au§er bem bertpeSlidien, oorauSgefe^t luirb: ber Stflratleib
ber mobernen ©pirttiflen. S3on biefem ©tanb^unfte au§
burfte Saaber ben SSorinurf, bte ^^ilojopiite be§ ß^riften-
tljumy jet f|3trttualt[tt[(^, gurücfiüeifen; er nannte fie in ber
®ar[tellung be§ ^aulu§ unb ^aioh 33öf)me einen 3^eoI*
9fieati§niu§ unb erinnerte baran, ba§ burc^ bie Seigre öon
ber 5lufer[tel}iing be& gletfd^eg ha^ ® Triften tl^um , nie|r aU
bie |)eiben jemaB üermod)t Rotten, ben Seib ^eiltg gefprod^en
^aht. ^enn ha bie Sluferfte^ung eigentlid^ eine S^eriüanb-
ümg ift, Ieu(i)tet e§ ein, ha'^ bie 93efd^ äffen £)eit be§ „unoer=
toeSlid^en" Sei6e§ bon ber be§ natürlichen nic^t unabhängig
fein fann. S)ie ^erbeifüfjrung biefer SSeränberung aber
n3irb lüenigften§ bon S^iobali^ in ben SJJenfd^en felbft gefegt,
nänilid^ in bie ©roberung feine§ 2BiKen§, ber noc^ in ben
Letten be§ UnbeiDu^tfein§ liegt; je^t ift biefer 2BiIIe no(^
ber SJiagier, ber bem betüu^ten Qc^ Seben über Sterben
oftrotjirt, Ijat aber ha§ ^c^ feine boßfonimene SBiUfür^
^ängt e§ bon i^m ab, feinen SStHen ju füren, fo ift für'
fein ©terbenibollen in i^m me^r 9^aum, wenn e§ leben UJiH.
S^ic^t naturIo§, nur naturfrei luollten bie romantifd^en
Sbealiften fein. S)a^ ©oettje'io 2:^eilna|me für ©i^Ieier-
mac^er'g erfte Sieben über bie 9ietigion \x6) in eine gefunbe
frö^tictie ^Ibneigung bermanbelte, ie dirifllid^er fie tburben,
(ag äum S^eil tt)o£)t baran, baB bie Segriffe S^riftent|um
unb Slbtöbtung be§ 9^atürlidjen i^m nun einmat unjer-
trenuürf; berbunben toaren, bann aber bor allen fingen, ta^
©c^leiermacf)er felbft feine Statur luar. ©eine ©prad^e trar
r^etorifti), peintid^ |3tatonifirenb, ganj unromantifc^; er fonnte
S)ie neue aicliijioii. 199
nid^t „au§ bem ^nnerften fi^rcd^en". @r nju^te felbft genau,
baB t^m ®efüJ)I für 9iatur unb ^unft gänätic^ mangelte,
aber obluo^I er ben 3u]^ii»uienl}ang btefer (Srfc^etnungen
mit ber 9ieItgion al}nte, glaubte er boc^ o^ne [ie it)r SSefen
erfd^öpfen ju fönnen. Stud) erje|teu itjm ©eijt unb §er5
ba§ ^ei)Unht fo gut, ha'^ bie 9JJe:^r5al)I ber SJienfd^en feine
öerftänbigen 5tu§einanberfe^ungen üiel beffer begriffen unb
itjititger aufnai^meu aU romautifd^e au§ bunflem ©d^ad^t
quelleube Offenbarungen. ?tber fie üerfiegten balb, unb bie
farbeubürfteuben klugen berer üou ber ^ünftler^unft der«
mifjten, ha'^ \id) in bem ffaren ©emäffer ber tiefe |)immel
nidjt fpiegelte. griebrid^ ©c^Iegel fagte öon ben Sieben
graufam aber nidjt un^utreffenb, S^etigion fei nid^t öiel
bariu, übrigen^ fei e§ ein gebilbetc§ unb freies S3ud;, ein
IIaffif(^er (Sffat).
?luf oielen, öielen ©eiten tjatte ©i^teiermacEier feine
5tnfi(i)ten über Steligion ou§ einanber gefegt, in benen er
öon ben 9tomanti!eru ntc^t abftiic^, unb bod^ fauben ftc
weniger Sieügion barin, aU oft in Wenigen flüchtigen SBor»
ten öon 9^oüaIi§ ober in SBacfenrober'S einjigem 2Serf(ein,
ba§, aud) tüo e§ nidit öon ®ott unb göttlichen fingen
l^anbelt, ganj burc^brungen öon Steligion unb burd^feett ift.
3)a^ in einem irbifc^en Slunftwerf meljr ^Religion liegen
fonnte aU in einer finnreic^en Ijer^Iic^en Stb^anblung über
9ieIigion, belöeift, ha'^ ber CuetI biefer ^Religion bem ber
Sunft na£)eliegt, im UnbenniBten uämlic^, im Drient, too^er
ja aui) aöe 9teIigionen §u un§ gekommen finb. 2öenigften§
alle bie, bie ein tran§cenbentale» ober c^rifllid^e§ ßlement
t)aben unb welche man and) bie Sieligionen be§ Unbewußten
nennen fönnte. (Sine gewiffe SDuufel^eit, hie infolge beffen
bem romnntifd^en 9ieIigion§begriff anhaftete, gab ii)n ber
öerftiegenen ©d^iuärmerei öenuorrener ^öpfe prei§, welche
200 ^ie Hielte 9ieIigion.
fic^ jd^Ieunig btefe§ 5lu§brucf§ Bemächtigten, um Slnbre
glauben §u machen, ta'^ fie in ti^ren leerften 51ugenblicfen
ettt)a§ Unfäglic^e§ empfänben. 2;iecf l)at ta^ fcfimantroeife
im &eipxäd) glüifc^en 5Iutor unb S3eU)unberer bargefteUt:
SSeiuuiiberer: Wilan muf^ nur jebcn ^Bovial juv ^Religion madjen,
©0 !ann man über bie ganje SSelt Iad)eu,
llnb ha§ 2acf)en miife lüieber 9?eligion aieiben,
Saju bie 9catur, bie inir tiabm auf (ivben,
Unb bie§ mit gi3ttlic^cr Siebe uerbunben,
(Einige 33Iumen nod) bineingemunbeu,
Unb 9(IIe§ in ^oefie iieiidjmot^en,
9}Zad)t einen fdjon jiemlid) ^u einem ©tolsen.
5(utor: Tlmi roert^er ipeir, id) iierfte^e 8ie nic^t.
SBenjunberer: §aben ©ie ba^ 3>erfteben nie bi§ 3ur üieligion getrieben?
^äj bäd)te bann bod), ba§ fei ba§! ma^re 581umen=2ieben.
Sie 92atur ift immer natür(id),
©0 bin id) aud] gleid)jam figürlid) ....
3d) mad)e mir 51 [(eö ^ur 9ieIigion
Unb fifie bann auf einem gepolfterten Stiron.
5tutor (nadjbem ber Söeiuunberer feine ®ebid)te üorgelefen f)at):
Qd) bitte ©ie, id) finte um,
S)cir mirb im itopfe gar ju bunim.
SBeti'unberer: ©ie treiben iuol)I ^[)v Quiyöxtn bi§ ^ur 9Migion?
Sod) jeht muf5 ic^ ge()'n, benn wenn ic^ bleibe,
^6) ba§i 5lbfd}iebne^men bi§ jur ^Religion treibe.
Wlan fönnte bie» bie 92ac^tfeite ber ^Religion nennen.
(S§ fei ber c^riftlic^en ^Religion eigentfiümlic^, jagte DJoöaüS,
ha^ fie ben reinen guten Söitten be§ SJJenfc^en in 5Infprucl^
ne|me unb fic§ eigentfic^ in Oppofition jur SBiffenfc^aft
befinbe; fie ge^e üom gemeinen Spanne au§, fei ber ^eim
oHeg 5)emo!ratiömu§ unb ha^ Sic^t, tia^ in ber S)unfeti^eit
ju glänjen anfange. Slber mit biefer i^'ölfte, t)on ber
&oti^t^ „©efü^I ift m^^" gilt, t)ätte fic^ boc| fein echter
3tomantifer begnügt. Stu(^ SJoöali? i^atte ben leb^afteften
©inn für hk griec^ifc^e ^unftreligion unb ging ernftlid)
S)te neue 9ieIiciion. 201
mit fic^ SU 9iat^e, ob feine (Srfinbung einer neuen 9ktur=
m^tlöctogie fö^ig fei.
SBenn man a(te Gfemente überblidt, bte im ®^ao§
ber neuen Üteligion auf» unb obifut^eten: SJJonot^eiS"»
mu§, ^ant^ei§mu§, G^riftenti)um, §ftbent|um, bie 9J?t)tJ)o<'
logien aller SSöIfer unb i^eiten, mu§ man jugeben, ta^
e§ einer Stiefenfauft beburfte, um alle biefe ftreitenben
©toffe in ein S3tlb üoH Söai^r^eit unb ©c^öul^eit jufammen«
jufc^melsen.
2)ie alten 3fieItgion§ftifter unb 3lpofteI loaren 2J?enfd^en,
in benen ba5 Unbeiüu^te udcI^ roeit mächtiger inirfte, aU
wir e§ unl öorfteUen fonnen. SSeil fie nic^t Jou^ten, lucl^er
i§re Ueberjeugungen i^nen 5uftrömten, glaubten fie innigft
an bie ©öttlic^feit i^re§ Urfprung§ unb ftanben i^nen auber§
gegenüber aU ber belou^te 3J?enfd^, bem feine magifc^e S3e»
fräftigung oou einem fc^einbaren 5lu§en ju ipülfe fommt.
2)e§|alb fann man siüeifeln, ob e§ überhaupt im 83ereic^
ber SJJögtic^feit liegt, ha^ moberue a}?enfc^en einen ©tauben
öer!ünbigen, ber für Stiele üerbinblic^ fein fott. 3^ wni=
fangreid^er ibr SSeiou^tfein ift, um fo e^er fann man fragen,
lüoran fie nic^t glauben, al§ luoran fie glauben. ^a§ lie^e
fic§ ettra feftftellen, ha'^ bie Sfiomantifer an eine S)reieinig==
feit glaubten, bie Sria§ in ber SJJona^, ]^ei§e fie nun
UJatur, ©eift unb ©eele ober SSater, ©ol^n unb :^ei(iger
©eift ober in ^atoh Sö^me'l SBorten: „5)ie Dual ber
ginfterni^ ift ta^ erfte ^rinci)3ium unb bie ^raft be§
2id)t§ ift ba§ anbre ^rinci|)ium unb bie 2tu§geburt au§
ber ginfterniB burc^ be§ Sic^teg ^raft ift bag britte ^rin»
cipium."
^ber me trenig fiatte ein fold^ey ©laubenSbefenntniB
bie t^ütle be§ religiöfen güfjlen^ erfcf)öpft! Snstüifdjen, bi§
griebricf) @(f)(egel fein Sibelbudj DoHeubet |nben loürbe,
202 ®te neue Dieligion.
crgo^ e§ \id) öon 9iot3aIi§' Sippen in bit^t)rambifd^en
Offenbarungen, h)ie hk ^eibnifc^-d;riftlic^e Slbenbiiia^lS*
^^mne:
SSenige miffen
S;a§ ©etieimnif? ber Siebe,
S-üf)Ien llnev}ättUd)feit
llnb eiutgen 3)urft.
S)e§ Slbenbma^IeS
®ött[icf)e S3ebeutung
3)'t ben ivbifd)en ©innen Siäl^fel;
5l&er luer jemals
SSon I)eif5en, geliebten Sippen
§(t§em be§ Seben§ fog,
Sßem fieiüge ®lut^
^n äittevnben SSellen ba§ ^erj jdjmolä,
2Bem bay ?hige aufging,
S)afe er be§ §immel§
llnergrünblidje Sicfe ntaf?,
SBirb effen Don feinem Seibe
llnb trinten Don feinem 93Iute
(Sraiglid).
SSer ^at be§ irbifd)en SeibeS
§oben 6inn enatt)en?
3Ber tann fagen,
®af5 er ba§ 33Iut üevftet)t?
einft ift 5lIIe§ Seib,
Sin Seib,
^n f)immUfd)em 58Iute
(Sdimimmt ba§ feiige '^aax.
D ha\] ha§: SBeltmeer
©d)on errütt)ete,
llnb in bufttgeS g-Ieifc^
Stufquölle ber g-elS!
9cie enbet ha?^ füfie Wahl,
9Jie fättigt bie Siebe fid);
9cid)t innig, nid)t eigen genug
Siami fie b^ben ben (beliebten.
58Dn immer jarteren Sippen
S)ie neue 3?eIigioii. 203
58erir)anbelt wirb haS^ ©enoffene
Smni][id)ei imb nä^er.
^eillere ©oUuft
S)uvd)&e£)t bie ©ce(c,
Surftiger unb f)ungriger
3Sirb ba§> ^tvy.
llitb fo inöfiret ber Siebe ©enuJ3
9Son Smigfeit ju (Smigfeit.
Sett)unbert nur bie feingctcönijten ©Öfen
Xlnb lQ6t aU SKelfter, güdrer, grcuni) uuä
(Soetße'n ....
Uns fanbte (Soet^e, btc^, ber ®ötter ©üte,
Söefreunbet mit ber SBelt burcft jotcften SBoten,
©öttlict) Don 5Wamen, SBÜct, (Seftalt, ©emüt^e.
SB. ©c^Iegel.
5Piir))urg[ü6nbe SDIovflenröttje
Sünbet urä bcn SEnp, luo ®oet6e
(ätiift baS 2td)t ber aSelt crblicft.
5E8o ber gonäe Gljor ber Wiifcit
«Kit bem DJettar tEirer Sufeii
3)a§ §erocnlinb erquictt.
gu ®oetf)e'ä ©eburtStag 1826.
SB. ©erleget.
3)ic 9tomantifer fingen bamtt an, ©d^iHer 5U üthm.
©ogar Söil^elm ©c^Iegel |atte nic^t nur ben S)on ©arloä
angeprtefen, fonbern tuar fclbft in bte ©c^ttter'fd^e 2trt 5U
bii^ten üerfallen, womit e§ i^m freilid^ nic^t glücfen fonnte.
S)enn ba ber ibeate ©türm nic^t in i^m brauste, blieb nur
ha§ langat^mige jc^öne ^ehtn unb ein 9^id^t§ al§ flingenbe§
^at^o§. Söa^rereS SSerftänbni^ ^atte j^rtebric^ für ©exilier,
tnbem er i^n öor§ügIic^ Jüegen feine§ moralifcfien 2;riebe§
unb feiner Seibenfc^aft jum ©luigen öere^rte; ja, er ^ielt
bann fogar ftanb^nft an i^m feft, al§ ©dritter in ber ab=
fprei^cnben 'äxt, bie er laben tonnte, luo er etlua^ feiner
3fiatur grembartigeS ober geinbfelige§ luitterte, Körner gegen-
über ben jungen griebrid^ ©erleget alg falten SKi^ting d^arafte»
rifirt |atte. SSoHenbete ©c^n)ärmerei loar "Da^ ®efü|I, mit
<Bä)i(kv itnb ®Detf)c. 205
bem Ü^üöaltS nn ©d^tller f)tng, tnäljrenb er in ^ena feine
SSorlefungen bejud^te; aber a\iä) fie bejog fid; öor 'Sltlem auf
bie eble ^erfönlid^fett be§ S)t(^ter§.
Man fann fid^ aud) leidit ©rünbe benfen, au§ tüeld^en
t)erau§ bie 3tomantifer ©dritter ju i^rem ^^ü^rer Ratten er»
toä^Ien fönnen, luie er firf; ja felbft aU fenttmentattfd)en,
ba§ Iiei^t mobernen ©id^ter bejeic^net, unb feine eriiabene
UnüoHcnbung, fein JRiefenftrebcn i^n in ber %'i)at üom
^laffifd^en ttteit entfernte unb ber 3?omantif ^ätte öerluanbl
unb fgmpattjifc^ machen fönnen. SDiefer Quq Wax ober bei
©dritter au§ ber ©ä^rung ber ^iigenb entf^rungen; feine
fpäteren 2öer!e finb in fid^ abgerunbet unb ermangeln ber
unmittelbaren gütte, bie au§ ber 3:iefe be§ ®emüt^e§ quiHt.
2)arum bettagte S'iecE e§ immer, ba^ ©dritter ben 2öeg, ben
er in ber Swge"^ etngefd£)Iagen, tierlaffen ^abe, unb liefe
eigentlid^ nur bie Ütäuber oI§ grofee Xid^tung gelten, bie
aber aud^ a(§ eine ber größten, aU nicf)t genug ju be=
tDunbern. ^n feinem bon ©d^tUer'§ fpäteren 2)ramen finbet
fid^ eine ©teile, bie jener 5U üergtetdien Wärt, too ^art an
ber S)onau träumerifdEi öerfunten feiner ^inbl^eit gebenft unb
il^re fd^märmenbcn Hoffnungen mit ber oben, furd^tbaren
©egenlnart öergleicEit. jDlefe ©cene empfinbet man fofort
a\§ tä)t romantifd^ burc^ ti)r 9Jaturgefü^I unb bie ftar! tjon
i!§r au§ftrömenbe ©timmung. ©in foIc^eS ^ufaintn^nteben
üon 9Zatur unb 9}?enfd^ finbet ftd| nirgenb§ mel^r in ©d^iller'§
fpäteren SDramen, aud^ nic^t im ^t\i, fobiel barin aud§ bon
S3ergen unb Statten gefproc^en n^irb. S)enn bie Statur lam
überhaupt ni(^t ju einem ben)uf5ten geiftigcn ßebcn in i|m;
burc^ unb burd^ männlid^. Wie er roar, ging i|m bie @m-
pfänglid^feit ab, x^it ^raft anjufaugen unb in fid^ auf-
Sutöfen, üielme^r ging feber i^rer Mä^t hü i^m fogleic^ in
^robuftionStrteb über, ber raftIo§ bilbcnb unb geftoltcnb
206 Sdjifler unb ©oetfje.
ben bürfttgen ©e^alt, ber jic^ niemal§ anfammetn !onnte,
öerbrmic^te.
Tlan öergegenirärttge fid^ ta§ befannte ®enfmal, tuo
©dritter neben ®oetf)e fielet: tüie männlid^ feine ^o^e, tnod^ige
©eftalt mit bem fd§tan!en |)alfe unb bem elaftifi^en ©(^lüunge
nad^ oben fic§ gegen bie Ujeic^ItdEiere be§ greunbe§ bar[tellt,
ber breit, feft, trbtfd^, mit feinem geiüaüigen Raupte bafte^t
unb ben ftiUen S3Ii(f grabeaug in ha^ unenblidje Seben rid^tet.
®iefe geftaltenbe aRännticf)!eit mad^te t^n gum $öe^errf(^er
ber gorm unb jum SJJeifter be§ SDramaS; fein beutfc^er
2)id^ter üor ober nad^ i^m öerfügte über hk unbeluu^te
^unft unb ßraft, feine Scenen fo anjutlürmen, ha^ eine
unbegreifli(^e ©pannung ben Sefer mit fic§ fortreißt, ob er
bie ©id^tung gum erflen ober jum ^unbertften '^Mt lieft;
benn fie ift öon ber ^enntni§ be§ ^n^olts iinabpngig unb
entfpringt einjig aii§ bem ©d^iounge ber gorm unb ber
3ugfraft ber trun!enen ©eele be§ ®i(^ter§, bie ben Sefer
ergreift.
Unöergleic^Iic^ oerftanb e§ ©(^iller, feinen ®ramen einen
Körper ju geben; aber bie .^c^rfeite ift: and) bie 9J?enfct)en,
bie er fd^afft, finb nur Sl'örper, bie firf) betüegen, ^anbeln
unb geftifuliren, lad^en unb n:)einen; n)ir fe§en ii^re Seelen
nid^t, au§ benen au bieä tüirbeinbe Seben i^erau^quittt, ^ören
bie ©p^ärenmufif nid^t, bie ben großen steigen be§ 2öeItaII§
innerlid^ begleitet. Ö^erabe baf] toir nid^t aufgeljalten lüerben
burc^ lodenbe Saute au§ ben ^bgrünben be§ inneren, mad^t
ben bramatifc^en gortfdjrttt unb bie ^inrei^enbe Spannung
möglid^.
5lber giebt e§ einen mobcrnen SJlenfdfien, bem bie§ panto-
mimifc^c «Sd^aufpicl belegter j^iguren bef riebigen fönnte?
2)enn ha^ innere ju fud^en bei jebcr ^-rfrfieinung, ha^ ift
ja gerabe i^a^ ©igent^ümtid^fte bc§ mobernen 9Jienfd^en,
®c()if(cr nnb Q5Detf)c. 207
beffen tnimer geller tiierbenbe» ^nnenbeluii^tfein allc§ Steu^er-
Itd^e in ©eiftigc« sertegt. ®te reine SO^ännttd^feit ©c^ider'g,
feine beftänbig imrfenbe ^robuftioitot jc§Io§ biefe Snnen='
arbeit au§. ^n Solge beffen fonnte fic^ ein retd^er ^been»
fd^a^ nid^t in i^ni anfammeln , ba^er er and^ beftänbig
über bie geringe S<^^ feiner S^een flagte, au§ benen er
freilid^ mit feiner nnge^euern ©eftaltnng^fraft me|r ju
mad^en niu^te, a(l manc^ ein 5(nbrer mit unenblid^ öielen.
@r tüor tüeber d^riftlid^ nod^ germanifd^, n^elc^en beiben
(X^arafteren ba§ n^eiblicfie S5ermögen ber Gm^fänglid^feit,
ber unerfätttirfie S)urft, bie 5(ii§enft)elt in fid^ einsnf äugen,
ju einem 3;^eil be§ Innenleben» ju machen, eigent^ümlid^
ift. @o tüenig bal^er ber fentimentalifc^e ©dritter an bie
naioe Slunft ber Eliten erinnert, fo fe^r ift er i^nen burd^
tu 9J?ännü(^teit be§ ^Temperamente» äfjntid^, tüie i^n benn
aud§ griebric^ ©d^Iegel, of)ne ben Unterfcf;ieb gn tierfennen,
einmal mit 2Iefct)t)tu§ unb ^inbar öergteid^t. @o ift aud^
fein beutfd^er ®id^ter ben romanifd^en ^Bölfern üon dorn«
Jierein fo oerftänblid^ lute (Sd^iffer mit feinem $at^o§ unb
feinem Uebermiegen ber O^orm auf Soften be§ ®e^alte§.
SBo^ingegen ©oetl^e, obtuo^f ftaffifd^er aU ©dritter burd^
feine Harmonie, jeneg loeibtid^e, d^rtftIid^»germonifd^e (Stement
befa§, ba§ ii)n jum ^beal be§ mobernen SDid^terö, jum
^aupt ber romantifc^en ©cfiule mad)te. Tlan mu§ bebenfen,
baB bie S^aibetät unb |)armonie (^oet^e'l nur i^rer ^X'
fd^einung nac^ mit ber Stntife ju öergleicfien ift, in il^rem
SSefen tüai fie bie toiebergetuünnene, bie jUjeite, in ber
jnjei anfängtii^ luiberftrebenbe ^ätften ju einem befriebigten
QJnnjen öerfd^moljen finb.
?iu§ ben föogenben pfijd^otogifrfjen 3lnfd^auungen ber
3?omantifer !^ob \i6) immer beutlid^er hav ^bealbilb ber
5{nbrogt)ne, be§ Q^anjmenfcfien, ben ^atoh So^me bie ^hta
208 ScI)i[Iei unb ®oetI)e.
ober (Sophie nannte; ©op^ie nämltd^, 5U beutjd^ 2öei§^ett,
trelt bte§ 2Bort öou „tüetfen" lomme unb ber 9Zame an=
beute, bafe fie ben 9JJenj(f)en nadEi bem 3iele lücifc, ba§ er
ju erreid^en §at)e. Unermüblid^ eiferte griebrid^ ©d^Iegel
gegen bie SSerl^errlic^ung ber reinen 9JJännIi(^feit unb 2Beib-
lid^feit: „9iur fanfte SJJännlid^teit, nur felbftänbige SSeiblid^-
feit ift bie redete, toa^re unb fi^öne." Ober: „Tlan mu§
ben 6^ara!ter be§ @ejd^Iec^te§ feine§n)eg§ nod^ mel^r über=
treiben, fonbern öielme^r burc^ ftarfe ©egengeunc^te ^u milbern
jucken." Unb ferner: „^n ber %^at finb bie äJfännlid^feit
unb bie 2öeit)Ii(i!eit, \o n^ie fte geh)ö§nlid^ genommen unb
getrieben luerben, bie gefä^rli(^ften ^inberniffe ber SJJenjd^-
lid^feit, n:)eld^e nad^ einer alten @age in ber SJJittc ein^eimifd^
ift unb bod^ nur ein ^armonifd^e§ ©anje fein fann, h)eld^e§
feine Slbfonberung leibet."
(Sinen Söorgänger in biefen Stnfc^auungen fanb ^^i^iebrid^
in ^lato, burd^ beffen ©tubium er föo^I barin beftärft ftjurbe.
^n feiner ^b^anbtung über SDiotima fiitirt er an, ba^ ^lato
unb bie ©toifer bie S3eftimmung be§ männlid^en unb hjeib-'
lid^en @efd^(ed^te§ in ber Unterorbnung unter hk tiö^ere
9}Jenfd^Iid^feit gefe^en Ratten, tuorüber ber ©toifer ^(eant^e§
ein eigenes SSerf gefdf)rieben 'i^abe. ^n ©parta fei ber ru^m*
toürbige SSerfud^ gemad^t rtorben, bie SEeibtid^feit lüie bie
9D^ännIid^!eit jur p^eren SDJenfd^Iic^feit ju üereinigen; tiield^eS
Sbeal in ber ^unft ber attifd^en Xragöbie li)ir!Ii(^ erreid^t fei.
„Sa§ ift i^ä^Iid^er", fagt 3^riebrid£i, „aU übertabene SBeib-
lid^feit; iüa§ ift fo efeUjaft at§ übertriebene SJJännlid^fett, bie
in unfern ©itten, unfern 3D'Jeinungen, ja oud^ in unfrer
befferen Äunft :^errfdE)en." Uebertrieben unb pB^ic^ nennt
er ba§ ^errfrf)füd^tigc Ungeftüm be§ 9}?anne§ foloie bie
felbftlofe ^ingegebenpit be§ 2Beibe§.
2)ie £ef)re bon ber ^tnbrogljue hjurbe fpäter öon bem
Sc^iKev unb ÖJoelf)e. 209
^flilofop^en Saaber, ber and) |ter öon Qafob Sößme au§»
ging, luiffenfrfiaftltc^ begrünbet, unb [)a^ Söort 3J?annluetb,
ba§ in un[rer Qnt fo gefunfen t[t unb einen fi^Iet^ten ß'Iang
angenommen §at, bejeid^net banac^ hk fdEiönfte unb üod-
fpmmen[te gorm, in ber ber 9J?enjd^ fid^ bar[te(Ien fann.
SJian f)at immer angenommen, ®oetJ)e fei [innli(^er ge=
tuefen aU <Bd)iütx, n)ä()renb e» fid) geiüi^ e|er nmgefel^rt
üert)iett; ia, man barf behaupten, ©oet^e fei e§ 0er[}äIlnife»
mä^ig menig, ©c^tHer ungeiiiöl)nüc^ otel gemefen. ®enn
nur berjenige, ber feine ©innlic^teit niemal» ftörenb em-
pfinbet, bei bem fie im ©leic^geiüic^t mit feinem Reifte ift,
tuirb fie fo naio, fo fc^ön äußern, inie ©oet^e t^ot. SBer
fie öerfd^Ieiert, befämpft ober mit jenem St)ni§mu§ ber Offen»
]§eit jeigt, ber beloeift, ha% eine ©elbftnergeinaltigung norau"
geöen mufete, tjerrät^, luelc^e 3totIe fie bei i|m fpielt. ®ie
gemäßigte ©innlic^feit üerliei) ©oet^e ha^ Dh)mpi\d)t,
beffentinegen befonber» bie fpätere, etiimg (jijfterif^e roman=
tifc^e ^ugenb i^n in fo leibenfd^aftlic^er 'Ißeife anbetete
ober ^a§te.
S3ei atler SSere^rung, bie man für ©editier ^ben fann
unb foll, ift nic^t gu laiignen, ha^ er an übertriebener
9JJänn(icf)feit litt, mag auc^ neben 9tnberm fic^ baburc^ be-
Uieifen tie^e, ha^ er in ber Siebe al§ ©rgän^ung hie über-
kbene SBeibli^feit fuc^te. Gegenüber einem anbrogijuen
2:t)pu§, Jüie Caroline mar, füljlte er fid^ e|er unbe^agtid^.
SBie i)ätten bie SJJänner unb namentlich bie grauen, bie er
fc^uf, ben 3fiomanti!ern genügen fönnen? 5tuc^ I^at nid^t
lei^t etma§ i^ren ®|}ott fo l^erauSgeforbert, mie @c^iller'§
©ebic^t öon ber 'iü^ürbe ber grauen, bei beffen 53efprec^ung
griebri(^ ®(f)(egel fagte: „9JJänner, mie biefe, müßten an
^önben unb gü^en gebunben merben; fotd^en grauen jicmte
©ängelbanb unb gadtjut" unb ha^ Wilhelm föfüid^ |jarobirte:
^lucf), SJomnntitcc. 14
210 ©d}iller unb ©octfje.
(Sl)ret bie fyrauen, fte ftricfen bie ©trumpfe,
SSoütg unb warm ju burd)iiiaten bie ©ümpfe,
g-Iicfen .^erriffcne ^antaIon§ au§.
5locf)eu bem ^Jtaiine bie fräitigeu ©uppen,
$u0en ben ßinbern bie ineblid)en puppen,
|)alten mit mäßigem ?Socl)engelb §ait§.
®Dd) ber 9}(ann, ber tölpelhafte,
ginb't am ^o^te" "id)t ©cfdjmacf,
3um gegofirneu föerftenfafte
iRaitd)t er immerfort SaBac! u. j. in.
SBie anber§ ®üetJ)e! beffen gauft, SBert^er, 3«eifler,
(Sgmont fo ftar! mit tüeibltd^en ©lementen öermifd^te (S!^a=
raftere finb; ber ein ^lärdEien, eine ©orotl^ea gejc^affen ^at,
in benen fü^efter rteiblic^er Siebrei§ \id) mit männlicher
ßraft 5U einem fo ^errlid^en ©anjen tiereinigt, ©er felbft
mit unermeßlicher ©mpfängüc^feit jeben Slnreij be§ Seben§
in fic^ auffog, fammelte unb bilbete, fo bafe man feine tjerüor-
bringenbe ^raft nur ri(f)tig fd^ä^t, h^enn man fte an ber
Stoffe mißt, bie fie geftattete, nid£)t föenn man fte mit
(S(i)iIIer'§ üergleitf)t, ber fo ungleid^ »weniger ©toff ju be^-
wältigen l^atte. §ier war ein tioHenbeter aJJenfd^, ber bie
Strmut^ be§ einfeitigen Ö^efcf)Iec{)te§ in fic^ felber ergänzte.
®aß e§ 3um Sruc^ gtnifd^en ©ctjiUer unb ben 9Joman-
tifern !am, ift in Slnbetrac^t einer folc^en Jßerfc^iebenJieit
ber Staturen nid^t 5U oerföunbern. ©egen bie 58rüber ©c£)legel
^tte er ha§, gonje 9Jlißtrauen be§ naitieren ©übbeutfc^en
gegen ben fc^arfben!enben, ungutmüt^igen, Überlegenben S^orb-
beutfd^en. (Sr ftieß fie tion fid^, lueil er fid) ii^rer fonft nid^t
gu ertüe^ren gen)ußt ^ätte; benn er empfanb, obttjo:^! er e§
fic^ nic^t jugeftelien n)otIte, i^re tnteaeftuelle Ueberlegen|eit.
@erabe lüeil er bie S3ef(^rän!t^eit feiner 9Jatur fü{)Ite, l^ielt
er e§ für nötf)ig, fid^ nic^t beirren ju laffen, um bie ©id^er-
|eit nid^t gu üerlieren, unb n^oHte er fit^ nnmentlid^ nid^t
(Bdjiikx unb &oüi)t. 211
öon jungen Seuten barau erinnern laffen, bte er an eigent*
It(^em Sl'önnen, an SOZännüc^feit mett überragte.
2BiIf)efm unb Caroline liefen e§ jic^ angelegen fein, aB
fie nac^ ^ena famen, mit bem ÜJfäd^ttgen, beffen S3ebeutung
fie anerfannten, lucnn [ie i^n axiä) \nd)t )o mit ^aut unb
|)aaren liebten unb beiuunberten tüte ®Detf)e, in ein gute§
Jöerliältnife ju treten, ©eine eble unb rü^renbe ©rfc^einung
ent^üctte bie immer gum Sieb^aben geneigte Caroline. Sötte,
bie mit bcr ^"9^"^ oUQtcid^ itire ^Retje mei^r unb met)r ein-
büßte unb jiüijc^en |au§bacfener Diüc^tern^eit unb bager
(Sentimentalität f^luanfte, mußte man mit in ben ^auf
nehmen unb bemül^te fid^, ta§' S3efte an i£)r f)erau§äufinben.
^e mc^r aber bie an Slnbetung gren^enbe SSere^rung Q^ott^t^
guna^m, befto nä^er lag bie 5Ser[udjung, i^n in öffentlicJien
S3e[pred^ungen burc^ $8ergleid)ung mit feinem greunb unb
9?ebenbu|fer §u lieben, oben bie 33erjc]^teben|eit ber beiben
'J)i(^ter locfte ^u bele^renben ^Betrachtungen, luobei eine -"perab^
fe^ung (S(f)iller'§ tjom ©tanbpunfte ber Stomantif unau§*
bleiblic^ umr. §ätte ein Stejenfent einen jo großen (Senium
n)ie (Schiller ganj mit ©tiHfd^iueigen übergeben fönnen?
9JJan muß e§ 2öilt)etm unb (^riebricfi jugefte^en, baß fie fid^
50?ü:^e gaben, bcn 3(u§brucf i^rer 5Diißbit[igung ©dritter
gegenüber gu mäßigen; griebrid^ allerbing§ öerrietl^, öieHeid^t
grabe ipeil er in früherer Qtit ©d^iüer eine fo große SSer-
e!§rung gelüibmet !^ntte, jutüeilen einen finblid^en ©tolj, baß
er e§ nun fo meit gebracfjt 'i)aht im ^unftüerftänbniß, bem
Serül^mten feine SJiängel aufjagten gu fijnnen.
©ine tabeinbe Stejenfion brachte ben in fid^ ruhigeren
©oet^e ni^t au§ feinem (SIeid^gen)id§t; bielTeid^t baß er fic^
einen Stugenblicf geärgert J)ätte; ober baß er fie mit l^iftorifc^^
^ft)c^otogifc^em ^ntereffe ober mit ^umor gelefen ^ätte, je
nac^bem ber Snl)alt bebeutenb ober nic^t geluefen n^ärc.
14*
212 Sdjtüev unb G>3oetl}e.
@c|i(Ier ^atte fo oiel ©leic^mutl), fo niel Sic^er^eit unb
Saune nt(f)t. ^n feiner fd^mer5li(f)en Sntiüftung tüu^te er
fic^ feinen anbern 9tat^, a(§ ben faülierjigen Gabler unb
5tffe§, n)a§ mit i^m 5ufammeu|ing, tüeit üon fid^ ju entfernen,
bomit er fein jerHeinernbe», tteblofeg 5luge nie mel^r auf
ftd^ rul^en füllte. (So tüar eine ^anblung ber dlot^wtiiv,
ta er fid^ auf feine anbre SBeife üor bem f^tembling, ber
i^m öorrücEte, iüa§ er hod) nid^t änbern fonnte, fein eigenfte§
SSefen, 5U fd^ü^en tüu^te.
Ungro^müt^ig unb ungered^tfertigt mar e§, ta'^ ©dritter
Sßill^etm'S unb ^aroline'l freunblirfie Sitte, nic^t fie für
griebridE)'§ Unge|örigfeit öerantiiiortlic^ 5U mad^en, mit fc^nei=
benber ©d^ärfe abiuieS. ©eine SIbneigung gegen Staroüne,
üon ber er \id) einrebete, fie fei eine fd^riftftellernbe ^ntri»
gantin, lüar im ®runbe ber inftinftiüe UnlüiUen be§ 9JJanne§
gegen eine f^rau, bie burc§ fiarmonifd^e ^^ütle ber SJatur
nic^t nur feinem ^errfdf)erred^t entrüdt luar, fonbern in ge-
miffer |)infid^t fogar, nämlid) infofern fie ein ©anjeS mar,
njenn aud^ fein fo bebeutenbe» luie feine großartige ^alb^-
|eit, ein @efü^t öon Ueberlegen^eit i§m gegenüber l^aben
modelte.
$8on nun an l^errfd^te erflärte geinbfd^aft äiüif^en ©dritter
unb bem ©c^IegeFfdEien Greife. 5)ie Üiomantifer bemühten
fid^ nid^t me^r fonberlid^, ba§ ÖJroße in feinen 2Ber!en an-
guerfennen, fonbern gaben fid^ mit Sjergnügen i§rer Suft
äum ©paßmad^en J)in, tüo fein 50iangel an ^^^onie i^ren
SBi| ^erau§forberte. S)aß fie über fein Sieb öon ber ß^lode
fo ^erjlid^ Iad)cn fonnten, mag manrf)em Sßeref)rer ©cf)iE[er'§
eine $RucE)Iofigfeit bünfen; aber abgcfe^en baoon, boß fie e§
uidEit tuie mir mit einem berffärten S;obten ju ttjun l^atten,
erttärt e§ fidf) au§ eben biefem 9)?angel an ^i^ouie, biefer
me|r bürgerlid^en al§ fünftlerifd^en (ärnfttjaftigfeit, unb bem
(2d)if(cv imb öoettje. 213
©runbl'a^ ber Stcmantifer, jioar fein unmoraUjc^e» Slunft-
werf, aber auc^ ntd^t jebel moratijc^e fd^ön gu finben. 2Ba§
für §ene§ ©eläd^ter mag er[t ber fleine S8er§ Jieroorgerufen
()aben, ben 2Bi(£)eItn oerferttgte:
?Benn ^^'"fi"^ idiiualU bie itrcii^ unb Cuer,
SBq'-o ilini in 3inix tomnit ungefähr,
Sogt mau in g'^'^nheid) uiotjl jum Spotte:
II bavarde ii propos de bottes.
S3ei un§ nnrb mot)! ba§ £|ind)niort fein:
■J^em fätlt bei ö3locfen 33iele§ ein.
2)ergletcl^en Scherge luurben aber nur am ^än^lxd)m
^erbe taut; line benn überhaupt ber tabeltofe SBit^elm nte^
mala bie ©lenje be» 5Inftanbe§ über[c^ritt unb ftet^ aU ber
reife unb geredete Tlann erjd^ien, ben lueber periönltd)e S5er«
^ältniffe nod^ Stblüeirfiungen in äft^etif^er Stuffaffung lier='
:^inberten, gro^e» SSerbienft anjuerfennen.
@§ n)ar für hk (^reunbfdiaft ©c^iHer'l unb ©oetlje'g
eine 'ißrüfung, ha^ eine ^ReiEje begabter junger SJJenfcEien ben
(Sinen oon i^nen auf Soften be§ 5(nbern in'§ ©renjenlofc
erhoben; lueld^e Prüfung fie rii|mlic^ beftanben, freiließ nic^t
ganj o^ne Dpfer. '5)enn e§ tnar feine ^(einigfett, immer
feiner @mpftnblic|feit ^err ju bleiben unb feinen 5Zeib in
üdi) auffommen ju laffen, mäf)renb e§ für ©oetl^e nic^t gan§
Ieic|t tuar, fic^ burc^ ben fußen Qieruc^ be§ 3Bei§rauc^§, ber
i!^m geflrcut mürbe, ntc^t gan§ in ben ^rei§ feiner jünger
l^ineinjiefien gu laffen.
@r ^ätte ein Unmenfc^ fein muffen, tüenn ba§ SSerftänb-
ni§, ba§ §ier für feine SBerfe aufging, i§n nic|t ^ätte er^
freuen follen. ^alb ift e§ rü[)renb, ^alb peintid^ ju fe^en,
löie er feinen Umgang mit ben 3tomantifern unb feine 9J?ei«
nung über i()re SSerbienfte öor ©cfiifler geheim ju f)a(teu
fucf)te, o()ne boc^ unt^xlid) gegen i|n ju fein, ^uc^ ©c^ider
214 6cl)il(ev unb ®oetC)e.
j^atte eine richtige, grojsartige 2lnf cfiauung öon feinem g^reunbe;
aber in ber nerööfen, reiäbaren geinfüljligfeit, hie ein grenjens
lofeS Sßer[tänbniB alle§ 9J?enfif)tid§en, and) in feinen 5arteflen
Slen^erungen ermögltd^t, luaren bie Sfiomantifer t^m foiuo^I
n^ie (SJoet^e überlegen. S)a§ gab itinen ein (Sefül^I be§ 5ln=^
rechts, ba§ fie auf i^n Ratten. (Sr gehörte i^ncn, er füllte
i^r ©Ott unb fie tüollten fein au§ertüäf)(te» SSoIt fein, ©eine
Sliitorität galt fo unbcbingt unter it)nen, ha'^ jeber Streit
beenbet toar, luenn eine Partei fi^ auf einen 2tu»fpruc^
®oett}e'§ berufen !onnte; rva§> ben lebhaften Steffen» einmal
fo empörte, ha'^ er in SSerjlüeiftung aufrief: „SSIeibt mir
mit bem üerbammten ®oet^e üom Seibe!" aber gleid^ barauf
berma^en über biefe Säfterung erfc^ra!, ha^ hie Stnioefenben
noc| mel^r über bieg nad^träglid^e ©rfc^recfen at§ über bie
übrljerige ^eftigfeit IacE)ten. ©erabe in ©teffen§' Seben tiatte
©oet^e, namentlid^ hie SSefanntfc^oft mit Sauft, ben er aU
eben confirmirter ^nabe guerft Ia§, (Spoctie gemacht. (£r
fe^te bie S^nenfer baburc^ in ®rftannen, ba| er ganje
(Scenen au^ gauft auSluenbig beüamiren fonnte. 9^ur fc§on
ber Stnblic! ®Dett)e'§ ^atte jebeS SDial ettt)a§ Seib unb Seele
@rfd^ütternbe§ für i§n.
2tngeregt burd^ bie öerftänbui^üolle Semunberung ber
munteren iugenblic^en ©eifter tl)at ©oet^e gutgelaunt ben mit
Qubel aufgenommenen 5lu§fprud), nun fie i|n fo öffentlich)
unb gerabeju al§ ^aupt einer Partei auSgefc^rieen Rotten,
tüoHe er fi(^ aud^ auf ^onette Söeife a(§ ein foIc^e§ geigen.
^erfönli(^ am meiften ^in^ejogen füllte er fid), hi^ er
Sd^elling fennen lernte, ju Söil^elm nnb Caroline, aU su
üaren unb in fid^ einigen SJJenfdien, bie er immer ben 5lüie=
fpöltigen unb tteriuorrenen, loenn fie auc^ noc^ fo bebeutenb
n^aren, öor5og. @r acJitete Bilbelm'g fingen, georbneten
^opf unb lie^ fi(f) gern Oon i^m über 9tl)l)tt)mif unb 3Jletxit
©djiüer: unb ®oetf)e. 215
belehren. Slaroline tuar burc^au§ eine i^m öerujanbte ^JJatur:
einfad^, rul^ig, liebenb, nid^t rtngenb unb ntc^t grüblerifc^,
nad^ fetner ©ette |tn ej:trooagant unb ei-centrtfd^. ®te blieb
i^m aud) hiv an'§ (Snbe i^re§ 2eben§ treu, lüä^renb bte
9(nbern faft alle ftc^ fpäter me^r ober njentger entf(^teben
öün iijm abfe^rten.
2)a§ 58itb, lüte lütr e§ ie|t bon Öioet^e in unferm ©eifte
fiaben, i[t in feinen ©runbsügen öon ben Stomantifern ent=
n)orfen. SBer luei^, mie e§ au§fet}en lüürbe, menn fie e§
nid^t aufgefangen unb feftge^alten Ratten! Ülodj ^tte
©oet^e im ^ublifum nur einen flüd^ttgen ©efü^tSraufd^
crtoerft burc| feine ©rftlinge. 2Ba§ für Urt^etle felbft ®e=
bilbete fic^ über ®oet:^e ju fällen getrauten, belüei[t fener
ajiajor, öon bem ber junge grei^err u. ^lomberg erjä^It,
ber fagte, (Sgmont fei ha^ erbärmlidjfte ©tücf, ha^ er je
getefen, fd^redltcf) langweilig unb Ijabe feinen ©c^Iufe; e»
fei jn^ar oon einem großen Ü)(anne, allein bie großen Ferren
fönnten aud^ grofie ^ubel fd^ie^en; bie äRajorin meinte
auc^, man fönne üor Sangemeite bahn fterben, unb im
(Sinjelnen, bie gemeine ^erfon — ^lärdien — fprec^e gar
ju l^eroifd^. Sefen wir je^t 2Bit^eIm'§ (gffat) über ^ermann
unb 2)orDt^ea ober ben öon griebrid^ über SBil^elm Wti'\kx,
fo fd^eint un§ ber barin angenommene ©tanbpunft ber einzig
rid^tige unb felbftöerftänblirfie; tuir lefen bie Urt|eile, W
mx fertig geprägt überfommen Ijaben, tik aber bamal§
juerft mit folc^er ßlar^eit unb (Sntf(^ieben§eit auggefprocfien
luurben unb fid^ hk allgemeine ©eltung erft erfämpfen
mußten, griebric^ ©cfileget, ber 33egripbilbner ber roman»
tifd^en ©d^ule, fiat in einer feiner ^ugenbfd^riften, in bem
äußerft reichhaltigen 5luffa^ über ba§ ©tubium ber (^xkd^u
fctien ^oefie, U'o er ha^ SBefen ber mobernen ^'nnft im
©egenfag jur antifen ergrünbet, ßioet^e aU ben ©tifter ber
216 (Sd)iüer imb ©oet^e.
neuen ^oefie Befttmmt. ®tefe ©d^rlft \vax ju ttefge|enb,
um \emaU populär 511 loerben. ®oet^e*§ Stellung in ber
Stteratur fann niemaB genauer unb julreffenber bejetc^net
ttterben.
®te ^oefie ber ÖJriec^en, jagt grtebrtcf) ©ditegel, fte^t
in füfern unerreichbar iiod) über Mem, \va^ öon ben nad^'
griec^if(^eu 33ölfern gebii^tet tDurbe, aU fie in \\ä) öolteiibet
i[t; i^re fct)ön[len ^id;tungen finb objeftib f(^ön unb beä^alb
ein einigei S^orbüb. 23a§ auc^ bem mobernen Sefer barin
fehlen möge, fein SSergleic^ mit mobernen SBerfen, auc^ mit
ben über[cf)iüänglic^ rei(^[ten nid^t, fann i^nen ben SSor^ug
objeftioer @(f)önf)eit rauben. S)iefe ©d^önbeit i[t bie ©d^ön-
l^eit ber 83Iume ober irgenb eine§ nolürltd^en Organi§mu§,
ber fic^ mafelIo§ entfalten mu§ nacf) inneren ®eje|en. SDiefe
^unft ift au§ bem 5:riebe entsprungen, wxt t^nebricE) ha^
unbetüu^te äöollen nennt; haS^ 93euiu§tlyerben ^at bie
organiic^e 2;riebfraft im SJJenfd^en gestört. SSom SöetüuBt»-
fein auSge^enb fel)lt ber mobernen ^oefie ba§ 3lbgefc§Ioffene,
SßoEenbete, @in£)eittirf)e, mag im Drganifd^en jo felb[t-
üerftänblic^ ift: ber fonbernbe SSerftnnb jertleilt immer
lüieber, tüa§ fic^ jum Orangen fd^tie^en tnitt. 2)iefe§ Un=
ooltenbete ift ber Sieij ber mobernen ^oefie — griebricö
nennt e» ha^ ^ntereffante — nur ein Unöottenbete^ fann
\a ®e|nfud^t fiaben, Sefmfud^t jum (Sroigen, bie un§
SRobernen al^ tia§ SSunberooUfte an einem ^unftioerf er=
f(^eint. 2)a§ ^ntereffante ift aber, nad^ griebrid^, bie SSor^
bereitung be§ ©(^önen. ^a, bie objeftiüe ©d^ön^eit ber
^^(Iten mu^ tuieber erreirf)t luerben, aber fie loirb reidjer
unb fernerer an fiimmlifd^er ^üHe fein, li'eil fie burc^ ba#
Sntereffante ^inburd^gegangen ift.
SBenn man aber hit Sid^tungen aller SSöIfer unb Reiten
burd^gei^t, fo fragt man fic§ jag^aft, ob beim ba§ Ungeheure
(Hc[)i((ei unb ®oetl)e. 217
möglich l'et, ba^ siuei ^tnge, bte fid^ aug^ufcfiüeBen fc^etnen,
üon benen ha^ (Sntfte^en be§ (Stnen burd^ ha§ 2(uf|ören be§
Stnbern bebtngt i[t, üerfc^moläen luerben. ®enn intereffant
ift etiua^ ja eben, »ueil e§ ntc^t f(^ön ift, nic^t feienb, irett
e§ lüerbenb tft! SBie foK ba» ^ntereffante fc^ön, ha^
SBerbenbe reif fein? können njir ^offen, baf3 jemals bte
unenblic^ ftrömenbe güde unfrei ©eniütlieg üon ber Ijarmo-
nifcfien 3xunbung ber ?tntife gefaxt tuerbe?
9JJit ber füf)nen ^uöerfid)!, bie haS' fc^önfte SJferfmat
ber jungen 3?omantiter tvax, bejaht griebrid^ biefe g-ragen.
Unb bte Sürgfc^aft bafür, ha^ fie 5U bejai)en feien, fie^t
er in ©oeltie. ®petf)e'§ ^oefie nennt er bie SJJorgenröt^e
echter ^unft unb reiner Sc^ön^eit. „tiefer gro^e ßünftler",
fagt er, „eröffnet bie 2(u»ftc^t auf eine ganj neue @tufe
ber äft{)etifc^en S3ilbung. ©eine SSerfe ftnb eine unintber-
Icglic^e Beglaubigung, ba^ 'i)a§< Obieftioe möglid^ unb bie
Hoffnung be§ <Scf)önen fein leerer 2Ba!^n ber SSernunft fei.
S)a§ Dbjeftiöe ift £)ier H)ir!n(i) fc^on erreicht."
?Iu§ biefer Stuffaffung @oeti)e'l ergiebt fic^ ber (Stanb=
punft für feine @dE)ägung im SSergleic^ gu ©^fefpeare.
Äein 3ttJfife^ i>of5 in ber intereffanten ober d^arafterifttfc^en,
iilfo in ber niobernen Sunft ©^afefpeare über ©oet^e fte^t.
„Xa§ 3iel be§ Xeutfd)en ift aber ha§^ Dbjeftiöe. ®a^
©c^öne ift ber lüa^re 9J?a§ftab, feine liebengluürbigc S)ic§=
tung 5U föürbigen." (Sr fte^t in ber 9J?itte jiuifc^en betn
$5ntereffanten unb Sd^önen, äiuifd^en bem 5.1tanierirten unb
Cbieftiöen. S)ement)^re(f)enb rüi^mt t^riebrtc^ an SBil^efm
3J?eifter t)or aßen ^i^ingen „ben antifen ©eift, ben man hd
näherer Sefanntfd^aft unter ber mobernen öüUe überall
n)ieber erfennt. Siefe gro^e Gombination eröffnet eine gan.^
neue enblofe §iu§fic^t auf bo§, loaä bie i^öc^fte 5lufgabe
oller Sid^tfunft gu fein fcfieint, bie Harmonie be§ Sllaffifc^en
218 ©djitter imb ®oetf)e.
unb 3iomantifcl^en." (Sben[o fagt er üon Saffo, ba^ ba§
e^ara!teri[tifc§e an bie)'em ©ebtc^t ber (Steift ber 9tefIei-ton
unb ber Harmonie jei, „nämlid^ ba^ 5ttte§ auf ein Sbeal
öon l^avmonifd^em Seben unb ^rmonifdjer Stlbung bejogen
unb fetbft bte ®i§!^armonie in ^arinonifd^em Stone ge=
Italien lütrb."
Tlan fie^t, lüie fe|r man \iä) irrt in ber SJieinung, bie
Sftomanttfer feien bem ^'lafftfd^en abfjolb geluefen. 3Ber
üielmel^r ^at bie ©d^öniieit be§ |)omer unb ber attifc^en
Stragöbie flarer erfanut unb ent^ufiaftifd^er erftärt aU fie!
©erabe be^lüegen fteltten fie ©oetl^e über ade anbern ®ic|ter,
meit er Üaffifd^ unb mobern, 3)cann unb Söeib, unbenjufet
unb beiüu^t äugleid) rvax. „5IIIe§ ift gebadet unb gefagt
tt)Drben toie öon (Sinem, ber ä^G^eid^ ein göttticfier 2)id^ter
unb ein üollenbeter ^ünftter tüäre", fagt j^riebrid^ oom
SBil^etm SJ^etfter. ©inen befonberen 9Ja(^brucf legten bie
9lomantifer, at§ hk bionljfifd^en ®id)ter, aUerbingg auf ba§
StpoIIinifd^e in ®oeti)e, auf ben Sitel „üollenbeter Mnftler".
2lt§ bem befonnenen ^ünftler l^at 9ZooaIi§ i^m in feinem
|)einrid^ ö. Dfterbingen ein SDenfmal gefegt, loo man in
bem Siebter ^lingSo^r ha^, Urbilb ®oett)e fogleic^ erfennt.
SBunberoolI unb pc^ft cfjarafteriftifd^ für (Soet^e toie für
bie 9iomantiter finb bie Se^ren, hit ber erfahrene, lüeife
ajJeifter bem ftrebenben §einrid^ giebt. 5(uf §einrirf)'§ 33e=
merfung, ba§ man, gerabe ipenn man fid^ ber 9^atur am
innigften öertraut fü|Ie, am luenigften öon i^r fagen fönne
unb möge, antwortet ^Iing§o:§r: „SSie man ha^^ nimmt,
ein Slnbreg ift e§ mit ber S^iatur für unfern @enuB unb
unfer ®emüt|; ein Slnbre» mit ber Statur für unfern SSer-
ftanb, für ba§ leitenbe SSermögen unfrer SSeÜfräfte. 2Jian
muf3 fic^ lüot)! pten, nid^t @in§ über ba§ Slnbre 5U üer=
geffen: ®§ giebt üiele, bie nur bie eine Seite fennen unb
Sdjiflcr imb ÖJoctfje. 219
bte anbre gering fc^ä^en. Slber beibe !ann man üereinigen
unb man luirb fid^ mot)! babei befinben. ©c^abe, ha'ß fo
luentge barauf benfen, fid^ in ifjrem ^"nern frei unb ge=
jc^icft beiuegen jn fönnen, unb bnrcf) eine gehörige S^rennung
fic^ ben 5medmä|ig[ten unb natürlichsten ©ebraud^ i^rer
@emüt^§fräfte ju fidfiern Sc^ fann eud^ nid^t
genug anrü^men, euren S3er[tanb, euren natürlidjen 5:rieb,
gu lüiffen, U'ie 2IUe» fic^ begiebt unb unter einanber nad^
©efe^en ber f^olge jufammenl^ängt, mit gleife unb 2}Jü^e
gu unter[tü|en. 9?i(^t§ ift bem ®ic^ter unentbe^rlicfier, al§
©tnfid^t in bie 9tatur jiebe§ ©efd^äfty, S3efanntf(^aft mit tm
äJiitteln, ieben S^^^'i ä« erreichen, unb ®egenU)art be§
@ei[te§, i\a<i) 3eit unb Umftänben bie fd^irflirfiften 5U tr)ä|Ieu.
S3egeifterung o£)ne S5er[tanb ift unnü^ unb gefätjrlid^, unb
ber 2)id)ter wirb luenig Söunber t£)un fönnen, luenn er
felbft über SSunber erftaunt S)er junge ®i(^ter
!ann nic^t fü^I, nic^t befonnen genug fein."
2t(§ C^einric^ fragt: „Saun ein ©egenftanb ju über«
fd^luengli^ für bie ^oefie fein?" antjuortet Sünggo^r:
„''2tKerbing§. 9^ur fann man im ©runb nic^t fagen für
bie ^oefie, fonbern nur für uufre irbifd^en äJiittel unb
SSerf^euge. SBenn e§ fc^on für einen einjelnen SDid^ter nur
ein eigent£)ümlic^e» ©ebiet giebt, innerhalb beffen er bleiben
mu^, um nic^t alle |)attung unb ben 2ltf)em gu oerlieren:
fo giebt e§ auc^ für hk gange Summe menfd)Iic^er Slräfte
eine beftimmte ©renje ber ©arfteHbarfeit, über meiere
^inaug bie 2)arfteIIung hit nöttiige ©ic^tigfeit unb ©eftattung
nid^t beiiaüen fann unb in ein Ieere§ täufd^eube§ Unbing
fic^ öerliert. Sefonbevi? aU Sel)rting fann man nidjt genug
fic^ üor biefen 2lu§fc^meifungen ^üten, ta eine lebhafte
^^antafie nur gar ju gern nad) ben ©renjen fic^ begiebt
unb übermüt^ig haS^ Unfinnltc^e, Uebermä^ige §u ergreifen
220 SdiilTev imb ©oet^e.
nnb au§5iii"prec!^en fud^t. Steifere Grfa^rung le^tt erft, jene
UnDer^ättnifemä^tgfeit ber ©egenftänbe 5U üermeiben iinb
bie 2(uf|pürung be§ ©tnfad^ften iinb ^öc^ften ber 2Bett=
tüeil^ett 5U überlaffen. 2)er ältere 'Siebter fteigt nic|t ^ö^er,
aU er e» gerabe nöt^tg £)at, um feinen mannigfaltigen
SSorratl^ in eine Ieic6tfa§Iid^e Drbnnng 5U ftelten, unb f)ütet
fic^ iüo^t, bie 9}iannigfaltigfeit ju öerlaffen, bie i^m (Stoff
genug unb auä) bie nötftigen SSergIeic^ung§|3unfte barbietet.
^ä) möd^te faft fagen, ba§ ß^aol mu|3 in jeber ©icfitung
burd^ ben regelmäßigen j^Ior ber Drbnung fc^immern. Sie
befte ^oefie liegt uu;? ganje na^e, unb ein geiüö^ntid^er
©egenftanb ift nid^t feiten i^r üebfter Stoff."
2ßie erftauntic^ gut ^at 9Zot)oti§ ^ier ©oet^e'g 8inn
getroffen, ber im Sllter feinen ©runbfa^ ber Söefc^ränfung,
unb baß ber Xic^ter überfd^roenglid^e ©egenftänbe üermeiben
folle, fo rteit trieb, baß er jungen ^oefiebeftiffeuen, bie fic^
um 9tat^ bittenb an t£)n manbten, empfal)!, ben .^opfenbau
unb i)ü^ SBeber^anbtüer! 5U befingen; Uiobet freilid^ ein
luenig Simonie unter gelaufen fein mag. $ßon biefem felben
fünfte gel^t nun aber auc^ hk 51ufle|nung ber Stomantifer
gegen ©oet^e au§. ^n bem angefülirten ©efpräc^ gtüifc^en
^einrid^ 0. Ofterbingen unb ^Iing§of)r läßt 5yiDöaIi§ fftnen
^einrid^ fagen: „(Sben tu biefer greube, ta§, uia§ außer
ber SBelt ift, in i^r 5U offenbaren, "Oa^ tljun ju fönnen,
n)a§ eigentticfi ber urfprünglid^e 3;rieb unfre§ jS)afein§ ift,
liegt ber Urfprung ber ^oefie." 2Benn nun alle ^oefie
nichts anbre§ ift al§ ber ©rang, fid^ §u äußern, biefer
Xrang, ber ha^ ®ing anfi^ treibt, (SrfcJieinuug ju lüerben,
ober ©Ott treibt, in ber 9iatur firf) bar5uftetlen, bie ben
9J?eufd^en treibt, fic^ üon feinem 3)HtteIpunft aul eine Sßelt
5U fc^nffen, eine, in ber er fetbft ®ott ift, giebt e^ bann
tttva^, ba§ 5U geiualtig tüäre, um ficft ber SDJitt^eilung ju
(Sd)i[(er iinb ÖJoet()e. 221
entjie^en? 2öa§ i[t nidjt in einem ^d) enthalten ober tual
fann ft)enig[ten§ nidjt bar in enthalten fein! 9(ud^ l^atte
Slingöo^r gejagt, nidjt in ber ^oefie fet6[t liege ber ®runb,
ta^ nid^t atte ©egenftänbe burd^ bie ^oefie barfteübar feien,
fonbern in ben irbifd)el\ '^Jcitteln nnb ä'Berfjeugen. Ste^nlid^
toie S?ant gefagt ^atte, e§ gebe luo^I ein 2)ing an fid^,
aber unfer irbifdjen Grfennen fönne nic^t ju it)m bringen.
®egen 33eibe§ erhoben fid^ bie Stoniantifer, inbem fie nic^t
in einem unbeftimmten JRaufc^e öon 53egeifternng, fonbern
befonnen unb offenen Sluge» fagten: unfer Selou^tfein um=
fa^t nid^t bie SBelt, burc^bringt nic^t bie SBelt, aber e§
mirb fie nmfaffen unb ein§ mit i^r irerben. S)ie ^oefie
fann ba§ Unenblic^e nic^t barfteffen, aber fie foll e§ lernen,
fie foH ba^u ermac^fen. Xarnm nannte ^nebric^ ©d^tegel
bie romantifc^e ^^oefie eine Unioerfa(poefie. ©oet^e Ijatte
er feines grierf)tfd^en £ünftlert§um§ ungeachtet feine§iüeg§
baoon au§gefd)(offen. ©eine S'unft, fagte er, fei burd)au§
^rogreffiö: fie ent[)alte ben ßeim eine§ euiigen gortfd^reitenS.
S)amit njar aber fc^on au§gefprod)en, ta^ fie überi)oIt
njerben fönne, ba^ fie noc^ nid)t hie ooUenbete S'rone ber
^oefie fei. @g loar nur folgerichtig, ha^ bie JRomantifer
3tt)ar ©oet^c aU S3orbi(b auffteKten unb al§ Bürgen, ta'!^
eine SSerfc^meljung oon cfiarafteriftifc^er unb ftaffifc^er
^oefie mögli^ fei, jugteid^ aber betonten, föte SSieIe§ bem
fünftigen Siebter nocf) ju erreichen bleibe. Tlan braud^t
fid^ nur üoräufteHen, ha'^ bal ©d^önfte öon 2([lem, rva^
©oet^e auf öerfc^iebenen SebenSftufen bic^tete, in einem
2Berfe bereinigt fei, etma hk unermcfelidje güHe gauft'S mit
ber eblen JRunbung öon ^ermann unb S)orDt^ea, um ein
$8i(b 5U geininnen, roie (Soet^e nod) übertroffen luerben fönnte.
S3efonber§ all Öoetfie, ba ber pc^fte ©ipfel immer nur
ein ^unft ift, anfing, fic^ bem ^laififc^en auf Soften be§
222 Scfiitlcr unb ©oet^^e.
SJJobernen jujunetgen, |iclten fie mit iljter unbebtngten 93e=
lüunberung inne; lüa§ fie um [o e^er t|un fonnten, oI§ be§
9J?eifter§ (S^rö^e, jum ^^eil burc^ i|r eigene^ i8emü£)en,
unerfcfiüttertid^ in ber ©efd^irfite feftgefteKt luorben tüar.
©ie öermi^ten all5u fef)r ba§ 2)iont)[ifc^e , bie unabjePare
Unenblic^feit, lüorin feine§ gnuft unöerglei(f)lid)er ^au'^er
liegt, ©eine Harmonie l^atte er, tl^rer 3Dteinung nadE), §u
treuer erfauft.
©c^on in einer feiner frü^eften Slb^anbtungen fagt
griebrid^ ©d^Iegel: „©oet^e fc^iuelgt öiel 511 fei^r im ®enuffe
feines tioUenbet fc^önen ©elbft, aU ha^^ er bie fc^reienbe
§ärte unb empörenbe 9Jacft^eit be§ §u aufiic^tigen ©^a!e=
fpeare ertragen fönnte. 2öie ©oet^e ben 2Bertf]er fc^rieb,
ha erfe^te jener SJJanget bie ^ugenb, i^re toetjmüt^igen
2lf)nungen, il^re weiSfagenben 3:;^ränen. S^ad^tier Ite§ ifin
ha^ ®ef(^icf, ju nac^fic^tig mit feinem ©eniug, allein." ®a
ift fc^on ber ^eim aller ber Etagen über ©oet^e'S un=
empfinblic^e ^ölte, mit benen ein fpätere§ ©efc^Iec^t bie
einfeitigen unb ma§(ofen (Soet^e-35eref)rer ongriff. 2Bie
unenbltd^ öiel neue Jone nod^ angefd^Iagen toerben fonnten,
tt)ie öiete bie JRomantifer felbft fd^on angefcötagen ^aben,
hjer möchte ftd) auc^ baöor öerfc^Iie^en. 9JotiaIi§, ber
®oet^e'§ 93irb in ming§D^r = (5ieftatt mit fo öiel Siebe ge-
geid^net !§atte, hjanbte fic^ mit ben)u§ter ©ntfc^iebenbeit öon
t^m ab. (£r baifite baran, eine S^ejenfion über SBit^elm
SJieifter gu f ^reiben, bie ein ©egenftüc! ju ber griebrid^'S
lüerben füllte. ®ie§ S3ud^, ha^ er faft auimenbig tüu^te,
au§ bem er immer nod^ lernte, loar t^m bennod^ öerl^a^t
getöorben. @r fanb e§ burd^au§ antt'|joetifd^. 9Jttt ©loff
unb Säppd^en fei ber ©arten ber ^oefie barin nad^gemad^t.
2ln %kd fd^rieb er öon ber ^unft, mit ber im SWeifter bie
^oefie burd^ \xd) fetber öernid^tet töirb, „unb mä^renb fie
gcfiirtcr intb ©oetfje. 223
im .^tntergrunbe [^eitert, bte Defonomte fidler auf feftem
©riinb unb Soben mit i^ren greunben fic^ gütftd^ t£)ut unb
ac^iel',ucfenb nad) bem SJ^eere fie{)t." S)er 9(u§[prud^ öon
Dcoüaliä: „®oetf)e iinrb unb mu^ übertroffen toerben —
aber nur irie bie Otiten übertroffen luerben tonnen — an
®e|alt unb Straft, an 9J2onnigfaItigfett unb 2:ieff{nn", liegt
eigentitcf) fd^on eingefd^Ioffen in jenem früEieren: „©oetl^e
ift je^t ber lüa^re @tattfialter be§ |3oetifcl^en ®etfte§ auf
©rben"; benn ber ©tatttialter be§ (55etfte§ ift bod^ nid^t ber
®eift felbft, fo trenig luie ber ^apft ®ott ift, ber eben ha'
burd^, ba^ er ftc^ götttid)e fRec^le anmaßte, bte 9JJenf(^f)eit
trieb, ju proteftiren.
2)a§felbe, luag bie 3tomanttfer an ®oet!§e üermi^ten,
machte, baß er feinerfeiti if)re Söerfe unterfd^ä^te. Tlan
tüti^, lote oerftänbni^Io§ er einem ®eniu§ tük ^leift gegeu^
über ftanb. 5luc^ biefe, benen er |3erfönlid^ tooijhvDÜk,
l^ielt er im ©anjen, folüeit fie al§ ®i(^ter auftraten, öor=
fic^tig t3on fic^ entfernt; jum %^eil rvaxm bie gelinben
Urt^eile, bie er jurüdfialtenb fädte, üer^ütlte SSerurt^eilungen.
3»t)eifeIIol ^atte ©oet^e red^t, lüenn er bie Sichtungen biefer
fRomnntiter aU fotd^e öerlrarf. ®ol 5Sort ^oet fommt
öon bem gried^ifd^en -oizXv = mad^en, e§ ift alfo billig,
n^enn mon ben Site! ^oet benjenigen öerfagt, hit fict) ouf
nid^t» fc^fec^ter üerfte^en aU eben auf ba§ 9Jtad^en. ®aüon
ift aber hit bic^terifd^e (ämpfinbung, ber ®eift, ber nur nic^t
jur (Seftaltung fommt, gu unterf (Reiben. Unb n;o e§ fid^
barum ^anbelte, öer^iett fid^ ©oet^e gern empfangenb unb
aner!ennenb. ßolberon unb anbre füblid^e ®id^ter, bie
orientalifc^cn lernte er burd^ bie ^Romantifer fennen. S)ie
jungen ^^elb^erren führten i^ren ^önig burd^ alle bie Sänber,
tk fie für i|n erobert Ratten. Unb mie ipufete fein uni»
öerfafer ©eift fold^e 2(nregungen 5U oertüert^en! ®er roman-=
224 (£cf)t[Ier unb ©oet^e.
tifc^en ^tjilofopljie öoHenbS luar er nic^t nur geneigt, fonbern
er betüittfommnete fie an§> erfreutem ^erjen. „©ettbem id^
mid^ oon ber hergebrachten 5trt ber DJaturforfc^ung loS»
gertffen", fd^rieb ®oet()e im 2^^^^ 1800 an ©d^elling, „unb
mt eine 9Jionabe, in micf) jelbft 5urüdgetotefen, in ber
geiftigen 9tegion ber SSiffenjc^aft uml)eijc^>Debeu mu§te, ^abe
id) feiten Ijier* ober bort^in einen Quq üerfpürt: §u ^^rer
Se^rc ift er entfc^ieben. ^<i) luünfd^e eine öötlige 85er-
einigung." Unb beinal^ rü§renb ftingt e§, tvtnn biefer
gro^e ©id^ter unb 2)en!er oon bem jungen ©c^elling fagte:
„3d^ lann i^m nii^t ganj folgen, aber e§ ift mir f(ar, er
ift beftimmt, eine neue geiftige ©pod^e in ber ©efc^ic^te ein=
guleiten." (Sine äl}nlic^ befdfietben anerfenncnbe 5(eu^erung
macfite @oet|e über ben großen 9)hjftiter granj SSaaber,
über ben er an ©c^ider f(^rieb, ba^ feine «Sd^riften ilim
fe|r tuD^I besagten, tuenn er auc^ freilid^ mit feinen Organen
nicE)t 5ltte§ barin jn paden föiffe.
SSäre 33aaber mit bem 5tnfprnd^ aufgetreten, ein ^ünftler
5U fein, ttJürbe ©oet^e i^n nodf) üietmel}r aU bie übrigen
3fiomantifer nidfit o^ne ®eringf(^ä|ung ^aben fallen taffen;
fo aber erfannte er in i^m eine it)m felber unjugänglid^e
SJJad^t an. S3aaber £)at felbft einmal gefagt, an_geniatifct)em
Unbemu^tfein fönne e§ ber ^^ttofopti bem ^i(^ter recE)t
njo£)I ftreitig mad^en. ©ben bieg geniatifc^e Unbetuu^tfcin,
bie föuc^ernbe üegetatiue Ueppigteit, bie an SSaaber fo fe^r
überrafdit, ttjirfte nid^t in ®oet()e'§ Seuni^tfein; nur feine
Sugenb loar ta^ Stlfa^eft geiuefen, ha§i biefen ©tein ber
SBeifen öorüberge^enb getöft unb i^m biont)fifd^e ^runfen{)eit
gemährt Ijatte. ©pöter lag er in feinem Unterbetou^tfetn
al§ grünbenbe ^raft unb machte i^n gu bem ffaffifc^en
Siebter, ber er fonft nic^t tjätte fein !önnen. 5)enn eine
©eele, bie foüiel binbenbe ©elualt ^ätte, um bie ejlremfien
©djirier itnb ©oet^e. 225
©tementc, bte in ber DIatur mögltd) [inb, üBerfc^metlenbeg
ß^aoS unb ftreng[tcn ®etft ber Drbnung in eine ^armontfcfic
(Sin^eit 5U f äffen, ift nod^ ein S^enl ber 3w^it»ft- Sm
5n)eiten 5:eil be§ gauft l^at @oet^e noc^ einmal öerfnc|t,
eben fo fe^r „götttid^er ©id^ter" tuie „öollenbeter .^ünftler"
gu fein. SSic iminberbar ift e§, ba§ biefe le^te ©id^tung,
bie ta?^ Unge^enre öerfud^t, mit ben Sßorten fdfilie^t: „jDa§
6lüig=2öeiblid^e giefit un§ t)inan." S)enn ha?^ @tüig=2Beib-
lid^e ift ja ba§ ^rinjip ber (Srtöfung, nämltd^ ba§ Seinuf3t-
irerben be§ Unbeiuu^ten, bie unenblic^e 9?eöoIutiDn, bte (Sba
einleitete, aU fie ben 5(pfet ber ©rfenntni^ |)f[ücfte. 9}?ag
©oet^e fid^ beffen belüu^t gemefen fein ober nid^t, W^
bielfad^ fo gebanfenlo§ gebraud^te 2Bort fiat benfelben Sinn-
wk ha^ „Wt^i Sicf)t", ba§ bem ©terbenben in ben 9}Jnnb
gelegt luurbe. 9^id^t§ beloeift ®oett)e'§ menfd^Iid^e (SJrö^e
met)r, aU ba^ er fid^ nac^ ^ö^eren Stufen feinte unb an
fie glaubte.
•kX
r^
§uc6, SJomantifer. 15
3ft benn ßrien Bon Sie6e fo unjertrennlicl) auf Gvbeit?
(Siebt e5 fein luftiflc« ®Iüc£ uitb teilte glücEltcbe 3iuf)'?
9ieiiT, benn fiefte bte (£rbe, bie gleichen SKut^eä am
§immel
Siüijdjen SßcnuS unb SKarS loatibcU bie ftürmifc^e
SBohn.
©c^affcnb, bcr Grbe gletA, bii ecbgebonier, bcmege
Unberbroffcn beim ani) bic^ äiuHcfien t'iebe urb firieg.
©c^elltng.
(Sagt, Wer finb auf jenen SöJatten,
2Ö0 |o mouAe Slumcn bliib'n,
©ie öcriüQnbten fiillen Schatten,
Sic in fjolber Cintracftt jtcfj'n?
©cfinicrs unb Scben fieifecn bclbe,
SBeibe finb fiel) nai) üerluanbt,
aWancfimal gvüfjct fie bie greube, •
Unb ba? Seben reidjt bie §onb.
2lber bonn tritt gcfimerä bojinnfcften,
Scbnetl cntflteiit bnnu -(U ben Süfcfien
greube, fie ücrbirgt fttti in beut tiefflen §oin —
©c^merj unb Scben bleiben ftct§ attein.
Stect.
„(Srünfammtne Se^jptd^e bie Serge |tnan, mit SSeild^en,
©d^Iüffelblumen unb ^rimeln gefticft unb lauter toof^U
riecfienben Kräutern burd)lpirft; atle 93äume in ber glor-
reicE)[ten 93Iüt^e; glteber unb ajJaiblumen in biden Raufen;
eine 2lrt SOSeibe, hit lüie Drangen rieciit, fte^t olIent|aI6en
auf aKen SBtefen unb Sßergen. ®er lebljoft raufc^enbe 5Iu§,
h)ie ein ©ptegel l^ell; tüarm nom 9J?orgen 6i§ tt)ieber jum
SJJorgen; eine Suft, bie fic^ n)eic^, (au unb Hau um einen
!§er lagert unb auf ben Sergen tük eine Sede ru|t — fo
fiei)t ber grü^Iing in ^ma aul." Unb aU eBenfo frieblid^
unb freunbltd^ fd^ilbert ©orot^ea ba§ Seben ber Selüo^ner.
£e6en. 227
SBäfivenb e§ fonft in Uniöerfitüt^ftäbten [o äujitgetjen pffege,
ha^ jarte tarnen ii^xen Sdifent^att bort iitc^t 511 ne£)men
tuagten, näljme tu ^tna ber |)umamtät§ton über^anb unb
man fönne im ©ebirge ftunbeniueit allein fpajtren ge^en.
S)a§ SpfJüitair unb hie ^aiifmannfc^aft in Serlin feien ro^
gegen hie Senenfer ©tubenten: man Ijöxe überall öon
SQ3iI^e(m SReifter, ber 3;ran§cenbentat|3§irofo|3^ie unb bon
©l)Ibenma§en fpred^en, baju au§ jebem §aufe ©uitarren
unb ©eigen.
2öäf)renb bie S3ö(fer (guropaS gegen einanber in SBoffen
ftanben unb @d^n)ertergetö[e unb Sriegggefc^rei fid§ lüie eine
morbenbe Sainine üon Sanb 5U Sanb irälgte, fäm|3ften über
biegen fanften ^lügeln ha^ alte unb ha^^ neue ^a^rljunbert
eine ®ei[terjc^Iad^t.
2tt§ 2Bi(f)eIni unb Carotine, neubermä^It, im ©ommer
1796 bon ®ott}a fommenb in ^ena einbogen, too SBill^elm
^rofeffor getoorben luar, fürchtete er, bie gelfen am (Sin-
gange möchten [ie abfc^reden. „%hex icf) ja^ nitf)t§", fc^reibt
Slaroline an i^re greunbiu Siiife ©otter, „al§ ba§ ®ute
unb 5tngenef)me unb bin jd)on mit biefem romantifd^en
Zitate ganj befreunbet." 2Bie ein trojanifc^eS ^ferb mar
biefer .s^ot^jeitg^JReifemagen, ber bie erften Umftürjter in
bie af)nung§lDJe @tabt füfjrte; geräufd^IoS nifteten fie fid^
ein, um ben ©insug ber ^ülf^truppen borpbereiten. (Sin
borne^me§ .^aupt ber neuen ^eit fanben fie freiließ f(^on
bor: gid^te.
3IB ber junge S^orloegcr Steffens im «Sommer 1798
noc^ ^ena lam, '^öxte ex naä) einanber bie bebeutenbften
^rofefforen ber ^^ilofopfiie fprec^en: Sd^eHing, bo§ neue
Öieftirn, unb gid^te, ber fc^on auf feinem feftgegrünbeten
9tu:^me thronte, dx eröffnete hamai^ grabe feine $ßor=
lefungen über bie Seftimmung be§ 9J?enfc|en. S(^on bie
15*
228 Seben.
lurse, ftämmige ®efta(t, bic fc^neibenben, gebietenben 3üge
tmponirten. 5lu(^ feine ©prad^e wax üon fc^neibenber
©d^ärfe. Dbloo!^! er fid^ ade 9D^ül)e gab, ju belüetfen, n)0§
er fagte, tiatte feine 9tebe bod^ ettpa§ an fid^, al§ iDoHe er
burc^ einen S3efe^I, bem man unbebingten ©ei^orfam f(^utbtg
fei, ieben Bt^eifel entfernen. „TltiiK Ferren", fagte er,
„faffen ®ie ftc^ §nfammen, ge^en ©ie in fid^ ein, e§ ift
I)ier öon feinem 3Ieu^eren bie $Rebe, fonbern lebiglic^ öon
un§ felbft." 5IIIe beränberten bie ©tefCung, rid^teten fi^
auf ober fanfen in fid^ §ufammen. (gine gro§e Spannung
l^errfd^te. „9JJeine ^"»erren, benfen @ie bie SBanb." Sitte
bauten bie SBanb. „§aben ©ie bie 3I?anb gebadet? Sf^nn,
meine Ferren, fo benfen ©ie benjenigen, ber bie SBanb
gebadet ^at." SDie SSernjirrung unb SSerlegen^eit, bic bie§
jtoeite 5lnfinnen ^erborrief, föar, tuie ©teffen§ erjäfjft, fe^r
ergö^lid^ ju beobad^ten. ^m ©anjen l^atte ber SSortrag
burdö feine beftimmte ^lar^eit ettüa§ ^inrei^enbeä, tüie man
el nid^t leidet ä^nlid^ finben fonnte.
©ine merfn^ürbige gigur fpiette ber eiferne gid^te unter
bcn gefdfimeibigen, üppigen, totten $Romantifern. 2Bie SSöget
eine SSogelfd^eud^e umflattern, etma§ fc^eit, ettiia§ e^rfürd^tig,
einlas neugierig unb ettt)0§ mut^toittig lüaren fie um i^n
l^er. ©ie ptten i£)n gern einmal au§ feiner ftrengen Un-
bclreglid^feit f)erau§genedt, n^oüon fie felbft ergö^Iid^e 93ei*
fpiete erjällen. ©teffen§ lüottte il^n burd^au§ babon über=
sengen, bafs eine Süge unter Umftänben gu red^tfertigen,
fogar moralifd^er all bic SOa^r^eit fei; benn ?5id§te ^atte
be{)auptet, unter feiner 58ebingung bürfe man bie Uutüat)r=
l^eit fagen. ©teffen§ fe^te nun fotgenben j^att: (Sine SBöd^*
nerin ift fe^r fronf. S§r Slinb ftirbt. ©ie fragt nad^ bem
^inbc. 2Ba§ fott man i^r fagen, ba man lüei^, baB jebe
Slufregung fie ougenblidflid^ tobten fann? ©ie fott mit
Sebcn. 229
ti^ren fragen abgeiuiefen tüerben, entfd^etbet 5i(i)te ungerütirt.
Steffen^: SDa» ^et^t auf ba§ 93e[t{mmte[te anttuorten, i^r
Ä'inb fei tobt, ^d) inürbe lügen, uiib id; nenne gan^ ent-
fd^ieben biefe Süge eine Söa^rl^eit, meine SSatjr^eit. SBa§?
rief nun gi^te entrüftet: TMnt SBa^r^eit? (Sine fol^e,
hit bem einselnen ajfenfd^en gehört, giebt e§ nid^t. ©tirbt
tk t^mn an ber Söa^r^eit, fo foll fie fterben.
SSt)Ilenb§ otjne jeöeS SSerftänbni^ für einanber Juarcn
t^ic^te iinb Sied, ber ®ämmerung§bid^ter unb ber ^£)itofop^
ber unerbittlich fi^neiDenben Sogcs^efCe. SSenn Sied p^i=
lofop^iren luodte, üern)ieg i|n gierte gittmütl)ig ungebulbig
auf feine ^oefie. 216er ungead)tet er oline @inn für bie
3fiomantif mar, betrad)teten fie i|n gern all ben g^i^igen,
lueil fie ben gelben ber guten ©adie in i§m el)rten. 51I§
im 53eginn bei Sfl^i^el 1799 ber 2Itfjei§mu5ftreit tolbrac^,
nal^men fie unerfd^roden feine Partei. SSon Sitten, bie
fid^ bei §ofe beliebt niadlien rtjottten, bon atten ^rofefforen,
bie gierte überglänjt Ijatte — benn er !^atte lueitaul bie
meiften 3it|örer — , luurbe er üerlaffen unD gemieben.
^Diejenigen, bie nid^t tvoi)l anberl fonnten, all i^m in ber
<Baä)e Siecht geben, fc^rieen über feine ©reiftigfeit unb Un=
bcfonnenl)eit. ©eine unerfd)ütterlid^e Sieblic^feit, meinte
Caroline, l)abe ^of unb Uniüerfität oft in SSerlegenl)eit ge«
fe|t. 2)ie ©tubenten wanbten fic^ mit S3ittfd)riften nad^
Söeimar — ©teffenl, ber S3eiüegli(^e, ^egeifterte ^atte aud^
Unterfcl)riften gefammelt — , aber öergeblid). 5)af3 ®oetl)e
biefe feige Ungerecl)tigfeit gefc^e^en lte§, fc^merjte feine
Qüngei;; fie luoflten S^erlcgenljeit an i^m bemerfen, tuenn
tiou bem §anbel bie Diebe Wax. „^er üjadere gid)te flreitet
eigeutlid^ für unl Sitte", fc^rieb 2Bill)etm, „unb tuenn er
unterliegt, fo finb bie ©dieiterljaufen loieber ganj nal^e
lerbeigcfommen." ©r, ber fonft $öorfid)tige — namentlid^
230 Sebcn.
tüenn e§ galt, ©oetlie ju fc^onen — fu(i)te feinem $Bruber
grtebrtd^, ber bamal§ nocf) in S3erlin tüar, friegerifrfie
©timmung einjuflö^en. 2)em fod^te benn and) fd^on eine
Srofd^üre im Selbe, )üte er fic^ au^brücfte, morin er 6e*
fd;eiben bartf)un luollte, gic^te'§ SSerbienft befteljc eben barin,
ta^ er bie 3^eIigion enlberft fjaU. 3roar tarn biefe ©d^rift
nic^t 5U ©tonbe. 2tn SBtt^elm fc^rieb er aber: „9iic^t bloft
3(tl}et[ten finb bie ©egner [gid^te'»], fonbern pofitiüe Wiener
be§ @atan§, gegen bie in S)eutf(f)Ianb jeber ©d^riftftetter
ein geborener ©olbat i[t."
gierte lüu^te benn biefe furcfjtlofe 3^reunb|d^aft bomaB
and^ iDo^t 5U frf)ä|en. ^n S3ertin, tüo er 3u[Iud^t fanb,
üerfe^rte er öiel mit griebrid^ unb ©orot^ea unb fprac^
ben SBunfd^ au§, ha'^ SSil^elm, Caroline unb ©d^elling
oud^ bort^in fämen, bamit fie §ufommen eine {^amilie bilbeten.
„9cä(f)ft bem ^ti)ei§mu§", fc^rieb Caroline am 4. (Februar
1799 an 9ZooaIi§, „ift i^ier ha^ neuefte (Sttenement bie 2(uf-
füi^rung be§ erften %^dU§> öon SBaHenftein „bie ^iccolomini"
in SSeimar. Qm Dftober bey üor^erge^enben 3a§re§ n^ar
ha^ Sager äuer[l in ©cene gegangen, ©ans 3^"^^ machte
fid^ auf, um biefem ®reignt§ bei5Ult)o|nen. S8eim Sager
hjar haS» 9tomantiferpufIein frö^Iid^ gufammen; Sichte
nött)igte uac§ ber 83or[teIIung Carolinen öier ©läfer (5^am=
^agner auf. SBil^elm blieb in SBeimar; ©c^elling fu^r an
feiner ©teile in ber S^ad^t mit if)v jurücE. S3ei ber @rft«
ouffü^rung ber ^iccolomini blieben ©d^elling unb Caroline
in S^na. dlaä)^n öerfammelte man ftd^ bei Slaroline unb
tauf(f)te hit empfangenen (Sinbrücfe au§. Dblpo^l ber correfte
SBil^elm gu milbern fudE)te, jeigte fidE) boc^ bie 5tntipot^ie
gegen ©exilier: t)a§: (£nburt|eil über bie tDunberboHe ^id^=
tung, hk man aUerbiugS nur aU $8rud)ftütf feunen gelernt
l^atte, tüüx üerneiuenb.
£eben, 231
jj)a§ 2:^eaterfpielen Juar eine gefeHtge Seibenfc^aft. ®a§
befle Seifptel bafür erjätilt %kd, luie näniltc^ \oQav ber
alte SJiicoIat üon btefer SöutE) ergriffen irurbe. 2)a 2;iecf
t^n einftmal§ befuc^te, fanb er i^n gu feinem ©rftaunen mit
feinem ©o^ne nnb einem anbern ^errn in einer üerlartigen,
:pat|etifcf)en, ©c^illerifc^ bcciamirenben Unterhaltung begriffen,
beren Sinn i^m im erften 2(ugenblicf unfaßbar mar; aß»
mälig begriff er, ta^ fie eine ©cene 511 S)on ßarlo^ im=
proDifirten, mobei 9licoIai ben Siönig, fein @o§n ben ÜJJarqui§,
unb ber britte ben Sarlo» auf fic^ genommen öatte. ^üd)
in ^ena mar „ariemeit üon nichts al§ 2;^eater bie Siebe",
mie Caroline fc^rieb. ©teffen§ unb Sterf maren öon Sugenb
ouf an» 2:()caterfpieten gemö^nt, aud^ Caroline ^atte SJeigung
baju. $8ei einer 5Iuffü^rung üon ©oet^e'g ©teUa im (S(^ü^=
fc^en |)oufe mäl^Ite fie ftc§ bie StoHe ber (Säcilie. 2tud^
©op^ie äJJereau, bie fpätere ©attin Srentano'S, mirfte mit.
Sn einem feiner atterliebften Sriefe an bie fleine Slugufte,
bie ouf Sefucö im §aufe be§ Maki§ Sifi^betn mar, fc^rieb
griebrid^: „SBenn bu mieber bo bift, motten mir au(^ etma§
agiren, etma^ mie ba§ @tücE, öon bem bu f(^reibft. 3^u
mad^ft bie fc^öne, aber treulofe 2tngeüfa, Xkd ben fteinen
beglücften Sd^äfer SJieboro, @c|etting ben rafenben ^alabin,
Crlanbo ben SiJüt^igen, icfi Slaifer Slarl ben ©ro^en unb
SBilbelm ben eblen S^^etter 9tinaIbo'ä ö. ajiontolban." 2Bie
fie^t man fie üor fic§ in btefem ^oflüm: bie liebrcijenbe,
üermö^nte, ein menig fofette kleine, bie ber Sriefftetter ^ier
gleic^fam mit ii^rer 9Jlutter in ®in§ 31: f offen fc^eint, ben
anmut[)igen Jiecf, ben ungeftümen ©c^etting, griebric| felbft
Dotter SSürbe unb ^eiligfett nnb SSill^elm, ben correften,
ritterlichen. SSenn nic^t Sweater gefpielt mürbe, mürbe
2:^eater gelefen. SBill^elm Ia§ feine neuen Ueberfe^ungen ber
©^afefpeare'fc^en 2)ramen üor, Sierf mit SSorliebe |)oIberg,
232 Sebeu.
ben er gletd^fam neu entbecft l^atte. %kd, beffen S3orIe[ungen
in fpäteren ^a^ren eine beinatie eurD|)ätfrf)e S3erü§mt^ett
Italien, Ia§ genialer. SSorjüglid^ linirbe fein SSortrag bc*
h)unbert, menn er ettüa§ improotfirte. ©teffen§ tvax einmal
in S)re§ben gu 33efuci^ bei i^m, al» gerabe ber Ö5e6urt§tag
feiner i^van gefeiert lüurbe. 3" befonber§ guter Saune
fünbigte er an, ha^ er ein ©c^aufpiel barftetlen unb babei
felbft fämmtlid^e Stollen übernehmen tooHe, ©teffen§ möge
i^m einen ©egenftanb aufgeben, üon bem bie Somöbie
^anbeln fotte. «Steffens beftimmte, eö foHe in bem <BtM
Semanb auftreten, ber ber Sieb^aber unb ein Drang=Utang
in einer ^erfon luäre. 9tac^ einer falben ©tunbe erfctjien
S;iecf tjor feinem ^nblifum unb trug junäc^ft einen ^rolog
Cor, ber bie ßufiiiauer an ben |)afen einer großen ©eeftabt
öerfe^te. Sann enttutdelte fic§ hk |)anblung, bie furj barin
beftanb, ha'Q ein eigenftnniger Starttäten:' unb Staturatien-
©ammter, 5tn6änger ber aufgeflärten S3ilbnng, ber feiner
S^DC^ter §anb i^rem beliebten t)ern)eigert, baburd^ überliftet
tüirb, bafs ein gerabe au§ 5tfrifa gurücffe^renber greunb ben
troftlofen Stnbeter aU gebtibeten Drang4ltang bei i:^m ein=
fü^rt. (Sine (Srjietiungganftalt in (Sierra Seona 1:)aht fic^
bie Slufgabe geftettt, ntc^t nur ben fogenannten SJtenfd^en,
fonbern auc^ gelüiffe Spiere, 'oit \\6) nad^ Slufic^t ber*
f(f)iebener (Selef)rten baju eigneten, 5U ebeln unb üerftänbigen
SBefen i^eranäubitben; fie \)abt bereits merfiüürbige (Sifolge
eräielt, toobon er einen Sert)ei§ mitgebrad^t )^aht. S)er öer-
fteUte Orang-Utang giebt bie |>ö|e feiner S3ilbung burd^
häufiges §erfagen fentimeutalcr unb moralifrfier Plattheiten
ju erfennen, bie ben SSater entjüden, fo t)a^ er fid^ über»
reben Iäf5t, i^m feine 3:oc^ter gur f^rau ju geben. 92orf)
nad^ bielen S^^i-'en erinnerte fid^ Steffens mit SSergnügen,
tvu fprü^enb bon Sdjerj unb 2Bit^ btefe tede Sinprobifation
Sebcn. 233
geiüefen fei unb mit luelc^er ftaunenerregenben ^öeireglid^feit
unb frf)aiifptelerifd)en Slun[t %mt fie öorgefülirt t)abe.
©0 jmtje bie 65efat)r auä) lag, luo mehrere begabte
2)ienfd^eii biefelben ^if^e öerfolgen, unb fo üiel ^anf c§
aurf) in biefer „Siepublit öon lauter ®e§poten" gab, ^errj'd^te
bocf) eigentlid^c (giferfud^t nid^t. Snt ©egent^ett freute ftd)
Seber ber S^orjüge beä 5lnbern, lua§ ^auptfäcl)lic^ 5riebric|'§
SSerbienft luar. @» fpielte gteidjfam ^eber feine Siotte ober
fein S»fti'"tnent, unb man loar ftol^^, bafe ba§ ßoncert gut
befe^t unb lup^Itönenb n^ar. Siec! toar befonberS „be§
SBt^ea bunte» gülI|orn eigen". 5luc^ hierin wetteiferte er
mit SBil^elm. @§ ift tin rei5enbe§ 93ilb, ha^ un§ hk beiben
grauen, Carotine unb ^orotiiea, aufgejeicfinet Ijaben, mie
Söili^etm unb %kd sufammen ein 9iac^e*@onett gegen SÜtertel
f^miebeten. ä)Jer!eI mar einer ber üielen ftäffenben geinbe,
hk im ©runbc einer Slntn^ort nid^t loert^ rüaren. @ä be»
§eic^net i^n, ba§ er, um barjut^un, ba^ ©c^iCter'g ^oefie
fd^öner fei al§ &ott^t'^, @ebi(i)te t)on beiben in ^rofa auf=
löfte unb bann jeigte, ba^ biejenigen ©djiHer'S nac^ ber
Operation ebenfo flar, öcrftänbig unb poetifc^ feien tuie bor-
j^er; h)a§ bei benen ©oet^e'S nid^t ber galt fei. ©inmal
foHte er nun boc^ einen 2)en!5ettel Ijaben, unb fo entftanb
ta^ gel^arnifcEite ©onett:
©in ^nec^t ^aft für bte ßnedjte bu gefdjrieben,
6in (Bamojebe für bie ©amojeben.
„(g§ toar ein geft, mit anjufefien, lote beiber braune
Singen gegen einanber gunfen fprü^ten unb mit tüelcfier
auSgelaffenen ^uftigfeit biefe gerecE)te 9J?atice begangen iuurbe.
Sie SSeit unb ic^ lagen faft auf ber (Srbe babei. S)ie SSeit
fann red^t lachen. ..."
griebric^, ber „tiefe greunb", fa^ loie ein geiualtiger
gelsblücf im SBertengefräufel unter ben Uebermüt^igen, badete
234 üebeit.
unb träumte unb äußerte öon 3ett gu 3eit feine ^Qt^ifd^en
Offenbarungen — «Stoff ju ©efpräd^en, ®t§^uten unb
3lb{)anblungen. Steffens erjä^It, e§ fei griebrtd^, toä^renb
er tief ftnnenb im @tut)Ie gefeffen l^abe, folgenbe ©eberbe
etgent^ümtid^ gemefen: er ^abe mit 2)aumen unb ^fig^fi^flci;
bie ©tirn umfaßt, biefe ginger langfam gegen einanber be-
beiüegt bil giüifcEien bie 5(ugen, bann ebenfo (angfam über
bie fdiön geformte 9?afe unb enblid^ über bie '^a'\t t)inau§
in hk Suft. So, bie Singer öor ber 9^afe, |atte S^ieif i^n
auf einer f leinen ^arrtfatur gejeic^net, ben überfrfinellen,
unrui)igen Steffens öor i^m, mit Rauben unb gü^en :^eftig
geftifulirenb. ^m ©efpräc^ luar griebrid^ ebenfo uner»-
fc^ö^flid^ tüi^ig mie SBiltielm unb S;iecf, unb man mag e§
am ©nbe begreifen, ta^ taroIine'S 9J?utter, eine alte, gräm«
lid^e ^rofefforeniüittme, i^r frei erüärte, fie tvnht fie.nid^t
lieber befuc^en, ha fie ben üielen SBi^ ni(f|t öertragen
fönne — tt)ie man ©rbfen unb Sinfen nirfit »erträgt, fe^te
Caroline ^inju. 'änä) bie i4iä§rige Stugufte lernte ^talienifc^
unb ©ried^ifc^ Ui SBil^elm ober bem „l^eiligen, in ©ott
onbäd^tigen SSater gri|". Seltfam muß e§ gemefen fein,
baS ^rinjefjd^en, bem Stielen unb Sad^en ha^ Mer-
Itebfte mar, ha§ mit füfeem Söo^tlaut ber (Stimme fingen
fonnte, mä)hnMd) über Sauft unb 9lat£ian ben SSeifen
fc|rt)n^en ju Ijören. ®em fleinen ^^itip)?, 2)orDt^ea'0
Sol^n au§ i^rer erften ®^e, ben fie nad) Sena mitgenommen
^tte, träumte e§ einmol, lüälirenb griebrid) t)erreift toar,
Sriebrid^ feiere jurücE unb beS^alb fei gan5 ^tna in Sluf»
ru£)r. 3unT SSittfommen fei bie Stabt in ber Söeife ge«
fd^mücft, ba§ alle Käufer unb 93äume mit bieten Silbern
öott „alten, geteerten Seuten" behängt feien, unter i^nen
GerüanteS unb ^JJeifter. 9??eifter ^atte einen runben §ut
mit golDener SdEinur, einen rott)en Scf)Ieier unb einen fleinen
Setien. 235
Säbel getragen, Seroanle§ einen breiedigen §ut mit golbenen
^lunfern, gleichfalls einen rotten ©d)Ieier, eine eiferne
9tüftung unb einen langen ©äbel. Tlan fie^t barau§, \va§
für S3?orte alg tägliche Speife um ben fleinen ^o^f fierum-
fd^lüirrten.
2)ie einjige 2Irbeit, ber griebrtc^ fii^ unterzog, toax \)a§
2)ic^ten, ha^ er bei feinem 33ruber lernte. (£r trad^tete
barnac^, allmälig alle SJergma^e in feine ©eraalt gu be-
fommen. ©orot^ea ^atte, um it)ren gtorentin romantifd^
au§äuftatten, einige h;o|Igetungene ©tanken berfertigt unb
baburd) eine lua^re ®tan5en=SBut^ unb -©lut!^, tuie fie felbft
fagt, über ha^ §au§ gebracht. 2)amat§ mag jener pat^e-
tifd^e ©trom ©c^eding'fc^er ©tanjen entftanben fein, in
benen er ta^ ®e§eimni^ feiner ber^ängnilöoUen Seiben*
fd^aft für Caroline ftols öerrät§:
9U§ in bev ernften friU)en SBei^cftunbe
?lu§ freiem Zmb ba§: .Sjeil'ge ic^ emm^It,
^at and) ein ©Ott 5U eiuiq fd)önein Sunbe
Stuf etuig bid) mit meinem Qjeift üermnfilt.
SSenn aucf) non unfrer Sieb' bie fü^e ^unbe
Slein meict)e§ Sieb ber fünft'gen SBelt erjäfilt,
S;ocf) wirb au§ be§ (yebict)te§ bunfeln Gliiffern
©ie hü§> ©el)eimnif5 unfrer Sieb' entziffern.
?3a§ forgfam mir bem 5(ug' ber SSelt berbürgen,
3)a§ ©lüct, ha§, nur bie llnficfitbareu fe^'n,
SSirb an be§ fünft'gen 2agc§ fcl)i.inem 93JDrgen
§lu§ bem ©e^eimnifj glorrcid) auferftet/n.
^Begierig fet)' id) floate ß^iteu I)ord)en
®er ^DJelobie, bie nimmer fnnn üergef)'n,
S!enn mit be§ SeltallS cm gen .<parmonieeu
Si^irb biejeö Sieb jur fernen ^iliadjmelt jietjen.
S)ie luunberraürbigften SSerfe mad^te aber nad^ ^oro=
t^ea'S äJieinung {Jriebrid^, ber, foiüie er einen öollenbet
236 Seben.
t)atte, bamtt in ii)X ^iinoier fam, i§n t|r borIa§ iinb in
heftigen ^o^^n geriet^, luenn fie, luaS begreiflicher SBeife
meii'teng ber galt toax, ben ©inn ntc|t fogIet(^ begriff.
Slufjerbem ^atte faft ein Seber feinen 3floman öor, 2ißilt)elm
anftatt beffen feine S^afefpeare-Ueberfelung, ipobei Caroline
fo mitarbeitete, bo^ fie oft ben ganzen Züq nid^t t)on feinem
(Sd^reibtifd^ tneg !am. Uebrigcn§ öermieb e§ Caroline, al§>
fi^riftfteUernb gu erfd^einen; fie |abe ba§ SSorurt^eil, fagte
grlebric^, ha§ einjige, fid^ üor bem Schein ber Unlueib*
lid^feit 5U fürd^ten.
Sern ^leife 5ugert)anbt luar ber |)amburger ®rie§, !Iein,
mit füblidEigetber ®efid^t§farbe, lebhaft unb freunblid^ au§
deinen Singen blicEenb; fo fc^ilbert i^n ©teffenä. ^einlii^c
Drbnnng, ©auberfeit, io ©leganj :^errfc^te in feinem ^immer.
®r fprad^ leife unb brücfte fid^ jierti^ aii§. ©eine mit ben
^al^ren immer gune^menbe ^aubtjeit erfd^loerte bie Unter-
l^altung; UJegen feine§ altjüngferlichen 2Sefen§ l^atte man
i§n ein toenig gum Seften. Slber mit feiner Ueberfe^nng
be§ !3:affo unb Salberon bradjte er bod^ eine 3J?enge neuer
5lnregungen in ben ^rei§. SBit^elm, ber guerft auf bie
füblic^en jßid^ter aufmer!fam gemad^t liatte, nalim lebliaften
9lntl)eil baran, atterbing» nid^t o^ne fid^ feiner Ueberlegen^eit
im Ueberfe^en betoufet gu fein. ®ie (Sntbedung ßalberon'§
mad^te (Spodie unter ben 9?omantifern. S)er ftürmifd^e
©d^efling fteüte ilin fogleid» über ©^afefpeare; ]^ier fei bie
innigfle SSereinigung be» Slntifen unb 5Romanttfd^en 5U finben.
SSie ber gö^nftitrm, ber fid^ in ben Sergen fo plö^lid^,
ftar! unb toarm ergebt, luirfte ©(^eHing'g ©intritt in ttn
Slrei§ ber 9iomantifer. 5luf bem fiatlieber erfd^ien er nid^t
tüie ein ^rofeffor, fonbern luie ein fransöfifd^er ©eneral;
er fprad^, tuie loenn er etioa» nid^t fei^r 2Bic^tige§ fd^netl
unb nac^läffig mittljeilte. 1)0» tro^ige ©eficlit, ro^, ebel
Seticn. 237
iinb fraftüoll mit ben Breiten 33adenfnoc6en unb ber etlt)a§
aufgeluorfenen 9^afe, bie Karen, mäd^ttgen Stugen, 2llle§
wtrftc be^errfd^enb. 'äU «gteffenö feine erfte S3orIefung
über 9kturp:^iIofD^Ijie l^örte, hk neue, feine ^^ilofop^ie,
wo er öon ber 9iot|iuenbtgfeit fprad^, bie S^Jatur au§ itjrer
(Stnfteit ju faffen, ^atte er ben ©inbrucf, aU fte!)e ber
24 jährige junge 99^ann mutl^ig bem ganjen ^eerc ber ot)n-
mäd^tig luerbenben alten 3eit gegenüber, ba§ fid^, etmaS
|}Dlternb unb fc^impfenb gtuar, bod^ f^eu üor t^m jurücf*
§ie^e. ?n§ er einmal fagte, er nJoHc fid^ einmauern, nm
ununterbrochen ^u arbeiten, fanb Caroline, er fei efier ein
ajJenfd^, nm 9)Jauern 5U bnrc^bred^en. 'äU Wmxal be*
trachtet, fagte fie, fei er ed^ter ©ranit, eine Urnatur. «Seine
©egenmart fonnte burd^ i|re Waä)t faft erfd^rerfen. Stile
bie lueibtic^ empfängtid^en 9}Jänner mit i^rer fRetjbarfeit,
tf)ren unenblidE) öielen, unenbtid^ öerfeinerten ^been, em-
pfnnben junöd^ft frcnbig erftaunt unb n)inig bie Uebermad^t
feiner befd^ränfteren 9J?änn(idf)feit. 5Utd^ f^id^te föar mit i^m
einüerftnnben. (Sr crfannte an, ba§ toenn fein ®ang ft)fte-
matifd;er, ber ©c^elling'S genialer fei. ®o§ i^m angeborene
6iefü!§(, 5l[te§ 5U fönnen, ma§ er njotlte, gab ii)m eth)a§
®iegreid^e§. 3>üeifet famen i()m nid^t. SSertrauenb, über-
fdötnengtid^ S^ingebenb gegen feine f^reunbe, "^a^te er blinb-
Iing§ nnb rüdfic|t§Io§, bie er für feine geinbe J)ielt. SBiber-
fe^ti(f)feit, bie auf üoHfommener ^ßerftänbni^tofigfeit feiner
naturpi)itofop|if(^en (Srunbibeen beruhte, öertrug er nid^t.
Slber menn man beren 9iid^tig!eit jugab unb auf i^n ein»»
ging, h^ar er nid^t anfpruc^§üoH unb Iie§ aud^ anbre gelten.
Ueberljaupt imponirte il)m bie loeltmännifc^e ®e»oanbt{}eit ber
umfaffenben romantifd^en ©eifter. Sie Ratten ein reicheres,
feineres Seelenleben at§ er, fie tüaxtn i^m üoran in ber
Kultur, unb er fonnte üiel öon tlinen lernen. Sa§ njollte
238 2eben.
er and). @g |c|ien tfim unmöglid^, ha^ e§ etiüa§ gäbe,
lüotion er ntc^t derfte^en follte. @o tüarf er fic^ äunäc|[t
auf ba§ ©id^ten. S(n feinem ®etft fiel ber poetifc^e ©d^tuung
auf, D|ne baB er be§^aI6 ein ®ic^ter geiüefen luäre; er
:probucierte leidet, ieboc^ „au§ bem ^nnerften reben" tüte
bie 9tomantifer fonnte er nic^t. 5I6er eben biefe ^ro=»
buüione^luft unb =^raft mad^te, ha^ er überjeugt toor,
e§ !önne t(jm ntd^t fe|)(en, luenn er nur tüte bie übrigen
bei SBiIf)eIm in bie ©d^ule ginge, um iia^' ^ed^nifd^e be§
SSerfemad^en§ gu Belüältigen. Steffens fjatte einen ©rää^IungS-
ftoff au§ feiner norbtfd^en ^nmat^ mitgebrad^t, ber tjiel
2lnffang fanb: hk ©efcEiid^te be§ Pfarrers bon ©rottning.
©anj einfam in ber 9läi§e eineS untergegangenen SDorfe§
lebt ber Pfarrer. S^ ^^^ fommen bei Slad^t eben gelanbete
grembe unb jtoingen il}n, in ber na|en, t)om glugfanb faft
üerfd^ütteten ^ird^e eine 2;rauung ju öoKjiefien. 9iad^bem
bie ^anblung tJoKenbet ift, brängen fie iijn au§ ber ^ird^e.
Schnell fd^ifft ha§ ganje SSotf, taS^ eine unbefannte ©prad^e
rebet, fid^ tüieber ein unb fegelt ah. S)te SBraut finbet
man in ber ^ird^e ermorbet. 5tl§ hk (SJefpenftergefdEiid^tett
anfingen 9JJobe §u tüerben, meinte Caroline, fie fönnten
fid^ alle mit bem Pfarrer üon Srottning nid^t meffen:
„nad^ ber ©efc^tc^te fönnen fid^ je^n S;eufel auf's ®rab
fe|en unb locfen feinem (J^riftenmenfc^en ein Streng ah."
(Steffen! bearbeitete ben Stoff bramatifd^ , Sd^eding in
S^er^inen.
9Kit Carotine 5ufammen lernte Sd^elling beim „^eiligen
^ricbrid^" Staiienifd^. @r n^ar ein tüd^ttger Sd^üter; trenn
er einmal für etmaS Sinn ^aht, fagte griebrid^, fei e§ un-
bänbig üiel. UebrigenS n^ar griebrid^ i|m nid^t günftig.
5Die ©iferfuc^t auf Caroline'! offen!unbige Zuneigung unb
S3etüunberung Wax tvo^l nic^t bie geringftc Urfad^e. „2So
Setien. 239
iDtrb ©c^elltng, ber ©ranit, eine ©rainttn finben?" ^aik er
auf ^aroüne'i^ S^ergleid^ geantloortet; lüentgfteng niüffe fie
boc^ üon 5ßaialt fein. S)ann fd^tug er bte Stapel öor, auf
bie er (Stnbrucf gemacht ^abe. 5(ugen)ci^einltc^ U)olIte er ben
gefährlichen ©inbringting fo batb tvk mögttd^ unfd^äblic^
machen.
Sn ber ÖJefeUfd^aft macfite Steffen^ meljr ®Iücf ar§
©c^eHing. ©d^elling war fc^tretg|am; er fonnte nur I)arm-
Io§ luftig fein unb !inbli(^en Unfinn treiben ober fic^ ernft
unb grünblid^ unterhalten, gür ha^ ®eiftretc§e ober gar
Sronifc^e ^atte er fein Drgan — er befa^ feine Urbanität
unb Siberatität, ftiürbe gtiebrid^ gefagt §oben. (Steffen^,
ben bie @e§nfuc§t nad^ ber ^errlic^en neuen Silbung nad^
^eutfd^Ianb gejogen ^atte, njollte 5t(Ie§ fe^en, fennen lernen,
mitmad^en, genießen. (£r luar tnic ein S3eU)o£)ner einer
bumpfen t^abrifftabt, ber einen Serientag benutzen mu§, um
auf ein ganjeB Sttljt SSergtuft einsufaugen. ©eine ©mpfäng-
lic^feit unb 2lnpaffung§fäljigfeit lüaren of)ne ©renjen. ©ein
S3Iut loar fo feurig, ha^ er für geluöljntic^ bie Temperatur
leiteten gieber» l^atte. ^n ftrengfter SBinterfälte ging er
einmal ju gu^ öon ?^reiberg nad) S)re§ben in ©ommer»-
fleibung, o^ne ha^ e§ i^m ju !alt geirorben Jnäre.
(^reiberg mit feinen SBergtüerfen unb feiner 5lfabemie
fpiette eine gen}iffe 9iDlIe im Seben ber 3?omantifer. ®ort
lehrte SSerner, ein SJJann, beffen bamalä epoc^emac^enbe
2;^eorie be§ 9ieptuni§mu§ sttjar längft umgeloorfen ift, ber
aber burd^ feine geu^altige ^erfönlic^feif einen unöerge^Iicfiett
(Sinbrurf auf UKt mad^te, bie i^n fannten. ®en 5ttten bom
Serge nannte man if)n ttJO^t ober ben S3erggeift, ^ol^e
®üte unb befonnene ^tar^eit lüaren bie |)auptsüge feine§
(S^arafterS. Sebe Unffarfjeit :^atte etrt)a§ gerabeju Seun-
ru^igenbeä für it}n. 9Jot)ati§ nannte ifjn einen ®oet^e im
240 SeBen.
33eoBa(^ten. 2l6er tüeti er etlüa§ fo ganj in ftd^ 3Ifige-
fc§Iof[ene§ toar unb ein fo be!§errfc^enbe§ UeBergetütd^t im
(^tlptüä) f)aüe, fonnte man, nne «Steffens ergä^tt, nur ftienn
man fid§ t!§m gang ^higat), au§ feinem Unterricht SSort^ett
gießen. @r gehörte ju ben beutft^en 9J?ufterdjara!teren h)ie
Sutfier, ®ürer, ^e|3ler, gierte, bie griebrid^ aU ^htal auf»'
aufteilen liebte. 2)a§ SöerglüerfSleben übte großen San^tx
auf bie 9iomantifer au§. „SBenn toir bie f entrechte Seiter
^erunterftiegen", erjälitt «Steffens, „menn ba§ Slau be§
|)immel§ burd^ bie Deffnung aHmälig üerfc^tDonb, njenn ba^
gro^e 9iab, burd^ toelc^e» ba§ S^ageSrtiaffer in Semegung
gefegt irurbe, in bem engen getfenraum neben un§ feinen
llmfc^föung machte, ba§ 5tnfd^Iagen ber (Stocfe einen jeben
Umfdöluung bejeid^nete, n^ätjrenb um un§ ^erum uub über
uns bie Stropfen ftiH raufd^enb, unabläffig |ernieber fielen,
fo tüor uns im 5Infang feltfam unb tuunberlic^ ju 9Jiut|."
'älud^ in DioöaliS' SBerten Hingt biefer unterirbifd^-ge|cimni§-
bolle Xon ^äufig an. Sein niunberöoIIeS 9f{oman*e^ragment:
bie Se^rlinge ju ©a'iS ift ein S^ieberfc^Iag ber ?^reiberger
3eit. Steffens, ber eS fic^ gur ?lufgabe gemacht !^atte,
Sc^eding'S 5Ipoftet 5U fein, ^ielt ben Sd^ülern ber 3lfabemie
SJorträge über S^aturp^itofop^ie.
3n greiberg lernte S'JotinliS ^nlk bon ß^arpenticr fennen.
(SS mar um btefe Qtit, aU er fid^ ber (Srbc unb bem Seben
mieberfc^entte, ba^ er mit ben 9tomantifern in ^ma in
häufige perfönlic^e Serü^rung !am. ^ud^ er alfo mar in
ber blüf}enben ^^rü^IingSftimmung, bie bitter ©afein bort
mit einem fo ^offnungSöolIen ©lanj nml^üHte. „©enfen Sie
fid^ nur unfern ^räd^tigen ^reiS", fc^rieb er an Caroline
über ben ^fan, bafe fie 51lle nad^ feiner 5?ermä£)(ung unter
einem SDad^e leben unb eine ^^amilie bilben moHten. „55or
bem ^al)xe ftanben B^^cl nod^ fo tjerloaift t)a. (Siner fd^ien
Scbeit. 241
auf glü^cnbem 33oben ju flehen. @r fa^ fic^ immer um
unb tüer luei§, iüa§ ein ^ellgef(f)ltffene§ ?tugc oft über i§m
bemerft f)a6en Juürbe. ^e^t Ijebt i()n eine freunblid^e ®e=
ftalt, luie eine ^abe öon oben, iuei^enb unb banfbar in hit
^öf)e unb ein irbifdjer, erquicfenber ©d^tof f^at fein 5(uge
für eine anbre Sonne mieber gefd^Ioffen. Stlfo 5urücf in'§
Sanb ber träume unb nun mit OoHer Seele hd @uc|, treff=
Itc^e 5D?itfci^Iäfer." ^orot^ea befi^reibt, tüa^ für ein @r-
eigni^ eö loar, al§ fie i^n ba§ erfte Tlal fe^en foKte.
3lüifc^en itim unb xi)t gab el freiließ nic^t biet ®emein=
fame§: er mag i^r ju ätfierifd^, fie il^m §u finnen^aft ge-
toefen fein. „®r fie^t aber »yie ein (^eifterfe^er au§", fc^rieb
fie ©d^teiermac^er, „unb I)at fein ganj eigenes SSefen für
fid^ attetn, ta^ mu^ man it)m laffen." (Sä erregte (Sifer-
fud^t, ba^ er Sied, ben er je^t erft fennen gelernt fiatte, fo
fic^tlid) beoorjugte. ^n ber ^oefte öerftanben fie einanber
am beften. ®a§ ftörte boc^ bie ©intrai^t ber jungen 9)Mnner
im Jansen nic^t. 5(benb§, ja bi§ tief in bie ^Jtac^t, fd^luärmten
fie über bie .f)ö§en öon ^ena, in enbtofen ®ef|3rä(^en unb
3ufunft§träumen fid^ beraufd^enb.
©{^(eiermad^er ftanb gtoar nur in brief(id^em $ßerfe|r
mit ben j^reunben, oon benen er nur 2öenige perfönlid^
fannte; aber feine Sieben über bie SfJeligion öerfc^afften if)m
"ba^ Bürgerrecht in ber 5Romantifer-9tepubIif. „®a§ ß{)riften-
ttjum ift ^ier ä l'ordi-e du jom-", fc^rieb 2)orot[)ea, „bie Ferren
finb ctioaS toll. Sied treibt bie Üiciigion n^ie ©dritter bal
©d^idfat." 9JoüaIiy unb ^Ritter ^atte er fid^ mit biefem
Sud^e ganj gewonnen. 5)iefe S)rei, ©d^Ieiermad^er, 9Jot)ati$
unb Slitter, betrad^tete SDorotfiea neben fid) unb i^rem griebrid^
aU bie eigentüc^e fiirc^e gegenüber ben Söeltleuten SBil^elm,
ßaroline, Sied unb Slnbern. ^Ritter mar ein tieffinniger,
in fid^ jurüdtrie^enber Sräumer. SBenn man ben bunflen
§uc^, Momantifer. 16
242 Seben.
SC3eg in bie ^''ö^^e fetne§ Qnnern fanb, seigte fie fic^ öetter
unb ergiebig; um fetbft @tma§ aufsufud^en, war er ju ein-
feittg unb 5U mtfetrauifcJi. 2öa§ er nn S3Ubung Befa^, ^atte
er fid^ felbft Ipät erfämpfeu muffen; "üa^ mad^te i^n unfid^er
in ber ©efellfc^aft; bie ©riunerung an eine f)arte Sugenb
ftimmte i^n feinbfeltg. Caroline fa^ er nie; bie greunbe
t)erfi(^erten, er mürbe mit i^r iDcber reben fönnen nod^
mögen. Um fo jutrautic^er mar er gegen ®orDt|ea, bie
üon i^m fagte: „^ä) fann ^Ritter mit 9^icf)t§ öergleic^en,
oI§ mit einer eleftrifd^en geitermafc^ine, an ber man nur
bie ftille ^ünftlicfifeit bemunbert unb eben 9iic^t§ gleich
ma|rnimmt al§ ha§ Hart Straffer. SBer fie aber öerftef)t,
bringt auf ben leifeften ®rud eine fc^öne flamme l§eröor.
Uebrigen§ ift er auc^, mie ber erfte 33rief ber Sucinbe,
(Schelmerei unb 5lnbad^t unb (Sffen unb @ebet, 2lIIe§ burd^
einonber."
(Sine Zeitlang mürbe bie ^agb auf gröfdje allgemein,
ba er grofc^fc^enfel aU eiettroflop benu|te, moran m^^
Iebl)aften Slnt^eil na^m. Sie 9?aturmiffenfc^aften moren
bamal§, at§ fo öiele mid^tige (gntbedfungen einen 3tu§bli(f
in eine gan^ neue 5lnfd^auung§me{fe eröffneten, \)a§> ©tecfen-
pferb faft aller ©ebilbeten. ®ilettantifc^ genug mag biefe§
Sntereffe gemefen fein, hod) bemeift e§ bie geiftige 9f{egfam-
!eit. ©teffen§ baute fid) einmal, ba er gerabe eine gro^c
©elbfenbung öon gu |)aufe befommen l^atte, eine S3Dlta'fd^e
©ante au§ S^alern unb §atte feia ^tmmer faft ben gangen
Sag öoH oon Sefuc^ern, bie fic§ öon i^m (Si-perimente geigen
liefen; and^ gatilreid^e Samen maren barunter, ©eiir ernftlid^
befrfiäftigte fic^ Henriette .^er^, burc^ if)ren Wann angeregt,
mit ^f)^fif. Sänge 9fad^mittage brachte fie mit ©c^Ieier-
madEier Ui ;3£)t)fifatifdf)en (Sj;perimenten gu; bem nad^maligen
Ä^önig griebric^ SBil^elm IV., ben fein ©rgie^er aU etma
Scticn 243
fünfjäljrigen S^naben 511 biefcm 3'ufi^f ä" t^^ führte, mad^te
fie (Si-penmentc mit ^^o§p^or öor.
®te ©enialttät don 9tttter'§ imlurtuiffenf^aftlirfien Set*
[tungen tuitrbe in ber golge^eit unterfc^ä|t; niemals nju^ste
er feine (Sntbedungen jnr ©ettnng 311 bringen. ®a§ ^rtnjip
ber SSoIta'fc^en ©äule 5. 93. ^atte er jtüet ^aEjre öor SSoIta
entbedt. ®a§ feine 5a(jlrei(^en unb bebentenben SSerbienfte
um bie (Snttuidelung ber $f)Qfif fo öerftecft blieben, fdireiben
tit neueren SSertretcr biefer SBiffeufc^aft bem Umftanbe ju,
'Da^ er feine 93eobad^tungen gnnj in p^iIofopI)ifd^-ml)ftifd^e
Segrünbungen geljüllt oortrug. 3Senn nun reine ©mpiri!
immer leidster fa^Iic^ ift für bie meiften äJienfc^en, fo er=
fd^Uieren bie ^been öoHeubS bie allgemeine 5lnnat)me neuer
(Sntbecfungen, UJenn fie au§ einem trüben, öeriüorrenen ^opfe
fonimcn. Unb 9ftitter'§ Ofetgung jur 9Kl)fiif fc^eint aud^ in
einer geiüiffen Unftartjeit feinel S)enfen§ begrünbet gelüefen
ju fein. 5)en 9iomantifern unb Söealtften öon bamal§
machte gerabe bie ^Ijilofop^te feine SBiffenfc^aft erft rec^t
iuert§. „9iitter ift 9?itter unb ftiir finb feine knappen",
fagte 9bnati§. $öon Slnbern tuirb biefer Stugfprud^ ©oetl^e
jugefdjrieben.
®oet()'e! Sa, er roav bie |)ouptperfon, obnioljl er nur
in ber gerne, im ^intergrunbe tt)ie ein geiualtigeS 93erg{}aupt
tfjronte. 2tuc^ er l^atte ettoaS 9iiefenf)aftey unb Sm|3onirenbe§
unter biefer ftetpiütigen ^ugenb, n)ie gii^te. 3lber um i^n
tankten fie l^erum wie bie erften jünger ber 3fteöoIution um
bie grei^eitäbäume ober mie ^inber um bie 2öei()nad^tltanne.
9?utjeüoII ftanb er in ber SO^itte unb lie^ fid^ mit ©olb unb
glitter behängen, o^ne ein anbre§ Seben§seic£)en gu geben,
al§ etlpa ein getinbe§ 9Zirfen ober ein njol^tmollenbe^, ^umo=
riftifd^e§ 2ä(^etn. 51ber fremb mar er i^nen nid^t; fie lüu|ten,
luie ber fc^öne 33aum im SSatbe raufd^en fonnte, unb tv\e
16*
244 yeben.
ba bie freie Suft unb ha§: 2«albe§get[)ter burd^ feine ftarfen,
immer grünen B^ueige ftreifte. S5?al für ein ©reigni^ wax
e§, aU an einem ^erbfttage, ba bie ©d^tegel, Sorot^ea unb
Caroline nebft ©c^eUing unb ^arbenberg im ^arabiefe bei
Sena fpajieren gingen, (äoetlje felbft, „bie alte göttlid^e (Sg-
celenj", com Gebirge |erabgelüanbett !am. (Sr begrüßte bie
©efeUfc^aft f)öflic^ft unb machte, tting 2)orDt^ea fic| glücffelig
notirte, „an ?^riebrid^ ein augjeid^nenbeS (Sefidjt". ^m
(iJefü^I, ha'^, »Denn er fic^ ie|t langweile, 2ltle§ gefehlt fei,
fa^te fie, bie SBortreid^e, fid^ ein ^erj unb fing ein (S^efprädö
über bie rei^enben (Ströme in ber Baait an, tüorauf er
freunblid^ft einging unb fie angenef)m unterrid^tete. SDian
mufete, ha'!^ bie 9fJaturlt)iffenfd)aft feine 2ieb[)aberet tüar.
2)ie ^orputenj feiner (grfc^einung enttäufd)te ©orot^ea ein
ttjenig; er fteUte, fanb fie, nic^t Staffo ober SBert^er, fonbern
^ermann unb 9JJetfter bar.
2Bie in '3iom ben ^a|3ft, mu^te man in Zs^na bor allen
SDingen ©oet^e gefe|en Ijaben. 9J?it (eibenfd^aftlid^er Un=
gebulb Ijatte Steffens nac^ feinem 5lnbticf öerlangt. ©§ fügte
fid^, aU er i|m nun ba§ erfte 9JiaI in ®efellf(^aft beim
ißud^^änbler grommann begegnete, ba^ ©oet^e, mit 'Jtnbern
befc^äftigt, i§n nic^t beac£)tete. Steffen^ gab ftc^ SJJül^e,
biefen furchtbaren 5)iieberfd^Iag feiner glü^enben Hoffnungen
ju öerioinben; aber obgleid^ er fid^ ®oet^c'§ SSort öorfjielt:
luenn ic^ bi(^ liebe, loa§ ge^t'§ bid) an, unb auc^ fortfuhr
t^n 5U lieben, rtar e§ boc^, loie toenn i^m (£ttüa§ entgtüei
gegangen märe. 2tt§ ©c^tegers i^m gu ^ülfe famen uub
i|n SU einer ©efeHfc^aft einluben, too ©oet^e erfd^einen
füHte, leljnte er tro^ig ah. 5ßalb barauf aber tuurbe üom
5tnatom Sober eine S^eaterauffüljrung 5ur geier üon ®oet§e'§
Geburtstag oeranftattete, loo ©tcffenS mitfpielte. ®oet:^e
leitete fetbft bie ©eneratprobe, Unirbe auf Steffen» aufmerffam
Gebell. 245
unb rebete t^n fremiblid; an. ^m &t\piäd} ergaben fic^
balb ?tnfnüofung»pun!te, ©oet^e naijm ben Sefeligten mit
fic^ unb betitelt t^n eine Bod^e in 23eimar. ©oet^e liebte
ben Umgang mit 3iaturfunbtgen befonbcrg. ^on i^nen
fonnte er lernen, unb er tnar hi^ in fein ^ol^eS 5Uter ütel
511 jung, 5U naiö unb ^u luenig eitel, um 2)iejenigen üDr=
jujietjen, bie nur bon i^m lernen fonnten. SDer arme !(eine
©rie», für ben ©oct^e eine (Söttercrf(^einung luar, beren
leifefler freunblid^er 2Sinf fein einfames ©tübc^en mit^immeB-
glanj erfüttte, mu^te fic^ mit heu furjen gütigen ^Kaufbriefen,
bie aU 2Intiüort auf feine Ueberfe^ungen eintiefen, begnügen,
njä^renb ©c^eHtng ein ermünfd)ter unb oft gelabener ©aft
in SBeinmr irar. «Sc^elling lüar ®oet§e'§ Siebling unter
ben 9^omantifern. ©r allein l^atte nic^t biefe neroöfe, fein=
fü^Iige Steijbarfcit, bie @oet:^e fremb n^ar, auä) ni^t bie
etioa» beäugftigenbe S3eref)rung, bie man nur für «trt)a^ ber
eigenen 9^atur ganj (Sntgegcngefet^te§ empfinbet. ©rfielling
liebte unb öere^rte ®oet^e, aber etiua tuie einen SSater, ju»
Irautid^ unb fröblic^, unb fieser in bem ©efü^I, auc^ (Stiua§
ju fein unb auc^ feine (Sroberungen ju machen. ?^ür feine
92aturp^iIofop^ie ^atte er ©oet^e fc^nell geiiionnen. @ie
I)atte eigentlich immer in itjm gelegen. S)a§ ftjar „geprägte
gorm, t)it lebenb fic^ entiuicfelt". ©a§ luar i§m gemäßer
qI§ gi(^te'§ tobte 2tbftroftion. Slber Sc^eIIing'§ terfeg ^umo-
riftifc^=naturp|iIofopt)if(j^e§ ©ebid^t: @pi!uriic| ®Iauben§-
befenntnife |)ein5 2Biberporften§ berbannte er boc^ au§ bem
^tt^enäum. Ueber^aupt, obmof)! er fic^ aufrieben erinnerte,
bafe er ficf) nun aud) frfion eine ftattlicfie 9\ei^e bon Qa^ren
in ber Dppofition befinbe, roar i^m boc^ bie unermüblic^e
5tngriff§Iuft feinet |)eere» bon |)ei^fpornen juiüeiten einmal
ungemütt)lic§.
5ür fie ttjar ber Sampf bie t)errlid^fte Söürje be§ Sebenl.
246 Seben.
2)te alte 3eit ^^tte auä) i^re 2?ertreter in S^na — atier
btc S^Dinauttfer fampften mit bem @efü|I, bo§ ifjuen bte
^ufunft gel)örte. 2)a§ gab t^nen bie Srafi, ben Uebermut^
unb bie (Sroßlerjigfeit gefeiter Sieger.. Slleinlic§ lüoren fie
nicfit. ZxD^ ade» ^erjöitlid^en, ha^ nie ganj fe^It, tt)ar e§
i^nen bo(^ öorjüglic^ um bie ©ac^e §u tf)un. 2)ie eigent-
licEie ©treitmac^t beftanb jtoar nur ou§ 2BtU)eIm, grtebrid^
unb ©(fietling. ©(^eHing ftür^te [idj mit jungenhafter
SBonne in ha^ ©etümmel; man fielet i^n förmtid^ 3lermet
unb SJiand^etten gurüdftreifen. SBiltjetm ^ielt guiueiten für
nöt^ig, i§n auf feinfte SBeife jur Urbanität ju ermahnen.
%nä) ©d^Ieterma(^er, tütnn i^m einmal ein Soften angeiuiefen
tvax, fonnte feine ©egner öernicfiten, mit fpi|en, fd^arfen,
unentrinnbaren SSaffen. S^on 9?oöaIi§ abgefeljcn, ber fic^
gar nicf)t betfieiligte — benn über biefen ^leinfrieg bid^t
tjor \i)m fa^en feine lüeitfic^ttgen 5tugen U)eg — lüar 2iecf
ber ©äumigfte. ©atirifd^ mar er \ool]i; aber er loar ^
fc^r ®i(i)ter, um nid^t 2l(Ie!§, nud^ ha^ ©eringfte, maS er
^erüorbrac^te, poetifd) einfleibeu ju muffen. 2)a milberte
fid^ benn lüö^renb be§ er^eiternben ©d^affen§ bie (Sntrüftung
unb feine jjeinbe, bie er ^ätte beMmpfen folten, würben t^m
unter ber §anb ju puppen,, mit benen er fpielte. SBitt)eIm,
ber ftet§ bie ^anh am ©cfiipertgriff ()atte, fonnte bitterböfe
barüber werben, roä^renb fein beftäubigeS treiben luieberum
%kd rebeHifc^ mad^te. ©inmal trat aber auc^ Siecf enevgifd^
oorfömpfenb auf, aU in Serlin ein ©tüd 5ur 5luffüt)rung
fam, in bem bie 9?omantifer läd^erüc^ gemad)t werben feilten.
®cr SSerfaffer ber ^omöbie ^ie^ S3ecf, ta^, ©tue! felbft: ha§
Sfiamäfeon. 2Ba§ Xkd am SJieiften reifte, war, hd'^ Sff^an^
barin bie StoHe be§ fc^Iid;ten, aber reblic^en 33iebermanne§
übernommen !^atte, ber bie ß^arnfterlofigfeit ber feid^ten
©d)öngeifter, bie burc^ ©cnieuäcn au§ ben SCvrfen ber
Seben. 247
9?ouianttfer tenntüd^ gemacht luarcn, in befto fettere?
£ic|t fe|te.
®a Sff^ö"^ ^*c ©ejic^ung unb hm ^^üed bc§ ©türfe§
fcnncn mu^te, glaubte Zkd t^n al§ mitfc^ulbtg an bie[er
öffenlttd^eii, übrigen^ fe^r get[t(ofen SSerfpottung an[et)en ju
mü[fen. 5luf Stccf'g 31nflage i^in enlfc^to^ fic^ bie 23erliner
^oltjei, bic SBieberauffü^rung be§ Stücfe» ju öerbteten.
^ie Siomantifer Ratten haS^ ©lücf, ba^ bie SOiacfitüerfe
i|rer ©c^ner fid^ burc^ ermübenbe ©eijllofigteit auS^eictineten.
2)er SBt^ beftanb faft immer barin, ta^ in ber betreffenben
^offe ober Grjätjlung einige ru!^mrebige 8cötüä^er üou offen»
barer Diic^tigfeit auftraten, benen jufammen^angSfog I)erau»-
gegriffene unb ba^er finnlog erfd^einenbe ©teilen au» bem
Stt^enäum ober anbern öielgelcfenen Schriften ber S^omantifer
in ben Tlunh gelegt tnaren. jDer '5Uiffüf)rung Oon ^'oljebue*!§
|)l5perboräifcl^em (Sfel in Seipjig, momit befonberS bie Vorüber
©djiegel üerfpottet luerben foUten, lüo^nte griebrid; felbft bei.
S)er iRame beruht auf ber ©age, bn^ bie .^tiperboräer bem
5(pono einen (gfel ju opfern gepflegt l^ätten, an beffen tollen
©prüngen fic^ ber (Sott geiueibet fjabe. @y luor eine ber
lieben^luürbigen (Sigenfd^aften 5riebrirf)'§, ha^ er über einen
guten 2Bi^ oui^ bann oon ^ergen ladete, luenn er auf feine
eigenen Sloften gemacht luar. |)ier luar aber, tvk fic^ Carotine
auSbrücfte, „platterbiug» fein 2Bi^ a(§ ben ©d^Iegers it)r
eigener." 2)er SSeifatI ber einficfjtigen ^ufdjauer galt benn
auc^ burc^aug i[}m, ber rubig unb 'Reiter, burc^aug toürbig,
au§ feiner Soge bem ©peftafel ^ufa^.
2t(Ie§, ioa§ hit Siomantifer gegen ^o|ebue auf bem ^erjen
Ratten, fa^te SSilljelm jufammen in ber f (einen Slomöbie:
6f)renpforte unb 2:riumpIjbogen für ben Sljeaterpräfibenten
öon ß'o^ebue bei feiner geljofften 'äMUiji in'l ^aterlanb.
2;ie ©cenen, too bie üerfdjiebei;en ^I;eatergeid)üpfe ^o|e=
248 Seben.
bue'g lid) üerfammeln, um au^jujieljen unb tliren 9Jlet)"ter au§
ber nifi'ifc^en SSerbannung gu befreien, finb nod^ je^t, ino
ba§ 5elbgefd;rei üerflungeri unb ber Streit längft entfdjteben
t[t, überaus er|eiternb ju lefen. ®er leichte 93au ber gangen
trüntjdjen ^omöbie bleibt immer §u beluunbern. Un§ [tört
im S3erlaufe bte ^ä^tid^e Sü[tern!^eit, bie Söil^etm t)ier ötel-
leidet jur K^arafteriftif feinet .fielben für angemeffen Ijielt;
tk übrigens bamalS S^iiemanbem anftö^ig geioejen gu fein
fd^eint. SDaS ©atjüden, ba^ biefer „^i^ufc^ unb Srpmpeten=
fto§ be§ 2Bi|e§" erregte, lä^t fic^ !aum noc^ begreifen.
S)te ^inber in ben be!annten (Familien fangen «Stellen au§
ben eingelegten Stebern, griebrid^ gingen neue Sid^ter über
ha^ Suftfpiet auf, ®oet§e luar fo beluftigt unb gufrieben,
baB ©c^eHing behauptete, SdjiHer'S gange poetifc^e Saufba^n
'i)abe i|m ntc^t fo oiel HJJitfreube abgelodt. ^ ^a, nid^t o^ne
©enugti)uung erfutjren bie Sfiomantifer, iia^ felbft ©dritter
fid^ beifällig über bie (Sf)renpforte geöu§ert ^abe. Caroline
I)ätte alle Urfai^e gel^abt, öon ^o^ebue luie früher öon $D?erfeI
§u fagen, er fei „ein geliefertes Ungeheuer".
Sc^mergtiaft tnaren fold^e Eingriffe, bie üon greunben
ausgingen, auf bie man glaubte red^nen gu bürfen. §uber,
mit bem Caroline feit ben 2)?ainger Stagen bcfreunbet mar
— jet^t Juar er mit X^erefen öer£)eirat§et — ^atte unter bem
fentimentalen SSorlranbe, ben greifen SBielanb tjertf^eibigen
gu muffen, einen mit freuubfc^aftlid^ fc^onenber Salbung
gefd^riebenen, aber beSiüegen nur umfome|r als Ijämifd^ em-
pfunbenen SIrtitel gegen SBittjelm üeröffcntlid^t. Caroline,
tit bamalS fdjon nt(^t me£)r mit Siebe, aber befto aufrid^tiger
mit famerabfd^aftlic^er ^reue i^rem SJianne gur Seite ftanb,
fd^rieb barüber einen langen 93rief an §uber, ben man nic^t
o^ne 2Bo^IgefalIen an i[)r luie an SBil^etm lefen fann. So
et^rlid^, gerabe, fraflt)on, ftolg unb bodj billig ift bie Sprad^e,
2cba\. 249
bte fte füf)rt, ja Bei aller .s3erbf)eit ntd^t oi)ne bie SSärnie,
bte SIHeS, \va^ oon i^r ausging, umftrümte. „^dj fenne
©d^Icgel", fd^rteb fie in biefein ©riefe, „id) bin tvit Oon
meinem Seben baoon überjeugt, ha'^ ind)t ber ©(Ratten einel
perföntic^eu ;icharaement in i^m ift. .S^")at er \id) benn ni(^t
ade biefe getnbe erft gemad^t? ®ie ^(attl^eit, bie S^nffität,
bie Unpoefie ift iljm in ben 3;ob jmoiber. SSerfofgt man
bte Sac^e, fo ge^t'g bann aud^ gegen bie ^erfon. S[t nid)t
SSieranb'§ ^oefie 2Bietanb'§ ^^erfon? mn ^^rioatleben eine§
fotc^en DZenl'c^en mlrb fi(^ (Sc^tegcl nie oergreifen — er felbft
h)irb \id) berglei(f)en loa^rfd^einlic^ gefallen laffen muffen.
^d) fenne ÜZiemanb, ber ba§ ruljiger jn ertragen im ©tanbe
tväu. ©ein ganser ©eift ift Oorioärt§ geridjtet, ber äüiber*
ftanb fann i^n nur me|r beflügeln."
S)en grauen, ®oxotfjea wk Caroline, fam e§ juweilen
ptö^Iid^ in ben ©inn, t^a^ bie§ gänjtid^e Slufgetjen i|rer
männlichen ^^reunbe in öfl^etifcfjen ober fage man »uiffen*
fc|aftlid^en Sntereffen etlnaS (5infeitige§ unb UngefunbeS
i)abe. „'^ijx reoolutionären 9}?enfcf;en", fcf;rieb S)orot^ea
einmal an ©d^Ieiermac^er, „müßtet erft mit ®ut unb SBIut
fed^ten, bann !önntet i^r um augjuru^en fcEjreiben Juie &'ö^
Oon 33erlic^ingen feine Seben§gef(^id^te." Unb Carotine,
nac^bem fie gemol^nt)eitSgemä§ ber deinen Slugufte bie lile*
rarifd^en Sage§nenigfeiten berichtet Eiatte, fu^r fort: „S)odö
blcfe ^änbcl gelten hid) md)t§ an, bie 3tuffen unb 93uo-
naparte aber oiel." (Sine fo lebhafte -t^eitna^me an ben
potitifd^en ©reigniffen toar fdjon feiten; eine anbre aU rein
foSmopoIitifc^e ^tnfid^t burfte man OoIIenbS üon S^iiemanbem
ertoarten. gotgenberma^en fc^rieb ber junge SSadenrober,
ein S3erliner, an feinen f^reunb 'Umt: „SSa§ hjitC man benn
in unfern Reiten mit biefer SSatertanb§Iiebe. ®oc^ fdieint
je^t eine geunffe SJiobe barin 5U t)errfd)en. ©emeine @d)ul=
250 Seben.
Iet)rer fd^einen tütrfüd^ 31t glauben, ia'iß [ie luer iüet§ tüic
grüße gortfi^rttle in ber ^äbagogtf gemacht (jaben, ttjenn
jie i()ren ac|tjä()rigen Knaben je^t bie 33ranbenburger ®e^
jd^tc^te aU ©efc^ic^te bei SSoterlanbeg rec^t Jüeitläufig er»
gä^Ien. Gin S3ürger ober fonft einer, ber nic^t @elej)rter
nperben tt)ill, braucfit hcd) tua^irlid^ in unfern Stikn im
(Srunbe bie öaterlänbif(^e ®ef(f)tdjle fo lüenig a(§ eine
anbre, unb e§ luürbe nacEi meiner SJJeinnng aljo 5tDecf=
mäßiger fein, menn man irgenb eine intereffante ®e=
fc^t(^te, oi^ne 3tücf|ic^t ob biefe» ober jene» alten ober neuen
SSoWe», in unteren ©deuten Dortrüge."
Sine Ieibenfd)aftlic^e Qkhe für beutfdjeS SBefen tvax aber
burc^ biefen SJJangel an bem, rva§ man unter ^otriotiÄmug
üerfte^t, nidf)t auSgefd^Ioffen. Tlan treifi jo, ba^ hk 2öiffen=>
fc^aft ber ©ermaniftif au§ ber $Romantif I)erau§ entftanben ift.
9Iber eben im germanifc^en Söefen fanb man einen eng^erjigen
5lbfd)lu^ gegen anbre SSöIfer nic^t begrünbet. ^Der (Sinsclne
— fo tDCLX e§ üon jelier geioefen — liebte feine Unab^öngigfeit,
aber foiuoljl bem eigenen )üie fremben Staaten gegenüber.
„SDentf deficit ift ^oSmopoIitiemu» mit ber fiöftigften ^ubioi»
bualität gemifdjt", lautet ein 5tu§fprud^ Don ^codoU».
2tl§ ba§ ©d^iuerterfürren fo naöe an ^eno J)eranrürfte,
ha^ eg nidjt me^r ju überhören gen^efen luäre, i^atte fic^
bie ^iri^e fd)on aufgelöft unb jerftreut. DJtürbe «Stellen
loaren Don Stnfang an tu bem S.inbe geluefen, ta^ il^re
©lieber üerfnüpfte; aber i^rer ^atte man nidjt gead^tet, ba
e§ im ©anjen feft genug fd^ien. Se^r fdjunertg luar ha§
58erEjäItni^ jiüifdien Caroline unb jDorotljea. ^orot^ea luar
ber Don iljrem 3}Janne fo überaus :§D(^gefdjä^ten ©d^iimgertn
mit glü^enber 33elyunberung — lüenn auc^ nidit o!^ne !^cim*
lic^e (Siferfuc^t — entgegengetommen. ^k nmjiDoIle 9Ru^e,
mit ber Caroline itjrem 5ieiinbf(^aft5ÜberfaII begegnete, er-
Seben. 251
jd&ien iJ)r fa(t unb |erä(o§. Selbe aber waren ju fdig, um
bem Snfiitt^t gur 5tbnetgung of)ne 2öeitere§ 9taum ju geben.
S)orot{)ca bemunberte bie S"9enblic^feit, bte [id^ Caroline,
mit i[}r gleichaltrig, beiua^rt i)atte, if)re ^äu^Iic^en Sugenben,
bie ©eiuanbt^eit, mit ber fic geräufc^Io§ ben großen |)au§t)alt
füEirte, i^rc ©erecfjtigfeit — bie für ©orot^ea freiti(^ ettua§
ju marmorn mar. 'än\ Caroline tüirften jn^ar 2)orotIjea'l
fo gar brennenbe 5(ugen unb iC)r aUjuftarteS, nmnnlic^e§
Untergefic^t ab[to^enb, aber fie erfreute fic^ an i^rer fd^önen
Stimme, mit ber fie fo gern unb ^erjlic^ lat^te, unb betonte
gern öor fic^ unb anbern, luaS für eine öortreffücfie ^rau
^orot^ea fei. (Sbenfo oergeblic^ bemühte fic^ ilaroüne i^re
2(ntipat[}ie gegen Sierf'l 5lmalie, eine ©t^iuägerin be§ Soni'
poniften Steid^arbt, 5U überminben. „^ä^^iid) ift fie nid^t",
f(^rieb fie na(^ ber erften ©efanntfc^aft. „.spotte fie Slnmutfi
unb Seben unb ettüa» metjr am Seibe ol» einen Sacf, fo
tonnte fie für pbfcb gelten." 3lber jule^t entfdito^ fie fic^
bod^ furjiueg, fie für eine falfc^e ßa^e ju erflären. ^ie
leifen ©dimanfungen üon 3"= ii"b ^Ibneigung unter ben
9)Zännern l^abe id) fd^on ntväf^nt SSer^ängniBöoH lüurbe
ba§ mt§ erft burd^ Sc^eüing'g unb S^aroüne'g Siebe. ^Itte,
bie ßtluaS gegen ha§> (5ine oon ißeiöen auf bem ^erjen
l^atten, glaubten e§ nun nic^t me^r unterbrücfen ju muffen.
Qnbem Carotine fic^ oon SBil^etm löftr, oerlor fie alle bie
Dtücffic^t, bie man um feinetlüillen für fie gehabt l^atte.
Unb ha um SBil^elm unb Caroline ^erum ber ßrei§ fid^
gebilbet !^atte, ging er üon felbft au» einanber, aU fie fic^
trennten unb bal gaftUc^e §auä leer ftonb, tuo er fic^ Der=
I^nielt ^atte.
^^ SuQkid) mit bem ^a^runbert ging bie romantifc^e 3eit
in S^na jnr 9ieige. ©» gab bamal^ aud^ fold^e, bie bay
neue ^a^r^unbert fc^on mit bem ^a^re 180O beginnen
252 Scben.
iüoHten; man nannte fie D^uttifien. 2I6er fie unterlagen.
SSon großen geftcn njollte ber |)er5og bon SBeimar lüegen
be§ @rnfte§ ber Reiten nichts miffen. (Sr öeronftaltete eine
SOkSferabe, wo \iä) aud^ Steffens unb ©c^eHing befanben.
9^acl^ 9Jiitternac|t gogen \\d) ©oet^e unb ©djtHer mit "i^m
beiben jüngeren Seuten in ein ^Jiebenfabinet gurücf. @§ luurbe
ß^ampagner getrunfen. „®o fiel mir", er5ä^It Steffen^,
„ber id) mit meiner norbifc^en SSirtuofität nüd^terner blieb,
o(§ bie otten |)erren, bie SSeronberung auf, bie mit ^tvn fo
bebeutenben ^erföntic^feiten öorging. @5oet^e mar unbefangen
luftig, ja übermütfiig, mäJirenb ©exilier immer ernftljafter
tuarb unb fid^ in breiten, boctrinären, äft|etifd§en ©jplifa-
tionen erging; fie Ratten bie größte Sle^nlid^feit mit feiner
befannten Slritif über ^lopftod, unb er lie^ fid^ nic^t ftören,
ttjenn ©oet^e i^n burd^ irgenb einen geiftreid^en Einfall in
feinem SSortrage ju üeumirren fud^te. ©d^elling 6ef)ielt fort«
bauernb feine ruhige Gattung."
5sn einem jierlid^en bramatifd^en ©d^erj l^atte 2Bit§eIm
bie Söenbe be§ ^a^r^unbert» gefeiert. 5luc§ ^ier erüang in
jeber ^eife bie |o:^e juberfic^tlid^c Hoffnung, bie bie Sus^nb
in bie neue ^eit fe^te. S)a§ neue Sß^^^unbert, ein ^inb
in ber SBiege, lüitt bie ^ä^Iid^e bürre 5Ute, tk x^m ©d^Iaf-
lieber fingt, nid^t aU feine 2}iutter anerfennen, ja ertüürgen
will ba§ l^erfutifc^e ®ing bie böfe Unl^otbin. 2)ie, um fic^
äu retten, ruft ben S:eufel an, ber auc^ erfd^eint, aber anftatt
ber jungen, ber eilten ben ^aU umbre^t. ©a§ götterfdjnelt
:^eranmad^fenbe Sinb tüünfd^t feine lualjren (Sltern ju fenuen;
auf feine Sitte erfc^einen fie unb begrüben ba§ entjücfte:
e§ finb ber ®entu§ unb bie grei^eit.
t)iomautif(f)c ßicfie»
®ie Sle6e ift bcr Sitbäiuccf bcr aöelt=
flefct)ic§te — ba« Slmeit be§ Uni»crium§.
5«otialt§.
„5SBa§ ift benn nun bte[e» Sentimentale?" fragt griebrid^
©d^Iegel, nad^bem er ben @a^ aufgeftellt £)at, ba§ ein roman-
tifd^e§ S3uci^ ein joIc^e§ fei, ba§ einen fentimentalen ©toff
in pl}antaftifd^er gorm be^anbele; unb antlüortet: „2)a§ inaS
iin§ anfpric^t, n)o ba§ ®efül)I fierrfc^t, unb 5iiiar nit^t ein
finnlic^eg, fonbern ba§ geiftige. !J)ie OueHe unb ©eete aller
biefer Biegungen ift bie Siebe, unb ber ©eift ber Siebe mu|
in ber romantifd^en ^oefie überall unfid^tbar fic^tbar fcE)iiieben;
ba§ foll jene Definition fagen. ®ie golanten ^affionen,
benen man in ber Sichtung ber 2}iDbernen, Ujie ©iberot
im gataliften fo luftig !fagt, öon bem Epigramm bi§ gur
S;ragöbie nirgenb§ entgegen fann, finb babei gerabe ta^
loenigfte, ober üielme^r fie finb nid^t einmal ber äußere
93uct)ftabe jenes ®eifte§, nad^ (5ielegen^eit auc^ n)o|I gar
nid^t§ ober ettüa§ fe^r Unliebtid^eS unb Sieb(ofe§. 9iein,
e§ ift ber ^eilige ^aud^, ber un§ in ben J^önen ber SJJufif
berü{)rt. @r lä^t fic^ nid^t getoattfam faffen unb mec^anifd^
greifen, aber er lä^t fid^ freunblid^ locfen t>on fterbtic^er
@d^ön|eit unb in fie öerl^üKen, unb aud^ bie ^aubertoorte
ber ^oefie fönnen öon feiner ^raft burd^brungen unb be*
feelt n)erben. 3lber in bem ©ebic^t, Wo er nid^t überall ift
ober überall fein fonnte, ift er getüifi gar nic^t. @r ift ein
254 Diomantifc[)e 5.'ieI3e.
unenbltc^e§ SBefen unb mit ntd^ten haftet unb Hebt fein
Sntereffe nur an ben ^erfonen, ben ^Begebenheiten unb «Si-
tuationen unb ben inbiütbuellen S'Jeiguugen: für ben toa^xtn
S)i(^ter tft 5tD[e§ biefe», fo innig c§ aud^ feine (Seele um=
fc^üe^en mag, nur ^inbeutung auf t>a^ §öj)ere, Unenblid^e,
^ierogttjp^e ber (Sinen elütgen Siebe unb ber ^eiligen 2eben§-
füHe ber bilbenben S^latur."
So tüäre Siebe unb 9tomantif, nac^ ber 3l|eorie i^rer
S3egrünber ein unb ba§felbe. S)a§ Sid^IoSrei^en unb 9Iu§s
einanbernjeic^en be§ ^BelouBten unb Unbertiu^ten im SKen-
fd}en, iDomit |)anb in ^anb gel^t feine (Sntfernung öon ber
S'iatur, bebingt @e!^nfuc^t nad) SBieberüereinigung unb SSer-
fö^nung be§ Getrennten, fo ba§ man fagen fann, je größer
bie ^erriffen^eit unb je fc^neibenber ber 9J?angeI, befto größer
bie Siebe; ma§ ouc§ Sf^cöaliä' 2Bort oerftänblid^ mad^t, ha^
Siebe burc§au§ S^rnnl^eit fei. 5IIIerbing» ift ber ßljarafter
biefer Siebe me!^r SDrarig nad^ 33ereinigung aU ^xa\t ju
ii^r, olfo me^r Se^nfucfit aU Siebe; biefe§ Slinb oon lieber-
flu^ unb 3J?angeI, tüie ^ato bie Siebe befinirt, ^ot mefjr
öon bem negatioen al§ Oon bem pofitiöen ©lement empfangen.
®a§ ber ®efdjled^tltrieb nid^t an fid^ ^Beiuafjrer ber unfterb«
lid^en Siebe§feele fei, bie allein bie romantifc^e ift, mürbe
oon griebrtd^ @d)legel erJüä^nt; nicEit oon bem blinben
tänbeinben S^inbe ift ^ier bie 9?ebe, beffen Unarten hie gött-
liche 9}?utter äutreilen mit ber Ütut^e beftrafen mu§, fonbern
oon (5ro§, bem älteften unb fc^önften ber (Sötter, tüie bie
gried^ifdje 9Jit)t^Dlogie i^n nennt, ber au§ bem gä^renben
(5^aD§ entftanb unb hie auSeinanber flietjenben Si)eile be§
5Iܧ feftljielt unb an (Sine ÜJiitte banb. 3Benn mon tro^=
bem in ber ®efd)Ied^t§Iiebe, mie fie im Seben unb in ber
^unft erfc^eint, iljr 53tlb ju f äffen fud^t, obluoljt fie hpeber
bie einzige, nod^ bie rcinfte 5trt ber Siebe ift, fo ift c§, weit
^luimantijcl)e l'icbe. 255
fie fic^ an biefem Srennpunft hod) am feurigften entjünbet,
tücil bie Siebe 5tutfc^en Tlaim unb grau ba§ ganjefie,
parfenbfte ©tjmbol ift für bie 51lle» übermtnbenbe Diiefen»
leibenfd^aft be» (Sin§tt)erben§; unb gerabe i^re SJiiyc^ung
au§ ©innüd^feit unb ©eift, bo^ fie bie irbifc^e unb bie
götttid^e 9?atur im SJJenfd^en gleic^oiel angebt, t^te anbro=
gt)ne 9Jatur, mad^t fie jum ergiebigften 3(u§gang§|3un!t für
®arftellung unb Selrad^tiing. ®a^ Seffing fid^ be^iuegen
öüu ®oett}e'§ SBertf)er abgeftofjen füi^Ite, ireil ber (5Jefc£)Ied)t§»
liebe barin eine bem antifen Seben frembe SBtd^tigfeit bei-
gemeffen ift, beiueift feine unromantifc^e 9?atur, betüeift aber
nichts gegen bie Sid^tung; öielmci)r mad^t gerabe bie mafe^
lofe SSergötterung ber Siebe SDert^er gu einer unüergäng«
Itd^en Grfd^einung in ber mobernen SBett. SIuc^ ^at man
immer empfunben, ha^ in ber 53e§anb(ung ber Siebe ber
^auptfäd^Iid^e Unterfc^ieb 5tüifd;en antifer unb moberner
Sunft gu fuc^en fei.
SJtan fönnte jtuar Dbt)ffeu§ unb ^enelope jum Seiueife
onfüljren, ha^ auc^ ba§ antife Seben eine j^ö^ere, geiftige
Siebe in unferm Sinne fannte; aber tücr empfänbe aud^
ntd^t ben romantifd^en ÜQaud) in ber Dbt)ffee, ber fie un§
fo öiet öerftänblid^er mad)t aU bie ^üa^l Unb bann: e§
l^anbelt fid^ ha bod^ meniger um emige üielt al§ um jene
e^elid^e Streue, bie ein Seftanbt^eil ber ftaatlic^en 2Bo£)Ifa^rt,
eine S3ürgerpflidf)t ift unb eigentlid^ nur bie grau angebt.
3Jüar ift e§ rü^renb unb edEit romantifd^, raenn Dbt)ffeu§
am Ufer fi^t, unbeweglich, mit trauernber @eete über ba§
SIKeer ^inau§ bticfenb, aber e§ mutzet nn§ frembartig, Wmti
aud^ lieblid^ sugleid^ an, tüie er gteid^ barauf in ben Firmen
ber türfigen 9ii}mpl)e einfdfjtummert, otjne ba^ i£)n ein ein=
jigeg HJJat ber (SJebanfe aufräufelte, ob nid^t fein 8Sert)äItnife
5U ^enelope baburd^ entfieiligt lüürbe. Sieijenb gemi^ ift
256 9iDmnuti}d)e Siebe.
bie antife Siebe, lüte unb wo immer fie erfc^eint. ©etb[t
bie feelenlofe SSonne bie Db^ffeu§ mit ß^irce unb ^aIt)pfo
geniejst, ober bie beljaglic^e Seibenf(^aft be§ ^ari§ unb ber
^etena erquidt ben «Sinn, ol^ne jemals ju beriefen. S)enn
alle btefe S3erpltniffe i)ot)en bie ®e^unb()eit, ^vraft unb
@rf)ön|eit be§ S^Jaturtriebe» , bem ju feiner 33oIIfommen^ett
nichts gebricht al§ bie Sauer. SDenn Sitten, ftta§ 3:rieb tft,
ift öergäuglii^; mit ber SSergänglid^feit l^at e§ fidf» feine
(Sc^ön^eit evfauft. Sa§ Seiüu^tfein fuc^t bie flüchtige Statur
ju Derelüigen, ober bicfe übernatürlti^e S3egierbe tuirft 5u=
närfift tu i|r aB ein @ift, ha^ fie franf mac^t. S)arum
tiaben wir 5tugenblicfe, rvo un§ bie beipu^tlofe |)errli(i)feit
unb unfc^ulbige Suft ber antifcn Siebe al§ boS Sltlerfd^önfte
unb StderbeneibenStDÜrbigfte erfd^eint. ®ie naitte greubigfeit
unb unerfc§ö|)flic^e ©enu^fraft, mit ber jene ©ötter unb
gelben ein Stebe§feft an ba§ anbre reiiien, o|ne fid^ i^re
SBonne trüben ju laffen burd^ hie (Erinnerung an ha^ öer-»
gangene unb bie 2lJ)nung bei folgenben, erregt un§ 2Bot)I=
gefatten ober S3etounberung ober gar S^ieib. ®enn ttJtr
fönnten ba§ nid^t nac^mad^en, o^ne enttueber rol} ober friool
5U fein; auct) Son 3"an luäre nirf)t ber bejaubernbe ^etb,
njcnn feine ÖJefd^id^te nic|t burc^ groteSfe .^omif gemilbert
tüäre, unb tüenn er nid^t anbrerfeit§ burd^ bo§ 5lntrD|en
gegen bie £)ö^errn SOcäd^te, ha§> allein fc^on in bcm bertju^t
3J?a§(ofen ber %tt^a^i feiner Siebeleien liegt, etiüa§ 3:itanifd^e§
befäme, tnenn e§ fid^ aud^ in anmutljigfter gorm barftellt.
(S§ ift bem mobernen S3etüu^tfein unmögticti, ha§> S^eal ber
emigen unb ein5igen Siebe abgufd^ütteln, biefe§ ©eftirn öon
unferm ^immel gu retten, ba§ toir ^unbert Wal mdjx aU
glucl) unb üer^eljrenbeS geuer al§ fegenbringenb empfinben.
SSie oft ftellt fic^ biefe ©^imäre, luie man fie bann nennen
möd^te, ber (SrfüHung oon SBünjd^en entgegen, bie o^ne fie
Üxomnnti)d)e SieBc. 257
unfc^utbtg mären; fort unb fort loirb i£)r ©lücf unb Seben
lute einem '^lolod) geopfert. Sro^bem, tüenn fid^ and^ alle
bie (5)etiuä(ten jufammentpten, um ben tQrannif(^en ®ämon
ju entttironen, fo mü^te hie SiebeHton boc^ unfe(}Ibar mit
erneuter ^ned^tung, roal)rfc^einüci^ fogar mit frcimiHtger
Unterwerfung ber (Smpörer enbtgen. SSenn tüir ba§ 5luge
auf bie gigantifc^en @eftalten unb unergrünblid^en ©(^icf=
fale richten, bie Oom (Seifte ber romantift^en Siebe einge-
geben finb, fo öerblcid^t bie 3lnmuttj ber t)eibnif(^en Stp^robite.
93run^ilb unb ©^riem|itbe, ©iegfrieb unb (Subrun tauchen
au§ ber S^iefe germanifd^er SSorjeit — unb totr füllen er»
fc^auernb unb ent5Ü(ft jugleid^ ben §er§fd^tag ber elüigen
Siebe. 5(B furd)tbar mürgenbe ©ott^eit, ha^ ©d^lücrt in
ber §anb, mit unerbittltdöem 2lntli| fteljt fie im SJJittelpunft
biefer Xid^tung. 2öa§ ift hie ^raftifd^e 9tadje be§ 9JJene(ao§,
ber ein geraubte^ ®ut lüieber i^aben unb ben S)ieb beftrafcn
luiH, unb ha^: Unbetiagen ber bebro^ten Helena gegen hen
jerrei^enben Samtner (I^riemt)i(be'§, gegen ®ubrun'§ ätüanjig*
jäfirige» S;ro|en unb ipaffen, gegen 93runf)i(be'§ bämonifd^e
©eligfeit, loenn fie @iegfricb'§ ©d^eiter^aufen befteigt, gegen
bie unermeßliche SSernid^tung, bie mit 93lutröti§e unb geuer=
fd^ein auf ben Untergang ber Siebe unb Sreue f)ereinbric^t!
Um ben überirbifdjen Urfprung ber Siebe mit i^rer Unent-
rinnbarfeit, iljrem tobüberiuinbenben ^aiittei^» ^^i^er geifler«
Jiaften Unöerle|lidf)fcit au§5ubrücfen , erfanb bie romantifc^e
^t)antafie ben Siebe§tranf, toie (Subrune t^n @igurb rei(^t,
mie i§n S;riftan unb Sfo^^e trinfen. ^n biefen fotoffalen
Seibenfc^aften tt)of)nt ein jarteS geiftigeS Clement, in bem
g(ammenat[)em ber ftarfen S^lecfen tüel)t ber marme ^aud^
feelifc^er Siebe. 2)a liegt bie SSeriüanbtfc^aft ber (^s^ermanen
jum S^riftent^um. 93eibey, germanifd^ unb d^riftlic^ ift bie
mittelalterlid^e Segenbe üon ber Siebe be§ jungfräulid^en
$uc§, SRomantiter. 17
258 Dtomantifc^e Steße.
^tnbe§ ju bein au§fä^igeit ^Rittet, eine ,8ie6e gan§ Dp[er,
ganj ©eete, unb benno(^ Ictfe unb iii§ eriüärmt uon fiitn-
Itd^em Stute, '^n bem Scet)e btefer (SeftaÜen fanben bte
Ütomanttfer fic^ tüteber. ,,0 mein 58ruber", jagt '^kd im
^^antofu§, „geftorben, tüte man fagt, finb Idngft ^jalbe unb
©tigune, ja bu läc^elft über mid^, benn fie traben mo()I nie
gelebt, aber ba§ aJienfd^engefc^lec^t lebt fort, unb jeber
grül^Iing unb jebe Siebe jiinbet oon ^Jieuem ba§ ^^tmmlijc^e
geuer an. . . ." ^a, in ben (S(f)rtften Don %ieä unb 9fJooaU§
manbelt [ie, „bie flammenbe Siebe mit ben ^eiligen (SIut[)=
äugen!" (Sine neue, entfövperte ober oetfeelte (Sprad^e Ijaben
fte erfunben, um i^re öt^erifd^e (Scfd;eiimng in fic^ aufju»
nehmen, ^d^ ipitt nur ein paar Xöne au§ ber großen
Siebe§jt)mp!^onie anfd^tagen laffen. Da§ i[t ou» %kd^§
^^antafu§:
„5Bie fönntet il}r bod^ hk 8c^ön§eit nur empfinben ober
gar lieben, lüenn fie unüerluüftlic^ tuäre? S)ie fü^e (Slegic
in ber (Snt^üdfung, bte 2Se[}f[age um 5tboui» unb SSatber tft
ja ber fc^tnad^tenbe Seufjer, bie moUiiftige Xi^xäat ber
ganzen Statur! 5)em gtüd^tigen naif)ei(en, e§ feft^alten
tüoUen, ba§ un§ jelbft in fe[tgefc^(o[fenen Firmen entrinnt,
bie§ madE)t bie Siebe, ben ge^eimnifeooden BiJuber, bie
^ranf^eit ber ©e^nfudfit, ba§ üergötternbe (Sc^mad^ten
mögli(^. — — — "
„.fi'ann bie Siebe fterben, ha^ @efü()t, ba§ bi§ in bie
fern[tcn liefen meinet Söefen» bli^t unb bie bunfelften
Kammern unb aUe Söunberfd^ä^e meine§ |)erjen§ bdeu(^tet?
5Jiic^t bie (S:^ün^eit meiner beliebten ift e§ ja allein, bie
mid^ begtücft, nic^t i^re ^olbfeügfeit altein, fonbern öor=^
5Üglt(^ i^re Siebe; unb biefe meine Siebe, bie i^r entgegen
gef)t, ift mein fjeiügfter, uii[terblic^fter 2Bi(Ie, ja meine Seele
fe(b[t, Vit \id) in biefem ®e[iit)I lolringt üon ber üer-
aiomautiidje Siefie. 259
bimfetnben 9Katerte; in btefer Siebe fei)' id) unb fü^F ic^
Glauben unb Unfterblicf)!eit, ja ben Unnennbaren fe(b[t in-
mitten meines 3Befen§ nnb alle Sönnber feiner Offenbarung."
Unb noc^ eine Stelle au» 5lbbaflal) fe^e iä) l)er:
„'Jlrf) nein, e§ ift nic^t ta^, e§ tft nic^t jene§ ®efü§l,
tia^ unfre SDidEiter fo oft befd^reiben — fein a}?enf(^ :§at
noc^ je biefeS ^olje, ^eilige, unau§fpred^li(^e SBefen in feiner
i8ruft beherbergt, Siebe ift e§ nid^t, e§ ift ha^ ®efü§{ ber
©eligen, mir aüein feit (Snngfeiten aufbelpaljrt, mid^ au§
biefer ilöelt ^inauäjureifjen; eine allmächtige 2Boge Ijat mic^
auf bie ()ol)e, jä^e S^i^e einer flippe gefd^leubert, bie SBelle
finft tn'§ SJJeer jurücf unb id) fte^e fd^roinbelnb über 2öolfen,
öon allen 9J?enfd^en, bie einft lüuren unb finb, auf eiuig
abgeriffen, bie Unenblic^feit um mic^ t}er. ®ie ©ott^eit ^at
Öeute mein Seben öon S^euem berührt unb burd^ hie leifeften
S^öne l^inburd^ jittert ber allmäd^tige ©tof?."
%m liebften unb am beften fc^ilbert S;iecf Siebe, bie nur
©etjnfud^t ift, hk öerjücfte ©eltgfeit unabfe^bareu Trennung,
^ein Siebe§paar fd^eint fo öollftänbig fein S^eat ju öer^»
lörpern aU Seofftol) 9iubett unb äJJelifenbe, bereu ®ef^id^te
er im ©ternbolö erjä^tt. ®iefe§ tt)unberbare geuer, ent=
§ünbet in ber 33ruft be§ ^roubabour burdf) bie S^unbe öon
ber 6c^ön^eit einer ®ame, bie er nie gefeljen, bie ba§ milbe
^eer öon il)m trennt; hav feineu Seib aufje^rt luä^renb
ber langen Steife ju i^r l)in, fo ta'^ er fte uur erblicft, um
in i!^reu Firmen im ^ugenblicf ber grenjenlofeften ©rfüHung
alle§ 2Bünfc^en§ ju fterben, eine folc^e öcrflärte (flamme ber
Slnbetung ^ütet er im i^eillgtl)ume feinet ^erjenl. „^ie",
fagt ^eoffrol) ju ben ftaunenben 9JJenfc^en, bie feine he-
gierbelofe Eingebung an bie Entfernte nidjt oerfte^en, „luenn
fie mir nun felbft im (Semüt^e, in meinem Innern mo^nt,
Jbefi^e id^ fie bann nic^t nnljer ai^ ieber anbre ©terblicl)e?"
17*
260 9?omantifd)e Siebe.
Uner^c^ütterttd^ i[t fein &lanhe, ha% toenn er fie nun fe|en
lutrb, bie Sßtrftid^feit feine 3l^nung noc| übertrifft. „Sa,
fo tüirb e§ mit aller ©d^ön^eit fein, tüenn fie fid^ einft
fc^Ieierlog unferm entförperten Stuge geigt." 3ut" SSeföeife,
ha^ bie§ beftänbige Ucberfdjiüanfen au§ ber irbifi^en in bie
^immlifd^e Siebe nic|t nur ber (Sprache ber S)id^tung, fonbern
aud^ ber be§ 2eben§ geläufig ttjar, fü^re ic^ au§ ben Briefen
be§ 3left^etifer§ ©olger an feine junge grau eine ©teile
an, irie fic^ ä|nli(^e in SJJenge finben: „^c^ fürchte nid^t
§u fehlen, nod^ §u fe^r ouf 'i)aa ^rbifd^e unb SSergängltd^e
ju bauen, tüenn tc§ mein ©lücf in beine §änbe lege. Xenn
bie tua^re Siebe, hk Siebe, bie alletn in beiner reinen (£ngel=
feele tuo^nen fonn, tft nic^t öergänglid^. @ie ift felbft einerlei
mit bem Unfterblic^en unb (Stüigen in un§: öon biefer reinen
SBafir^eit ift mein ^nnerfteS burc^brungen, unb id^ fü^Ie e§
oud^ in allen ti^ren SBirfungen, ta^ id§ mic^ tceber in
meinen eigenen ®efül}len täufd^e, noc^ in btr. (S§ ift mir,
aU lüäre id^ burd^ bic^ geheiligt, aU befä^e id^ nun in
fic^tbarer (S^eflalt unb al§ ben ©egcnftanb meiner l^ei^eften
S;riebe ba§, mag ber SJeligiöfe unb ber ^lilofopf) in fremben
SBetten fuc^t."
®a^ in ber St^at Siebe unb 9ieligion ein§ fei, ent-
lüideüe griebric^ ©d^Ieget folgenberma^en aU S;;§eorie:
2)en 3ufammenl)ong mit bem Uniücrfum füllen, ha§>
©ötttic^e anbeten, ift 3fteligion; aber \)a^ ©öttlic^e erfd^eint
am reinften im SJienfd^en, er ift ein 93ilb beg UniberfumI,
f)at eine SSelt in fi^. @ie icerbe geneigt fein, fagt er §u
^orot|ea, an bie er ben S3rief über bie ^fjilofopljie rid^tete,
n)o biefe ©teile üortommt, im 5lnfc^IuJ3 an biefe Seiire ii^m
bie grage einsutuerfen : „3Benn e§ alfo nur auf bie Slnbad^t
unb auf bie Slnbetung be§ ©öttliclien antommt; tuenn ta§
3)ienfd^tic^e überall haä ^ödt^fte ift; n)enn ber 9)?ann öon
95omantiicf)e Siebe. 261
9tatur ber erhabenere SfZenjc^ ift: fo luäre e§ [a ber redete
unb wo^l ber iiäc^fte 2öeg, ben beliebten anjubetcn unb [o
bie menf(^enüergütternbe Steltgion ber menjdiüc^en 6irte(^en
5U moberntfiren?" luomit er fic^ einüerftanbeu erflärte, im
gade nämlic^, ba§ ber ÖJetiebte einer folc^en Stimbolifirung
fä^tg unb tuertt) fei. „3c^ tüenig[ten§", fo fä|rt er fort,
„fönnte ntc^t lieben, o|ne auf bie ©cfa^r ber ©^eöalcrte
etiuaS anzubeten ; unb xd) rt)et^ nid^t, ob \d) ba§ Unioerfum
bon ganger Seele anbeten fönnte, menn id^ nie ein SSeib
geliebt l^ätte. 5lber freiließ, ia§' Unioerfum tft unb bleibt
meine Sofung. Siebft bu moi)l, tuenn bu nic^t bie Söett in
ber ©eliebten finbeft?"
Su bemfelbcn Sc^IuB fam 9^ooati§, ipenn er bie Siebe
jur ©eliebten angemanbte Ü^eügion nannte, Jüa§ bei i^m
freilid^ boc^ noc^ eine anbre 33ebeutung ^atte aU bei
griebric^, ber bie Siebe, infofern fie ein geiftigeS 2ßefen ift,
nur mit bem 3Serftanbe, nic^t mit bem ^erjen erfaßte.
2Ba§ ber gemeine SJienfd^enoerftanb ©id^oerlieben nennt,
tüurbe ^ier 5U einem SSeltenfc^icffal, ber ^Begegnung gtüeier
©eftirne, bie in getjeimniBooHer 3Seife einanber tpec^felfeitig
(Sonne unb planet finb. SBenn auc^ fic^erlid^ üon je^er
jebe» liebenbe ^er§ feine Siebe mit unbetüUBter 9}i^ftif
„meine SSeÜ" genannt ^at, fo ift eg boc^ nod^ ein gan§
?(nbre§, njenn einem benfenben STcenfc^en ein SJienfc^ St)mboI
ftiirb für ta§ |)öc§fte, ba§ er ju füllen unb fic^ oorgufteHen
fällig ift, ja n^enn er gerabe ba§, loa» über feine gaffung§*
fraft ^inauäge^t, in biefem SD^enfc^en faffen unb fid^ ein§
mad^en luitt. Xann entfielt feneS ®efü(}t ber Unenblic^feit
unb bie SOiaBtofigfeit, bie fic^ üergeblic^ in SBorten unb
^eic^en au^guörücfen fuc^t, unb bie ftiefenttic^ üerfc^ieben ift
bon ber ptaftifi^en Umgrenjt^eit be§ antifen (Smpfinben§.
SSunberooH malt biefen in'» Uneubüc^e üerfd^iuimmenbeu
262 9tomanlifd)e S!ic6e.
StebeSbrang eine ©teile in ^ied'ä ©enoöeüa, Wo bie alte
(Sertrub bem ©dIo rät^, fid) erft liftig fc^meid^elnb in
®enot)eöQ'§ ©unft 5U fteljten unb bann bie i^m ^alb |)in-
gec3ebene bnrd^ fül^ne Ueberrafc^ung fid^ ju erobern.
©olo: '^ddy unuerftäubig SBort fiaft bit gef^^rodjen !
3l't e§ mir brum 311 tt)xm al§ Scf)atf, al§ ^ned)t,
5U§ S)ieb mir it)re ®unft 511 ftetjleii? g-ü[)I[t bu nic()t,
3Ba§ fie mir ift, ma§ id) i()r luerben möd)te?
©ertrub: 5Sa§ motlt if)r beim?
©dId: ®a§ (Vfrite unb ba§ '^ai)e,
®a§ 9)töglid)e, >iia§ bod) umuöglid) i[t,
3Sa§ id) in meinem ^erjen luünjdje, >üa§
S^er tyt'iQt nie üefi^en fann, ma§ faum
Sem nuSenuäfiltcn dbelften gegönnt ift,
5)a§ Iieil'ge S'^iter, ba§ bie ßrb' erleud)tet, ■
Sen ©lanj beglänjt unb Sid]t ber ©onne lei^^t,
SaS, luaS bu nimmermef)r öerfte[)en luirft,
3}a§ luaS — 0 jd)iueig, uer[tumme, eitle B^nG^'
3Ba§ foü ber fyvütjling burd) ben 2Binter jdjeineu?
2Ber luifl bie ßivd]e auf bem SOtavfte £)alten,
®ie gro^e Dtaferei bem ^öbel preb'gen?
©ertrub: ^a, rafenb feib it)r, fo get)abt euc^ mo^l.
3^ur ajJujif, bie tüefenttic^ fentimentale tunft, !ann bo§
„aJJöglid^e, \va^ hod) unmöglich i[t" ouSbrücfen; ba§er 5;iecf'§
befannter SSer»:
Siebe bentt in juBen Jijneu,
9?ur in 2önen mag fie gern,
®enn öiebanlen [tef)'n ju fern,
5ine§, iua§ fie mid, nerfdiöuen.
(£§ berfielit fid^ oon felbft, baf; bei einer fotc^en Stuf-
faffung ber Siebe f)o^e Slnfprüc^e an bie geiftigen gä|ig!citen
ber (grauen gefteHt tnurben, luie benn alle Slomantifer me^r
ober Weniger bie 2lnf{d)t j^riebric^ ©dl)teger§ t^eilten, ba^
bie ®efcl)lec§t§öerfc|iebent)eit nnr eine 5len§erlid^feit be§
9?oniantiirf)e Siebe. 263
menfd^Itc^en SJ^afeir^ uiib am ©iibe bcrf) ni(f)t§ luetter fei
al§ eine red^t gute ©inrid^limg ber Siotiir, bte man ber
SSernunft unlerorbnen unb nac^ iljren l^öl^ercn ®e[e^en
bitben bürfe. 5(nd) bie ^üb[cf)efle grau |ötte bamal§ fein
®Iücf gel^nbt ü^ne ©eift, unb eine (ViefaÜfüc^tige jenes QdU
alters l^ätte e§ umgefel^rt madjen muffen tüie bie be§ je^igen,
bie tüäl^renb fie mit 9}iännern sufommen fiub, i^re geiftigen
Sntereffcn in einen 233infel fdfiieben unb mit einem bunten
SBorl^ang jubeden. gür ben in'S tieffte innere taucfienben
f8lid be§ 9^rmautifer§ tvax nur hie (S(f)önf)eit fc^ön, bie
eines liebretäenben @etfte§ buT(f)fic^tige gorm ift, unb bie,
mit bem Unflerblicfieu im 9}?enfdjcn öerbunben, in i^rem
eigenflen SKefen bie tjergängltd^e SJJaterie überlebt. Heber baS
Silter faf) man mit ben großen ibealiftifd^en Singen l^intueg.
9J?an lieble mit berfelben |imnielflürmenben Seibenfc^aft
SD^atrcnen unb Sinber. Caroline tvax 35 ^a^xe alt, alS
fid^ ber 24jät)rige (Bd^elling mit lölnenlaftem llngeftüm in
fie öerliebte. 2(I§ fie nad) elf So^rc" al§ feine t?rou fiorb,
fagte er, ba^ fie bie ®emalt, baS |)er5 im 9JJitteI|3unft gu
treffen, bis an'S @nbe beljalten ^abt. SJorot^ea mar neun
Sahire älter alS griebrid), 3aa^el 13 Sa^re älter ats SSarn=
^agen. ®riII|3or3er erjäljtt, n)aS für einen lüunberbaren
©inbrnd btefe alternbe, feineSniegS Ijübfd^e, öon ^ranfljeit
jufammengefrümmte grau auf i|n machte. 5luf ber anbern
©cite J)Otte bie fpielenbe Zuneigung, mit ber alle 9JJänner
beS greunbeSfreifeS Saroline'S Heine ^od)ter Slugufte be-
l^anbilten, in il)rer ^o^^tlieit unb 9Bärme etn)aS öon Siebe.
^arbenberg'S S3raut, (gopfiie ü. tl)ün, mar, alS er fie fennen
lernte, 13 ^a^re alt, unb biefeS Sinb madjte er jur ©onne
feines SebenS. 9llS bie (Sonne erlofd^, ätueifelte er ni^t,
hü^ er il)r nad) muffe, luie ber Üöxpn \\d) auflöft, tuenn
ha§> ^erj nic^t me^r fdjägt. es ift nichts nner|üilcS,
264 3f?ontantifd)e Siebe.
tüenn and) ettoaS (Seltenes, bof; ein SO^^ann ftd^ in ber er[ten
SSerj^ürtflitng üfier ben Zoh ber (beliebten tobtet; aber
5Jloödt§ badete burc^ ben bloßen SSIflen jum Sobe, bur(^
ben mt)fti[d^en Umgang mit einer 5tbgefd)iebenen 5U [terben.
6r loä^nte ober hoffte e§ niii)t etma, fonbevn be[(f)(o§ e§.
Ueber bie Siebe ju bem gemalten 33{(be eineS 9Jiäbc^en§,
lüie fie %kd fc^tlberte, jd^tuang fid^ fein ®eii"t nod^ ^inau§,
inbem er fic^ ouf en:)ig einer Siebten lütbmete. „(Sine SSer«-
binbnng, bie aud^ für ben Sob gefd^Ioffen ift, ift eine ^dc^=
jeit, bie un§ eine ©enoffin für hk 9^ad^t giebt. ^m ^obe
ift bie Siebe am fü^eften; für ben Sebenben ift ber ^ot>
eine 58rautnac^t, ein ©e^eimni^ fü^er 9}Jt)fterien:
„;3ft e^ "W)t flug, für bie 9?acf)t ein geiefligeS Säger 3U judjen?
S)arum ift t(üglid) gefilmt, luer and) Gntfc^Iummerte liebt."
2öem träfen biefe Sante nid^t ba§ ^er5 mit ber @e>uatt
fetbftüerftänblidier SSatjr^eit? Sebenft man nun aber bie
Sfjatfad^e, bafe 9?ot)aIt§ fid^ fd^on ein ^al^r nad^ bem S:obe
feiner S3rant lieber öerlobte, ba§ ^äuftge knüpfen nnb
Söfen Don Stebe§üer^ä(tniffen im Scben ber 9tomantifer
übert)aupt, fo fönnte man üielleid^t ^ö^nifdE) fagen: ®a§
ift nun bie ebte, l§o§e, emige Siebe! auc^ hit burd^fid^tigfte,
berfeinertfte ©mpfinbung ift nur ein filberncr 2)unft, ber
grobe ©innlic^feit öerfditeiert; ober e§ !önnte Siner fragen,
ob nid^t ber fimpte 9Wann, ber fid^ fd^Iedjtiueg in ein !^übfd^e§
©efidit öerliebt, fein SJJäbd^en tjeimfül^rt unb öielleid^t, loenn
fie öor ifim ftirbt, fid^ nid^t luiebcr 0erI)eiratIjet, lueit i^m
feine fo gut Jpie fie gefällt, fid^ nid^t beffer auf bie ed^tc
Siebe oerfte^t al§ biefe ©d^iuärmer mit il)ren ^od^füngenben
SBorten unb fpi^finbigen Sljeorien. SSorauf gu entgegnen
lüäre, ba§ eben in bem Tlal^e, aU ta§ ^nfttnftiüe in'§ 33e-
tüu^tfein tritt, e§ 5unäd)ft an Straft ucrliert; Xijiere irren
fid^ nic^t in ber 2öat)I i[)re» SebenSgefätirten. S)ii§ alte
9iomantifcf)e Cie6e. 265
«Sprüc^luort [agt — „^er bte 2Bat)I l^at, ^at bie Dual".
SJJtt bem 2BäI;(enfönnen beginnt bte @c^ii)ierig!ett ber 5(u§Iefe,
bte SRögüc^fett be§ Sri^^nä, "i^a^ §tn» unb ^ergertffenlrerben
jintfd^en mannigfachen Sorfungen unb Stetjungen. 2öo einmal
bie 2}Jeiniing fierrfc^enb geworben ift, bie Siebe fei bie ^aiipt-
fad^e im Seben, too ber 9(nfpriid^ entftanben ift, ba§ geliebte
SBefen foHe einem jur !i8erücüfommniing unb S^erflärnng be=
plfüd^ fein, IDO jnjet eine I^armonifc^e ©in^eit bilben fotten,
befommt bie ^erfonenfrage unenblic^e 2Bi(i)tigfeit. ©oU bie
e^rau bem S[Ranne nur ©attin im !ör|)erli(f)en (Sinne, 9te*
giererin feine» ^au§iuefen§ unb SBärterin feiner fleinen
,<S'inber fein, fo ift fein ®runb, tüarum er nic^t mit jeber
gefunben unb tüchtigen grau jufrieben fein foHte. (Btwa^
ganj 5lnbre§ ift e?, h)enn lüir eine mijftifc^c <SeeIentierbinbung
mit ^emanb eingeben luotlen, n?enn ha^ elieti(^e SSeri^ältni^
bie ©runbtage unfre§ ganzen, aud^ beg innertid^en ßeben§ fein
fotf. SBäre nun ein rul^ige» 2Sä^Ien be§ ganjen, gefammelten
SJJenfd^cn tnöglic^, luärcn tüir unfe|tbar, fo tonnte hk erfte
Siebe un§ bauernb befriebigen unb hu einzige bleiben. SIber
tu @innli(^!eit ift nid^t iceniger tt)ätig aU früher, im
©egent^eil, ha \iä) hav (beifüge üon it)r abgelöft I)at, ift
ber pure S^rieb, ber jurücf geblieben ift, um fo l^i^iger unb
gettjaltfamer. @r tüirft fid^ auf einen beliebigen ©egeuftanb,
blinblingS, |aftig, elje noc^ haS^ geiftige ©efü^I fein Urt^eit
bitben ober if)m ®e£)ör öerfd)affen fann. ©erabe in ber
erften ^ugenb ift biefer 2;rieb am unbänbigften. 2Bie un=
moralifd^, \a un^eifig crfcfieint e§ oon biefem ®efic^t§pun!t
auö, toenn man bie erfte Siebe einig machen tnitt. @» ^ei^t,
ben SnftinÜ fanftioniven. S)ie ^ird^e luürbe ^ier einluerfen,
baB bie (S^e eine erjiel^Iii^e Einrichtung fei, unb ha'\i ha§
Snbioibuum befto grünblid^er erjogen tnerbe, je luiber*
ftrebenbev ba§ Stnbre fei, bem e§ fid^ anpaffen muffe. 5tber
266 9iomanttfcf}c SteBe.
btefer ftrenge, iniprQftifc|e S^eaü^miis, ber äRenfd^en oor-
au§fe§t, lüie fie in ber 2Strfü(f)fett nie ober faft nie ju
finben finb, ift bcm mobernen 9J?enjd^en fremb. @r njilt
jmar bie Statur 6e|errjcE)en, aber Unnatürliche^ unb SBiber-
natürtic^e§ ftö^t il^n ob. 5)a§ ©efü^I, ha'^ jeber Organis-
mus etlpa§ Sebenbiges, SeiDegtid^eS, SSeränberIid§e§, ©ic^-
enttüirfelnbeS ift, burctjbringt bie Slnfc^auungen auf jebem
Gebiete, ^ii'if'^en tobter @tarrf)eit unb gefe|Iofer Un«-
gebunben^eit fott fid^ bie freie Stugbilbung belüegen. ©d^Ieier-
mai^er fprad^ fid^ über ba§ SSorurtleil ber erften unb ein^^
äigen Siebe folgenberma^en ai\§. 2llle§, fagt er, beginne
mit inftinftiüen 3flegungen, bie fi(^ erft burd^ Hebung gu
beftimmtem SSoHen unb S3ert)uBtfein entiüicfelten. „SBarum
foHte e§ mit ber Siebe anberS fein aU mit aUem Uebrigen?
©olt etira fie, tk tia^ ^öc^fte im 9}lenfd^en ift, gleidE) beim
erften SSerfud^ öon Den leifeften Biegungen bi§ jur be»»
fttmmteften JßoÜenbung in einer einzigen S^at gebei^en
fönnen? ©ollte fie leichter fein al§ bie einfache J^nnft ju
effen unb §u trinfen? 5(ud^ in ber Siebe mu§ e§ öorläufige
SSerfuc^e geben, nu§ benen nidC)t§ S3teibenbe§ entfielt. S3ei
biefen SSerfnd^en nun fann aucf) bie 33e;^ie^ung auf einen
beftimmten ©egenftanb nur dwa^ 3"fänige§, ^ödfift S3ergäng*
Iic^e§ fein, ebenfo üergänglid^ oI§ ba§ ®efü^l felbft. Tlad)
bir ja fein foId^eS ^irngefpinft öon ber |)eingfeit einer
erften (Smpftnbung, aB beruJ)te nun 2ltle§ barauf, ba§ etU)a§
Drbentli(f)e§ barau§ toürbe. SDie ^Romane, bie biefe» be-
fc^ü^en unb jlüifc^en benfelben §iüei SJfenfd^en bie Siebe
öom erften rollen 5tnfang U^ jur |öc^ften SSoHenbung fic^
in einem (Strich fort auSbilben laffen, finb ebenfo üerberbtid^
a(§ fie fc^Iec^t finb." ©erabe ba§, fä^rt er fort, ha^ man
gtaube, jeben SSerfud) burc^ Sreue öereluigen ju muffen,
fei 'ha§' (Sefäf)rlict)e. @r öerftetgt fid§ 5U ber S3el)auptung,
^'oiitnnlijcfie 2ie6e. 267
einen neuen SSerfudj mit bemfelben ©egenftanbe anzufangen,
fei unter Uniftänben lueit luibertuärliger al§ bie @t)e 5rt)if(f)en
©c^U'efter unb 33ruber.
5luci^ @cl^Ieiermacf)er liebte ja, unb jiuar gerabe ftjä^renb
er bie§ fc|rieb, eine üer|eirat|ete grau unb Ijot fpäter bie
SBittuie eines üerftorbenen greunbeS ge^eiratl^et. (Sr fonnte
an fid) unb an öielen grcunben bie (Srfafirung mad^en, ba§
f|3äter unb mit 33enui|tfein gefönte Sieigungen hk frühen
Sugenbüeben an j^i'He unb 5:iefe übertreffen. ®§ ift
luunberbar, mie in biefer 3eit tk i)öd)ik ^ttt üon ber
SBic^tigfeit unb (Smigfeit ber Siebe mit ber ftjeitiierjigften
5yia(f)fic§t gegen Untreue unb aller^anb Siebesirrungen ju*
fnmmengel^t. Sc^eibungen unb SSieberüermä^Iungen icaren
nichts @eltene§. @(i)ening'§ SSater, ein braüer f(f)luöbifdjer
^aftor, ber au§cr fic^ luar, al§ fein @o^n auf ber Sifiule
in beu $8erbadjt fam, bie SJJarfeidaife in'§ Seutfc^e über-
tragen ju :^aben, nat)m feinen ^nftanb, i^n mit ber ge-
fd^iebcnen gi^au 2BiIf)eIm ©d^legefö, bereu tued^felootte SSer=
gangeuf)eit i^m getüi§ befannt luar, felbft ju trauen. 5(ud)
UJenn man annimmt, ba^ fiaroIine'S SiebenSluürbigfeit
etluaigen SBiberftanb in i^m befiegte, bleibt e§ boc^ be-
merfenSiuert^, mit luetc^er gren^enlofen Siebe unb ^od^-
ac^tung bie alten ^farrerlleute ftet» öon t^rer ©c^n^ieger«
totster, bie 11 ^al^re älter a(§ il^r Waxm tvax, fprac^en.
SBenn auc^ barüber gefproc^en luurbe, ging e§ borf) unbe«
anftanbet ^iu, ta^ ©c^teiermacber, ein Öieiftlid^er, innig
befreuubet mit ber fdjijneu Qübin Henriette ^er5 unb i§r
täglidier ®aft luar, unb ha^ er hk grau eine§ anbren
©eiftlic^en liebte. S)aB biefe fid^ jur ©Reibung öon i^rem
SJianne nic^t entfd^üe^en fonnte, machte ©c^Ieiermad^er i§r
§um bitteren S^oriuurf,
5luberfeit§ aber lebten biefe 9JJenfc§en §äu§Iic^ uüb fittlic^.
268 S^omantijdje Siebe.
(Sben ba§ ber gefd^Ied^tltc^e %xul fid^ ganj in etiler Siebe
aufleben foHte, ha^ nichts baoon auf ber ©äffe berfc^menbet
njiirbe, mad^te tk offenfunbigen, gebilbeten 5Sert)ä(tniffe fo
ftürmifd^ unb leibenfc^oftlid^. ^e me^r bie Siebe in'§ S3e-
lüiifetfein tritt, je erf)abener man fie auffaßt, be[to größer
niufe ouc| bie SioUe werben, bie fie, nid^t nur in fegen§=
reid^er, fonbern oud^ in berJ)ängni^öoIIer SSeife, im Seben
fpielt. ^m |)erbfte prangen bie ^Blumen in brennenberen
garben al§ im Sommer, tnäljrenb im grü^Iing 2öei^ unb
btaffeS (SJelb unb 33tau öortierrfd^t.
S)ie entfe^Iid^ften folgen gerabe für bie Quht ^at tia^
^luiefpältige im romantifd^en 9JJenfd^en. @r möchte in ftd^
einig fein, möchte in einem ©efü^I 2lffe§ fül^Ien, finntid^ unb
geiftig äugleid^, aber nur SBenigen lüirb ha^ ju 2;^eil. ®a§
getftige ®efü!§I, ha§ mit fpiritualiftifd^en 5(ugen hk pure
©tnntid^feit beobachtet, fdfiridt üor i^r jurüc!. Unb bann
toieber räc^t fid^ bie Statur. (SJerabe in bem Stugenblid,
n)o ber SJJenfd^ burd) bie ©d^ioungfroft ber Siebe fid^ gänjtid^
öon feinem Körper Io§gcriffen ju l)aben glaubt — ä|nlic^e
SBenbungen tommen häufig bei SiecE öor — unb an ba§
9fieid^ ber ©eifter flopft, fü^It er fid^ in t^ierifc^e i5aunen«=
geftalt Oertuanbelt unb ftürjt, gelähmt üor ©ntfe^en, auf bie
(Srbe 5urü(f.
Tlan mu^ nidE)t glauben, ha^ bie 9lomantifer bie§ 2lIIc§
nid^t bollfommen getoufet unb burc^fd^aut Ijätten. „®etui§
ift bie fublimirte 9JJt)ftif unb bie orbentlid^ fd^o(aftifd)e
^ebanterie in ber 9J?etap!§t)fif ber Siebe öider mobcrner
S)id^ter üon ed^ter Ö^ra^ie fef)r loeit entfernt", fagt {^riebric^
©d^Iegel. Unb 9fo0ntt§: „9J?ir fd^eint ein Srieb in unfern
Stagen allgemein öerbreitet gu fein, bie äußere SBett hinter
!ünftlid)en |)üllen ju üerfteden, üor ber offenen 9?atur fid^
gu fd^ämen unb burcEi S3er^eimlid^ung unb SSerborgen^eit
9?omanlifd)e Siede. 269
ber ©tnnenlDefen eine bun!te ©etfterfraft i^nen beizulegen.
SftDmantijd^ tft ber STrteb gemt§, allein ber finblid^en Unfd^ulb
unb ^lar^eit nic^t üDrt|eU^aft; beionber§ bei ®efd^Ierf)tg-
üerfiältniffen tft bie§ bemerüid^." Unb Wer n^äre fid^ be§
Urfprungä ber dualen, bie t^n f eiber jerfleifd^ten, beffer
bemüht getoefen aU %ud, ber im ^^anta[u§ fagt: „'^m
aJZittelalter (er Ijätte fagen Jollen im 2tltert£)um) luar bie
übev[innli(^e, aii^er[innlic|e 2id)t nod^ nic^t oon ber finn»
liefen getrennt, fonbern fie n)aven mit Seib unb ©eele öer^
bunben, in ber :§ö(f)ften SSergeiftigung gefunb, in bem freieften
©d^erje nufd^utbig." 9?un fielen bie geiftigfte unb bie finn-
lic^fte Siebe getrennt, feinbjelig einanber gegenüber. (Sine
finnltd^e ®Iut{) entfielt in ber 9iomaiitif, öon ber ber antife
SJJenfd^ ni(^t§ tt)ei§. ^lUuei^e« *üe|t fie nur U)te ein feud^ter,
fcnft anfdjmiegenber Stt^emjug, suiueiten aber mit bem t)er=
je^renben $auct)e be§ SBüftenluinbeS , ber fi^ töbtlid^ um
ben blüf)enben Steij ber S^iatur tüinbet. @§ ift ba§ lec^jenbe
S3erfd)mo(f)ten be§ franfen, ^erriffenen SJJenfd^en, ber einen
5lbgrunb in fic^ ausfüllen wxU.; be§ (SdE)attenIeibe§ im §abe§,
ber S3Iut trinfen mu^, um irbtfc^e Seben»fraft gu geiüinnen.
2lu§ ben ©räbern be§ 9J?ittetaIter§ tüerben fie lieber :^erauf=
bef^moren hk gelben ber furc^tbor fd^öneu Unerfättlic^feit,
bie eine bunfle, ftürmenbe ©efinfud^t burd^'§ Seben jagt,
gauft, ber in feinen eigenen flammen öerbreunt. deiner
l^at biefe mörberifc^e Stebe§glut:^ fo jerrei^enb bargefteüt
tüie Sied, aud^ (S^oeti)e nid^t; Ujenn auä) nur bie t^m ange-
borene fRücffid^t auf bie ©d^öni^eit i§n üer^inberte, fotd^e
Saute brennenber ©innlic^feit an5ufd)(agen. <Sie fo in fid^
erlebt §u ^ben, luar er ju !^armonifc^ üoKenbet. ^n S^iecf's
^^antafuS taucht 5uerft has, bleiche öermilberte S3i(b be§
Sannijäuferg mieber auf. SBeIc^e§ ©ijmbol für ben mobernen
SJ?enf(^en! S)iefer Jüngling, beffcn bämonifd^e ©e^nfuc^t
270 9iomantijd)e Siebe.
btc @cbe ntc^t fätttgt, bcm bie ®öttin ber Siebe, ^ingeriffen,
t[)r unterirbtfc^e§ 9leid^ öffnet! „So mochte ein ^a§r oer-
floffen fein, aU meine 5lngft 6il juc SSerjtoeiffung [tieg;
e§ brängt mic^ roeiter, lueiter ^inetn in eine unbekannte
gerne, td^ ^ätte nitd§ öon ben ^o^en 33ergen ^inab in ben
(Stanj ber SSiefenfarben, in ba§ fü^Ie ©ebraufe ber Ströme
ftür^en mögen, um ben gtü^enben ®ur[t ber Seele, bte
Unerfättlic^feit 5U löfd^en; tc^ fetjnte mic§ nad^ ber 33er^
ntc^tung, unb rateber tüie gotbene äJinrgeniüoIfen fd^roebten
§offnung unb 8eben§Iuj't öor mir bin unb todten mid^ nad^.
S)a tarn td§ auf ben (SJebanfen, ba^ bie ^ötte nad^ mir
lüftarn fei " SDte 3Senu§ im ^örfefberg ^at nichts
5U t^itn mit ber gried^ifd^en 5tp^robite, beren 9tein()eit unD
ru{)ige ißollenbung ber mittelatterüd^e 50Jenfd§ nid^t me^r
öerftanb; er fa§ in i^r nur bie t'mt Seite feinet 2!Befen§,
bor ber er ftd^ furd^tete unb hie i^n locfte, er nannte fie
bie fc^öne ^eufelin. ®a§ mu^ man bei %kd lefen, ft)ie
ber Satfam i^rer 3Sonne bie ^ei^en, bintenben ^Sunben
feiner Seele fd^tie^t, tüte in einer feiigen SeranfcEiung bal
emig brängenbe, pod^enbe 53tut fid^ befd^mid^tigt. S'hin aber,
ba ber ftac^elnbe ^ämon eingefd^Iäfert ift, öffnet ber (Sngct
in i^m feine reinen klugen entfe|t unb jagt ben Sejauberten
auf oon ber meieren 33cnft, luo er gtücftid^ lüar. ®a» ift
bie ÖJefd^id[)te, bie Xieä meniger lüo^t im öeben aU in feiner
^^antafie erlebte. S)a§ Oerjmeifelte ^in« unb ^ergeriffen*
fein gmifd^en ber l^eibnifd^en 3Senu§ unb ber £)eitigen (Slifa-
bet^ ift ha^ XCiema faft aller feiner ^ugenbroerfe. ^ie
Sd^ärfe unb 2i3at)r^eit, mit ber ha^ Problem im Soüett jum
5lu§brnc! fommt, mad^t bie§ oerfd^mä^te SSerf fo eigen-
t^ümlid^ anjte^enb unb tüert^ood. ^werft bie mt^ftifd^e
Söonne ber jungen Seele, bie fid^ auf ben unfid^tbaren,
ftarfen klügeln eine§ guten (SngeB bnrd^ bie golDene (^Int^
Duimantifrfje SicDe. 271
be§ §tmiite[§ getragen fü^lt, lüo^in anber» fönnte e§ fein,
aU in ben ©d^o^ ®otte§, mitten in bie 5üffe ber Siebe,
lüo ane§ SSe^ unb 55eilangen ^ei(t, lüo unerfd^öpflic^er
Ueberflnf? bie irbifd^cn äRängel au»füfft? 91un fommt ber
I)öi^[te Slugenbltd, wo hk ©eliebte [td^ tiebegetüä^renb bem
anbetenbeu 5ßereE)rer ^ingiebt. 2lber er mac^t eine fürd^ter^
üd^e (Sntbecfung; benn ber ®urft ift jloau gelöfc^t, aber an
bie ©teile ber (Sd)n]üd)t ift feine 93e[riebigung ber Seele
getreten, fonbern SSiij't^eit unb Debe. 2l(Ie§ ÖJiite, ©d^öne
unb ^o^e fc^eint mit ber 6e§n[uc|t ^inmeggenommen, ja
ha^ Seben felbft. SBar e§ benn fein (Sngel, ber t()n fo
leidet über bie (Srbe tüegtrug? 2Bar e§ ein Jiö^nenber Seufel,
ber [id^ mit i§m berabftürjte, a(§ er in bie ^eilige ®otte§-
nä^e fam? Ober mar e» nur bie läd^erlic^e ©inbilbung
bei 9tauf(^e§, bajs er ju f(^iüeben ttjä^nte, unb er £)atte
üietleid^t bie ©rbe niemall üertaffen? (Sl ttjar nid^tl all
gemeiner, t:^terifd)er junger gelyefen, ben förperlid^e ©pei[c
ftiffte. Soüett ge^t an biefem 3toie[paIt ^\i (SJrunbe; er
fann ben (Slaubcn nid^t jurücferobern, ben er öerloren Ijat,
all er jum ersten 9)Jat bie ©rfa^rung mad^te, ba^ feine
geiftigften ©nt^ücfungen auf finnlic^e Öieniiffe :^tnaulliefen.
Stecf aber, obmo^I er faum 20 ^a^re a(t toar, all er
ben SooeH fc^reibt, jieljt bod^, obroot}! er feinen gelben
fd^mä^Iic^ 5U ÖJrunbe ge^en lä^t, nid^t ben ©d^tu^, el gäbe
nid^tl ©eiftigel, (äDlel in ber Siebe; öielmeljr fpric^t er ftar
feinen ©lauben an SJienfc^en aul, bie finnlid;el unb geiftigel
©mpfinben in fid^ öerfd^met^en unb baburc^ beibel öerebelu
fönnen. „SBenn ber 'Mmid) fic^ in feiner ©tunbe burd^
biefe SSerbinbung geftört füp, bann, glaube id), 'i)at er
feine fc^önfle SSottenbiing all 9}iann er^tten, er ift über
niebriger SBotluft unb über fc^ater, fein aulgcfponnener unb
langiueiliger ^ärttic^f eit gteidö raeit erl^aben."
272 9tümanttfcl)e Siebe.
Slber Stecf ^at feine Siebe unb jugleid^ fein Seben nii^t
fo üoHenbet geftalten fönnen. $ßon feiner „lieben 5(matie",
mit ber er fic§ qI§ |dber ^nabe öerlobt ^tte, roei^ man
luenig; ba§ fte einjufc^tnfen pflegte, luenn er t|r feine SBerfe
üorlaS, tüomit er fonft ^ebermann bezauberte, beutet auf
geringe geiftige 5Regfam!ett; au§ ber ftüd^tigen Slrt, Ujornit
bie g-reunbe be§ |)aufe§ fie erUJät)iten, möchte man f(f)Iie^en,
ba^ fie unbebeutenb toar, aber gutartig unb befd^eiben. STie
SiScretiott ber ga^treitfien greunbe %ud'§> ^at bafür geforgt,
ha'^ ntc^tg $8eftimmte§ über fein 33erf)ättntfe ju ber ©räfiu
ginfenftein, bie in feinem |)aufe lebte unb aU ?5amitten=
mitglieb betrachtet n)urbe, befannt gelüorben tft; nur ba§ ift
fidler, ba§ ba§ @Iücf be§ §aufe§ burd^ biefe fonberbare
SSerbinbung jerftört tt^ar.
%itd toar ein ©enie ber greunbfd^aft, ber Siebe nid^t;
bie Sizilien lüaren für t^n ein ©lement, ba§ bie finnlid^e
|)älfte feines 2Befen§ getüaltfam anjog unb fid^ oerbanb,
lüoburd^ er ben 3iifnnioien^ang unb bie @in^eit in fid^ t)er=»
lor. Sfiur ber Öilüdlic^e, beffen 2;rieb belüu^tlofe SöeiS^ett
unb beffen ©eift ber Siatur befreunbet ift, fann fic^ feinem
^erjen i^ingeben unb fein §etl auf W Siebe grünben;
biefe ©ragie unb e^römmigfeit be§ ^erjenS ht\a'^ 9JoüaIi§.
2)er 5lDel feiner Seibenfc^aft ^ätte ha§: ©eelenlofe nid^t
lieben unb bie Ueppigleit feinel ©elftes fic^ im D^atur-
lofen nic^t wo^t füllen tonnen. SKenn feine Gräfte nid^t
gons im ©leictigelüic^t Jüaren, fo lag tit ^Disharmonie
barin, ba§ "iia^i |)imm(ifd^e in i^m ba§ Uebergetoic^t ^atte
über ba§ ^rbifc^e, ober beffer gefagt Sinnliche; benn er
lebte ja gern im Sanbe ber Sinne, — fo brücEte er felbft
eS aus — nur nid^t in bem ber ©innlic^feit. @S mar i^m
intereffant, fid^ hierin mit feinem greunbe e^riebrid^ ©d^Iegel
ju öergteic^en, in beffen Sucinbe er eine ^bealifirung beS
9iDmantiid)c Siebe. 273
SSegetatioen fa^. 2In Caroline fc^rieb er barüber: „MnU
luürbtg öerfd)ieben |at auf m\^ httiie bte i)öd))ie. Siebe ge=
luirft. Sei mir mar 5lffe§ im Slir(^en[ti}I ober im borijd^en
Siempelftt)! componirt. ©ei i^m ift 9l(te§ forint^ifd^." ©eine
eigene ^tnfic^t über tia^ ©iuntic^e in ber Siebe f^at er in
bemfelben S3riefe flar au§gefpro(^en in ben SCBorten: „SSiel-
leic^t gel^ört ber ©innenraufcf) jur Siebe tt)te Der Schlaf
5um Seben. 2)er ebelfte %i)di i'\t e§ nic^t, unb ber rüftige
äRenjd^ lüirb immer lieber luac^eu aU fc^Iafen. 2lu^ ic^
fann ben @(i)Iaf nicfit üermeiben, aber ic^ freue mid^ tod)
be§ 3Bac^en§ unb münfc^te ^cimlic^ immer gu tDad^en."
9fD(^ beutlic^er irirb bie 33ebeutung be§ S3tlbe§, föenn er
gelegentlich ben Schlaf al§ eine Sntäie^ung be§ geiftigen
9ieiäe§ befinirt, ber für bie fc^mac^e Drganifation he§ äJien-
fc^en jet^t noc| not^iuenbig fei; einft aber würben lüir immer
gugleic^ tüad^en unb fd^Iafen. 2Sa§ g^riebric^ ©c^IegefS
SSerftanb forberte, 'ba^ man in ber beliebten ©Ott lieben
muffe, luar bem fc^önen (Semüt£)e ^arbenberg'g natürlich.
jDarum fagte ^aroüne, man luiffe anS' feinen Sieben nie,
njen er liebe, ob e§ t)k ^axmonk ber SSelten ober eine
|)armonifa fei; ^armonifa nannte fie feine 33raut, bereu
®afetn fie üermut^ete, o^ne iljren !:)iamen gu miffen. S)ie
platonifdje Siebe, ju ber ein 3(nbrer feine Seibenf(f)aft Diet-
leic^t er§ie!)t, mar bie tiimmtifcfie Sic^tnatur feiner elemen*
tarften, bunfclften triebe, 9iici^t nur um feiner ©(^ön^eit
SBillen liebe ic^ ben beliebten, lä^t ^lato feine SDiotima
fagen, fonbern lueil er mir |ilft, t)a§> ©d^öne ^eröorjubringen.
SSiele ä^nltc^e ®eban!en finben fic^ hei 9?ooaIi§, hk fidler
loarm unb unmittelbar au§ ber (£rfal)ruug feinet |)er5en§
ftrömten.
„^a» i)öc^fte &lüd ift, feine beliebte gut unb tugenb-
§aft gu triffen, bie t}ödE)fte ©orge ift©orge für i()ren öbelfinn."
§uc^, Siomcintifcr. 18
274 9iomantiid)e i?ie6e.
„^ebe unrechte ^anblung, jebc uinuürbtge ©mpfinbung
ift eine Untreue gegen bie ©diebte, ein S^ebruc^."
„(Sine ©^e füllte eigentlich eine langfame, continutrlid^e
Umarmung, ©eneratton, malere ^iutrition, Silbung eine§
gemeinsamen ^armonifrfien 2Be[en§ fein."
S)er ©rang, fic^ mit ber beliebten gu öeröonfommnen,
t^r 5ur ^ßollenbung ju l^elfen, ift bie ©eete feiner Siebe;
tiietteid^t ift ta§ bie allerfeinfte unb atlergröfeefte <SeIbft-
lofigfeit ber Siebe, ba§ t|m i^re SSottfommenfieit mefir om
^erjen lag al§ feine eigene. 3fJur mu^ man nid^t bcn!en,
'ba^ bie Solge biefeä 3öeali§mu§ jemalg Unbulbfamteit ge-
luefen fei; feine ^l^antofie h)eilte nid^t bei etlüaigen 9)^ängeln,
fonbern bei ber in SSoHenbung öorfd^lüebenben ©eftalt, ber
fie ju gleichen befttmmt n^ar.
(gg ift eigent|ümli(^ , tute S^JoüaliS' 3luffaffung überein-
fttmmt mit ber Siebeätljecrie be§ 9laturplji(ofop^en Saaber,
ben er jiüar über 5itte§ üere^rte, beffen barauf bejüglic^e
©Triften ober erft nad^ feinem 2:obe entftanben finb. 2UIer=
btng§ ift ber ^'ern öon S3aaber'§ Se^re nid^tä '2(nbre§ aU
bie 9Jil)fttf Pato'g unb Qafob S3ö^me'§, ju irelc^en beiben
atle iRomantifer eine innige ^öeriuanbtfc^aft füljlten. Saaber'ä
©ebantengang ift etnja fo: 2lbam, fo tuie t^n ®ott §u feinem
(Sbenbilbe gefd^affen i^atte, ionr 9}Zann unb SBeib ^ugteic^,
ein ganjer ÜJienfct). ©r fanf au§ feiner tio^eren DJatur in
bie fleifdjlic^e baburct), ha'^ er nad^ bem ^dht in i^m ge-
lüftete, unb mit biefer Spaltung, ber Schöpfung be§ SBeibeg
au§ i^m, iDurbe ba§ ©otteSbilb jerftört. 2)ie SBieberooII»
enbung be§ ©otteSbilbeg ift ha^ 3tel be§ SUienfc^en. ®teg
Sebem üorfc^luebenbe 33ilb nennt löö^me ^hta ober aud)
©op^ia, SBeiö^eit, nieil e§ nämlic^ bie 9}ienfd^en ^ur SSoII»
fommen^eit lueife. ©in einziger äRenfc^ ift auf ber ©rbe
erfc^ienen, in bem beibe S^laturen (Sin§ luaren, C£§riftu§, ber
9ioiunnti jd)e SicDe. 275
(^ottmtn'id), ber, tüte Slöam, ber er[te ^olbmenfc^, am Ein-
gänge be§ alten Seftamente^, am (Stngange be§ neuen fte^t,
la^i bie gteligion ber Siebe üerfünbet, al§ Sürge, ha^ ber SKenjc^
'i>a^ öerlorene ""^^arabteg lieber geminnen fann. ^ucfj bie ®nge(,
bie fein ©ejc^Ied^t ^aben, finb S^ertijrperungen ber 2lnbrogi}ne.
9^ur ^teraul lö^t ftc^ begreifen, marum 9ioüaIt§ eine
fo befonbere greube an bem 9Jamen feiner ©raut, ©op^ie,
l^atte, unb fttarum er nac^ i^rem Xobe luie ein gelbgefc^rei
ober eine ^arole hk S33orte: (S§riftu§ unb Sopi^ie! in fein
Xaqehüä) nteberjufc^reiben liebte.
Söenn nun eine ä)Zanne§= unb eine 2Beibe§feeIe fü^fen,
bafe fie mit einanber ta^ üerlorene ©ottesbilb tierfteHen
fönnen, fo entfte^t Siebe. ®ie muffen in @e|nfuc§t ju ein«
aiiber entbrennen, nic^t lueil fie ^älften eine§ ©anjen finb,
fonbern ^älften, au» benen ein ©anjes raerben fann. ®§
tft bie ^rt ber ^bea, ha^ fie bem SJknne al§ grau er«
fc^eint, ber grau aU 9Jtann, obrao^t fie feinet non beiben
ift. ®arau§, ba^ ber Siebenbe ha^ 33ilt) ber SßoIIfommen^eit
burd^ bie ©eftalt ber (Sieliebten i^inburc^fc^immern fietit,
erflärt Saaber bie ^bolatrie ber Siebe, unb er nennt biefe
SSifion ben ©ilberbUcf ber Siebe, ber ben meiften 9J?enfc^eu
letber aH^u rafd^ entfdiminbe. !J)enn in i^rem erften ©tabium
tft bie Siebe nur Srieb, fräftig, lüorm, einig, aber ge-
brechlich. 9^iemal§ gleitet fie ganj unmerflic^ in ba§ §meite
iiber, wo fie beiüu^t tuirb. @l bebeutet baefelbe, tuenn
griebric^ ©erleget einmal fagt: „SBas man eine glücflic^e
ö^e nennt, öerplt fic^ jur 2iebt lüie ein correfte» ©ebic^t
5U improDifirtem ®efang"; nur tia^ man oielleic^t in ber
Slrt be§ 2lu§btucf§ eine S^orliebe für ba§ SSolf^mä^ige unb
alfo \vLi bie Siebe im ©egenfa^ jur ßunftpoefie unb gur
(5^e mittern fönnte, meiere Slnfic^t aber Schlegel eigentlich
fremb mar. 9Jian taufest fic^, fagt 33aaber, roenn man
18*
276 Ütoniantiirf)e 2ic6e.
glaubt, bie Siebe !önne paffiö genoffen tcerben; btetmeJir ift
fte ein gu Iöfenbe§ Problem, ®abe «nb 5Iufgabe äugletd^.
(£r fü^rt ba§ allerliebfte (SJIetc^nt^ Don ben 5Iffen an, bie,
luenn fie bie SD'Jcnfci^en jiifi am treuer lüärmen fe|en, ha^
^wax t^nen nac^mad^en, ober, ba fie fein ^olj nad^Iegen,
balb frierenb an ber Slfc^e fi|en. ®ie 5tufgobe i[t, ta^
'i)a§' S3ilb, ha^ ntc^t Uxpnliö) ift, fonbern nur in ber ©gtafc
ber Siebe nja^rgenommen n^urbe, fieröorgebrad^t irerbe.
©egenfettig foHen Tlann iinb SBeib fic^ bel)ilflt(^ fein, t|re
9J?anni)eit unb 2öetb|eit in etnanber §u überirinben unb ju
ergangen, lüeld^eS SSort ja bebeutet gang ma^en, trü| ber
©c^merjen, bie biefe (gntunrfelung mit fic^ bringen mu^.
S)enn ha§ neue S3ilb fann nid^t oollenbet n^erben o^ne ^er-
ftörung be§ atten. Sllfo fommt S3aaber §u bem ©d^Iuffe,
ta'^ \vat)xt Siebe nic^t fein fönne, oljne ha'^ 9JJannt)eit unb
SBeibi^eit i|r geopfert merbe; „tt)a§ aud^ bagegen fentimen=
tale ober einfältige 2>i(^terlinge unb 3f{omanfd^reiber gur
5t|30t^eDfirung ber 3KännItd)feit unb SBeiblic^teit un§ öor-
Iciern, loomit fie bod^ nur ta^ X^kx im 2Jienfc|en apo-
t^eofiren motten."
^emanb fagte einmal öon XiecE'g SBerfen, man muffe fie
ntc^t einzeln beurt^eilen, fonbern atte jufammen at§ ein
©angeg, luie man tttva einem got^ifd^en SJJünfter gegenüber
ücrfniiren muffe; bie§ lie^e fid^ ebenfo gut auf bie Stomantif
felbft antüenben. ®enn fie wirb erft bann ju einer fo
majeftätifc^en (SrfcJieinung, luenn man ba§ Sneinanbergreifcn
unb Sneinanberiüirfen atter ^hnn fie^t, unb rate ta^ @inc
ba§ Stnbere erleut^tet, befräftigt, erweitert, fo ta'i^ in bem
ganjen großen S3ilbe jebeS, toa^ für fid) attein betracfitet
oietteic^t toittfürlid^ ober öerjerrt erfd^icn, an feiner ©tette
ba§ fc^önfte, raa^rfle Seben ^at. SÜßie üiele§ §um Söeifptel,
ganj unabi)ängig öon $8aaber (Sntftanbeneg öeretnigt fid^ fo
SRomantifd)e Sieße. 277
gtücf(id^ mit feiner 5tnf(^auung: [o bie 5tiific^tett ?5nebrtc^
@d^(egel'§ über hk SJJännlid^feit unb 2öetbltcf;fett, ha^ fie
nämli(^ betbe jur I)üf)eren SRenfdjItd^feit gereinigt Serben
muffen, unb in golge beffen feine (Sl)mpatl)ie für bie antife
SJJeinniig, ha'Q eble ober ^immlifd^e Siebe nur gtuifd^en
9.1iännern ^u finben fei; roelrfie 9JZeinung für biejenigen be=
rec^tigt ifl, bie nidit baran glauben ober nid^t barauf fommen,
t>a^ ba§ ®efd)Ied)t gtüar nid)t öertilgt inerben folle, aber
boc^ ber 9J?enfcf)ljeit untergeorbnet tüerben fönne. Ober
bann, mte fc^ön unb bebeutenb erfd^eint auf biefem Öirunbe
ber anmutljige ©a^ Söilljelm ©c^legel'^: SJi^fti! ift, iüa§
alletn ha^ 5luge be§ Siebenben an bem ©eliebten fie|t.
2Bie ffar öerftänblid^ mirb bie faft (eibenfd^aftlid^e perfön-
lic^e Siebe ju SefuI in 9iot)aIi§' geiftlicfien Siebern. ©anj
lüunberüoll aber ift e§, luie aud^ biefe Unterfud^ung Saaber'§
burd^au§ au§ bem ©ruubjuge ber ülomantif eriüac^fen ift,
ta^ Unbelüuf3te beiuu^t §u machen, au§ bem triebe eine
^unft luerben ju laffen. SSie er immer bagegen eifert,
©tauben unb SBiffen aU etmaö notJ)iüenbig @ntgegengefe^te§
5U benfen, fo befäm^ft er ^ier alle hk, luelc^e bie
SBiffenfc^aft in unb für hk Siebe al§ entbehrlich ober
unmöglich ober fd^äblid^ anfe^en; „ba ja boc^ bie
(Sc|Ied)tigfeit be§ nur irbifdien, foioie bie 25ortrefftidE)feit
be§ l^immltfs^en öro» barin befielet, ba| jener blinb,
biefer l^ellfe^enb ift."
Snfofern al§ ba§ Söefen ber Siebe ©e^nfucfit nad^ CSin^eit
unb bie ft^raft ift, 'i)a§ 2lu§einanberflie^enbe 5ufammen5ufaffen,
berut)t ouf ibr bie 9JJöglic^!eit formellen 2eben§ überhaupt;
fo tia^ man in t^atfödjlidifter S3ebeutung fagen fann: inferi
sunt ubi noii aniatur. SBcnu aber mit bem ©rang naä)
^Bereinigung ber nad^ SSerooIIfommnung nic^t oerbuuben ift,
fo ift bie Siebe eigentlich nic^t§ al§ ein ^uiü^finfen be§ oom
278 älomanttfcTje Siebe.
Seien ermatteten SJienfc^en in bie luonntge 9tu£)e ber Belnufet-
lofen 9iatur ober, tt)a§ ba§feI6e bebeutet, in ben Sob. ®a§
tft ber ß^cirnfter ber |eibni[c^en Siebe, bereu tjerfü^rerifd^er
(Sd^melj um jo me^r anjie^t, lüeit man fälfd;Iic^ glaubt, er
muffe nottilfenbig bem ^immlifc^en örog festen. ®a§ mu^
man aber nie öergeffen, ba§ bie 9tomanti!er burifiauS feine
©piritualiften tüaren: mit ber iinantaftbaren ©eligfeit ber
^immlifc^en lüoHten fie bie elementare ßraft unb @ü§ig!eit
ber trbifdien üerfc^meljen.
S3aaber beflagte e§, ha'^ bie Siebe nod^ nirgenb§ in ber
mobernen iTunft unb ^oefie loürbig bargefteHt fei, unb lüünfc^t,
e§ möge fid^ ein ®icl)ter biefe 5Iufgabe ftelleu; fie mü^te,
fagt er, aU ein recbter Öiegenfa^ ju ber Siebe gauft'g unb
(Srctc^en'ä erfd^einen, bie allerbingg ade @(f)önt)eit be§2:riebe§
|at, aber tragifcf) enben mufj, tüeil fie jum Uebergang in
ba§ jiüeite ©tabium nic|t burcfibringen fann. 9^DöaIi§ ^at,
lüeil er fein t)oIIenbete§ SBerf bintertaffeu ^at, ou^ eine
öottenbete ^arfteHitng ber Siebe nid^t geben fönnen. 2Bot)r-
fd^einlid^ l^ätte feine ^raft auc^ nid^t baju ausgereicht. 3lber
ber ®eift biefer Siebe lebt überall in Ottern, luaS er gefd^rieben
l^at, bnrd^Ieu(i)tet Me§ tüie bie ermärmenbe ©onne mit ber
linbernben 3äi^tlid)feit be§ 9}?Dnbe§. 2Bie ein gotbener
®iift bie SSilber mand^er itolienifdier TlaUx ganj über,5,iet)t
ober n)ie ber mt)ftifd^e ^arfnnfelftein ber morgenlänbifrfien
5IRärd^en in bie entferntefte ®unfel|eit glü^t, fo ift ein
©rfimelj üon SiebeSluft barüber ausgebreitet, §iel)t ber
leife, ent^ücfte 2It§em' einer inbrünftigen Seele ^inburd^.
Sc| tüill a(§ 93eifpiel ba§ SiebeSgefpräc^ junfc^en ^einric^
unb 9}?otbiIbe im Dfterbingen anfüljren, nacbbem fie fic^
berlobt hahen; o£)ne übrigen^ beftreiten §u inollen, ha^ e§
biefen ätberif(^en ©ebilben an fräftiger, )3acfenber (Sr-
f(^einung mangelt.
51ioiiiantiicf)c 2tc&e. 279
„0 ©efiebte, ber ^immel f)at ®tc| mir jur SSeret^rung
gegeben, ^c^ bete 3)td^ an. ^u bt[t bte ^eilige, bte meine
SSünfc^e 5U 6)Dtt bringt, bnrc^ bie er fic^ mir offenbart,
burrf) bie er mir bie güUe feiner Siebe !unb tl)ut. 2Ba§ ift
bte ^Religion aU ein unenblic^e§ (SinüerftänbniB, eine etüige
SSereinigung liebenber ^erjen? 2Bo 3>uei t^erfammelt finb,
ift (£r ja unter i()nen. ^sd) 'i^abe emig an ®ir ju at{)men;
meine Sruft tuirb nie aufljören, S>id^ in fid^ 511 ^ie^en.
S)u bift bie göttliche i^ierrtid^feit, ha^ etüige Seben in ber
lieblic^ften ^n^t."
„Sild)\ ^einridj, 5)u luei^t ba§ ©c^icffat ber Slofen; n^irft
®u aurf) bie weifen Sippen, bie bleichen SSangen mit Bört-
lid^feit an S)eine Sippen brüden? 2öerben bie ©puren be§
3t(ter§ nid^t bie ©puren ber üorübergegangenen Siebe fein?"
„D fönnteft ®u burdf) meine 5tugen in mein ®emüt^
fefien! aber 2)u liebft mi(f), unb fo glaubft S)u mir aud).
3^ begreife ba§ ntd)t, tvas, man öon ber S^ergänglic^feit
ber SRei^e fagt. D fie finb unöerluelftic^. 2Ba§ mid^ fo un*
§ertrennlid) gu S)tr jie^t, lua§ ein etüige§ SSerlangen in mir
genjecft ]^at, ba§ ift nic^t au^ biefer 3eit. tönnteft 2)u nur
fe^n, tuie ©u mir erf(i)einft, lueld)e§ lunnberbare 53t(b S)eine
©eftatt burc^bringt unb mir überall entgegenleuc^tet, S)u
lüürbeft fein ^.Jllter für(^ten. Seine trbifd^e ©eftalt ift nur
ein ©chatten biefe§ Silbel. Sie irbifc^en Gräfte ringen
unb quellen, um e§ feftsu^atten, aber bie S'iatur ift nocf)
unreif; ba§ S3ilb ift ein emigeS Urbilb, ein S^eil ber un»
befannten, tjeitigen 2öeÜ."
„^d^ öerftefte Sicf), lieber ^einricli, benn i^ fe^e etuia§
2(e|nlid^e§, loenu id^ Std) anft^aue."
„S«, 9J?at:^itbe, bie f)ö^ere SBelt ift un§ näl^er, aU n^ir
gert)ö^nlid^ benfen. ©c^on l)ier leben toir in if)r, unb tnir
280 S{ümanti}d)e Siebe.
erbltcfen jie auf ha^ Snntgfte mit ber trbifcfien ?Jatur öer»
hJcBt . . . 2Ber toetB, ob unfre Siebe nic^t bereinft nod^ 5U
glammenfittigen tüirb, hk un§ aufEieben unb un§ in unfre
l^immltfd^e ^einmt tragen, el^e ba§ Filter unb ber Xoh un§
erreichen. Qft e§ nid^t fc^on ein SBunber, ha^ S)u mein
bi[t, ha^ id) ®td^ in meinen SIrmen Jialte, ba^ S)u mid^
liebft unb eloig mein fein tt)i(Ift?"
„5tucl^ mir ift jie|t 3lIIe§ glaublich, unb id) fü^te ja fo
beutlid^ eine ftiHe glamme in mir lobern, lüer toei^, ob fte
un§ ni(^t oer!(ärt unb bie irbif^en 33anbe allmälig auflöft.
©age mir nur, ^einridi, ob S)u auc§ f(^on bag gren^enlofe
SSertrauen 5U mir £)oft, lüaS ic^ ju S)ir ^abe? S^Joc^ nie
i^ab' idi fo etit)a§ gefüljtt, fetbft nid^t gegen meinen SSater,
ben ic^ bod^ fo unenblid^ liebe."
„Siebe 9Jiat^iIbe, e§ peinigt mid^ orbentlid^, ha'Q id^ ®ir
nid^t 5tlle§ ouf einmal fagen, ba^ id) 5)ir nic^t gleid^ mein
gan§e§ ^erg auf einmal tiingeben fann. (£§ ift aud^ jum
erften Tiai in meinem Seben, ba^ id^ ganj offen bin. deinen
©ebanfen, feine ©mpftnbung fann id^ bor SDir me^r geheim
^aben; S)u mufet 2tC[e# miffen. 9J?ein ganjeS Söefen foll fid^
mit bem ©einigen öermifd^en. 9^ur hie grenjenlofefte Ein-
gebung fann meiner Siebe genügen, ^n i^r befte^t fie ja.
©ie ift ja ein ge^eimni^öoHeS 3"ffli"tnenflie§en unfere§ ge=»
l^eimften unb eigentpmlic^ften 2)cifein§."
„^einrid^, fo fönnen fid^ noc6 nie jiüei SOIenfc^en geliebt
()oben, id^ fann'§ nid£)t glauben. @§ gab ja nod^ feine
SJiat^ilbe. 9Iud^ feinen ^timid). ..."
2)iejenigen, benen biefe ©prad^e unnia^r unb über-
fd^toengtirf) fd^eint, l^aben üielleic^t bie ®efü£)Ie i^rer S"9enb
öergeffen; unb tüa§ bebeutet e§, bo§ hie ®rfa!^rung oft ober
metften^ bie fd^ioinbelnben Sraumbilber oerjücfter Siebe jer»
9iomautijrf)C 2ic6e. 281
flört? SBaS 5U überfd^mängtid^ erfd^etnt, tft c§ oft nur nic^t
genug. SBer ineife, ob ntd^t fogar ber läd^erltc^en, [id^ einig
loieberöolenben Säufd^ung iebe§ Stebegpaare§, nie juoor fei
fo geliebt iDorben, loeit e§ nie jutior einen f otogen SJJann
unb eine foId)e 'Qiau gegeben Jiabe, eine S^atfadie oon felbft«
öerftänbüd^er )S'Iar§eit 5U ®runbe Hegt? „Sitte SBünfc^e ber
Siebenben", fagt griebric^ ©c^Iegel, „unb atte Silber ber
©id^tcr finb bud^ftäblic^ ira^r: nämlic^ ber flaffifd^cn S)id^ter,
ber ed^ten Siebenben." S)a§ tuar ja W Sofung ber 9loman-
tifer, bie ftotjeften ^Ijantafien be§ ®Iauben§ in 2öirf(i(^feit
5U üerfe^en. ®rabe, lüa§ am Jüunberbarften unb bem SSer=
ftanbe am unjugänglid^ften f(^eint, luäljtten fie mit SSorliebe
5um (Stoff für ibr ge^arnifc^te§ ©enfen. 5)a^er i^r beftän*
btge§ 3ufanimentreffen mit ben bunfeln, gemoltigen 2Bei§=
fagungen ber 58ibel. Sluc^ in ^infic^t auf bie Siebe mar
il^nen jene SSerfünbigung be§ Slpüftef-^^auIuS: „ — unb Ujerben
^roei ein j^Ieifd^ fein. 2)a§ ©e^eimnife ift groB, tc^ fage
aber üon G^rifto unb ber ©emeinbe"; bie S3e^auptung atfo,
ba§ bie Siebe ^mifc^en Tlann unb grau ein gro§e§ ©leic^niB
ber menfd^Iic^en unb göttlichen Se^ielungen fei, hit geläufige
unb felbftoerftänblic^e. Söaaber erregte bei 9}?and^en Slnfto^
bamit, ha'Q er beftänbig bie geiftigften reIigiö§»p;^iIofop|ifc|en
SSorgänge burc^ ^erbeijie^ung erotifd^er S3i(ber erläuterte;
benn nid^t ^eber fonnte bie Sauterfeit unb Unbefangenheit
biefer Gonquiftaboren ber 2Ba§r£)eit begreifen. ^a§ ©efü^t,
ha^ bie Sofung ntter S^ät^fet im ©e^eimni^ ber 2itht liege,
trieb fie §um unermüblidjen g^uge gegen biefc «Sonne. Unb
luic e§ faft immer 9JoöaIiä luar, ber hie romantifc^en ©e*
banfenträume in bem reinften ^rt)ftatt mieberfpiegelt, fo ^at
er auc^ biefe Uebcrjeugung ^ett unb Iieblic§ gefaxt in ba§
2J?ärd)en üon ^t)acintt) unb 9iofenbtüt|c^en; unb noc^ fürjer
unb fc^Iid^ter in bem fierglid^en ^Diftic^on:
282 a^ontantifc^e Siebe.
SSeltcn Bauen genügt ni(^t bem tiefer langenben ©inne,
§Uier ein liebenbeS ^erj fättigt ben ftrebenben ßieift.
2Sa§ man al§ 9JJotto ühn faft alle mobernett Stomane
fd^veiben fönnte, tüo ba§ gelüatttge ©rängen unb S^retben
be§ gelben ftet§ mit einem SSerloBungStu^ fiefc^Ioffen föirb.
Unb aud^ barin läge atfo, foüiel e§ aud^ öerfpottet ftiirb,
eine tiefe SSebeutung unb SSered^tigung.
HKomantifd)c ^Viiuic»
Senn her 5err Ift Ber ®ctft. SSo nbcr
ber ©eift ber §err ift, ba ift bic greifjeit.
2)te ^ui), tneld^e auf ber SBiefc tf)r (Butter furfit, üer*
btnbet o^ne 3^i^fifel mit bem Slnbltd il}rer fettigen grünen
glädöe ein fd^mei(^elnbe§ @iefü^I öon SBoHuft. SIber tnietiiel
beglüctenber ift bie 3:I)eiInaöine be§ SJJenfc^en, bie felbfllog
über biefer f^Iu^ i^u£)t unb lüie unenbltd^ üiel ebler ift gar
ber ©ennfe be§ ^inbe§, ba§ mit ber SBiefe fpielt: bem fie
öielleicöt ein Teppid^für tanjenbe @Ifen ift, ober ein ^auber^
lüalb, in bem bie golbnen ^äfer aU üertüünfc^te ^rinjen
^erumirren, ober ein f($U'eITenber ^önigSti^ron für bie junge
DJfajeftät. (S§ ift fc^merjlid^, ha'^ bie S)fenf(f)en bie Sl'unft
ju fpielen fo batb öerlernen, berluftig gefien ber erftaun=
lid^en ©eiflesfraft unb »freibeit, bie bem ^'inbe au§ einem
grünen S3Iatt nad^ 93elieben einen 5:elter ober einen ^ut
ober einen @cf)irm maä)i. S)a§ ^inb ma6)t bie tobte 9?atur
lebenbig ober tobtet bie lebenbe, je nad^bem e§ fie gerabe
für ba§ ®rama fetner ^^fiantafie braucf)t: ein Saumftumpf
fann i^m aU 9JJenfcö bienen unb im näd^ften ^(ugenblicf
ein 9JJenf(^ aU ein Raufen ©teine. 2Bie fein fSi'örper un-
gemeine 2ei(f)ttgfeit ^um itanj i^at, fo fein ®eift, ber über
bie (5rbe hinfliegt mit gärtlid^er unb boc^ gleirfigittiger (Site,
ba fie tbm nic^t all tragenber unb nä^renber ©oben bienen
mu^. Uncrmüblic^ einen bunten 33aH in bie Süfte ju nierfen
284 9lomantifd)e S^^d^'^-
unb fid^ baran gu ergoßen, tüte bte uürbeinbe, immer Keiner
tüerbettbe ^ugel aufflrebt uttb luieber jurücf gebogen tt)irb,
ftunbenlang im ©rafe fi|en unb lüarten, f)i§ eine getüiffe
Keine ©ibed^fe mit rofa Seibc^en au§ i^rem SSerftede fd^tüpft
— n)ie balb tierliert ber DJcenfd^ biefe glüdfelige, man
möd^te faft fagen erhabene Uneigennü|ig!eit über jttjedöoHen
S3eftrebungen unb gelüaltigen öeibenjc^aften. SltterbingS tft
bieg SSermögen be§ ^inbe§, bie ®inge an fid^ unb ni(^t
nur in ^inblid ouf i|re 5(ntrenbung unb ^Sejie^ung auf
un§ gu fc^en, unben^n^t, unb nur luenn fie toittfürlid^ tüäre,
§iemte fie bem reifen SJ^enfc^en. 2(u^ ift e§ not^tüenbig,
bie ®inge benü^en unb befi^en gu njollen; benn n^er etüig
mit ber SBelt nur fpielte, tnürbe fid^ nie an i^r reiben, unb
toä) !ann man nur in kämpfen fid^ entraideln. SIber nai^='
bem ber SJlenfd^ bie tjer^öngni^üollen Kräfte feinet ©piel-
geug§ unb bie fc^önen, gefährlichen @c£)ä|e, bie barin der»
ftecft finb, fennen gelernt !^at, lüenn er bann n)ieber mit
t^r fpielen lernte! Sßenige finb baju ftarf, frei unb rein
genug. 2Bo unter (Srtuac^fenen gefpielt mirb, ^anbelt e§
ftd^ bod^ meiften§, tvmn man üon Mohe unb @^rgei§ ganj
abfielet, um ÖJeminnen ober um .Kräftigung be§ Körpers,
unb fo löblid^ aud^ ha§> SeMere ift, fo fann man bod^ nur
tjon demjenigen npirKid^ fagen, er fpiele, ber e§ aul ^Wed-
lüfer Suft t£)ut, bie allein mit fic^ unb ber 9^otur einen
^eitöertreib machen !önnte.
S)ie Slufgabe bei MaUx§> fei, fagte SBil^elm ©c^Iegel,
in ben ©emälben, bie 9}letifc^en fetien ju leieren, nämlic^
bie ®inge fo ju fet)en, mie fie erfd^einen, nid^t lüie n)ir un§
geföö^nt t)aben fie auf^yifaffen 5U untergeorbneten ^roeden.
föerabe fo in ber ^oefie: ber !5)urd^fd^nittSlcfer fragt ju-
näd^ft, njobon ein S3ud^ l^anbelt — luie in ber ?Jtaterei,
föaS ein 33ilb barftettt — iua§ boc^ !eine§lt)eg§ ba§ SBefenttic^e
3?oniantifd)e ^vonie. 285
ift. 2Ber gern t)i[tori[c^e 3?omane tte[t, au§ benen man
beiläufig 33eleörung fd^ijpfen fann, t^ut noc^ gro^ bamit; 2)te--
jenigen, bic ettüaS nad) einem p^ilofopljifcfien ©el^alte fragen
unb ©ebanfen aufftöbern, glauben öollenbg auf ber ^ö^e
ju fein unb §u ben oberen ^^Iintaufenb ju gepren. S)a§
aber mac^t ebenfotoentg ha^ ^unfttperf au§, rt)ien)o|I ber
^ünftler natürlirf) ®eift unb GJebanfen ^at, lüag immer
trgenbroie jur Geltung fommen luirb. !5)a§ fd^önfte ^'unft- i
Xütü entftel)t — n^ie ber fc|önfle Körper — tvtnn bie ^raft
be§ 5)icl^ter§ gro^ genug ift, mit bem ©toffe gu fluteten, tüa§
befto fc^n)ieriger, freilief) auc^ befto fc^öner in ber Söirfung
ift, je fditoerer unb ge^altooller ber ©toff. SBie menn ber /
SJJonb bie ©c^trerfraft ber ©rbe übertüänbe unb n^itlfürtic^,
tuie man e§ fic^ lüo^I oon öerflärten, freigeluorbenen ©eeten
üorftettt, fanft unb ficöer feinen 9ting burcf)!reifte. Ober
luie lüenn ein ^iuD, ftatt feine Drange ju effen, fie aU
58aft in bie Suft tüirft. S)er SBunfi^ ju fttegen, ber immer
loieber in ber 9Jienfc^£)eit auftaurf)t unb je^t al§ ernftlic^er
SSerfuc^ unternommen luirb, ift auc^ nur bie ©e|nfuc|t, tk
©c^mere -'beS ©toffe§ §u überiuinben. ^n ber Slunft fott ^^
biefe ©e^nfud^t Sefriebigung finben. S)aSfetbe meinten
©dritter unb ®oet^e, icenn fie tierlangten, ba§ bie gorm —
benn ba§ ift ja hk ®eifte§!raft be§ ®id^ter§ — ben ©toff
oer^e^re. Unb boSfetbe bebeutet bie üielberebete romantifc^e
Sronie, eine öon ben otelen Segripbeftimmungen, hk
griebrti^ ©erleget in bie Siteratur einführte. S)enn ba§
beftänbige SSerntc^ten unb 5Jteuf^affen feines @egenftanbe§,
moju nac^ i^m ber ^ünfller fäf)ig fein foll, ift ja nid^tg
2(nbre§ aU feine SReifterfc^aft über ben ©toff, ben er fic^
felbft geiüä^It, in ben er fic^ öertieft ^at, au§ bem er fid^
aber ieber^eit ergeben fann, um i^n beliebig 5U öern)anbeln
unb in iebe gorm gu bringen, ©in geiftigeS güegenfönnen.
286 9tomantif(^e ^ronie.
?te^nttd§ tüie romantifc^e ^oefie-ntd^tS 5lnbre§ ift aU
^oefte über£)au)3t, ^oefie ber ^oefie, ber @j;traft, ber naä)
2lu§f(f)etbung alle§ Unpoetifd^en übrig bleibt, aljo üerbic^tete
Sichtung, fo ha'^ unromantifc^e ^oefte ntd)t§ 3lnbre§ l^ei^t
qI§ unpoetifc^e ^oejie, t[t auc^ ber S^egrtff ber romantifd^en
Sronie burd^au§ nid^t etma§ fo 33efonbere§, öon ben 3toman-
lifern @rfunbene§ ober i^nen 2lnl^aftenbe§, tüie man oielfad^
gemeint £)at. Man tonnte romantifd^e Ironie am S3e[ten
mit ®ei[te§frei^eit überfe^en. S^id^t naturIo§, aber naturfrei
ift ber tt)a^re S^^onifer. @r ^at hk gä^igfeit, fic^ öon bem
irbifdEien ©lement, in bem er lebt unb n^ebt, ju löfen, at§
ein Suftfd^iffer empor.'iUfteigen unb bie ©rbe aU loinjigen
^unft unter fid^ öerfc^ioinben gu fe^en, bie üer^ältniBmä^igc
3^ic^tig!eit ber lebenben ^ugel §u erfennen, bie, fo lange
fie feft unter feinen gü^en tüor, fid^ fo breit mochte unb
unerme^Iidf) auäbe^nte. 5tuf (Srben fd^on eine foti^e Slnfic^t
be§ Sebeng ^aben fönnen luie ein feiiger ®eift, ber mit
ät^erif(f)em Selb, ein icel^enbeg Öüftc^en, über ben tofenben
aJJarft be§ Sage§ ^inftreic^t.
9Kc^t§ ?(nbere§ fd^einen mir bie üerfd^iebenen 5lu§fprüc^e
ber Ülomantifer über Ironie ju bebeuten, menn j. S. t5rieb=
ric§ ©c^Iegel fagt: „fronte ift f(are§ S^eiou^tfein ber emigen
Slgitität be§ unenblic^ öollen ©^aoS" unb „SSir muffen
un§ über unfre eigne Siebe ergeben unb \va^ \vit anbeten, in
©ebanfen öerntc^ten fönnen: fonft feblt un§, lüa§ loir and)
für anbere gäfiigteiten .i^aben, ber @inn für ba§ SBeltaH."
%kd bemerft einmal, ba^ man einen ©egeuftanb, ben
man liebt, erft befi^e, menn man etiuaS Säc^erlic^eS an t^m
finbe; ba^ er feinen greunb unb feine beliebte l^aben möge,
über bie er niemals ladien ober Iä(^eln fönne, @o ift e§
teijenbe fronte in ben @rie(^en, menn fie i§re ®ötter in
anmut^iger SBeife bem ©eläc^ter preisgeben, ofine baburd^
3Jomanttfcf)e 3^'oiüe- 287
t!§re üll)nipifc^e ^errlidjfeit an,^uta[icn; lute auö) W ©otter
felbft über %ui^ iinb 5I|3£)roi)ite lacfien, bie beöluegen bod^
§e^r an ^roft imb Sd^ön^eit tu tljrem Greife thronen. Unb
jc^Iie^üd} beruht el auf berfelben ^raft, luenu man, luie
S^oüaliö e0 öon ben älieufd^en üerlangt, ha^ gnnje Seben
h)te eine „fci^öne gentalifcJie 2;äufc|uug, ttjie ein Ijerrlid^e^
©d^aufpiel" betrarf)ten fann. ©id^ alljutief in ben ©c^merj
üerfenfen unb in i^m |aften bleiben, erad^ten fie [ür ©ünbe,
für S)umm6eit, menn man ben ©c^erj auf hit ^inber be-
fd^ränfen unb eine§ ernften SJZanne» umuürbig ad^te'n h)itt.
SÖSie Xkd im S^^^^^o fagt:
„§a6t i^r'§ jc^on uerfudjt ben ©c^evä al§ (Srnft
3u treiben, ©ruft al§ ©pa^ nur ju fiet^anbeln?
9)itt £eiben
Unb g-renben
©leic^ lieölid) ,yi fpielen
Unb ©djmeräen
3nx ©c^erjen
©0 letfe 3U füllen,
3ft weu'gen bejdjieben.
Sie iuäf)Ien äum g-rieben
3)a§ eine öon beiben,
©inb nidU ,^u beneiben;
Sldi gar ju beid)ctben
©inb boc^ iljre J^reuben
Unb fauni üon iieiben
3u unter}d)ciben."
(Sinftimmig luaren bie Stomantifer in bem 9fiui^me ber
SSielfeitigfeit, bie o|ne gro^e @d)neUfraft be§ @eifte§, mit
ber er fid^ öon bem einen ©egenftaube 5U einem anbern
fc^luingt, nic^t ju erreid^en ruäre.
griebrid^ ©c^tegel: „(Sin red^t freier unb gebilbeter
SJJenfcEi müfele fic^ felbft nad^ ^Belieben p^ilofopl^ifc^ ober
^l^ilologifd^, fritifc^ ober ^oetifd^, Ijiftorifd^ ober rtietorifc^,
288 9'iDmantifd)e ^vonic.
antif ober mobern ftimmen fönnen, gang tt)itlfürltc§ , tüte
tnait ein ^nftrument ftintmt, 5U ieber 3ett unb in jebem
©rabe."
S^iottaliS: „^er oullenbete 9JJenfc^ mu§ gteid^fam an
mehreren Orten unb in mehreren SDJenfc^en leben , i£)m
muffen beftänbig ein tüeiter ^retl unb mannigfad^e S3egeben='
beiten gegentüärtig fein. §ier bilbet \id) bann hk ma^re,
großartige ©egenmart be§ ®eifte§, bte ben ÜKenfc^en sum
eigentlid^en SBeÜbürger mad^t unb i^n in iebem Stugen-
blicfe feines Seben§ burc| lüoi^It^ätige Stffociation rei5t,
ftärtt unb in bie §elle ©timmung einer befonnenen X]^ätig=
!eit oerfe^t."
Söenn man nun fagt, e§ fei, gerobe bei S:iecf, bie Ironie
(S(^ulb baran, baß er 9iic^t§ recfit etnft unb grünblic^ ^ah^
erfoffen fönnen, ober hu Simonie fei eigentlich nur Unfä^igfeit,
ein toarmeS, ed^teg ©efü^I für irgenb einen ©egenftanb 5U
^ben, lüesniegen aud^ bie romnntifc^en ^ünftler fid^ bei
bem tiefen beutf(^en SSoIfe nie fiätten einbürgern fönnen, fo
ift baran fo öiel rva^t, ha^ ber tieffinnige, ernft^afte (Seift
feiten fo leidet unb fc^nell ift wie ber oberftäd^Iic^e unb
barum oberflächlich, Iei(^t unb ironifc^ oft äufammenge^en
unb oielfac^ aU unjertrennlid^ betrad^let loerben. Slber
man möge nur an ©oet^e beulen. „9J?an loffe fic^ alfo ha^
burc^", fagt griebrid^ ©d^Ieget in feiner S3efpre(^ung be§
S^ieifter, „ha'^ ber S)td^ter felbft hk ^erfonen unb S3egeben-
:§eiten fo leidet unb fo launig §u nehmen, ben gelben faft
nie ol^ne Simonie ju eriüäfinen unb auf fein SJieiftermerf
felbft öon ber ^ö^e feines ©eifteS ^erobjnläd^eln fc^eint,
nic^t täufd^en, als fei e§ i^m nic^t ber l^eiligfte ©ruft." Seicht
unb fd^iuer jugleid^, naturfrei, aber nic^t naturloS fein, baS
ift eben hk :paraboje Stuf gäbe, bie bem Slünftler geftellt
n)irb; unb fo oerfte^t man aud^ ben gunäd^ft etioaS bunfel
9?omantijcf)c Ironie. 289
flingenben 2Iu5|pruc^ t^ttebric^ ©d^feger^: „fronte t[t bte
gorm be§ ^iparaboi-en. ^araboj ift 5IIIe§, lt)a§ äugletd^ gut
unb grofe t[t."
@» ift eine ßiimmerüc^feit, ba^ bie 9Jien[c^en fic^ ge=
tüö^nt ^aben, an bem fc^äbigeii, t)öljernen Gntmeber^Cber
ju ^infen. Sie lüürben niemals glauben, ba^ ein ®en!er
praftifc^ fein fönne, unb n^enn er öor t^ren 5tugen, in
2(6n)efenf)eit feiner S^^au, einen ^au§f)alt mit fieben ß'inbern
fparfam, öernünfttg unb geräufc^Io§ regierte, luürbe man
nac^ mie üor babei bleiben, ha^ er jiuar fc^iuerDerftanblic^e
SBerfe f (^reiben, aber nidjt einen einätgen f leinen Jftoffer
leibltcö pacten tonne. jDie {^olge baüon ift, 'ba% ton nac|
einer geiüiffen 9iic^tung 'i)m e^rgeijig ift, ba§ (Sntgegen-
gefe^te ober ©egenüberltegenbe in ficf) unterbrücft; wie benn
junge 9Jiäb(^en unb junge ßünftler i^ren SSerftanb meiften»
Derbergen, am liebften ausrotten möchten, jene um für fd^ön
unb naio, biefe um für genial §u gelten. SInberfeit» ^ält
man e§ aud^ für überflüffig, loenn man eine &abe ober
Üieigung ^at unb i^ier ausgezeichnet ift, 'i>u anberen Seiten
be§ menfc^tic^en SEefeuö au§5ubi(bcn, aul gui^^t, jene§ ju
beeinträ(^tigen ober meil e& ja boc^ erfolgtog fein muffe.
S)a^ e§ unmöglid§ fei, jugleic^ grofe unb gut ^u fein, ift
jebem felbftöerftänblict), fo ha^ man ^äufig lefen ober boren
fann, S^manb fei gu grog gemefen, um gut fein ju fönnen;
njö^renb man oielme^r fagen foüte, er fei nic^t gro| genug
gettjefen, um ^ugleid^ gut ju fein.
Sronie fann unb fofi jtrar in jeber Xic^tung fein; aber
bie eigentliche ßunftform ber Ironie ift bie Somöbie. @ie
entfielt, ntenn bie öeifteSfraft be§ S;ic^ter§ fo gro^ unb fo
beftänbtg hjirffam ift, ba| er ba§ natürlich Seibenfc^aftüc^e,
iDorauS ha^ ^^ragifc^e t)eroorgef)t, ooßfommen auflöfen unb
in geiftige§ ©enteren oeriranbeln fann. 2)arum tritt bie
^ud), 9{omantifcr. 19
290 5Romautifcf)e 3i^D"i^-
^omöbie aU bie fpätefte S31ütlje ber Kultur mit ber macJifen*
ben S3efonnen^ett unb bem gretlüerben be§ ®eifte§ auf, unb
ein Jüngling totrb t3iel e|er ein njirf[amey S^rauerfpiet aU
eine leibliche ^omöbie üerfaffen fönnen. OTe SSerfudie ber
(Segenirart, bie tragifc^e Ä'un[t neu §u beleben, muffen fe|I=
fd^Iagen, aber me^r unb me|r n)irb ba§ Suflfpiel, ba§ lüa^re
(S^iel pd^fter Suft, fid^ entfalten. S)teienige ^omöbie, lüo
bie ^eiterfeit nur l^ie unb \>a auffladert n)ie glämmd^en
auf buntlem ©runbe, lä^t fid^ bem gcnjaltigen @rgu^ ber
öernid^tenben Seibenfc^aft im STrauerfpiel nid^t gleic^fe^en;
©nergie unb Seibenfd^aft be§ ^ubelg, ein rofiger f^euerftrom
ber greube mu^ ha^ Sütün'\t?-'ln'\i\pitl fein, ba§ @^afefpeare'§
SJiufter un§ a^nen laffen. (Sbenfo toie in ber Sragöbie ha^
innerftc ^n^ burd^ ben erhabenen Sflt"Dicr unb iinau§tt)eid^«
baren Untergang be§ -Seben^ erfc^üttert lüirb, fo mu| e§ l^ier
burd^ ben «Sc^umng unfterblidier SBonne öon ber @rbe lüeg.
geriffen unb unter bie ©ötter t)erfe|t icerben. S)a§ märe bie neue
S)td^tung§art, bie griebrid^ ©d^Iegel ba§ (Snt5ücfenbe nennt.
@r l^at haS' Söefen unb bie 3uf"nft ber ^omöbte meifterf)aft
in feinen ©d^rtften über bie ©ried^en bef^rodEien unb al§
i^re 5lufgabe bejeid^net, mit bem fleinften ©d^merj ha^
tjöd^fte Seben gu bemirfen.
„®ag !omif(f)e ®enie üerlangt aud^ äußere 5rei()eit, !ann
o^ne biefe ftd^ nur bi§ gur ©rajie, nie bi§ ^nm pd^ften
©rf)önen erJjeben. Sie niirb e§ erretd^en, tüenn bie 5Ibfid^t
öieUeidit in einer flöten 3u^»"ft i^^ Öiefcf)äft boHenbet unb
mit 5Ratur enbigt, tüenn ou§ ©efe^mäfeigfeit grei^eit mirb,
tüenn bie Söürbe unb bie t5i^eif)eit ber ^unft o^ne <S>d)ü^
fi^er, tüenn jebe ^^raft bes 9Jlenfd^en frei unb jeber 3)Zife-
braud^ ber i^rei^eit unmögüd^ fein lüirb. 3tt§bann lüürbe
aucJ) bie reine greube, ot)ne ben ^uf at^ be§ ©d^Ied^ten,
tueld^er je|t bem tomifcfien notl}lüenbig ift, an fid^ genug
9{oinnntiicf)e fronte. 291
Dramattfd^e (Snergte Ijaben; Ue S?omööie iuürbe ha^ t)oII=»
fonimenfte afler bramntifc^en Sl'iinftmerfe fein: ober öie(me!^r
an bie ©teile bei ^lomtfc^en luürbe "öa^ ©ntjücfenbe treten,
unb föenn e§ einmal bor^anben iimre, eipig beharren."
®ö lag geiütfe nirf)t nur an bem 9KangeI äußerer grei^eit,
fonbern and^ an Xied'v D^atur felb[t, bafe fic| fein fomifc^eg
®ente nur bt§ jur ©rajie erf)ob. S3ieIIei(i)t Ijatte grtebrid^
©d^Iegel ben Segriff ber fronte unb ^omöbte gerabe be§=
tücgen fo burc^bringeu fönnen, Jiieit iljm, bem ©c^U'eren,
^lle§ fehlte, um ein ^unftiperf in biefem ©eifte fd^affen §u
!önnen. 5lber fein f^reunb 2^tecf, üon bem er mit gut-
müt^iger ®eringfcl^ä|ung, ber ftattlic| runbe 9J?ann, fagte,
ba^ er ii)m an Setb unb Seele gleid^ mager öortomme,
öerftanb fic^ auf ba§ Sianjen unb Stiegen. Unb njenn auc|
fein ©eftiefelter ^ater baöon fern ttjar, ta^ ^o^t ^beal ber
^omöbie, ba§ j^nebric^ aufgefteHt ^atte, 5U erreid^en, fo
fonnte er öod^ all Heiner SRorgenftern, befd^eibener 5ßor-
läufer ber ©onne gelten unb rief in fofern ein beredfitigte§
©ntjüden unter ben Stomantifern t)eröor. ®enn bie§ Suft-
fpief njar unrflid^ nid^t§ aU ©piel, eine luftige Gom^ofition,
tüit ber ©ic^ter felbft fagte, gan§ au§ @^aum unb leichtem
©d^erg beftel^enb. ©d^on ba§ fd^eint ©piel, tin Sinber==
mannen, fo ein rec^t finbifd^e§, mutl)iutttige§, fo ernft ju
nehmen, ha^ man e§ 5um ^n^alt eine§ ®rama§ mad^t.
?lber: n^arum foH eben ^ntjatt ben Sniialt etne§ ©ebic^teg
Qulmad^en? Ijat Siecf einmal gefagt. Unb toie nun bie
(Sntrüftung be§ ^|ilifter§ über Ut t^öricfite ^inberei mit
auf bie S3ü^ne gebracht Wirb, bemerft man, ha^ e§ ftd^
garniert um ba§ Wäxd)m ^anbelt, fonbern um ha^ ^ublifum,
ta^ x^m 5ufie§t. ©ennod^ !ann man ni(^t fagen, ta^ auf
eine eigentliche SSerf|3ottung be§ ^ubli!um§ abgezielt fei,
njoburd^ in ba§ ©piel eine fti3renbe 5tbfi(f)t unb ^erbigfeit
19*
292 Stomautifcfie 3'^onie.
getragen luürbe: bte bieberen, efirenfeften SOMnner, bie mit
fo ötel tüchtiger 33e[treBung unb aUe^ ^uii[tgefüf)Ie§ bar
tn'§ 5:!^eater ge^en, inerben in SReif) unb ©lieb auf hk
S3üf)ne gefeilt, unb ha^ leije, fier^ttc^e ßJeläc^ter be§ guten
Xid^ter» gaufeit beinahe niel)r üerjc^önernb al§ der^ölinenb
um ifire breiten giguren. 9J?an mu§ fte bod^ [oft lieb-
geiüinnen; ben treul^erjigen, be|agtic^en 9}iuIIer, ber ftc^ fo
rec^t gemüt|Iicf) für bie ©lüigfeit §urec^tfe|t, ben Sweater*
jettel lieft unb fagt: „^d) ^offe boc^ nimmerme:^r, ha'^ man
bie ^inberpoffen mirb aufg Sl^eater bringen. (£i! ei! nac^
nE ben 2öod)enfc^ri]len, ben foftbaren ^leibungen unb ben
oieten, üielen ausgaben! 2!enn el ift ba§ Zeitalter für biefe
^^antome nid)t me§r." ®er aber boc^ nie abläBt ha^
S3efte §u hoffen unb ftd^ innig wünfc^t, einmal eine rec^t
raunberbare 2lu§ftattung§ = Dper o^ne 9}?ufif ju fe^en ober
benn ein orbentlirfieg gamitiengemätbe. Sann ben ibealifc^en
©c^Ioffer, ber nac^ tieffinniger religiöfer ^f)iIofo^^ie unb
Freimaurerei oerlangt unb in bem ^ater ben oerlartjten
^räftbenten einer gei)eimen ©efeUfd^aft toittert, ber in einem
oerborgenen Heller für ha^ @bte unb ©ute roirft. ®en gefc^macf'
Doßen 5if(^er, beffen fcfiarfem SSerftanbe feine Unnatürlich«
feit unb fein 2Biberfprud^ entgel^t, ber aufmerft, ob tit
®§araflere fic^ auc^ treu bleiben, ber fo garniert praljlt
mit feiner Ueberlegen^eit, fonbern jie fein unb gefegt, tük
ein paar Drben, bie au§ alter ©eioofin^eit fd^on mit ^ur
^leibung gehören , fpajieren trägt. Unermüblic^ ift ber
5)ic§ter bemüf)t, iin§ fad^t in eine gelinbe ^ffufion einju»
fpinnen, in bem ?lugenblicfe aber, lüo »uir, fc^merfädig bem
©efc^ ber S;räg§eit nac^gebenb, un§ in i^r feftfetjen loollen,
fa^t un§ ber Seid^tfü^ige bd ber ^anb unb mir muffen
it)m folgen, bal ©eiuebe jerrei^enb, ba§ un§ eben ben Süd
ju umf(^Ieiern begonn. SSir meinen bann, ha^ fliegen ge=
^Rcmantiidje IJ^onie- 293
lernt ju ^aben, mä^renb e» bod^ nur ha^ tft, ba§ ber
S;raumgLitt un§ eine 23eile mit fic^ fütjrt.
(Späte e§ bie 5lb[ic^t be§ Sic^terS fein, ^fieater mit
bem Stjeater gu fpielen, fic| über ben f(^Iec^ten ®e)(f)macE
be§ ^ublifumg Iu[tig gu mad^en, fo njürben tüir, oblüo^t
bie ^ic^tung o^ne getüid^tigen 5(njprud^ auftritt, meinen
fönnen, e§ fei öiel Särm um Tdä)t^ gefc^Iagen. Slber, irie
%kd felbft fagt, man fann nid^t über ha^, Sweater fc^erjen,
D^ne über bie 2ßett gu fc^ergen. 2Benn ber ^ufc^auer
SSiefener fi^ über bie ^lufaren freut, bie im ©cftiefelten
^ater auftreten; „benn e§ finb hk Sente feiten fo breift,
^ferbe auf'§ 2|eater ju bringen, unb ttjarum nid^t? @ic
l^aben oft mel^r 5>erftanb al§ bie 9J?enfd^en. ^d) mag lieber
ein gutes; ^ferb fe^cn al§ fo mand^en älJenfc^en in ben
neueren ©tücfen" unb ber 9Jac^bar beiftimmt unb ^in§ufe^t:
„fd^abe ba^ fie fo balb lieber weggingen; id^ möd^te wo^
ein gan§e§ Stürf bon lauter ^ufaren fe^en — id) mag tik
^aballerie fo gern" ober roenn ha^ ^ublifum feine 9?u^e
^at, bi^ (Siner im ©tücf auc^ burc^ geuer unb SBaffer ge^»
gangen ift tote in ber ^au^erflöte, fo ^anbelt e§ ftd^ ha
feine§toeg§ allein um äft^etifc^e S:umm§eit. ^n jebem
Urt^eil brücft ber naiö urttjeitenbe Tien\d) fic^ felbft au§,
unb infofern al» fic^ auf ben Srettern immer ein Stücf
Seben abfpiett, prt man im Urt|eil be§ ^ublifumsi über
ein 2)rama feine 2Iuffaffung bes Seben§. S^ied'ä ©eftiefelter
^ater tok aud^ feine anberen p^antaftifc^en ^omöbien finb
tro^ aller ^Bejietiungen auf getotffe titerarifc^e ^^erfönti(^*
feiten unb 3uftänbe irefentlid^ ein jubeinber @c^erj über
hk SSelt tion ^^iliftern, über bie Unfä^igfeit ber SJ^enfc^en,
fid^ über ben näcfiften irbifc^en Qwed ju ergeben, über bie
Sße^äbigfeit, mit ber fie fic^ in ifirem toeic^tic^en SKorafte
lr>of)fgefanen, über hk ^Bünb^eit, mit ber fie an ber 2tu^en=
294 9tomantiid)e ^vonie.
jeite ber S)tnge fteben bleiben. 2Bie fie beim atbernften
©efc^irä^ Stueier SSerliebter fo fro§ finb, ha^ tofi) aud)
einmal etiüal füf§ ^n^ fommt, unb fid^ fo tüo^Iig füllen,
n)enn fie rec^t n^einen fönnen; Jüie fie bie SfiarrenSpoffen
üerac^ten, fid^ bielmeftr bilben unb beffern tüollen, o^ne bod^
jemals um einen 3ott öon i^rem niebrigen ©tanbpnnft
n)eiter5urücfen; tüie ber ^önig nic^t oi^ne ein be(e^renbe§
Sifd^gefpräd^ fpeifen lüill, berart: „2Bie rteit tft bie ©onne
oon ber (Srbc? |)oc^ geleierter: ^^eimati^unberttaufenb fünf-
unbfieb^ig unb eine öiertel 9JkiIe, fünf^el^n auf einen (Srab
gerechnet, ^önig: Unb ber Umfrei§, ben bie Planeten fo
inigefammt burd^Ianfen? ^od^gele^rter: SBenn man red^net,
tt)a§ jeber ©injelne laufen mu§, fo fommen in ber SotaI=
Summe etn^aS me^r aU taufenb S)^itIionen TUtUn i^erauS.
S'önig: Saufenb 9}JiIIionen! 2JJan fogt fdEion, um fid^ ju
üerJüunbern: ei ber Saufenb! unb nun gar taufenb SJJiHionen!
Sd^ mag bod^ auf ber 3BeIt nid^tS lieber ^ören al§ fo grofec
S'iummern — SJiiUiouen, Xrillioneu — ha ^at man bod^
brau 5U benfen — tt)ie haS^ ben (Seift befd^äftigt!" ja, mie
am <S(^(u^ bie befte ®eforation mit bem 5euer= unb
SBaffer5auber i^crausgerufen nnb beflatfd^t toirb, tüä^unb
bie ^ic^tung burcEigefallen ift — hn adebem benft man
nic^t an 2;^eater=Siteratur, fonbern lad^enb mit bem über-
miitf)igen ^id^ter: ja fo, fo finb fie! ^mmer nehmen fie
ben ©d^ein für ba§ SBefen, niemals luiffen fie, luorauf e§
anfommt.
Unb gegenüber ben fd^luerfäUigen ^Jtenfd^ent^ieren, hk
er an un§ öorbei^ie^en lä^t, be§ ^id^terg eigner Öieift, ber,
einem lebenbig quellenben 5ütt£)orn gleid^, unaufhörlich
feine mutJ)nji[Iigen ober tieffinnigen (Sinfätle um fic^ §er
auSfd^üttet, ba§ mon fid^ gunäd^ft nur an ber güHe freut,
lüie njenn man Oor einem übereinanber geworfenen |)aufcn
Momantlfd^e ^vonie. 295
Slumen ftet)t, o^iie bie eine um bie anbre ju Betrad^ten.
©eifenblafen fd^einen aufjufteigen: mäl}renb ber 58Iicf ber
einen folgt, bie fo lüonnig fc^immernb, (eic^t unb feierlich
ba^injc^U'ebt, linb fc^on anbre i)a unb locfen ta^^ Singe ju
[ic^, fo ta'^ e§ faum geiua^r lüirb, tt)te fc^nell bie einjelne
jerpla^t unb fid^ auflöft. SBte reijenb tft e§ im ^erbino,
wenn ber SSatbbruber beut ung(ücflic§ nerüebten ^e(ifanu§
rät^, bie ©infamfeit 511 fuc^en unb fic§ an ber Betrachtung
®Dtte§ 5U tröften, unb ^etifanuä fo ungebärbtg feinen 9lat^
üerfc^mä^t; unb tüie, luenn ijelifanus, burc^ alle unenblid^en
SiebeSfc^merjen aufgelöft, enblid) boc^ auf ben 2tu§tt)eg ge=
rötö, fic^ bem ©infiebler 5U ergeben, biefer unterbeffen feiner
SBefc^auIic^feit überbrüffig geworben tft unb fic^nacf) t^ätigen
SSerfen unter ben Tl?i\']d)tn jurüdfelnt. 2öie eigen mutzet
c§ un§ an, tüenn ber finbifc^e alte ftöntg mit S3(eifoIbaten
fpielt unb immer ben fünfzehnten SJiann erfc^ie^en Iä|t:
er nennt e§ Sc^icffal fpielen.
„C ttje^, ber fc^önfte Tlann ge^t jur 58ernicf)tung
3(cf) ja, ta^ <Bd}id']al kijxt ficf) nid]t an Ävoneu,
9ln Sd)Dn[)ett, D{eid]t()uni unb Xalente nid)tl
S)te unerbitt(id) bliube öanb, gelenft
SSon einem buntein, rät^fel^aften SSiüen,
©reift uniierfeE)n§ tiinetn unb fü^rt bie Seute
3um CrtU'ä, o^ne fie nur ju 6etracl)ten.
SBenn luir bie jyünf.^etju, bie geheime Dieget
3)er ^Jäcf)te bod) erforfc^en tonnten, bie
3Bir nur bie ^immlii'djen gu nennen pflegen,
SSeit ^immlifc^ un§ ba^ llnbetannte auSgebrüdt."
Unb tuieüiet breifter, entjücfenber SJJut^lüttten , menn
,3erbino, ber 9toüe, bie ber ^id)ter ifin fpielen lä^t, über=
brüffig, feiner Gi'iften^ ein ©nbe mad;en luiH, inbem er bie
9Jiafc^ine be§ ®tücfe§ jurücfbre^t bt» ]^inter bie ©cene, tüo
er 5um erflen SOial aufgetreten ift, unb nur bie öorte^te
296 ^liomaiitifd)e Sli'^nie.
(Scene luieberfommt mit t^ren ^erfonen, hie [e^r uniüitltg
ftnb, baB fie tl^re üorigen Sieben nun rücfmärtg fpred^en
follen unb nod^ öa^u mit t^ren bamatigen SBünfdfien unb
3)?einnngen in Sonffift fommen; luoburc^ fid^ aber 3fi^^tno
ntd^t [toren lä^t, ber öielme^r unermüblic^ bre£)t unb fc^raubt,
ha'i^ t^m ber ©d^ioeife öon ber ©tirne läuft, bi§ S5erfa[fer,
^ritifer unb ©e^er herzulaufen , t^n übertuättigen unb
fiinben unb bann ba§ ©tüd fd^Ieunig ju (Snbe bringen,
e^e fid^ bergleic^en n)teber|oIen fann. 9leben bem ©d^erj
unb ber Soüf)eit ge^t aber beftänbig leife, fü^füngenbe
2Be|mut^ , f^alh üerborgener S^ieffinn unb unerfd^öpflid^e
Siebe§ft)onne tjer,
(Sinem fc^önen O^eueriüerf, ha^ batb mit Sniftern unb
^raffeln, balb fanft unb gemac^, fprü^enb unb in ben
bunteften 3^arbentönen leuc^tenb in bie Siefe be§ bunfel*
blauen 9^ac^t^immet§ berftnft, gleid^t ha^ 9)?ufifmärd^en bom
Ungeheuer unb bem bejauberten 25?albe. @§ möd^te bem
©eftiefelten ^ater an Stunbung unb gtänjenber Saune dor=
gugie^en fein; aber im J^'ater fierrfrfit bie Ironie bor, ^ier
ha^ 9Kärd^en!^afte. Ueber ein btlberreic^eS, grotegfe^, mel^r
romanifd^e§ aU germonif(^e§ SD'Järc^en ift ba§ ®anje pn-
gefponnen: eine böfe föniglic^e Stiefmutter, bie mit §ülfe
üon böfeu geeen ben ebeln ^önig^fo^n in ein Ungeheuer
üerjaubert ^at unb bem stneiteu ^rinjen nad^ bem Seben
ftellt, unb tvk nun bie ®uten ben ©(glimmen entgegen-
lt)irfen unb ber iunge ^rinj, o^ne e§ 5U a^nen, ben S3ruber
erlöft, inbem er i^n befämpft.
„©iebt bie 5Selt nocf) anbre 3'i-eubcn
9teben 2Setn unb Siimbgefang?
5[>tag ber C'^clb am 9iut)m fiel) »ueibcn,
Si'einer luirb Ujn je beueibcu
Sei bem füjicit 23ccl)erf(nngl"
5Romantiic{)e ^^■'■^nie- 297
©0 berfe^t un§ ein jc^äumenbe§ Sieb, im ©arten 5n)i[cl^en
Springbrunnen unb ©tatuen Don jungen 9J?ännern unb
e^rauen gelungen, gteid) in bie öolle greubenmitte Ijinein.
Unter biefc tritt ber bebenfüd^e 9}?intfter ©ebaftiano, ber in
einer prächtigen 5Irie ba§ ©ingen qI§ eine unerloubte
©d^melgerei mit oungc unb (Sprache berbietet:
„33ei (iof}er Strafe mirb geboten
©0 tjiei al-i and) im ganzen iianb,
3Seit man ertappet Ü6er 'ücoten,
S)er tt)irb im 9(ugenblict üerfiannt:
©0 f)at ba^^ 9ieid) bitrd) midi erfannt.
SSa§ foKen bteje Iriüertünffc,
S)urd) bie man fonft ben TOonb Bejdiiüur?
@te [inb ein Siid)tS unb leere ®ünfte
Unb immer gegen bie 9?atur.
@prid)t 2eibenfd)aft in ^anfenfd)Iägen?
5)er ©d)merj in 3'lL^tenmeIobie?
©mpfinbnng ge^t auf anbern SSegen;
SSa§ jagt baju ^f)i[ülüp^ie?
Unnad^al^mnc^ tft bie fomifc^e 2Bürbe unb majeftätifd^e
©infalt, lüomit er öon ben |)eimfucf)ungen be» Sanbe» er=
5äJ)It unb feine S8eforgni§ , man möchte i^rer nie lebig
ft)erben, ta feine (S)efunb|eit i£im nid^t erlaubt, nad) bem
9?ec^ten ju feljen; unb baneben bie Unüerblüfft^eit be§ auf-
gefCäitcn 9J?tnifter Somelli, ber bem Könige bie «Sorge über
ba§ Ungeheuer unb ben t»er,^auberten SBalb bamit au§rebet,
ba§ biefe ^^ntome einer finbifd^en ^inagination ja gar*
nid^t ejifttren, unb bofe ein blü^enbe§, mit geiftreid^en
köpfen unb einfic^tsnollen Seuten angefüHte§ Sanb nid^t
ein 93all in ben Rauben ber S)umm^eit bleiben barf. Unb
bajmifd^en ber gänstic^ ratl}tofe alte Slönig, ber balb biefem
glaubt, balb bem Jammer be§ S3otfe§ unb feurig befd^üefet,
ba^ binnen Surjem alle biefe Ungeheuer, öersauberten |)atne,
298 SJomantifdie fronte.
^ropleten unb 2Bet[fagung§feIfen t^m über bte ©renje
tatijen f ollen; otine ba§ \iä) jemals SRenfd^ ober ßieift um
feine 93efe^Ie fümmerte. 3ule^t ber 3>üeifampf im ©ebirge:
ber ^rinj ringt mit bem Ungeljeuer, jtrei SfJebenbu^Ier
jd^lagen fid^ um ein Siebd^en, bi° beiben 9Jiini[ler, meil
Sometli bem ©ebaftiano öorhJtrft, er ^aht ben ^önig im
^tbergtauben an ha^ Ungetjeuer beftärft, ba§ garnid^t ei'ifttre.
©ebaftiano tuirb bejiegt:
ÜBillft bit bid) ergeben?
3c^ »xnfl mtc^ gern ergeßen,
SJur j(f)onen ©ie mein fiebert —
im Slugenblid aber, tüo ©ebaftiano, um fein Seben §u
retten, einen @d^h)ur tl^ut, ba^ e§ fein Unge£)euer gibt, njeit
biefc 3eit borüber fei, ba erfd^eint e§, unb beibe SOlinifter
entfliegen unter entfe|Iirf)em 2Se^gef(^rei ^aU über ^opf
nac^ öerfcEiiebenen ©eilen. 3>üifd^en biefer tollen ^omif
bo§ leife Siebeggepfter be§ ^rinjen unb 5lngelifa*^, ba§
(Sc^mirren ber guten unb böfen ©eifter, ba§ l^olbe Sieb ber
bienenben SJJäbd^en, bie ber Königin folgen:
3ief)t, tf)r warmen Süfte,
®urcl} bie SBhtntenfelber l^in,
©tel^It bem g-rütjUng ieiue Süfte,
Sßrtngt fie unfrer jl'onigin.
3Sd fie iuanbelt, |)3ielen ®efte,
folgen i^rem fioben ©ang,
S5öglein freuen fid) im 9?efte,
©rüfeen fie mit Sobgefong —
ftolgc, fd^metternbe SoG^fanfaren unb ber reijenbe SBal^nfinn
be§ öerjauberten SSaIbe§, in meld^em Strappola oHein feinen
SSerftanb bel^ätt; benn ber alte ©a^ beftätigt firf) an i^m,
„baB geföiffe Seute nid^t unfinnig luerben fönnen, n)enn man
aud) aae 5tnft alten bosu trifft."
9iDmantifcI)e i^i'C'nie. 299
2)a§ %ud biefe 3(rt don tronifd^er ^omöbte, bte fid^
fetb[t aufhiebt unb mit fid^ '\db\t %))taki \pkU, nti^t er*
funben l^at — bcnn 2lriftop^ane§, ©^afefpaere, Öioj^i,
^olberg tüaren feine Sorbilber — i[t Befannt; übrigen?
gleichgültig, benn e§ tf)ut il^rem SBert^e feinen ©intrag,
©benfo njenig, tvk id) beiläufig itotf) einmal ertüä^nen IniK,
barf man ha§ gegen fie anführen, ha^ atte bie literarifc^en
93e§ie^ungen un§ o^ne Kommentar nidjt me^r öerftänblid^
finb; benn fie macf)en ben ^ern ber ®idf)tung nid^t au§.
Unb tro^bem ift e§ gerechtfertigt, ha^ biefe reatiftifc^en
9}Järc^enfpieIe auc^ Don öfttietifd^en ?5einfd§mec!ern nid^t 5ur
löd^fteu ^unft gered^net n)erben, ba§ i|nen etina^ 511 icünfc^en
übrig bleibt; ja felbft ©dritter'? Urt^eil, ber fie nic^t§ oI§
leer unb gefd^lüä^ig fanb, fo befd^ränft e§ auc^ ift, lä^t
fic^ bo(^ h\^ ju einem gertjiffen ©rabe n}enigften§ üerfte^en.
Sm Prolog 5um 3ei^t)ino fagt 3:iecE:
„@o ^Itet unfer ©piel für nic^tä al§ ©^jieltuer!.
^ein S^ogel barf mit frl)iuerev 2abung fliegen,
Gin 2iebe§briefd]en tragen \voi][ bie IJaubeu,
®ie ©diinalbe ^oHe nad) bem lüarmen 9teft,
9Zur jenem großen SSogel diod ift e§
SSergönnt, bie Suft mit fü^nem i5'J"g äit t£)eilen,
3)en ©lepfjonten in ben flauen ^altenb."
S)a ^aben n)ir ha^ Problem au^gefprod^en: ber lieber*
menfcf), ber ^ufunftSmenfc^ ober h)ie man ha§> ^beal nennen
toitt, bem ftiir entgegentrad^fen, ift üon bem ©efc^Ied^te jene?
fabelhaften parabojen !CogeI§. Xied iou^te, ha^ er felbft
nid^t ta^ njunberbolle ÖJefd^öpf tvai, ba§ fc^mcr belaftet in
bie St'olfen fteigen fann; man mn§ bie ^^rei^eit feine§
:3nteIIc!te§ betnunbern, bie i^m ermöglichte, fidj über ba§
fo ftar 5U fein, n)a§ feine ®rö§e unb \va^ feine ©c^Juäd^e
n>ar. Slud^ über bie @ef(^iDä^igfeit, hie ©dritter iE)m t)or=
300 9lomanti}d)e ^ronie.
tüarf, luuBte er 53ef(|etb: auf i£)ii felber pa'^t, JüaS ber
?iarr in ber S3erfe]§rten SSelt jagt, a(§ t^m Sifette fc^meid^elt:
@te brüden fid^ fe^r angeneljm au§! „^c^ fc^üttele bie
Söorte ämtfd^en ben 3ä§nen l^erum unb tuerfe [ie bann breift
unb glet(^gülttg tüte SSürfel f)erau§. ©lauten @ie mir,
e§ gerät§ bem 5Renf(^en feiten, alte ©eci^fe gu n)erfen, er
umg nun befonnen ober unbefonnen fpielen." liefen @tn=
brud ^at man ttiirflid^, aU luenn ein übermütljiger 5ßer»
fd^rtJenber, beim ©piele fi^enb, in feinen gli^ernben Raufen
hineingreift iinb auätl^eilt, ^al^Ipfennige unb ©olbftüde
burd^einanber, mie e§ gerabe fommt. @§ ifl feiten, 'Oa'^
(Sinn fo tierfc^menberifc^ ift, toenn er sugleic^ bebäd^tig genug
ift, um au§3ulefen. SBenn man an SiecE bie (Sebiegen^eit,
©d^n^ere unb ^raft dermi^t, bie im (SI)ara!ter liegt, mufe man
boran beuten, ta^ er eben biefem ÜJiangcI on ©eiric^t bie
entäücfenbe Seid^tigfeit öerbanft, mit ber er fd^n^eben fonnte.
@§ läuft immer tüieber auf ben S5ogeI diod ^erau§; nur
ha^ !ann man ^ied öorlüerfen, ha^ er ber geflügelte Söiüe
nid^t Wax, ber boc^ ber ©age nad^ nur alle ^unbert ober
taufenb ^a^xt erfc^eint. ®r ^at felbft unter bem ®efü§I
be§ freüel^aften Setc§tftnn§ gelitten, ber i^m eigen fei, unb
ber ift oi^ne ^^oeifel bie Urfaclie, ba^ feine SBerfe 511 bem
neigen, \va^ man fpielerifd^, leidste SBaare, uned^t nennen
fann. 3}Jan tann ftd^ einen ®id)ter benfen, ber fic^ üon
feinem ®egenftanbe, ben er leibenfd^aftlit^ an'§ ^tx^ ge=
brücft ]^at, fraftooH loSrei^t unb mit bem ©c^tuunge ber
Slnftrengung fiegreid^ läd^elnb über i^n ergebt, luä^renb %kd
t|n öon born^erein nid^t all etlua§ Gleichgültige«, aber bod^
al§ etrt)a§ (gntbe^rlid^eg fd^erjenb umflattert. SBenn man ben
Siebrei^ unb bie öielen I)ö(f)ft bid)terifc§en Sinfätle in feinen
3Jiärd)enbramen geniest unb betüunbert, fragt man fid^ oft,
rtarum tro^bem ba§ ©anje nur mit einem glügelfd^Iage an
S^omantif^e fronte. 301
unferm ^erjen borüberfliegt, töä^renb jebe ^omöbte bon S^afe^
fpeare fic^ [ofort bartn feft[)a!t unb e§ innig mitjittern mac^t.
igene finb eben nur booi ®ei[te erjeugt unb barum ergreifen
fie aüd) einfeitig nur unfern ®eift, nid)t unfre D'Jatur mit.
?(6er fc^iuelgt aiiä) taS^ ©efü^I ntc^t mit an biefen
©tjmpofien, bie Siecf'g bramatifc^e 9}?ufe beranftattet, fo ift
bo^ and) ber jarte 9taiifc^ be§ ®eifte§, ben fie einflößt,
reijenb unb angenehm.
„Sn toefc^er 2:runfen£)eit jaud^jt unfer @eift, ttjenn e§
t^m bergönnt ift, taufenb ibec^felnbe, bunte, fd^tüebenbe,
tanjenbe ©eftalten gu erblicfen, hk ftetS erneut unb ber=
gnügt in i^m auffteigen. 2(ngerü^rt, angelacht bon taufenb-
foltiger 2kbe widdt hit Seele fic§ in Sieber bon aller garbe
unb jubelt §imme(an, ba^ bie§ träge, aCttäglid^e 2eben i^n
lange nid^t n)ieberfinbet." ©o fpricfit haS^ SlHegro in einer bon
Sted'^ 33ort»(St)mpIjonien; unb ha^ loar gett)iB fein Qbealbitb
ber ^omöbie.
aile ficutige Sunft beruht auf bent
SRoman, fclbft baS Srama.
©olger.
®er 9loman tft ein romanttfcJ)e§ S3uc^, fagte griebrtd^
©c^tegel; ba§ :^ei^t, c§ ift befttmmt, gelefen, nic^t barge[tellt
gu njerben toie ba§ jDroma unb e§ foll einen fenttmentalen
Sn^alt in p^antafltfc^e gorm fa[fen, nömltd^ gemi[(^t an§
(Srjä^tnng, (Sejang unb 3Sec^feIrebe. ^eineSmegS fei ber
fRoman mit bem @po§ bertüanbt, n)a§ man barau§ fe!§e,
ba^ im epifd^en <Stt)I bie fubjeüiüe Stimmung nid^t ftd^tbar
Serben bürfe.
©0 tft mit ber allmäligen ©ntiüidelung be§ 9JJenf(^en
au§ bem objeftiöen @po§ ber fubjettiöe Sfioman getrorben:
ber alte e|Difc^e 2)id^ter, ber üorjüglid^ äußeren ©inn unb
Söeltbeiuuj^tfein ^at, f(f)ilbert ben SJJenfifien nur, infofern er
tk 3BeIt fc^ilbert, ber moberne Sftomanbid^ter mit feinem
eriüeiterten 3<^=^etün§tfein giebt ben SJienfc^en unb in i^m
bic Sßelt — ba§ m luirb ^erfon. 9lic^t auf bo§, h)0§
ber S)id^ter batfteHt, fommt e§ alfo an, fonbern i^n felbft
fud^en h)ir in feinen Sudlern, unb iüa§ für eine SBelt feine
Organe i^m fd^affen. S)ariim üerlangten bic 9tomantifer
nac^ ©elbftfd^ilberungen unb S3efenntniffen unb erflärten
9touffeau'§ ©onfeffionen für einen lueit borjügltd^eren 3ftoman
aU feine §eIoife. „SJJand^cr ber öortrefflid^ften 9iomane",
fagt Sriebric^ ©erleget, „ift ein ßompenbium, eine (Snct)-
^Romantifc^e 58üd)cv. 303
Kopäbie be§ ganjen geistigen Se6en§ eine§ gentatijd^en 3"-
bioibuum»; S23erfe, bte has, finb, jel5[t in ganj anbrer Sorm,
lüie '^aiijan, befommen baburc^ einen 5(nftric| öon Ütoman.
5luc^ enthält jeber 9)ienfc^, ber gebilbet t[l unb fic^ Inlbet,
in feinem 3"nern einen 9ioman. ®aB er i6n aber äu^re
unb fc^reibe, i[t nirf)t nötf)ig." Uub e§ folgt barau§, tua»
er weiter fagt, bo^ e^ überflüffig ju fein fd^eine, me^r al§
einen 9loman §u fd^reiben, aufeer inenn etwa ber ^ünftler
ein neuer 90^enfc| gen)orben fei. 2(I§ ben ^auptunterfc^ieb
^mifc^en antifer unb moberner ^oefie bejetd^net er, ta'^ bie
moberne auf ^iftorifc^em ®runbe rnf)e, nämlid^ ©elbft-
erlebteö fc^ilbeve: „wa^i gut ift, ha liegt immer n)a^re (Sie*
fc^id^te ju (Srunbe." Unb finb unfre mobernen großen
9iomane et»oa§ anbrc§ aU 58efenntniffe? 9Zur (grlebte§ ift
un§ fd^ön unb lieb: ber ÜJ?enfdf) mit unfunbigen, ungeübten
ober fc^marfien 5tugen n)ill huxd) ein frembeg ^d) mie burc^
ein gefdE)(iffene§ ®Ia§ bie 2BeIt fc^öner unb flarer erfennen.
S^iid^t 'ba^ ift bie 9J?einung, e§ fönnten ettüa gut ge-
jetc^nete, intereffante S^araftere ein S3ud^ tvext^'ootl mad^en:
„S)a§ bIo§e S)arftetten öon SJJenfc^en, Oon Seibenfd^aften
unb |)anb(ungen mac^t ey lüoljrlic^ nid^t au§, fo n^enig
ftiie bie fünftli(^en gormen, unb h)enn ^^r ben alten ^ram
aud^ a)Zittionenma( burd^ einanber njürfelt unb über ein»
onbcr ttJäljt." ©onbern ber 2)uft, ber unfid^tbar barüber
fc^rtjebe, ber milbe SBiberfd^ein ber ©ott^eit im 9)Jenfcf)en,
ba§, fagt griebrid^ ©c^tegel, mact)e ha§ S3ud^ romantifd^
unb mad^t e§ überhaupt erft §ur ©id^tung. ®ie unerrne^»
lic^e, unerforf(^te ^nneniDelt be§ 9J?enf(^en, bie atfo foH ber
tieffte ©runb fein, ben bie betöeglid^e ajJeere§oberf(ä(^e be§
1Romane§ n)iberfpiegelt „ober, föaS baSfelbe ift, bie ©ottl^cit
bei '5)id^ter§, feine 3fietigion." SSieberum füt)rt bie roman-
tifd^e ^oefie burc^ bie ^erfon !^inburd^ 5um Sltt. (Sin
304 9tomantiicf)e $8ü(f)er.
burc^j'id^tigeS, beweglichem (SIement ift "i^a^ romantifc^e S3uc^,
'ba^ in atlen feinen X^eikn burd^teuc^tet unb burc^feelt
föerben lann, „ein 9JZeer, bem ber 2Biberjc|ein ber Siefe
ober be» |)immel§ bie garbe, ben ßfiarafter, ben 2:on giebt."
S)ie innerlid^e SBelt be§ jDid)ter§ i[l bie oerfunfene «Stabt,
bie ber Iräumenbe «Schiffer wahrnimmt, ber fic^ 9^ac^t§ über
ben 9{anb be§ ©c^iffeS beugt, ta^ fd^ioimmenbe ©eläut, ta^
er [el^nfü^tig öernimmt, oEine ju raifjen, öon too e§ auägef)t,
bie farbige SBunberiüelt, bie in ber ginfternife be§ unbe*
fonnten ®runbe§ it)r I)eiinlic|e§ Seben fpielt. S)a§ ©timbol
eineg ^c^ fann man furj haS' romantifc^e S3iid^ ober ben
mobernen 9toman nennen.
2II§ ba§ gro^e SJiufter be§ 9?Dmanel betrad^ten bie
Stomantifer ben ^on Buij:ote. §ier fanben fie hie 9J?ifc|ung
aUer g^ormen, in ben ®ang be§ ©anjen eingeftreute DJoöeHen
unb Sieber, fie fonben jeben Son be» ©rnfleg unb ©c^erjeg
angefc^Iagen unb alle bie 2|etle be§ mannigfaltigen S§ao§
oerbunben burd^ ben (Seift be» Sic^ter§, ber barüber fc^tüebt,
leicht unb mäd^tig, frei, J)errf(f)enb, ein Sic^tät^er, ber Sttteä
burdibringt unb e§ Ijett unb fenntlic^ mac^t: bie romantifd^c
Ironie. |)ier fommt e§ eigentlid^ nic^t auf bie ^anblung
an — fo retjenb aud^ hk bunte SJJcnge ber 5tbenteuer ift
— fonbern auf ba§, tt)a§ nirgenbm mit SBorten gefagt ift
unb lüal man bod^ überatt in ber ©eete fü^It: ein lebenbige^,
unfterblic^el ^d), Spiegel einer Söelt unb Sleim einer (Sott^eit.
Unb nun erfc^ien mitten au§ ber ©egenroart |erau§,
öon einem befannten unb oerel^rten 3}ieifter gefd^affen, (in
S3ud^, ba§ niie jum S3eifpiet für bie S^eorieen ber 3fioman=
titer gemacht fd^ien. „2Ber ®oet^e'§ SJJeifter gehörig
c^araftcrifirte", fc^rieb griebric^ ©d^Iegel, „ber ^ätte bomit
rao^I eigentlich gefagt, roa^ e§ je^t an ber ^eit ift in ber
^oefie. (£r bürftc fict), wag poetifc^e ^ritif betrifft, immer
atomantiidje S3üc^er. 305
5ur 9iu:^e fe^en." (S» ift etn§ feiner befanntei'ten ^arabojen,
baB er ben SJfetfter neben ber franjöfifc^en 9teüoIutton unb
?5ic^te'§ SS^iffenjc^aftele^re für bie größte Xenben,^ be§ ^af^x-
^unbert§ erf(ärte. So fängt feine 3l6i)anb{ung über SSil^etm
3J?etfter an: „Of)ne 2{nma§ung unb c^ne ©eräufc^, njie
bie Sßilbung eine» ftrebenbeu ®etfte§ fid^ ftill entfaltet, unb
tüie bie luerbenbe Söett au§ feinem S»"ern leife emporfteigt,
beginnt bit flare ©efd^ic^te;" unb in biefen SBorten liegt
fc^on 5lffe§ angebeutet, wa^ hk Sftomantifer an biefe§ S3uc^
feffelte, mmlid), ha'ß e§ in fertiger üollenöeter gorm ettüaS
SBerbenbeg barftettte. 2Bie fommt im ©runbe 2BiI!^eIm
33?eifter ba.^u, baB eine gan5e Sßelt fic^ um ii^n bre^t, ber
ber öelb eine» S3u(^e§ [jei^t unb boc^ oon ben meiften
5?ebenperfonen ber ^anb(ung an (S^arafter unb ^üc^tigfeit
überragt n)irb? „Sein ganjeg S;f)un unb 2Befen", fagt
Sc^teget, „befielt faft im Streben, SSoHen unb Smpfinben."
©erabe btefe „grenjenlofe 33i(t)famfeit" aber unb „oielfeitige
(Smpfäng(id)fett" madjt i^n geeignet, §etb einer (SnttüicfetungSs
gefrf)icf)te ju fein. @r tft, iua§ ic^ einen romantifc^en d^a»
rafter genannt i^abe; feine SSorfä|e unb ^anblungen laufen
— ha^ ift lüieber ein 'ülusfprud^ Schlegel'» — in parallelen
Stnien neben einanber J)er, o^ne fic^ je p ftören ober ju
berül)ren. 25>enn er nic^t ^anbeln tann, fo |at er bafür
bie „5Sorempfinbung ber ganzen 3BeIt" unb burc^ i^n l^at
fte ba§ ganse S3uc^. STcan barf e§ nid^t nelimen „al§ einen
IRoman, mo ^erfonen unb S3egeben^eiten ber le^te ©nb^toed
jinb. ^enn biefeg fc^lec^t^in neue unb einige 33uc^, n)eld^e§
man nur au§ fic^ felbft oerfteben lernen fann, nacf) einem
Gattungsbegriff beurt^eileu, ha^ tft, a(§ loenn ein ^tnb
SJtonb unb ©eftirne mit ber £)anb greifen unb in ein
Sc^äc^telc^en pacfen luiK." (50 ift eben ber moberne 9ioman,
i)a» romantifc^e 33uc^, ba§, foüicl aucb pon X[)eater unb
^uc^, Komaittitet. 20
306 Dbmnntifcfie S3ü(^er.
Sunft bartn hk $Rebe tft, bod^ immer ha§ gro§e @c|auf^tcl
ber aj?enjd^^ett unb bie ßunft be§ Seben§ im 2luge |at.
5lelter al§ 2BiI^eIm SD^eifter ift SSittiam Soüctt. ®ie
Sonne ®oett)e'jc^er ©efunb^eit fiat auf ben unheilbar tounben
Süngltng ntd^t geftfiienen: bla^, mit lüe^üollem S3(icE au§
tiefen, flacfernben klugen, fc^lüanfen ©d^rilteS tritt er un^
entgegen. S3ie( fd^ärfer unb einfeitiger aU bei ®oetJ)e
treten ^in bie neuen Senbengen in'§ Seben: bie j^abel unb
i^r 3w!ai"Dien|ang ift bem ®ic|ter fo glei (^gültig, tüie t^
bem gelben ift, ob er einen serfe^ten Tlantd unb einen
abgegriffenen |)ut trägt. Stid^tg al§ ein SJJenfd^ ift ba&
gange S3uc^ ober beffer gefogt: all eine Seele, hu raftloS,
fram)3ff)aft, immer unb immer n)ieber öerfud^t fid^ bar-
juftellen, um fid^ fetbft 5U erfennen unb erfannt ju Serben.
@§ ift eine ©cene in bem 93udE)e, fo innig unb erfd^ütternb,.
ba^ fte fi(^ au§ ber öerfd^luommenen 9JJaffe be§ ©anjen
flar !^evau§^ebt unb bem Öiebäd^tnife einprägt, nämlic^ tt)o
(Sbuarb feinem einft unb nod^ immer geliebten greunb
SBilliam, ber inglüifd^en §um SSerbred^er getporben ift unb
i§n felbft in ber 3Bitbt)eit feinel franfen ®emüt^e§ öon fid^
gefto^en ]^at, ber i^m bie ©(i)U)efter, otjue fie ju lieben^
nur au§ feiner jerftörungSfüc^tigen SSerjiueiflung ^erau§^
öerfü^rt £)at unb im 93egriff ift, fie ju entfübren, borfid^tig
unb treu, ber ©etäufc^te, ba§ ©eleit giebt, um i^m 5ur
fidleren gluckt bef)üIfIidE) 5U fein.
„SKie im S:raume ging iä) mit i§m fort, feiner öon
un§ Iie| einen Saut tierne^men, tuie gtuei ©efpenfter fd^IidEien
njtr burd^ ben ©arten. (S§ mar mir hjunberbar, al§ toiv
ben Sauben unb ben Saufen Oorübergingen, loo id^ fo oft
mit i§m gefeffen l^attc; bie 33äume neigten fid^ lueljmütfiig,
al§> lüir unter iJiren SBipfeln ^intoeg gingen. — 5lrm in
9(rm loar ic^ fonft l^ier mit Soüell auf- unb abgegangen,
9voinantt)d)e S8ücf)er. 307
l^ter l^ntte fic^ un§ mit ©ntjürfen bie Söett (S|afefpeare'§
aufge[d^Io[fen, ^ier fiatte trf) i£)n am 9}^orgen juerft gefud^t,
iinb noc^ ber SIbenb traf un§ in btefen ©ebüfd^en, lüenn
bie Uebrigen [(^on längft ju bcn ^inimern jurüdgefe^rt
Jimren, — Un ^atte er mir fein ganjel ^ev§ ent|üttt, unb
id^ i^m ba§ meinige; — o! unb nun gingen föir mit bidit
öerfcEiteierten ©eelen neben einanber, fein äJJunb öffnete fid^,
feine ^anb ftrecfte fid^ nad^ einem ^rurfe au§."
®a fpürt man beutlid^, nidEit um (Sbuarb unb SBiUiam
^anbelt e§ fic^ ^ier, fonbern Sied felbft ift e§, ber mit
bo^rcnben, entfetten Slugen feinen eigenen Xämon anftarrt,
ber ()Qlb öerliüllt neben t^m manbctt, beffen ^au^ unb
(SinftuB er fü^lt, beu er einmal bentlid^ fcf)en mocfite, n:)enn
ibm aud^ graut öor bem Slugeublid, Wo i^m öieHeid^t ein
oerjerrtc's, ()affen§n)ürbige§ 5lntli^ aufginge. Slaum glaublid^
ift, njie ber jDic^ter un§ babur;^ glaubte täufd^en §u fönnen,
ja fid^ felbft baburdE) tänfi^te, bn^ er ben Dielen auftretenben
gigitren nerfc^iebene 9^amen anljeftete; benn au§ jeber ber
ftereottipen SJiaSfen glüfjen un§ biefelben Singen, fprid^t un§
biefelbe jcrriffene Seele an. S)er S3Iicf in bie wirre Ueber==
füHe biefer S3ruft mad^t cö un§ begreifüd^, ba^ ha fein
9?aum für bie 'sKu^eniüett ift, unb nur ein foId^eS ^d^ fann
un§ auä) bafiir entfd^äbigen. (S§ ift un^njeifell^Qft, ba§
ein boHenbeter Sljarafter fd^öner tuärc; aber njal für ein
rei§enbe§ unb be^aubernbeS <Sd)auf|)ieI ift e§ aucf), in ha^
gä^renbe ߧaD§ eine§ Söerbenben l^ineinjufe^en. 3}fan a^nt
ta bie SOcöglidjfeit eine§ ®enuffc§, ber ebenfofe^r n^iffeu"
fd^aftlid^ Wie fiinftlerifc^ ift; freilid^ im Soöelt a^nt man
fie nur. S)er ^ünftlcr, ber biefe§ jerflie^enbe 253erf üerluirft,
meil e§ feine organifd^e ©eftalt, fein förperlic|e§ 2eben Ijat,
njirb boc^, mie ]§od^ er aud^ immer feine bilbenbe ^raft
fd^ö^en mag, mit 93eluunberung ober $Reib auf bie SSer»
20*
308 9?omanliid)e ä3üd5er.
fdEiirenbung oon (Seele Uiden, bte Ijltx tüud^ert. (S§ ift
einem beim Sefen ju SJJut^e, aU ginge mau über einen
mit S3Iiimen be[treuten ^^cftmeg unb mü[fe auf ber §ut fein,
bie ötelen SÖIiit^en unb 33Iätter nid^t §u jertreten.
fronte t[t ntc^t im SooeH; n^ä^renb er feine Dualen
fc^ilbert, fte^t ber 2)tc^ter immer nod^ am SJiarterpfa^Ie.
SSerlüanbt unb ä^nlic^, aber bod^ cnberS geartet t[t
Xicd'^ §iüeiter 9toman, f^ranj ©ternbatb, ber tüanbernbe
SJialer, beffen bürgerlicher ?iatne SBadenrober ift. @in fet)n=
füc^tig brennenbe» Sluge fie^t un§ an unter einer bemütfjigen
(Stirn, au§ einem ©eftc^t üon rü^renber ^arti^eit, tia^ man fid^
nur aU ha§, eine§ finbüc^en Jüngling» beulen tann. HJJan
fief)t e§ bem gläubigen Sc^lüärmer an, ba| er ta^ Ttaxt
unb bie aufgefpeii^erte ^raft ntd^t in fic^ I)at, um auszureifen
unb ein Wann gu njerben, unb fo Jüunbert man \id) nid^t,
ba^ ber ®id^ter i^n üerlä^t unb aufgiebt, nac^bem er feine
S3Iütl§e reict)Iid^ befungen |at unb man anfängt auf grüi^te
§u tüarten. ®iefe SBanberungen finb SeJgrja^re iuie 9Jieifter'§,
aber Don einem gefd^rieben, ber nid)t über feinem Stoffe
ftanb, fonbern ber felbft ein einfettiger 5Romanti!er mar,
unb ba§ lüar bie Urfnc^e, marum ha^ junge ©efdjlec^t öon
bem grünen, uuöoßenbeten, unfünftlerifc^en (Sternbafb nod^
innerti($er ergriffen mürbe aU öon bem ®oetf)e')d^en 9JJetfter=
unb ayjuftermerfe. ©ternbatb t)alf i^nen me^r fic^ felbft 5U
fud^en unb ju fiuben; benn er t)at ntd^ts marmorne^, ft^It-
firte§ ober ibealifirte§, burd^ feine fränflid^ burcE)fic^tige
§aut fie^t man ba§ jagenbe, ficfernbe, eiutg junfc^en braufen«
ber $)i^e unb fterbenber ©rmattung luec^felnbe 33hit.
2It§ -Tiec! unb SBacfenrober, jtuei junge, einanber liebenbe,
überfd^iuäiiglid^ ftrebenbe unb l^offenbe SJJeiifi^cn über bte
malbigen ^ügel 9JcitteIbeutf(^(anb§ unb burd^ bie alterttjüm»
lic^e 'i^ra^t ^JiürnbergS ftreiften, träumte Siect baüon, ber
afioinniiliirije SSüdjer. 309
©ntbeder be§ öcrgangenen, öergeffenen 2)eutfd^Ianb§ ju
lüerben, tüte e§ firf) feinem jc^iuelgenben ^erjen barfteHte,
unb e§ in einem S3nc^e ju fc^ilbern, ba§ lute eine :§in=
rct^enbe ®id)tung n^irfen foHte. 5(nftQtt hu\e^ S3ud^e§, ta§>
nid^t gef^rteben nnirbe, fann man ©ternbalb'§ SSanberungen
nehmen. (Sl ift ein @c^o jener jeligen 5rü(}Iing§tage, ein
ftngenbe§, ireil in5n)ijc^en ber eine ber luanbernben (5)e=
noffen feinen greunb öcrlaffen ^atle. 3"in erflen Tlale
t|nt fid) ^ier in engem 3"fßQ^nien^ange jene mitteloltedidjc
SSelt auf, bie ta§ ©tborabo ber 9tomontifer lüerben follle:
btc ernft^aften frommen 9JJaIerfünft(er, bie reuigen ^tlger
unb ftinfeltgen (Sremiten, bie retfenben ^aufleute unb ^unft=
jünger, bie über bie Uipen i^erüber unb |)inüber tt)anbern,
bie ragenben got§ifd)en 2^ürme, hie ©täbte üoll ©elüerb*
flei^ unb |)anbet§ma(^t, bie unergrünbltd^en SBätber öoHer
^irfd^e unb did}t. ®ie erften garten ©üjgen 5U einem
foldjen Silbe {)attc SCSadenrober in feinen ^ergenäergie^ungen
etne§ hinflliebenben ^(ofterbruber§ entworfen unb f^atte hk
golbtge mi)ftifd^e garbenftimmung, in ber bie S^raumfiguren
njie in einem fernen ?tbenbrot§e Joanbern, barüber geljaudit.
SJJan meiB längft, tta^ ba§ tüirf(id)e SJiittelalter ganj
anber§ auSfa^, a(§ bie erften Siomantüer e§ fid^ reconftruirten.
@§ fam iJinen ja aud^ nid^t baiauf an, ju ergrünben, Wie
e§ toirHic^ geiuefen luar: fie fnüpften nur tt)re Suftfc^löffer
an ben 9ftuinen ber alten 3eit feft, banben iJiren SoUon
an eine got^ifc^e 2f)urmfpi|^e unb überliefen fid) ben SBinben
unb Sßotfen. S)ie gange mittelalterliche 2)e!oratiDn ift über=
^aupt nur etma§ 5?egatiöe§, nämtic^ hie ©efinfuc^t be§
5)id^terl, fid^ Don jeber ©c^ranfe, bie t^n feft{)ält inneri)alb
be§ Sßir!t{d)en, 2:£)atfn(^lid;en, gu befreien, ^amit bie§ ^(^
nlrgenb» anftöfet, luirb bie ciHgngreifbare ©egenirart ^iniueg^
geräumt, hie e§ einengen möchte, aber bie golge ift, ha^ e§
310 9bmantiid}c 55iic^er.
ou§ ÜTiangel an ©egenbrud in bte unerme^Itd^e ^!§antafien-
inelt serflie^t. ©oet^e ^atte fid^'§ jugetraut, feine SJJenfc^en
inmitten ber tiefannten 5llltag§roelt gro^ nnb poetifd^ er=»
fc^etnen 5n laffen, allerbing§ nic^t ol^ne ju atter^anb SBnnber=
lic^feiten bie 3uffu<^t h^ ne!§men, hk ftatt be§ SBunberbaren
bienen füllten. SiecE flüchtete fii^ au§ fetner ^eit i« eine
'^lid)t'Qnt', benn ba§ ift eigentlich fein üorgeBIid^eS SOJittel»
olter. 2)a^ er e§ fic^ jn leicht gemad^t ^at, räd^t \\6) an
feinem 3!Ber!e, bem el an aller 3Ba|r^aftig!eit iinb (Sinbrnd§=
fä^igfeit fe^tt, luenn e§ and^ p^antaftifc^ genug fein möcfite;
e§ tft tt)ie eine fü^e ©peife, üon ber man niifit gu biet öer=
tragen fann unb bie jtüar fdfinell überfättigt, aber nidfit nä|rt.
^eine§fall§ aber barf man fic^ burd^ bie frembartige (Sin=
Reibung täufd^en laffen, aU fei ber ©ternbalb etmaS 5lnbre§
aU Selbftbefenntni^ fo gut lüie SCReifter ober SotjeH. ®ie
ganje Slu^enmelt ift ia nur für ha^ innere ha; \va^ au§er
bem ®emüt]&e bo ift, ^at feinen anbern 3Bert^, al§ ettna
ben eine» 6)ürtet§, an bem man ha§ ©d^n^immen lernt.
SBa§ füllen im (S^runbe bie jalillofen ©Ratten, bie an un§
üorüberftreifen, hk |)anbn)erfer, Sauern, Siüunen, 33ilbl)auer
unb (Sremiten; roal finb fie anber§ aU ©eelenfpeife für
granj? @ie ^nben fein eigenes Seben, fie finb Slutomaten,
^[)antüme, nn benen er leben lernt. 9Jfan rt)ürbe i£)rer
me(^anifcöen ©eflüulationen balb mübe, menn nid^t bie tro|I'
befannte Stimme be§ ®icl)ter§ beftänbig ben ©inn biefeS
^uppentl)eater§ fo ernft unb rü^renb erläuterte.
SBer nic^t bie 2Infid^t ber 3tomantifer t^eilt, ba§ S3tlbung,
atfo (Sntmicfelung be§ ^d^, ha§: ^öd)fte @ut unb ba§ aüein
S'Jü^licC^e ift, foHte allerbing§ ein fol^eä $8ud^ nid^t in bie
^iinb nehmen.
5tlö eine ärgerlid^e SJJifjgeftalt mifc^t fid^ bie fonberbare
Sucinbe in ben Steigen biefer |)|antaftifd^en ©ebilbe. 9^iemanb
Stomantif^e S3üc^er. 311
mag t^r bie ^aiib reichen, öereinfamt unb grämli^ fte£)t [ie
5ur (Seite. 9Zic|t fc^ön t[t fie, nod) retjooll, nod^ intereffant,
tioc^ ItebenSlüürbig, obmo^I fie 2tIIe§ ba§ ^u fein behauptet;
öeriimc^fen, langiueilig unb anfpruc^lüotl, §at fie niemaB
öermod^t, ^n^^tn ju gewinnen. Sßon Slnfang an fd^redte
bie fe^nfüd^tig erroartete unb breitfpurig öerfüubete Sucinbe
fogar bie näd^fle SSerroanbtfc^aft unb greunbfc^aft ab. griebrid^
in feiner naioen ^lutorfreube ^atte ^erolbe mit Strom^cten
bor t£)r ^ergefd^icft, hie e§ aulblafen füllten, tva§ für eine
epod^emad^enbe, no(^niebagetuefene, ei^t romantifd^e ©rfd^ei-
fc^einung i^nen folgte. 9}ian l^atte fic^, nid^t o§ne ängftlid^e
©pannung, auf ctiua§ oieHeic^t ®rote§fe§ ober fe^r ©eiuagteS
ober fd^roer 85erftänblicE)e§ gefaxt gemad^t: unb e§ fam eine
9JJt§geburt, feine laiclom- interessante, nic^t§ ot§ ein un^
anfe^nlic^er, etroaS roiberlid^er Krüppel. 2BiI§etm er!(ärte
bie Sucinbe für einen Unroman, in lüeld^er bünbigen ^rtti!
üüerbingg 3I(Ie§ enthalten ift, iüa§ fid^ barüber fagen Iie§e.
„2Sa§ tüerben Sie ju biefer Sucinbe fagen", fd^rieb
Caroline an SfJooaliS. „Un§ ift ha§> grogment im St)ceum
«ingefallen, ba§ anfängt: Sapp^ifd^e ©ebid^te muffen icad^fen
ober gefunben hperben. ^<^ Eialte noc^ ju biefer 3ett btefen
9toman nid^t me^r für einen Stoman aU ^tan ^aul'ä Sachen,
mit benen id^ e§ übrigen^ nid^t oer gleiche — ." Unb 9?ooaIi§
antraortete: „griebric^ lebt unb luebt barin. 33ielleid^t gtebt
c§ nur tt)euig inbioibueHere 33üd^er. Tian fie^t ba§ treiben
feines Innern, tt)ie ba§ ©piel ber d^ijmifd^en Sraft in einer
5luflöfung im 3ucfergtafe, beutlic^ unb Ujunberbar öor fid^.
Slaufenb mannigfad^e, iieHbunfle 95orftettungen ftrömen ^er^u,
unb man öerüert fic^ in einen ©d^irinbel, ber qu§ bem
bentenben SOJenfc^en einen bloßen Srieb, eine 5yJaturfraft
mac^t, un§ in bie UJoUüftige ÖEiftenj bei ^nftinftl oerjüicfelt.
^n romantifcf)en ^nflängen fe^lt'g nid^t, inbeS ift bal (5Jan§e
312 9iomantiicI]e 58ücf)er.
unb ha^ (Sinselne i\od) nid^t leicht unb einfach unb rein oon
©d^ulftaub genug. — 5(n ben Sbeen ift übrigen? ni(^t§
au§^ufe|en. — S)er 3fioman f)at gu früt) ba§ Sic^t bcr SBelt
erblicft. — ö§ müfete ben S:itel ^nben: S^t}mifc^e ^^an=
tafien ober ©ataniäfen."
2öenn eine Oorfic^ttge greunbin fid^ fo au^brüdt, Siicinbe
fei fein 9toman, fonbern ein 9tomanei'tract, barauS nun ^eber
felbft tuelc^e matten fonnte, ift im ®runbe bagfelbe bamit
gefagt: t)k fdjöpferifc^e ^raft iiat gefei^Ü, bie au§ bem (gmbrt)o
ettt)a§ SebenbigeS f)ötte matfien fönnen. 9?ur ber beiuu^te
(S^ebanfe f^at bie§ Üinftlic^fte iftunftmerfc^en, tok griebrid^
felbft e§ nannte, Ijeröorgebrad^t. SBieberum bezeichnete er
e0 at§ „ha^ tnunberfame @emäd^§ öon SBiUfür unb Siebe";
lüomit r§ öoräüglic^ c^arafterifirt märe, inenn man ftatt Siebe
Suft fe^te.
2Biafürti(^ unb ^jljantaftifd^ genug ift bie gorm: ©riefe,
befc^riebene ^ettel, 9J?ärd^en, ^Betrachtungen, ein ^lüiegefpräc^,
ein ©tücfc^en S3iograpf)ie, 9(negorien — ha^ irar ber 2Bi^
ber gorm, worauf er fic^ fo oiel gu ®ute tl^at, ha^ ß^aoS,
bie romantif(^e SSerlüirrung, bie er fo oiet im 5ö^unbe fül^rte;
nur freilid^ nic^t ba§ S^aol, au§ bem bie 3S>eIt entfpringen
fann. 'än<^ ift ber Sn^ß^t, nac^ romantifc^er SSorfc^rift, nur
©elbfterlebteg; aber el l^ängt aU eine fiebrige 9J?affe an
tf)m, bie fic^ nic^t ablöfen unb formen lä^t.
S)a§ 2BunberIi{^fte ift, 'i>a'^ bie Sucinbe getrifferma^en ein
Se^rbudö ber Siebe fein foHte; benn aix^ einem öcriorenen
SSer§, ben ein ^anbroert^burfcfie fingt, au« einem alten 3fteim,
einen ©affenbauer, fann man me^r über 'i>a^ Söefen ber
Siebe erfahren. Unb bod^ ift auc^ i)ier an htn Sbeen, toie
9^oDati§ fagt, nic^tg augjufe^en; tüorau;^ allein ju erflären
ift, njorum in ein S3uc^, an lueld^em bie oberfläd^Iid^e ober
Oerberbte ©efeflfc^aft 5Infto^ na^m, fic^ ein reinem |)er5,
9iomantiicf)e 5^üd)er. 313
(Sc^fetermac^er meine i^, mit ©ntjücfen Dertiefte. 2(I§ ein
ganj unfünftlerifc^er SJJenfc^ naljm er nic^t» auf, al§ bie
^blic^ten beS $ßerfafier§. ^üx ^opf auf ^opf unb topf
auf ©emiitf) inirfte ^ier; fein genialer Snfttnft lüor ha, ber
ha^ Seben§unfä^ige, hü§ Sobte oon fi^ flieB- ^en ^n'ecf
aber f^nei^r^'^/ öte Siebe barjufieffen aU eine ©ott^eit
ätt)iefac^er, nämlic^ geiftiger nnb finnlic^er ^fiatur, bie ©inn=
Itc^feit in ber Siebe nictit Ijeucöterifc^ ober befcfiämt ^u Oer»»
füllen, fonbern fic^ i^rer ju freuen, ja ftolj auf fie §u fein,
ben burc^fcfiaute unb billigte er, um beffentiüitlen l^aupt-
fäc^Iic^ raar i^m ba§ ganje 33uc^ treuer. 2)ie bisherigen
®(^rift[teHer, fc^rieb er in einem feiner öertrauten S3riefe,
i^ätten au» ber Sinnlic^feit nic^t» 5(nbre» §u machen gemußt,
all ein nDt|menbige§ Uebel. „^enfe rec^t lebhaft baran,
meiere ©e^nfuc^t un§ biefe ©infeitigteiten erregten, bie gött-
liche ^ffan^e ber Siebe einmal ganj in i|rer üDlIftänbigen
©eftalt abgebi(bet ju fe^en unb nicJ)t in abgeriffenen Slütljen
unb Slättern, an benen nic^tl oon ber 2öur5el gu fe^en ift,
meiere ^a^ Seben fiebert, noc^ oon bem §er§en, movaul fic^
neue 33(üt^en unb B^^ige entioicfetn fönnen. — §ier :^aft
^u bie Siebe ganj unb aul einem ©tücf, ba» geiftigfte unb
taS finnlic^fte . . . auf'5 ^nnigfte oerbunben." S)ie 5(uf=
gäbe be» mobernen ajienfc^en fei, bie au§ ber neuen ©nt-
toicfelung ^eroorgegangenen ^been mit ben alten gu üerbinben,
nic^t bie neuen ben alten entgegen^ufe^en; fo muffen loir
fuc^en, bie antife, finnlidie Siebe mit unfrer inteüeftuetten
äu einem ooflfommenen ©ansen 511 oerfc^mefjen.
'Jtuc^ Sc^teiermac^er'ö oertraute ^Briefe über bie Sucinbe
finb ber 5tnfa| gu einem Sfioman. Cir unb ©teonore, bie
Don it)m geliebte grau eine§ 2(nbern, loären bie ^auptperfonen
gettjefen. griebric^'l Sbee, ha'^ jeber 9Jienf(^, ber fic^ bildete,
einen 3ioman in fic^ ^ätte, locfte alle greunbe, in bie 9}carmor=
314 9?omantif(^e Sucher.
brüd^e ober S^ongruben be§ Innern einsufa^ren unb ein
S3tlb i§re§ ^d^ §u enttDerfen. 5tber ®d^(eiermac§er mar ju
flug. Stuf (S(eonote'» SBitte, er möge au§ i^rer Siebe ein
©egenftücf gur Sucinbe mad^en, antiüortete er able^nenb:
„^id)t jeber Siebe folgt aud) hie ^'unft, nid^t jeber ^feil,
ben ber @o^n ber 83enu§ Urnnia abfd^ie§t, oeriranbelt fid^
in einen ©tiffet. ©inen großen freien @til be§ 2)enfen§
unb Seben§ lieben tütr un§ fetbft gebilbet, unb ein garteS,
benjeglid)e§ §er§ ^aben un§ bie ©ötter gegeben. <Bo laffc
un§ i^anbelnb, tük mir bil^er tl^aten, hu fc^öne ^Bereinigung
ber ©elbftänbigfeit unb ber Siebe barflellen."
(SbenfoDiel Oinfic^t unb ©efd^macf l^atte Caroline, bie
e^ hei einem ^lane jur ©efd^id^te i^re§ SSerbeng bemenben
liefe; IÜ05U i^r freilid^ aud^ eine geiüiffe 93equemli^feit ge=
j^olfen ^aben mag. S)er gefc^loffenfle unb lebenbigfte unter
ben romantifc^en üiomanen inäre er nja^rfc^einlid) genjorben.
^oä) eine ©rfd^einung, bie öorne^mfte oon allen, fet
befc^tüoren! 2Eie anber§ tritt er neben bie plumpe, breit=
^üftige Sucinbe, ^einrid^ öon Dfterbingen. ©ein Sd^ritt
fd^eint über fd^n)etlenbe 2SoIfen ju ftreifen. fein Stuge ftrai^It
einen §immel üoll unenblid^er Siebe über bie (Srbe au§,
fein §aupt fd^eint einem fanften Qu^e nac^ oben nad^jugeben,
all fauge er bie lichte Slet^ertuft, bie öon ben |)ö^en fic^
ergiefet. 'i^üv lieblid^e diehe unb inbrünftige Süffe fc^eincn
feine Sippen gefc^affen; fie finb gefc^foffen, iit§ beioal^rten
fie ein grofeeS ®et)eimnife, aber nur leidet, al§ lüoHten fie
el gerne feufctien Seelen anuertrauen. SBer fönnte biefe
f(^)üebenbe ©eftalt o^ne 9tüt)rung unb Sctüunberung be-
trachten, eben weii man i^r anfieljt, ha^ fie oergel^en njirb,
c^e fie i^r ©i^önftel unb Xiefftel offenbart ^at! ^tdmiffenb
finb bie großen 5tugen, aber ber garte 9Jiunb n^irb ba§ SBort
nic^t finben, um ha§> Ungeheure auSjufpred^en, hie affjus
SRomantifc^e 93iid)er. 315
fc^Ianfen §änbe lüerben ba§ ©ebilbe nic^t formen fönnen,
ba§ bem prop^etifc^en SItcfe üorjc^iuebt.
9Zt(f)t nur tit Qan;^t irbtfc^e 2ße(t fodte ber enge ^a^mtn
bei einen S3ncl^e§ umfaffen, bte ©efc^ic^te aller ^öölfer, bie
f)armonif(^e ©d^ön^ett ber ®rtecf)en, bte brennenben Ö^ebanfen*
p|anta[ien ber Araber, bie älcärc^en^eit ber ^reujjüge, D^orben
unb ©üben — für alle 9iät|fel be§ 2)afein§ foßte fic^ §ier
bie Söfnng ftnben. 2öa§ un§ SBunber fc^etnt, ha§i foUte in
felbftDerftänblic^en @t)mboIen, für Stnber fa^Iic^, barau§
]^eröorgef)en; lua§ totr für roirflic^ unb alltäglich l)alten,
baoon füllten bte äu^erften Söurjelfafern bloßgelegt n:)erben,
bte im Sanbe be§ iJBunber§ ^aften. Xa§ 2)ie§fett§ unb
Senfeit§ foöte ber Sefer biefeS Sucfiel überbltcfen fo mü§eIo§,
lote unfer Sluge oon ber Serraffe lierab einen ©arten unb
ta^ ©tücf ötmmel barüber umfpannt.
(Sä luar nic^t jugenblic^e Unreife, lik S^ooalil einen
me^r alg ^u großen, einen unenblic^en (Stoff tüai)kn ließ;
€r ^atte bie Ueberjeugung, baß bie ©oet^e'fc^e 2Öei§i§eit öon
ber (gelbftbef(^ränfung ju ©unften ber SSoÜenbung eng^erjig
fei unb ein feigem SSerjic^ten. deiner |atte Söil^elm 9J?eifter,
aU er erfc^ien, fo beiounbert tük er; aulmenbig gemußt
^atte er i^n beinahe. Slber n)ie er allmälig ju feiner eigenen
Snbiüibualität oorbrang, änberte fic^ feine ^Infid^t, unb ha§
cinft geliebte SSorbilb ^aßte unb befämpfte er §ule|t. @o
lautete fein Urtljeil barüber:
„SBit^elm 9JJeifter'§ Se^rjal^re finb getoiffermaßen burd^-
au§ profaifc^ unb mobern. Xa§> 3tümantifc^e gel)t barin
5U ©runbe, au(^ bie Dkturpoefie, ha^ SSunberbare. S)a§
Sud^ ^anbett bloß oon geioö^nlic^en SDingen, hk 9?atur unb
ber 3}?9ftici5mu§ finb ganj oergeffen. (£§ ift eine poetifirte
bürgerlid^e unb ^äuslic^e ©cfc^ic^te, ha^: SBunberbare barin
loirb auSbrücflic^ aU ^oefie unb ©c^märmerei be^anbelt.
316 9iomantiicI)e 93iicf)er.
minftlerifdier 3tt^etgmu§ ift ber ®et[t be§ S3uc|e^. 5)te
Defonomte ift merfiüürbig, lüoburd^ e§ mit projaifdEiem,
tuD|tfeiIem ©toff einen poettfc^en (Sffeft erreicht. SSiI|eItn
ÜJ^eifter ift eigentlid^ ein ©anbibe, gegen bie ^oefie gerietet."
©0 fc^rieb er feinen Ofterbtngen im belDu^ten ©egenfa^
§um SKeifter. @r ^at alle a^orjüge, bie man an biefem
bermiffen tann. ®ie Unenblid)feit ber ^^erfönIic^tett, i^re
feelenluanberif(f)e SSanbelbarfeit, bie SSerfö|nung aller (Segen*
fä^e, ber Job im Seben unb ba§ Seben im Stöbe, ta§ S5er»
borgenfte unb ^eiligfte, 3iae§ flrömt buftenb au§ bem tiefen
S^eld^e biefer tüunberbaren ®efc^irf)te. könnte man fie mit
9Jieifter in (5in§ fdimeljen, e§ gäbe feinen fc^öneren 9toman.
SfJun ift in Dfterbingen uiobt ha^ 2Bir!Iic|e in SBunber auf-
gelöft, nic^t aber umgefe^rt ha§, SBunber in SSirüic^feit
Oerbidf)tet.
gür bie {^orm ^atte S'fooaltg 'i)a§' befannte romantifd^e
^sbeal „'iJleu^erft fimpler @tt)t, aber :§öd)ft !ü£)ne, romanäen=
ä^nlic^e, bramatifc^e 5Infänge, Uebergänge, golgen — balb
®efpräc§, bann Ü^ebe, bann ©rjöi^Iung, bann Steflei'ion, bann
SStIb unb fo fort, ©anj ?lbbrud be§ ®emüt^§, tüo ©m-
pftnbung, ©ebanfe, 2lnf^auung, 58ilb, (Sefpräc^, OJiufif u. f. tu.
unauf^örlicf} fd^netl roed^felt unb fid^ in t)ellen flaren ^[Raffen
neben einanber ftettt." So follte fein Dfterbingen loerben.
2lber baneben ^atte er and) ein öeultid)e§ (Sefü^I für ba§
©anje. 35ie S3ibel, fagte er, fei ba§ ^teai eine§ 93u(^e§,
unb biefe gorm nac|5ubilben l^at er angeftrebt; nämlic^ ha'^
bie jiueite |)ätfte bie Erfüllung ber erften fei, toie ba§
D'Jene Seftament bie be§ Sitten. 2)iefe 3>üettt)eilung foIIte
iüoI)( ber entfpred^en, W bie ganje 2Bett trennt, binbet unb
erbält, eben lueit ja jebeg ^unftloerf ^Jlbbrncf be§ ®emüt|e§,
alfo ber SBelt, fein foüte.
Wü einem Traume beginnt bie ©efcfiic^te unb enbet mit
Komantiidje 93üc^er. 317
einem Traume; unaufhörlich ge^t fie in'§ Wäxd)m über,
gemä^ ben Uebergängen au§ bem (Snblic^en in'§ Unenblid^e,
bie ber SDic^ter barftetten sollte. 9Jian fü|It beftänbig, ba^
nic|t ta^, n)a§ gefc^ie^t, ba§ 2Bid)tige ift, fonbern ba§, tt)n§
e§ bebeutet. Tlan Umxk jagen, e§ fei bie ®efc^i(f)te öon
bem, ber bie blaue Slume fuc^te, unb Jüie er fie fanb; bie
blaue Slume ift aber ba§, \va^ ^eber fuc^t, o^ne eg fclbft
5U lüiffen, nenne man e§ nun ®ott, (Slutgfeit, Siebe, ^^
ober S)u. SBenn 9?ooa(i§ felbft jagt, ber 9?oman l^anbele
öon ber ^oefie, fo ift \)a^ nur infofern richtig, aU ^oefie
eben bn§ Unenblic^e, ha^ (Stuige, bie blaue 33Iume ift; ni^t
etira aU foHe bie ^oefie aU ^unft unter anbern fünften
d^arafterifirt loerben. äJcan fönnte aud^ fagen, Dfterbingen
fei bie poetifc^ gefaxte Siograp^ie §arbenberg'§. ytnx ba*
bur(| ift er fo tierfc^ieben öon ben übrigen ronmntifc^en
Sd^=9iomanen, ba^ S^oüalig ni(^t fii^ fuc^te — feiner mar
er fieser — fonbern bie SSelt, ha§: S^id^t'S'i)-
9^oöaIi§ ^atte mel^r aU bie übrigen 9?Dmantifer bie
^bee be§ (fangen gehabt, at§ fein Dfterbingen in i^m auf^
ging, unb man fönnte mit einem Schein üon ©ered^tigung
fagen, nur fein früher Xoh ^aht tf)n öertjinbert e§ auSju-
fü^ren. (5§ ift aber bod^ nic^t fo. 2(uc^ biefer 9toman
n;ar aU Fragment empfangen, e§ gehört ^u feinem SSefen,
nic^t Dottenbet loerben ju !önnen. Qu @nbe bringen £)ätte
ber 5}ic^ter i^n luobl fönnen, aber ein ©anjeS toäre er
beSioegcn bod^ nic^t geiuorben. könnte man nic^t nuc^ oon
SSit^elm 50Zeifter fagen, ha^ er nur unter ein DZot^bad^ ge-
bracht fei? 2J?u^ nicf)t oor allen j^ingen ha^ ^d) eine
©tufe ber SSoftenbung txxdä)t ^aben, e^e e§ feine ©nt»
tüicfelungSgefc^ic^te fc^reiben fannV G» ift fc^on übergenug
baoon gefagt morben. 5)ie unbeiiniBte ftraft, hu mit in«
ftinftioer Sic^er^eit bie gorm btibet, fehlte ben Siomantifern.
318 9?omanttfc^e S8ücf)er.
®te tuaren ju mentg ©riechen, ©te l^re^ten ha§> buftenbftc
ät^erifdje Del ou§ allen 33Iumen ber ^eimat^ unb grembe,
aber geeignete ®efä^e fte ju fammeln Ratten fte nid^t bereit
gehalten; nur i^re Singer trieften öon SBo^Igerüd^en, bic
Balb öerflogcn, in bie (Scbe üer[i(f erten , mit ber Suft fid^
mifd^ten.
SSie gut lenkten fie felfcft barüber S3e[c^eib! ^m ^^an-
ta[u§ fagt %ud, ha mo öon ©oetfie'^ ajJärd^en bie 9tebe i[t:
„^ei aller biefer frfieinbaren Jßortreffltd^feit fe^ft bie
bel^errfd^enbe orbnenbe ©eele, bie ber flüchtigen ©c^önl^eit
ben etüigen SfJeig geben mu^. 2)er S)ic^ter n)ill:
©§ \oU \id] ha§> ©ebic^t gum ©ansen rimben,
Gr luin ntc^t 9}(ärcf)en über SJfärdjen :^äufen,
®ie reijenb ttnterl)n[ten uiib jiile^t
SBie Io)e SBorte nur Oerftingenb täufc^en."
58ei 9loüaIi§ finbet fid^ bie Semerfung:
„2)ie Qbee eine§ (SJanjen mu^ buvdEiaul ein äft^etifd§e§
2Berf bet^errfc^en unb mobificiren. ©etbft in ben launigften
SBüc^ern. SBicIonb, SiidEiter unb bie meiften ^omifer fef;ten
^ier fe^r oft. @§ ift fo entfe^tic^ öiel Ueberflüffige§ unb
SangtüeiligeS, rec^t eigentlid^e§ Imrs d'oeuvre in i§ren Söerfen.
©elten ift ber ^lan unb bie gro§e SSertfjeilung äft^etifd^."
Unb i^riebrid^:
„(£g giebt fo üiel ^oefie unb bod^ ift nid^t» feltener
aU ein ^oem. ®a§ mad^t hk SJJenge öon poetifdfien ©fijjen,
©tubien, {Fragmenten, ^enbensen, Stutnen unb SRaterialien."
©ine (Sinl)eit ^aben aber hit romantifd^en S3ruc^ftüde
boi^, meldte 9iotiaIi§ bie „geiftige Sinfjeit" nennt, nämlic^
bie Seele be§ ®id^ter§, lueld^e in ber @pracf)e un§ erfd^eint.
(Sä hjöre eine tounberöolle Stufgabe, au§ ber Sprache, toic
fic fic^ burd^ bie SfJomantif, ®oet()e aU i§r Slu§gang§punft
genommen, enttuicfelt tjat, gu jeigen, UjeldEie (Srlueiterung bie
9?omantit(^e 58ücf)ev. 319
iöeum^tfeinliuelt fettbem erfoljren I)at. SBie ber 9ioman bie
moberne gorm ber ®ic^tung xaT £;o/t,v tft, [o bie ^rofa
bie Sprache ber mobernen S)ic^tung. @ie tft ber natürüd^e
2lu§brucf bei SerDufjtfeinI, bie ^oefie ber be§ Unbeimifeten.
S33enn nun ba§ ^heai ber ^ufunft (SinSinerben öon ^nftinft
unb ®ei[t, 2;rieb unb Slbfid^t ift, fo mu§ tu Sprache ber
^ufunft ^rofa-^oefie, ha^ l^ei^t eine |}oetifd^e ^roja ober
profaifc^e ^oefie fein. Unb loie fönnte man \i(i) üerfie^Ien,
ba§ bie ^oefie meljr unb mel^r öon ber ^rofa üerbröngt,
bafe aber biefe bafür immer poetifc^er luirb! 2öie öiel
ajJetobie unb 9x^^t()mu§ ifl in ber ^^rofa ©oelfje'l, Siecf'S,
^arbenberg'ä! 2Bie unenblid^ biet poeti[d^er tft fie aB jum
S3eifpiel bie gebunbene D^ebe <2c^iHer'§ ober gar 2effing'§.
Stil ha^ äRufter moberner ^rofa bejeid^neten bie 9^0=
mantifer — ba§ J^eißt griebri(^ ©c^tegel — bie be§ Ser^
t)ante§. @ie fei burcfiauS mobern. ^n feiner anbren fei
bie Stellung ber SBorte fo gan§ ©i^mmetrie unb SJJufif,
feine anbre föirfe in i^ren 5tblüed^felungen, fotnie SDJaffen
oon t^arbe unb Sicfit. „2)arum ift auc^ bie ^rofa be§
Seroantel bem 9tpman, ber bie 9Jiufif be§ Seben§ p§anta=
firen foll . . . fo angemeffen, wie bie ^rofa ber Sitten ben
Sßerfen ber Sll^etori! ober ber |)iftorie."
'änä) hie Sprache alfo foll in ba§ innere bringen —
romantifirt luerben; benn nun foH fie nid^t mc^r, Wie bie
©efi^id^te t^ut, ©reigniffe fd^ilbern, ober Wie bie 9il)etori!
burdE) ftarfe allgemeine «Sd^tagtuörter ben finnlid^ befcliränften
SJienfc^en treffen, fonbern ben langfam an§ bem 3)unfel be§
UnbeU)uf5ten an'l Sid^t fd^iüetlenben @efül)lgm äffen foH fie
jur ©eburt Reifen. ®arum nennen ja hie 3ftomantifer bie
©prad^e ^oefie, Slllegorie, ha§^ erfte unmittelbare SBcrfjeug
ber SJiagie, lueil wix ein 2)ing gteic^fam baburd^ f<^öffen,
ha^ wir e§ benennen. ©§ ift in bem 2lugenblicf, Iüd wix
320 3^omantiicfie 33üd^er.
tf)m einen Sf^amen geben, ^n fetten, luo gro^e 3JJa[fen don
llnbeton^ten fic^ ablöfen unb 'i)a§ Seiuu^tfctn 5U erfüllen
beginnen, mu^ bte ©prad^e mitftiad^fen. Unouf^örltd^ er=
tönt in bcn (Schriften ber Stomantifer bte ^fage über bic
Unjutänglic^teit ber ©|)rac^e. „O i^r Siebenben", ruft
^iecf QU§, „öerge§t bod^ niemals, trenn t§r ein Q5efü^t ben
SBorten anüertrauen lüoUt, tüa§ Iä§t fid^ benn überf)aupt in
SSorten fagen? Sft boc^ fo SSieteS f{^on bem S3Iid 5U un=
geiftig unb förperlic^." Unb ein anbre§ 9.")iot fagt er, ba§
bte 9)?enfrf)en fid^ nic^t öerfteijen fönnen, föeti fic ettva^
9lnbre§ auSfpred^en qI§ fie meinen: „in jebem Körper liegt
bie ©eele mie ein armer ©equölter in bem ©tiere be§
^:^alari§, fie mitt iljren Sammer unb i[)re ©c^merjen aii§=
brüden unb bie Söne bermanbeln \id) unb bienen jur S3e-
luftigung ber umgebenben SJJenge." Dber an anbrer
©teüe: „Unfre Sprache beftci^t barin, ba§ irir ganjc
2J?affen öon ©ebanfen unb 33tlbern ai§> einen S3egriff ^in-
fteHen, tuir nel^men bie ^(jantafie ju ^ülfe, um ber fremben
Seele gu erläutern, n)a§ un§ felbft nur J)a(b beutlid^ ift;
unb auf biefe ?lrt entftel)en ÖJemälbe, bie bem fütteren
(Seifte, ber nid^t gefpannt ift, SJ^i^geburten fd^einen. (£»
tft ein i^iud), ber auf ber ©prad^e be§ 9Jienf(^en liegt, ha^
feiner ben ?tnbern öer fielen fann, unb bieg ift bie Duelle
Qlle§ §aber^ unb aller SSerfoIgung: bie ©prad§e tft ein
töbtlid^e§ SBerf^eug, haS' un§ mie unoorfid^tigen Sinbern
gegeben ift, um (äiner ben ?tubern ju öer(e|en." @o fprid^t
hu 33itterfeit einer ©eele, bie fid^ tuunb gerungen l^at, um
Unfäglid^eS ^n fagen.
5lm ergreifeubften unb nm Ie£)rre{c^ften ift e§, ben ^ampf
ber ©prarfjentfattung mit feinen ©dfimer^en unb Söonnen
in 2ßadenrober'§ 33üc£)Icin ju üerfolgen. ^i^^^ofe (£m=
pfinbungen unb iuerbenbe Segriffe beftürmen x^n unb flehen
9{omanti)cf)e Südjcr. 321
um ©rlöfung burd^ ein 3flu'^fi^^i^ort: ha^ ift ja bie Stufgabe
be§ jDtcE)ter§, bie fc^luanfenbe SBelt be§ Unbetüu^ten unb
^atbbelDU^ten §u üeretrtgen, boburc^ ha^ er i§r StuSbrud
giebt, fie benennt, fie oerbic£)tet. Unb nun fud^t er unb
fliegt, immer letbenfd^aftlid^er tüirb fein Stammeln, immer
munberbarer unb feiner merben bie klänge, mit benen er
ba§ üevsaiiberte ^eer befd^iüört, aber e§ n^eic^t ntrfit öon
feiner 33ruft, mo e§ fic^ brüdenb lüie ein 2IIp gelogert tjat.
(Sr oerjmeifelt an feiner SDiad^t — nur bie Tln\it fönnte
t^n befieien; inonen benn feine SBorte nic^t SJJufif merben?
SSie fid^ ^rofa unb ^oefie gegenüberftefien, fo in einem
tuetteren Greife ^poefie unb SJJufif, tro nunmehr bie ^oefie
ba§ 33en)uBte, äJJufif ba§ Unbetou^te öertrtlt. Hub aud^
l^ier !ann mau beobachten, ha'^ bie ^oefie SOcufif werben
miU unb bie 3J?ufif ^oefie: bte ^oefie bemä(f)ttgt fic^ ber
bunften (Stimmungen, bie aflgemein mie S^on, garbe unb
(Serud^ auf unfern tiefften SSefengrunb einlüirfen, bie SJJufi!
bagegen möd^te luie ba§ SKort unferm bemühten ©eifte be=
ftimmte ^ßorftellungen erregen.
@§ ift fc^trer, ftc^ ein anbre§ al§ ein t)ifionäre§ Sraum-
bilb baüon ju mad^en, loie ba§ erfd^einen unb tuirfen fönnte,
ma» man öielleid^t in itnenblic^er ^ufunft ^unft nennt,
tütnn e§ nur eine ^unft giebt, fo nämlid^ ha^ lebt (Sinjel-
fünft firf) loiHig ber allgemeinen i^ingiebt, o^ne ta^ fie bod^
bie ^raft öerlöre, fie felbft ju fein. Sc^on aber beuten
alle Stxd^tn barouf ^in, 'ba^ and) f)ier ba§ bemühte ®;^ao§
am ^icle ber ©ntuncfelung ftel)t.
§uc^, SRomantitcc. 21
^a§ 9Kävrf)Ciu
S>a§ SJJnrcfien ift qteicfiiam bet Ennon
ber $oefie. 2llle§ *poetifcf)e mu6 märc6en=
l^aft fein. S)er Sicfiter betet ben Qii\aü. an.
gJoBnIiS.
SBenn rotr te[en, tüte 3fioöaIt§ feinen Dfterbingen ju
@nbe ju fü{)ren gebadete: ba§ ^einric^ in einem tiefen
Sßaffer einen golbenen ©c^Iüffel finben follte, ber i£)m ba§
SSunberlanb auffd^Iie^t, Wo ^flan§en, Steine unb (Seftirne
fprec^en unb l^anbeln tüie SJJenfd^en; ba^ er ftd^ in einen
füngenben 93aum unb einen golbnen Söibber unb bann
njieber in ftc| fe(bft oertuanbett, fo finben rcir un§ aller«
bing§, tt)ie e§ feine ^Ibfic^t war, ööHig im SJiärc^en. S^Jur
bie :§Dd^fte UebertegenJieit be§ Ö5eifte§, bie flügfte, befonnenfte
©d^reibnrt fönnte un§ babei noct) an ben Stoman glauben
mad^en.
9^oöaIi§' Slnfid^t, ber ^loman muffe 9J^ärd§en toerben,
ift nicE)t fo überfpannt, toie man gunäd^ft beuten möd^te.
SBenn man fic^ etiüa öornimmt, Ue Seben^Iäufe öerfd^iebener,
beliebiger SJienfd^en nad^ 9}iärd^enart ju eräö^Ien, inbem
man fte liebeöoH genau betradjtet, bie fleinen feltfamen
3ufältig!eiten unb 83erfnüpfungen fid^ nid^t entgetien lä^t
unb 5ltte§ at§ bebeutenb anf{et)t, fo tuirb man finben, ba§
icbc§, oud^ ba§ ärmfte ßeben fo niunberbnr mie irgenb ein
SJJärc^en ift. Unb tuill man nod^ bie 'iperfonififationen unb
n)unberbaren ^tnfd^auungen ber 9Jatur ^aben, bie tnir im
HJiärd^en getuö^nt finb, fo brandneu mir un§ al§ ©rjäller
3)a§ 3}cor(l)en. 323
nur ein Wmh ober einen mit finblic^ frifd^er ^f)anta)"ie be-
gabten 3Jlm\ii)m tjor^uftellen. Unter ben neueren Stomanen
fomuit üeUcx'^ grüner ^einric^ biedern Sbea(e fe^r na§e.
2Bie hie 3^omantifer überhaupt barauf ausgingen, hk
Umriffe ber fünfte, tüie bie ber ©tnne, gu üenuifc^en unb
in einanber überfliegen laffen — bie romantifc^e SSeriutrrung
— jo imirbe unter i^rcn ^änben jebe Si(f)tung§art, auc^
ba§ S£)rama, §um äRärcfien. 2)a§ tft ja eben Siomanttf,
ta^ bem SBunberbaren nic^t nur uie^r ein SBinfel im ©arten
ber ^oefte gelüibniet fein follte, «Sage, Tläxd)en obec
9}?i)tC)o§ benannt, fonbern ba^ e§ ein einziger SBunbergarten
fein foHte; etina mt 5JJoöa(iä bcn feinem Ofterbingen n)ünf(^te,
ba§ gan^e ^nd) fülle benfelben ^^arben^G^arafter begatten
unb an hk blaue Stume erinnern, daneben aber Reiben
hk 9iümantifer ha^ Tläx(i)tn bod§ aud§ a(§ befonbere
Öiattung be^anbelt, ja fogar mit S^orltebe; bcnn bi§ man
ber einen großen romantifc^en ^^funftc^poefie einmal mäd^tig
lüor, blieb e^ bod^ btr 5:ummelplat^, wo fii^ hk fonft überall
burc^ bie ÜBtrflid^feit befc^ränfte ^|autafie geJ^örig au§=
toben fonnte. 6» gehört mit ju ben größten praftifc^en
Jßerbtenften ber 3tomantifer, ba§ fie ben öerfd^ütteten Quell
be§ 5ßolfSmärcf)en§ Ujieber aufgegraben Ijoben. ®a§ berliner
^ur(^fcl)n{ttlpublifum njar rat^lo§ oeriuunbert, bie alten
®efc£)ic^ten üon 3fiotl)täppdl)en, Slaubart, ©eftiefeltem ^ater,
Don Xied in ben üerfc^iebenften SSariationen aiifgetifc^t ju
befommen.
®er 33laubort tft ju gelbe gejogen; ba^eim fi|t feine
junge grau unb reibt an bem golbenen (Sdjlüffel. SSalb
fc^eint el, aU tüoHe ber 33lutflecf f(^iuinben, balb benft fie,
er fä^e i^n nic^t ober mürbe ben ©dlilüffel gar nid^t jurüd^
forbern; aber bie Slngft mäc^ft unb mäcl;ft, mä^renb fie fid^
üergeblic^ mülit. S)a fd^let(^t bie alte S)ienerin l)erein mit
21*
324 3)a§ 9Kävc^en.
i^rem öerlintterten .f)ei-engefid^t, um ein 9J?ärc^en ju er-
gälten, bamit i^rer Herrin bie ^^it "if^t ^^ong lütrb. Unb
nun erjälitt fie:
„@§ tüolinte ein görfter einmal in einem bicfen 2Batbe;
ber SSalb tüar fo bid, ba^ ber ©onnenfc^ein nur immer
in {(einen ©tücfd^en ^inunterf allen fonnte; menn haS 3agb-
I)orn geWafen luarb, fo flang e§ fürc^terlid^. ^n ber
bid^teften ©egenb be§ gorfteg lag nun gerabe ha§i ^au§
beä SögerS. jDie Sinber ttjuc^fen in ber 2öilbni§ auf unb
fa|en gar feine Seute aU i^ren SSater; benn bie aJJutter
ttj.ar fd^on fett Sängern geftorfcen.
Um eine geföiffe ^at^reSjeit traf fid^'l immer, ba^ ber
SSater fic^ ben ganzen Sag im |)aufe eingefcfiloffen ^ielt,
unb bann fiörten bie ^inber ein fettfamel 9?umoren um
ba§ ^au§ ^erum, ein Sßinfeln unb S^uc^oen, in ©umma:
ein ©etärm ttjie öom (eibfiaftigen ©atonal. 9Kan brad^te
bann bie 3eit in ber §ütte mit ©tngen unb 33eten ju, unb
ber SSater luarnte bie ^inber, ja nic^t l§inau§5ugei^en.
(g§ traf ftc^ aber, ha'^ er auf eine SBod^e, in bie ber
S;ag grabe fiel, öerreifen mu^te. @r gab bie ftrengften
S3efef)(e,' aber ha^» 9J?äb(^en, t^eil§ au§ 3'ieugier, t^eil§ töeit
fie ben Sag aug Una(f)tfamfeit bergeffen l^atte, ge!^t au» ber
glitte f)erau§. 9iic^t n^eit bom §aufe lag ein grauer, ftiH-
fte^enber See, um ben uralte berrattterte SBeiben ftanben.
S)a§ SOläbc^en fe^t fid^ an ben See, unb inbem fie ]^inein=
fief)t, ift e§ i^r, aU menn if)r frembe, bärtige ©efic^ter
entgegenfet)en; ba fangen bie S3äume an ju raufd^en, ba ift
e§, al§ tütnn e§ in ber j^erne gei)t, bo fod^t ha^ SSaffer
unb h)irb immer fd^tuärjer unb fdfjttiärjer; mit einem TlaU
ift e§, a(§ luenn fo Sröfdfie barin um^er fiüpfen, unb bret
blutige, ganj blutige ^änbe taud^cn fii^ (jerbor unb h)eifcn
mit ben rotten 3eigefingern nad^ bem SJiäbc^en ^in" —
3)a§ Wdxi)tn. 325
@tn ©c^auber überläuft uns, tuie bte arme jitternbe
e^rau be» 33(aiibart, über bog ajJärd^en im 9JJärd;en. 9?ur bte
©ingangöiuorte üon bem gorfter, ber tu bem bicfen, bicfen
SBalbe lüD^nte — unb wir fiören f(^on ha§ bump[e SSetjen
bcr uralten fc^iuar^grünen Pannen unb fe^en ha§ oermummte
«Sd^idfal geifteri^aft um ha^ ffeine tobtenftifle ^ÜQtxl^an^
fc^Ietc^en. @§ i[t ein S^on ta angefc^Iagen, ber alle»
^eimlic^e, a(}nung§t)oIIe ©raiien ber 33ruft äugletc^ befd^mört.
Gb ober qu§ biefem Slnfang ein red)te§ ec§te§ 9J?ärc^en
l^ätte lüerben fönnen? 2£ie e§ in ben 7 SBeibern be§ Stau»
bart fortgelegt luirb, ift e§ nic§t§ atl ein oermilbertes (Snt=
fegen, eine p^antaftifc^e 5ra|e. gaft alle 3)iärd^en 2:iecf'l
finb fc^aurig. ^di erinnere mtc^ be§ ^benb§, aU id) jum
erften Wal in einem oergilbten altmobifc^en Sefebuc^ ben
SBIonben (Sfbert taS, at()emIo§, gluifc^en ©raufen unb @nt=
jücfen. ^a n^anbert ha^ fleine äRäbc^en mutterfeelenaUein
burc^ ba^ breite ©ebirge, tagetang, jmifc^en Reifen unb
Reifen, o^ne einen Slu^gang §u finben, hii fie in hü§' Zoien
eineg 2[öafferfaII§ t)inein hk alte grau J)uften ^ört, hie fie
mit fic^ nimmt. Unb nun ha^ ftitle Seben im Söatbe bei
ber ge^eimniBOotten Sitten mit i^rem Sjogel unb i^^rem
^ünbc^en, auf beffen 9kmen ftc^ bie ^oi^e grau, ba fie
ii^rem SD'ianne unb feinem greunbe ii^re finblic^en ©riebniffe
erjä^It, gar nid^t metjr befinnen !ann. 3Ba§ für ein ®e=
fü^I aber, loenn nun ber 9titter, ber ftiff §uge^ört ^at, fi(^
ergebt unb inbem er fic^ oerabfd)iebet ju ber S)ame fagt:
„3(^ fann mir Gu(^ rec^t lebtiaft oorfteffen, mie ^^x ben
f (einen Stro[)mian füttertet!" 9Jfan begreift e§, ha^ fie bor
(Sntfegen frant wirb unb ftirbt.
Sie Segebentjeit an fic^ lüäre nichts o^ne bie liebliche
©prec^meife, bie mt ein ©etäut au» ber gerne an unfer
Gt)r ftingt, bie alle§ Unbebeutenbe auSgefc^ieben ^u ^aben
326- ®a§ «märten.
frfieint, bem S;ropfen 9to[enöI öevgleid^bar, ber au§ ^unberten
oon Siofen f)erau§gepre§t, ba§ ©ü^efte bar[telTt, ha§ nad)
SSertttgung be§ ^Sergänglidien übrig geblieben i[t: eine üer-
bic^tete, atfo ec^te ^i(^terfprac^e. SBieberum fönnte man
fagen, bafe ha§i Siebd^en oon ber 2Sa(betn[amfeit, ha^^ mit
leti^ten Slbiüanblungen immer n)iebertelf)rt, eine liebe TleloW,
bte einen nic^t loSlaffen tviU, ber 3:ropfen 9to[enöI fei, üon
bem au§ ber raeic^e Siiift fid^ gteicfimäfeig burc^ bte ffetne
jDid)tung uerbreitet; nannte boc| griebrid^ ©c^Iegel biefen
$8er§ einen (Sjtraft ber Xied'i'c^en ^oefie überljoupt, ber
(Sinem i£)r 5Be|en am einbringüc^ften gu genießen gebe.
(äbenfo fc^aurig, aber nod^ unftarer nnb unbefriebtgenber
tft ha^ Tiäxdjtn oom 9tunenberge. (S§ erjötilt öon einem
jnngen Partner, ber eine traumerijc^e (Se£)nfud^t natf) ber
(Srbe ^at, tfirem innersten ©ctiofse, tüo bte foftbaren SJZetaHe
imb bunten ©efteine burc^ einanber gfänjen. SSon ber frteb-
lic^en Stumennjelt föeg jie^t e§ it)n gum fteinernen 93erge.
Unb ha fommt er ju einer alten, ^alb öerfaHenen Stuine,
J)orf) oben über jä^em 5ib()ange, 3lad)t§, mo bei Stage !etn
SDfJenfc^ ficf) J)intüagt, nnb jietjt bort ein 2Beib öon über*
natürüd^er ©d^ön^eit. S[t e§ bie Statur, bie tieimlid^ unb
mäd^ttg in ber Srbtiefe ioirfenbe? Sft »^er Slicf, mit bem
ibr bämoni|"(f)e§ Sluge i^n burd^bringt unb binbet, ein böfer
ober guter? 'ifflan trei§ ha^ ind)t, and^ nid^t ob e§ ein
böfer ober guter ®eniu§ i[t, ber i^n u^ieber fort au§ bem
oben ®ebirge unter bie einfad^en 9Jienfc|en eine§ ^orfe§
füljrt, )x)o er ein 9J?äbd^en lieb geiuinnt nnb (}eiratt)et. 3lber
nar^ mandjciu ^a^xt fa^t if)n ber Sergjauber Jüieber.
S;a§ ®oIb fie^t i^n mit tadjenben, funteinben klugen an
unb gelrinnt (Scloalt über ii)n, unb fort mu§ er, jurüd
in ha§! furd^tbare ©ebirge, oon Juo er noc^ einmal,
berlütlbert, uralt, Ji)a|nfinntg, ein luantenbeg, unbegreiflid^e^
S)a§ 3JJärd)en. 327
^^antoni, tuteber jurücffe^rt. (Slenb unb SSerberben t[t
ba» @nbe.
2Bir tütffen, ba^ bo§ SJJär^en oom 9tuneuberge au§
ben Stnregimgen ber 9iaturpl)ilDfüpl)te entstauben i[t. %itd
mar bamalö mit @teffcn§ befreunbet, ber no(^ im ^o^en
StÜer öon ben jdianrigen Sl^unbern ber etnfamen nor*
tüegtfcfjen ®ebirg§tt)üfte fo lebenbig ju er^ä^Ien mufete.
Steffens unb 9?oDaIi§ :^atten in greiberg ben S3ergbau,
unter SBerner Geologie ftubtrt; i[)re Erinnerungen baran,
mit romantifirenbem Sinn aufgenommen, fe^ren ^äufig luieber.
®a§ Seben be§ ^Bergmannes ^atte für alle 3ftomantifer etmaS
^öd)ft 5(njie^enbeS. 2)a§ (Srbinnere, Wo ungefe^en 't)k a(Ier=
foftbarften ^(einobien, tobt unb bod^ lebenbig, luadjfen, hk
(Srftitnge ber 9^atur, ber 9tei(i)tl^um ber Dbern^elt, bo§
leuc^tenbfte, farbige Sid)t in ^rljftalle gebunben, in ber
f^iüarjen Stacht, tüo|in bic Sonne nic^t bringt, ^eimif^;
t)a§ ©rbinnere, haS^ ^mneilen geiualtfam aufreiht unb bie
inneren Gräfte furd^tbar fc^ön offenbart, fic^ im flüffigen
geuer ergteßenb, ift g(ei(^fam ha^ UnbenniBte ber Erbe.
(5» ift !ein SBunber, ha^ bie Siomantifer fid) baoon gefeffelt
füllten.
SIber n)ä[)renb 3lot)ali^ fein fro|e§ ftarfeS S3erglieb
barauS bic^tete, fonnte Siecf nic^t au§ bem beflemmenben
S[)un!el ^erauSfommen. (Sin SSefjerrfd^tmerben ber elemen=
taren Statur burrf) ben SKenfcfien fonnte er fic^ nic^t t)or-
fteHen; fie tüai i^m eine grau SSenuS t)on üerberblid^cr
Sc^ön()eit, eine 2;eufelin, bie ben ^[Renfc^en in i^re SIrme
5ie^t burc^ iljren SttleS überfteigenben Steig, aber nur um
i^n ju tobten, ^tur S^erjenige, ber fie tinblic^ bereljrt, o|ne
i^rer ju begebren, ber nie ben toÜfüfinen SBunfd^ empfunben
!§at, i^ren ©dileier ju lüften, bem ift fie bie mütterlicJie,
fegenfpenbenbe ©ottin. ^m Seben faf) 2;iecf überall nur
328 2)n'3 5[Rävd^en.
unlösbare SSemtrrung. (Sin beftänbtge§ ängftttd^eS ß^rauen
über ha§' fteinerne ©d^idfat mit bcn feftgefd^toftenen Si|3pen,
ta^ bie puppen nac^ einem rätl)fetf)aften ^lane ^ier^in
nnb bort:^in fe^t, in einen SBinfel lüirft, üertaufd^t, um:=
fleibet, in 'i^ur^ur ober Sappen £)üf(t, jertrennt, serfe|t,
föpft nnb luieber gufammennäöt, n^ar fein ©efü^t gegenüber
bem SJJarionettenfpiele be§ Seben§; eine bämmernb roman«
lifc^e Stimmung, geeignet gur S)arfteIIung be§ ©d^aurigen.
2)enn ba§ ©c^aurige tft eben Unflar^eit, SSettüifd^ung unb
Umriffe im ^loielid^t. (Sttnag ©(^rerflid^eS, beffen Urfprung
unb 5(rt h)ir beutlic^ fe^en, ift nic^t graufig; bagegen tuiffen
n)ir ja, tt)ie, menn bie 9^ad§t !^ereinbri(^t, auc^ ha^ (Se-
Uiö|nlid^fte un^eimlid^ merben fann. ®ie fdiaurig bunfte
(Stimmung in ben Sied'fc^en SJJärd^en mad^t fte toirfungö»
üott; aber äft^etijd^ i[t biefe Sc^müle ntc|t unb nod^ öiel
lüeniger geprt fie in hü§t HJtärdEien, toenn man an bem
l^erfömmlic^en 93egriff feft^ölt. @in ^unftn)erf mag mo^I
burd^ S^iac^t unb brauen ^inburdEige^en, joll un§ aber bod^
fc^tie^Iic^ 5um SidE)te führen; benn bcju ift ber ^ünftter ha,
t)a^ er ben bur^ 3^eifel unb Stat^Iofigfeit gemarterten
SJienfd^en bie öern^orrenen ©rjdEieinungen beutenb löfe. ®a§
eigentliche SJJärd^en üoIIenb§ ift immer flar unb 5ufrieöen-
fteüenb; benn e§ ift, minbeften^ in feinem Sterne, ein Stüd
SSoIfgglauben, alfo in religiöfen ©emütljern crmad^fen, unb
ber ©laubige, fei e§ nun ba^ er bem naioen SSotfäglauben
anfängt ober fic^ eine reine SBeltanfd^auung erlüorben !^at,
fieljt überall Harmonie, ®ered)tig!ett unb 3fJDt^lüenbigMt,
unb fann beS^atb, aud^ tuenn er e§ iuollte, ein ^unftmer!,
ba§ feinen unbeioufsten SBillen abfpiegelt, nid^t in einen
SRi^flang au§münben laffen. ®a§ graufam blinbe ©c^idfal,
ba§ irgenb ©inen herausgreift, itim eine ©d^ulb anüebt,
für bie er fid^ nic^t üerantiuortlid^ füp, unb burd^ bie er
5)a3 gKävdjen. 320
bod^ leibet, gehört nic^t in ba§ SJJärd^en. (S§ fctilie^t
niemals mit einem grage^eicfien. ©§ mögen in einem
SJiärc^en hie fürd^terlid^j'ten iCertutdelnngen angefnüpft fein,
tüie juni Seifpiet, ba^ ber alte ß'ünig feine eigene fi^öne
^od^ter ^eiratl^en Will, ober ba^ bie Stiefmutter auf ba§
SSerberben ber öerlüaiften Sliuber finut, ober ha'^ bie böfe
gee einen 5Iuc§ über bn§ unfd^utbige Äinb öerl)äugt t)ot,
immer löft fid^ ba§ ärgfte 5ßer|ängni^ fpietenb nnb fidler
mit .^Dc^seit ber @uten nnb §oIben unb Untergang ber
©c^Iec^ten unb ^ö^Ud^en. ?iiemal§ ift beim SSoIfSmärd^en
etlnaS Enbrel beabfii^tigt, aU bie (£r5ä^(ung einer fc^önen,
lüunberbaren Gegebenheit; ta^ ein tiefer Sinn barin liegt,
rü^rt ba^er, ba^ e§ mi)tf)oIogifc^e 33rud^ftücfe finb unb
SJiijt^oIogie nid^t§ 5lnbre§ aU ©ijmbol ift, ja fetbft iuenn
ba§ nic^t limre, toeil e§ ein ©tütf 9?atur unb ein ©tue!
Seben ift unb aU foId)e§ ©teidjuife. Sitten UnbeluuBte ift
©timbol für ha^ SSelüU^tfein, haS^ e§ betrachtet.
Wü Staunen unb ©ntjücfen fieljt ber Sfiomantifer in ber
äJJärd^enbid^tung jenel luogenbe ©£iao§, jene magifc^e SSer-
tt)irrung, au§ ber eine tiarmonifd^e SBelt entfte£ien !ann.
©d^on bie nüd^ternen ^öpfe, 93obmer unb 33reittnger, ^aben
geal^nt, ha'^ im SBunberbaren irgenbiüie ha^ SKefen ber ^oefie
liege, luenn fte aud^ faum luufeten, n>a§ eigentlich tüunberbar
fei. (äJetoi^ ift bo§ SBunber ein ^lang aul bcni, tüa§ mir
3enfett§ nennen, ein B^iifj^w ^^^ inteHigibeln SBelt, eine $8ürg«
fdEiaft unfrer grei^eit unb unfrer magifi^en Ä'röfte.
„5ltle SJJörc^en", fagt ^f^oöaliS, „finb nur 2;räume öon
jener l^eimatlic^en SBelt, bie überatC unb nirgenb ift. Sie
^ö^eren 9J?äcE)te in un§, bie einft at§ ©enien unfern SBiüen
üottbringen luerben, finb je^t SJJufen, bie un§ auf biefer mü§=
feiigen Saufba^n mit fü^en Erinnerungen erquirfen."
2)aS SSergnügen, tta^ bie romantifd^en 58eluu^tfein§=
330 2)0^3 aJcärdien.
men[c^en an bem SJJärc^enquell be» Unbelüu^ten Ratten, tuar
ein boppeIte§, lüeil in ber ^^(uffläriinijSjeit af(e§ SSunberbare
in SSerruf gefommen toax nnb ba§ SJiärc^en §üc^|"ten§ baju
biente, auf jd^einbar finbltd^e 2lrt Seben§mei§()eit ober fatirifd^e
5tu§fä(Ie an ben Wann gu bringen. ?Ug Sied bamit anfing,
feine geliebten 3Jiärc^en tuieber^uerjä^ten, öon beneu er n)o£)I
tunkte, ha^ fie lüeit mei)r ^oefie unb 333ei§^eit entljielten,
al§ bicfe S3änbe öoll 5{uf!{ärung§probu!te, tüie feine Qtit=
genoffen fie liebten, t£)at er e§ mit bem !edEen Uebermut^
eine» ©c^uliungen, ber in ber ticken ^rone be§ $8irnbaume§
fi^enb öor ben 2Iugen be§ bicfen ^^ilifter§ unten bie fc^önfte
i^rut^t t)erfpeift unb i^m ^k unb ba eine auf bie 9fJafe fallen
läfet. @r erjä^tt fie nid^t unbefangen, fonbern inbem er
gugleid^ ben @pott feinet ^ubüfum§ öerfpottet. 2Ba§ ift
babei au§ S3(anbart unb 9iDt^fäppc|en, ber fdEiönen SKageU
lone unb ber fd^önen Slietufine unb ben anbern Sagen unb
SSoIf^büc^ern, hit er un§ neu gefrfienft ^at, geworben? Stein
unb lieblic^ jn^ar ift bie @onntag§ftimmung in bem ftiUen
^immer ber ©ro^mutter, wo 9fiotf)fäppc|en feinen Kud^en
augpacft unb fo altflug'finbifc^ mit ber alten ^^rau plaubert,
bie D^ne eä §u miffen mit bem fleinen 90täbd^en biefelbe
@eifte§ftiife einnimmt, auf bem Stücfroege begriffen. Unb bai
§er§ flopft un§ mit ber jungen S3Iau6art«frau in i^rer 3Ingft,
^obe»not() unb Hoffnung, luie genau mir au(^ ben 2lu§gang
fennen. ®er 53Iaubart felbft f)ebt in einem rec^t märc^en"
|aften S3öfen)ic§t§tone ju fpred^en an, mä^renb er red^t§
unb linfä !öpfen lä^t, n)a§ i^m in ben SBeg fommt; aber
er unb nfCe anbern ^erfonen üerfnUcn auf jeber Seite in
bie fecfe 3:iecf'fc^e ^Rebeiueife, bie in jebem ©a^e unjätjüge
SBejiefiungen anbeutet, äugfetc^ ben albernften Unflnn unb
ben jnrteften 2;ieffinn anfingen läfjt unb eine grübeinbe,
Juetjmüt£)ige ^^itofop^ie au»^auc^t. 25ie n^enig finben luir
Sa§ SUfärd)cn. 33 1
^tcr bte melanc^olifcfi'lüeifen ©(jafefpearifc^en Starren an
SRan barf aber ntc^t beuten, SiecE (labe etma feine
9JJärd;en fo eingefleibet, lueU er e» nic^t anber§ geiuu^t
ober gefonnt J)abe. (Sr jagt öielmeljr gelegentlich, ba^ man
ben fcf)Ii(^ten .ftinberton be§ alten 33ud;e§ itnr mit SSor[icf)t
unb SO^a^en föieber öerinerti^en bürfe, lüenn mnn e§ lüieber»
erjagten n^otle; luobet o^ne ^lüeifel feine 9}?einung mar,
ha'i^ bem mobernen 9Jienfcf)en nun einmal bie 5(nfcl^auung§-
njeife eineg öon ber Suttur noc^ unberührten nidjt me^r
eigen fei unb er beS^alb gut t^ue, fie fidj nidjt an^uempfinben,
ba atleä 5(nempfunbenL' uniua^r unD fomit untünftlerifc^ fei.
'äüd) je^t giebt e§ nod) SJJenfc^en, bie in einer 2öe(t finblid^er
S^orftellungen leben; aber bie üerfaffen ni(^t barauf, SJJärd^en
5U erfinben. (Sinen SJfenfd^en, ber bie Slultur unfrer 3cit
empfangen f)at unb jugteic^ fo urtl^ümUc^ fie^t unb em=
pfinbet, ha^ er fe(bflerlebte, felbfterfdiaffene aJiärc^en mit ber
öoUen SBat)rt)aftigfeit unb ^^reutier^igfeit erjäfilen fönnte,
t>k un§ fo fefjr bejoubert unb rü^rt, |at e§ noc^ nic^t ge=^
geben, unb er n)irb tüoijl auc^ erft in jener ^utunft möglid)
fein, ber ha^ SBunber mieber jur jJueiten 3'iatur unb ta^
©efe^mä^ige jum S5?unber geiuorben ift.
Wan foÜte meinen, loenn (Stner, fo fei Qioet^e naiö genug
geloefen, um ein gute» SJiärc^en 5U erfinnen. Sein 9J?ärc^en,
njetdie» unter ben 9?ooe(Ien ber 2(uggeiuanberten feinen ''^la^
I)at, tt)urbe bü§ 9J?ufter ber romantifd^en. 5tuc^ fann mon
nid)t anberg af§ bie be^agüdie 5Inmut^ unb ben feiigen
gro^finn beiounbern, ber biefe gabelet oon innen ^er Der»
golbet unb burc^glänjt, mie haS' oerfi^tudte @o(b ben bieg«
famen £'etb ber ebetn Schlange, hie eine ^auptrofle barin
fpieü. Sennoc^ luinbet fic^ hit ®efc^id)te ftedenloeife burc^
mütjfcligen Staub ber Sangemeile unb unoerftänblic^en alic' :
332 ®"^ 9Jiärd)en.
gortfd^en SIeinfram unb ha^ üoriütegenbe ®efü^t, am @nbe,
i[t tod) eine gelüiffe ©nltäufc^ung unb 9tati)(o[igfeit. Sieft
man aber gar, wie ©oettje felbft barüber rebele, füfjlt man
fid^ üoHenbl ernüchtert; er fc|rteb nämli(^ an @(f)iller, ba^
er nun auc6 biefe§ gelD gefjörtg bearbeiten n;oIIe unb etroa
noc^ ein ®u|enb 3)?ärc^en gu machen im Sinn i)aht. ©editier
feinerfeit§ berichtet öon ben ^afillofen unb ^öd^ft Derlüidelten
@rfIärung§oerfud)en, bie ju bem 9J?ärc^en fogleic^ gemacht
tüurben, bie er aber aüe aU untauglich) abtaut, um eine
ebenfo müfifam ausgetüftelte bagegen uorjubringen.
SSenn aber auci^ t)ou SlHebem nic|t§ im SJJorc^en i[t, n)a§
man geiuö^nlicf) öom Tläxd^m erloartet, fo ^at ©oet^e boc^
bamit ha^ 9J?ufter einer neuen unb berecE)tigten 2lrt auf*
gefleUt; unb injofern i[t bie SSegeifterung, mit ber bie @e=
brüber ©erleget bie[e S)id^tung begrüßten, ganj unb gar
öerftänblic^. SBarum füllte niclit auc^ ber moberne SJienfd^
feine 3Jf ordnen ^aben? 5tn bie man anbre Slnforberungen
flellen bürfte, ja mü^te aU an bie alten SSoIf^märc^eu?
5)er 9tomantifer fie£)t burc^ ba§ buntgeiuirfte mit feltfamen
gigureu beftidte 9J?är(^en!(eib l^inburd^ mei^e, feen^fte
t^ormen fc^immern; biefe üerborgene ©^ön^eit entjücft i^n,
bie er burd^ ben finbifc^^buuten ^u^ tjinburd^ fie^t, ber
allein it|n niemals mel)r reiben fönute. Unb bon biefer
@cf)önl)eit tjanbeln awi) feine Tläiditii. ®a§ @oet!^e'frf)e
ajiärd^en lä^t ben Sefer feinen 5tugenblid barüber in ^loeifel,
ha'Q e§ ft)mboIif(^ ift; nur fann man leiber ba§ jarte Seibt^en,
auf ba§ e§ bod^ aufommt, ni(^t redtit erfeunen; mag e§ nun
an ungefd^idter SSefleibung liegen ober, tuaS tüa^rfc[}einlirf)er
ift, bnran, ba^ ber ®id]ter e§ atlju nac^Iäffig formte unb
eine |)ütte barüberföarf, bie für ^^(tle§ auffommen foüte.
©0 ift %kd'^ Urtljeit §u erflären, ber öon bem ©oet^e'fd^en
dMxd)tn fagte, e» tiabe feinen 3"t)alt. „CSin SBevf ber
®a§ SRärcfjen. 333
^l^antofie", fagt er in 93e,^itg barauf, „joll gar feinen bitteren
SJad^gefd^nmcf jurücflaffen , aber bocf) ein SZad) genießen unb
Sf^ac^tönen; biefe§ üerfliegt unb gerfplittert ober nod^ me^r
aU ein Xraum, unb ic^ Ijabe be^^atb ba§ f)err(idje 9J?ärc^en
öon 92oOaIi§, fotüeit icJ) e» öerftelien fonnte, biejem rvtit öor-
gejogen."
^n 2Bat)r^eit leibet ^yiobali^' Tläxdjtn an bcmfelben
@runbfeJ)Ier mie bo§ ©oet^e'fcfie, nämlid^ an Unöerftänblicf)-
feit; nur ha'i^ ba§ ßleib, ba§ ©oet^e feinem 3}iärd^cn über-
genjorfen ]§ot, ftetteniüeife reijcnb genug ift, um einen allenfatt§
glauben gu mad^en, e§ fei bie ^auptfad^e unb ©eftatt fei
nid^t ta, tt)ä^renb ta^ üon 9^otia(i§ eine offenbare, unsmei*
beutige Stllegorie ift, ta^ fic^ ??iemanb W 93?üfje nimmt
gu ßnbe ju lefen, ber fid^ nic^t für bie Sebeutung intereffirt.
©ele^rte aJJänner §aben e§ fidö angelegen fein laffen, e§ au§=
julegen, t)ielletcf)t rid^tig, öietteid^t nic^t; febenfattS follte
aud^ ein moberneS 9JJärd^en nid^t ber ©ele^rfamfeit bebürfen,
bamit man e§ genießen fönne.
c^ie unb ta etfi^eincn in ben SSerfen ber JRomontifer
jufäKige 2J?ärd)en ober 5lnfä^e gu Tläxd^m, bie ba§ „^ö^ere
SJJärc^en", fo nannte e§ S^ZcöaltS, tuenn „o^ne ben (5ieift
be§ 9J?ärd^en§ 5U öerfc^eud^en, trgenb ein S8erftanb, S^'-
fammen^ang, SSebeutung fjineingebrac^t lüirb", gtüdüdier
oI§ bie genannten großen, funft= unb finnreic^en öertreten.
©0 bei Sied, ta, wo bie alte ^ßu^erin, bem 58(aubart ju
(S^ren, ber fie in i^rer unterirbifc^en ^ö^Ie befud)t, ein
Surn- unb 9titterfpiet neranftaltet. S)a erfc^eint ouf einen
Srompetenfto^ eine prunföolle SSerfammlung üon SSögetn
unb ^nfeften: „^f^t njurben bie ©c^ranfen eröffnet, unb
auf einem ftattlid^en ^af)n ritt ein rot^efledter Papagei
i^incin unb fteUte fi^ in bie SJiitte. Stuf einem onbern
©treitroB fam ein blaugepanjerter U^u, ber feine Sanje
334 ®a§ 9)tävf()cn.
gegen ben mulmigen ^ajjagei fc^iüenfte, fie trafen auf etnanber,
unb ber U§u mar au§ bem ©attel gel^oben. 2:rompeten
unb Raufen öerfünbtgten ben ©ieg be§ fd^önen 3titter§, unb
oben auf bem 5tltan fa^ man, wit \xä) bte Sserfammtung
ber ^rtnjeffinnen freute, lauter bunte S:ouben, bte gegen
etnanber mit ben Stopfen tüarfelten unb ftd^ Söemerfungen
über bie fämpfenben Stttter mtttljetlten. (Bin ©ped^t ritt
nun gegen ben ^apagei unb luarb ebenfalls überlüunben,
unb fo ging e§ eben einer Slol^rbommel unb 5n)ei 9?eb=
p^nern; ber rotl^e ^apaget blieb unüberiuinblicl^ unb eine
grünlid^e ^aube oben bergo^ ^öuftge greubent^ränen.
^er Papagei blieb aU Sieger übrig unb er erl)ielt ben
®an! be§ Sturnierg, ber in einer fc^önen ©d^örpe bcftanb,
au§ ^unbert @c^metterling§flügeln getüebt. SE)er ^apagei
fentle fid^ e^rfurd^tSöoII auf ein ^nie nieber, inbe§ i^m ein
onbrer Stitter biefe§ foftbare ©efd^en! um ben Seib gürtete.
®ann ftanb ein ^a|n auf, ber ein guter Sarbe luar, unb
befang fein Sob in folgenben feurigen SSerfen:
aSefjen Sob ift eS, ba§ bie ©terne fingen,
3Son tiiem fpredjen bie fünftigen ^n()re unb oKe ^tWtn?
?lnf ben g-Iügeln be§ (BtnrmminbS rautcl)t'§ ba[)er
Unb alle 5ßölfer Ijovcljen efjvfurdjtc-'üoE,
Sem Slütjnen, Unübevannbücljen fingen
©ferne, 3^it£"' 3uf'i"U't unb ®egcnniart,
(Svben, Sonnen unb tanfenb mal tanfenb SSötfer
Spred)cn nur lam S)ir, ®u bift ber Siebe einjigcr 3"f)i^t.
Sielen nid)t, rajd) Don Seinem "Jlrm getroffen,
©elbft ber tapferfte Uf)u, ©pedit unb Sperber nieber?
9?iemal§ t)at bie uralte geit, bie feit lange
Senten fann, einen 9Jcann, einen .Cielben gefet)cn,
2)ir nur äl)nlid)."
®rabe, ba§ ber ®id[)ter ^ier fo naio offenfunbig affe-
gorifirt, mac^t bie fleine ©Id^tuug erfreulid^. ®ie unüer-
Sa§ gjuirdjen. 335
ftetite ?(6ft(^tli(^!ett luirft beinah luteber finbttrf). ^ti ^H^^
bie ganj überffuffige (Srflärung, bte bie 3flu&erin bem Blau-
bart giebt, ftört nid^t, fonberu fc^eint burd^au§ am ^la^e
5U fein. „Sie!^", fagte bte gee, „Sir ju (Siefaden ^abe
i(fl ein joId^e§ (Spiel angeftellt. Setrad^te bie lebenbige,
lüirflic^e SBelt, unb e§ i[t nic^t anber§. Stu^m unb Un*
fterblic^feit tft nur ein .^aljnengefd^rei, ha^ früt)er ober fpäter
öerfc^altt, ba§ bie 2Binbe mit ftc^ nehmen unb ba§ bann
untergei)t . . . Sie ^i^^w^ft ftrei^t mit plumper ^anb über
Sitte» ^inlueg unb tüifc^t e§ au§ mie eine unbebeutenbe
unrid^tige 3tec^nung oon einer 3:afel; bann ift ha^ oer='
jd^Jüunben, tüa§ im (^runbe nie mar, unb ber leere Otaum
treibt mit ber SSergcffen^eit ha fein ©piel, wo fonft bie
irbifc^en Xräume ftanben."
S)er ©efjalt biefer 9}Järdöenfabet ift, irie faft immer bei
Xkd, ettpag Ieid)t, ciber befto grajiöfer fc^iuebt e§ basier.
SSeltumfaffenb tft ber ©inn be§ deinen 9J?ärc£)en§, ta^
3^oöa(i§ in feinem unöottenbeten Sftoman, ben Se^rlingen ju
@ai§, erjällt. ^Qacintl^ unb SJofeublütlid^en Eiaben einanber
tkh. (£r tt)ar red^t bilbfrf)ön, fa^ au§ lüie gemalt unb tanjte
tüte ein @c^a|. @ie tuar fo liebltd^, bo§ mer fie fa^, ptte
üergel^en mögen. 5(ber auf einmal mar bie §errlic^!eit borbet.
(£§ fam ein munberlic^er alter dJlaxin au§ ber grembe, fe|te
fi(^-öor ba^ |)aus, mo §t)acint^'§ (altern mo^nten, unb
§i)acintt) bemirt^ete i^n . . . „Sa t^at er feinen meifscn
S3art öon einanber unb erjälilte bi§ tief in bie ^aä)t" ;
unb öon nun an mar e§ mit bem &IM ber Siebe oorbei.
5)t)acintt) ging einfam unb forgenüott in bie SBälber unb
befümmerte fid^ nicE)t um 9tofenbIüt^c^en, obgleich er fie nid^t
öergeffen ^atte. S3i§ er auf einmal feinen (SItern erftärte,
hü^ er fort in bie Sßelt muffe, nur ba§ fönne i^n gefunb
machen. Sa£)in motte er, mo bie 9J^utter ber Singe mo^ne,
336 ®fl§ S[Rärd)en.
bie öerf(i)Ieierte Jungfrau; nac^ ber fei fein ©ernüt^ ent*
günbet. Unb treit ging bie Steife unb ^öi^er )x>üä)§ bie
©e^nfnci^t, immer fdjnetler fc^ien bie ^eit ju gef)en. ©nblic^
Um er gur Sßo^nung ber ©öttin. „(S§ bünftc i^m ?ltte§
fo kfannt, unb boc^ in niegefel^ener ^errlid^feit ; ha fi^toanb
and) ber le^te irbifc^e 5lnflng, tote in Suft öerje^rt, unb er
ftanb öor ber i)immlif(^en Jungfrau. ®a ^ob er ben leidsten,
glänjenben Schleier, unb — 9tofenbIüt^c£)en fanf in feine
SIrme."
®ie 3f{omantif ift eine toerbenbe ^oefie, unb ba§ ^beat
be§ romantifd^en 9Jiärd^en§ ift nod^ ui(f)t errei(^t, fo reijenb
and) ha^ ift, beffen ^n^aft ic^ eben angebeutet ^abe. @§
mü^te fo fc^einbor 5ufammen^ng§Io§ öorübergaufeln, tt)ie
ba§ öon (55oet£)e an manchen ©teilen t^ut, unb babei boc^
fo einfad^ reic^ fein, tüie bie§ Ie|te öon SfJooali^. „@in
9Kärd^en", fagt 9fioöaIi§, „ift toie ein S:raumbilb o^ne 3"-
fammeni^ang. (Sin (Snfemble Ujunberbarer ®inge unb 58e-
geben|eiten, 5. 93. eine mufüalifd^e ^^autafie, bie ^armonifc^e
golge einer §(eoI§§arfe, hk Statur felbft."
SlQe fieiltflen ©picie bcr ffunft finb nur
ferne 3iaci)bllbiinflen »ott bem uncnbüc^en
©ptelc ber SBelt, bem elüig fid) fe[byt UU
bcnben Slunfnucrf. Wxt onbcrn Söorten:
aUe ©c^ön^eit tft Slltegorle.
5r. ©aieflet.
„können ©ie tf)m ben Unterfc^ieb jlüii'c^en aUegortfc^er
unb fi)mbDÜ[d;er Seiianblung begreiflich machen", jd^rteb
(Soet^e an ©d^elling in SSejug auf einen jungen äRaler
3fiamen§ 9Jiartin 2Bagner, „fo [inb ©ie fein 2BDl)It|äter,
tüeil fic^ um biefe Slge fo üiet brei)t." D6 unb lüie ©d^elling
ba§ ouggefü^rt f)at, toei^ td^ ni(^t ju jagen. B^uei ^eit"
genoffen aber, 2;iecE unb ber 5left^etifer ©olger, tuelc^e eben=
fn(I§ über ha^i SSer^ältni^ biefer 53egriffe öiet nat^gebad^t
l^atten, fanien jn bem folgenben ©djiuffe. S)er ^unft, tüo
^:§iIofopI}ie, 9teIigion nnb ^oefte firfi berühren, tft bie äRt)ftif.
9JJt)fttf — fo fönnte mnn etwa ha§>, toaS fie meinten, gu-
ireffenb aulbrürfen, tft ha§ unmittelbare (Siefü|t be§ ©inS-
feing mit ber SSelt unb (SJott. Äunft ift ongeinanbte 9Kt)fti!.
Stuf ben:)u§t angeiuanbter 3J2t)ftif beruht bie ?l(tegorie, auf
unben)u|t angeroanbter bie ©t)mboIif. „S3eibe ^aben i^re
(Sren§e", fo ^ei^t e§ in SoIger'S eignen Söorten, „n^o bie
Slttegorie in bIo^e§ SSerftanbeSfpiet unb bie ©i)mboüf in
9?ad^a§mung ber 5Ratur übergebt." 3>i?if<^en biefen beiben
än^erften fünften ge{)t benn in ber Sü)ot bie SSeßenbetüe^ung
ber fünfte auf unb nieber.
S3emer!en§mert[) tft, ha"^ Solger !eine§lDeg§ ba^ 5lIIe»
gorifd^e gänjlic^ öerrt)irft. 2Sie foHtc er auc^, oll 3ögting
§uc^, SRomontiter. 22
338 ©i)m6oIifc^e ßimft.
ber Slümantifer, bie ber bom 33erDU^tfein geleiteten ^unft
ba§ SBort rebeten, ja, für bie ba§ beiuuBt^unbeiiniBte ©d^affen
ber ^ö(}e|3un!t ber ^imft War. ©rft ba, tüo bie SlHegoric
in 58er[tanbe§f|3iel übergebt, öerlä^t fie ha§i ©ebiet ber ^unft.
@D einfach unb fd^Iagenb hk^t Raffung be§ Unter[(^iebe§
5tüif(^en SlHegorie unb ©^mboltf tft, fo fd^tüierig ift bod^
bie ^(ntuenbung im einzelnen S^^e, ebenfo f(^n)terig lüie tit
unenblid^ bieten, uuenblii^ feinen Uebergänge au§ bem Un*
bemühten in'§ Seiuu^tfein ju erfennen finb.
2)a^ jeber gro^e ^ünftler ©ijmBoIifer getbefen fei unb
fein muffe, burften bie Stomantifer, nad) biefer ©rflärung
be§ S3egrtffe§, fügtief) bef)aupten. gür ben 9J?ateriaIiften
ift bie SBelt, für ben ©piritualiften bebeutet fie thva^,
bem Ütonrnntiter — ober fage man ^ünftler ober S^eatiften
— ift unb bebeutet fie gleic^biet, \vk nienig er fic§ biefer
inneren Ueber5eugung betnu^t fein möge, ^m Zeitalter ber
Stomantif freilid^ mu^te aud) bem naibften 9}Jenfd^en einmal
bon irgenb tbo^er ein ®enf=9tei5 anfliegen; bie meiften
ß'ünftler berftonben fid^ ebenfo gut ober beffer auf ben ©inn
it)rer ©c^öpfungen aU auf bQ§ ©d^affen.
SDa in ber neuen beutfd^en ^\inft — wie anä) in ber
SSiffenfd^aft — bie ^t)eorie ber ^raj:i§ boraufge^t, luitt id^
juerft anführen, ibelc^e» bie 5lnfi^ten ber erften romantifd^en
Stefttjctüer über bie SJJalerei mar. ^n bem 65efpräc^ über
bie ©emälbe, ftio 2öitt)elm ©erleget unb feine grau Caroline
il}re in ber 2)re§bener ©aterie getbec^felten SSetrad^tungen
niebertegten, befinirten fie bie äJ^aterei al§ bie ^unft be§
©d^ein?*) gegenüber ber'paftif aU ber ^unft ber formen.
*) ®a§ SBort „@d)ein" nnif? man f)ier uotürltd) iiid)t in bem
p^t[ofop()ifd)eii ©inne bevftefjen, luo c§ im (i)c(.]cnJQ|ie ju 6etu 90=
lu-aud)t ipirb. §icr, im (yegcnt()ci(, foft ©d)cin 2id)t, ba% ©eienbe
bebeuten, im ©egenfal? 3111- SDJateiic, bie buvd) i()ii fidjtbar mirb.
(3ijm6o(ifrf)e Äun[t. 339
^unft be§ @c|e{n§, Jüeil gärbung unb Sefeud^tung, bte
Tliikl, tüobitrd) hk ^öxpa erfdEieinen, nt^t dtva nur einen
ncbenfärfilici^en 9?et5 be§ S3ilbe§ aulmad^ten, fonbern xed^t
eigentlich bie ^auptfai^e Ujären; benn eben biegen ©d^ein,
ben man im gelüö!^nli(^en Seben, Ujo e§ einem nur auf bie
Körper anfommt, nid^t fielet, getuiffermajäen fogar unauf-
Ijörlic^ tierniditet, ben 5U fe^en foHe ber 9JJater un§ Ie:^ren,
tnbem er i^n tbeali[irt, iljm einen Si)ör|}er giebt. daraus,
ba§ ha^ (Srfi^einen — ba§ blofje ^f)änomen, tüie Söil^etm
fagt — bal Sgefentlid^e tft, folgt, ha'iß auf ben Körper
tüeniger anfommt. ^n biefem @efü§( lüirb ouc^ ba§ ©tiff-
leben, eine ©attung, hie hamaU aU gonj untergeorbnet
betrad^tet luurbe, lebliaft in @c^u^ genommen. ^iU bte
pd^fte aber empfinben fie bie Sanbfd^aft. ©anj luurben fic
fic^ nid^t barüber flar, luarum; fie meinten, loeil gerabe
bort ba§ blo^e ^pnomen — bie 93eIeucE)lung — eine fo
iüic^tige 9tolle fpiete. Unter ben Sanbfc^aften ber ®re§bener
©alerie jogen bie büftern ^^antafien ©aloator 9iofa'§ fie
am aJJeiften on. 5)a§ erflärten fie barau§, „tüeit er bte '
9latur blo^ ttJte eine ©d^rift gebraucht, in bereu großen .
3ügen er feine ©ebanfen t)iniüirft."
jöa fielet man fc^on alle Öirunbjüge einer ©timbolif bei
einanber. 9Zic^t ber öergänglii^e Störper ift ha^ 2BefentIi(^e, i
fonbern ber erfc^einenbe ®eift. 2)a^ ha^ o^ne ben Körper •
nld^t mögtid^ ift, oerfte^t fid^ öon fetbft. Stber barin jeigt
fiel eben ber gro^e ^ünftler, ba§ er bie ^örperiüelt ntd^t
fo malt, n)ie luir un» geiüö^nt t)aben fie gu fetjen, aU ®ing
an fi^, at§ §ouptfad^e, at» etioag ©eienbe§, üielmet)r al§
burd|ficf)tige §üüe für ettt)a§ @ungc§. „SSenn ber 9KaIer
bem ©c^etn einen Slörper gtebt, fo mufe er it)m ja aud^ eine
©eele einfjaud^en, unb ha§> barf boc^ tuo^I feine eigene fein."
SOkn fte§t, n)ie fe^r man bie 9Jceinung be§ S3egrünber§ ber
22*
340 @i)m6oIifc^e ^unft.
romanttfd^en «Scfiute mi^Oerftelen lüürbe, tuenn man backte,
er lüollte ha^ S3ilb für ba§ üoräügticJifte mtgefe^en Jütffen,
ba§ jid^ fd^Ied^ttueg burd) fd^öne ^axhe unb ^öeleud^tung
au§äetd§net. 2lud^ ber ©c^etn !ann materiell aufgefaßt unb
bargefteUt njerben.
'äB einer ber ©rfllinge ber 9?Dmanti! erfcftien balb
nad^ bem ©d^Iegeffd^en ©efpräc^e Xkd'§ 3JJaIer*9tomon
granj ©ternbalb. S)te 9?t)mfa^rt etne§ @(f)üler§ öon
Sllbred^t 5)ürer, ber für bie SfJomantifer ta^ 9JJufter eine§
ec^t beutfd^en ^ünftlerS Jüar, ift ber Snfiatt be§ S3ud^e§.
9J?er!mürbig ift e§ nun, lüie, tro^ ber grenjentofen SSer-
e|rung Sürer'§, bie überall anfingt, 5lffe§, h)a§ ©ternbalb
malt unb über TlaUni äußert, fo n^eltöerfd^teben oon ber
^unft feines SO^etfter§ ift. ®a§ aJiittelatter tüar für Siecf
nid^tg 2(nbre§ at§ ein ©eftett, ba§ er mit ^oftümen feiner
©rfinbung beHeibete. gür bie gnn^ moberne ^unft, öon ber
granj ©ternbalb träumt, gab e§ S3orbiIber nur in ber
^fiantafie £iecE'§ unb feiner ©enoffen. S)a§ erfte S3ilb,
ba§ Si^cinä felbftänbig entttjarf, n^ar für ben Slltar einer
S)orf!ird^e beftimmt unb fteKte bie fro^e 93otfdEiaft öon ber
(Seburt be§ ^erru bar. @§ ^atte glüei üerfc^iebene Sid^t*
queßen: auf ben S3ergen bämmert ein bunfle§ 5lbenbrot^ —
bie ©onne ift fd^on lange untergegangen — unb in ber
gerne fd^reiten 5tuei (£nget burdE) ha^ ß^orn, öün benen ein
^immlifd^er ©lanj über bie Sanbfd^aft auSftra^tt. SDort^iu
blicfen bie ^irten in fetjiifüc^tiger SSerjüdung, nur ein iunger
fiel)t tüe^mutljüoH ber untergegangenen ©onne nad^, aU fei
mit i^r bie tJreube ber ganjen SBelt tjerfunfen. (Sin alter
^irte aber berührt feinen Slrm, tüie menn er t|n ouf bie
^errlidjfeit be§ neuen Sic^te§ aufmerffam mad^en tüoHte,
ba^ bereits aufgegangen ift. „(Innen foI(^ garten, troft=
reid^en unb frommen ©inn ^atle gran5 für ben öer»
©Dmbolifc^e ^unft. 341
nunfttgen unb füljlenben S3efc§auer in haS^ ßJemälbe ju
bringen gefnd^t."
Söalöfceuen locfen ben Jüanbernben 9J?aIer befonberS.
@r benft fi(^ bie fd^attigen ©rünbe befeett burc^ irgenb
einen Ieibenf(f)aftlid^ menfc^Iic^en SSorgang, jo aber, ha'^ bod^
tit 2anbfc§aft bie l^nuptfac^e bleibt. „2Benn td^ mir unter
btefen bämmernben ©d^atten bie ©ijttin 2)iana oorübereilenb
benfe, ben 33ogen gefpannt, ha§ ©eiuanb aufgefd^ürst unb
bie fdE)öneu ©lieber Ieirf)t uml)ü[lt, J)inter i^r bie ?{i)inp!^eu
in (Site unb Ue Sagb^unbe jpringenb, fo lüirb mir ba^ Oon
felb[t äum Silbe. Dber [teile ®ir üor, ba^ biefer gu&iüeg
fic^ immer bic^ter in ha^ ®ebüf(^ ^ineinn^inbet, bie 33äume
merben immer I)öf)er unb lüunbcrbarer, plö^Iic^ ftefjt eine
©rotte, ein !üljle§ Sab cor un§ unb in i^m bie ©öttin,
mit i^ren Segteitertnnen, ent!(eibet. ®a ift bie (Sinfamfeit,
®rün, gelfen unb Säume unb bie narfte ©d^önljeit maje*
ftätifc^er, ^et)rer unb jungfräulid^er Seiber oereinigt: füge
üieHeicEit ben 5lftäon ^inju, fo tritt jener munberfame
©c^rerf unb bie feltfame Si^eube uoc^ in ha^ ©emälbe,
in feinen |)unben fannft jJ)n fc^on bie ttiierifd^c 2But^
unb ben Slutburft barftelten, fo ift ^ier ba§ SSiber*
fprecE)eubfte in ein poetif(f)e§ Silb not^n^enbig unb fd^ijn
üerfnüpft."
„Dber ^ier im tiefen SSotbe bie Seiche eine§ fd^önen
Süngting§, unb über it)m ein gi^eunb unb bie ©eliebte im
tiefften Sc^merj, öieHeidjt Senul unb "ütbonis, ober ein lieb-
Itd^er S*nabe, öon unfben 9iäu6ern erfd^Iagen; bie bunW-
grünen ©chatten, unter i[)nen bie blenbenben ^ugenbgeftalten,
ber frifc^e 9tafen, bie einselnen jerfpattenen ©onnenftraljlen
üon oben, bie nur "iiaSi ©efid;t unb einjelne fteine S:t)etle
l^etl erleuchteten, ber Sber ober bie Stäuber in ber gerne,
n^ie öon ©eiuitterfdjatteu eingetjüdt, 5l(Ie§ bieg sufammen
342 Si;mbo(iJd)e Sluni'l.
mü§te ein öortreffüc^eS ©einötbe ber Sd^luermut^ unb ©(iiön-
l^eit au»btlben.''
9}?an fielet au§ ben legten SBorten beutltc^, bafi ntd^t
j ber ©egenftanb an [id^ tvixtm foUte, jonbern befttmmt tvax,
j ben ganj allgemeinen @inn ber Sanbjd^oft bem SSefd^auer
, befto inniger §u üermitteln. 5tber auc^ fo finb bie 53i(ber
nod^ 5n gegenftönblic^ , §u begrenzt. SCSie bie SBirflid^fett
eine (Sd;ranfe ift für nnfer @ef)nen nnb ©treben, fo finb
alle gtgnren, in benen bie treibenbe Statur fid^ befd^ränü
unb beftimmt, ein ^inberni^ für ha^^ unenblic^e t^ü^Ien,
ha^ ber 'SJtaln in'§ 53ilb faffen möd^te.
„(£§ tüurbe 2lbenb, ein fcfiöner ^immel erglänzte mit
feinen munberbaren, buntgefärbten SBoIfenbilbern über i^m.
(Sie^, fu^r 9iubotp§ fort, lüenn i{)r TlaUi mir ©ergleid^en
barfteüen tonntet, fo n)oIIte id^ euc^ eure beweglichen §ifto^
rien, eure leibenfd^aftlic^en unb öermirrten ©arfteffungen
mit allen unjäfiligen {Figuren erlaffen. 3)ieine Seele follte
ficE) an biefen gretten (färben oi^ne ^ufoinmen^ang, an biefen
mit ®oIb aufgelegten Suftbilbern ergoßen unb genügen, id^
njürbe ha ^anblung, Seibenfdjaft, Som^ofition nnb Sitte»
gern oermiffen, toenn il^r mir, toie bie gütige 9Zatur ^eute
t^ut, fo mit rofenrotl)em (Sd^lüffel bie ^eimatt^ auffd^lie^en
fönntet, ipo hk Stauungen ber ^inb^eit toolincn, ba§ glänsenbe
Sanb, rt)o in bem grünen, ajurnen Tltn W golbenften
Slräume fc^tuimmen, too Sic^tgeftalten jtoifc^en feurigen
SSIumen gef)en unb un§ bie ^önbe reichen, bie mir an unfer
^erj brürfen möd^ten. D mein (^reunb, loenn il^r bod^ biefe
n)unbeilicl)e 2)Zufif, bie ber ^immel l^eute bid^tct, in eure
SJtalerei ^ineinlocfen tonntet! Slber eud^ festen (färben, unb
S3ebeutung im gert)ö£inlic^en «Sinn ift teiber eine Sebiugung
eurer ^unft."
Stud^ bie SlJJaterei atfo fottte ifjr ©ebiet erloeitern, in
ei)mboIifd)e Stunft. 343
bie benachbarten fünfte, 972iifif unb ^oefte, überftieBen.
mid) ^ter foate atteä Ueberflüffige, 5me§, tpa§ nur Seiltet
n^ar, befHtigt tuerben, bamit, loie eine ^oefie ber ^oefie,
eine aJJateret ber 8J?aIerei entfiele. D^id^t alle bie ^ufäflig-
feiten ber 9iatur foüten ferner me^r in bie ^un[t auf=
genommen irerben. öat hod) bie Statur, um fic^ au§'
jubrücfen, hie unenblidje 3eit im^ ^^n grenjenlofen 3taum,
bie ©iml't nur ein ©tücfcfien Seinluanb ober ein paar SSerS-
§et(en — n)a§ für uerfd^iebene (Sprachen muffen fie fprec^en,
um gIei(f)Diet gu fagen! 9Jur bie (Sffenj ber (Srfc^einungen
fann i)k ßunft geben — ^laufenbe unb Saufenbe üou 9?ofen,
immer me^r mu§ man jufammenpreffen, um ben einzigen,
fü^eften tropfen 9iofenüt ^n geujinnen.
(Sin olter 3JJaIer, ber im 3flufe fte^t lüa^nfinntg 5U fein
unb aud^ üom |3raftifd^ bürgerlichen ©tanbpunfte au§ fo
genannt loerben mu^, ^eigt 3tan§ bie ©emälbe, bie er in
feiner lüeltabgefc^iebenen ®emüt|§oerfunfen£)eit enttoorfen ^ot.
2)ariinter ift ein Dlad^t- unb SBalbftüd: in eine faft un»
fenntüc^e 9Jfaffe ^t ba§ ®un!el S3erg unb Sljal üer=
fdfimoljen. S)urd^ biefe dladjt §ie(jt ein ^ilgrim mit Stab
unb HJ^ufc^el^ut, eine öon üerftot)(enem SJ^onbfc^ein umgitterte
einfame ©eftalt. SSotl aber ergießt fid^ bie glut^ be§
?JtonbIi(f)t§ auf ein Sructfi;i:, ha§> üom fernen ^^ii^d, tvo
ficJ) bie SBoIfen tf)eiten, f)erabglän5t. „©ei^t", rief ber 2t(te,
„^ier ^abe id^ ha^ seitliche Seben unb bie überirbifdje,
^immlifc^e Hoffnung malen looHen; fe§t ben j^inger^eig,
ber un§ au§ bem finftern 2^al herauf jur monbglänsenben
5lnf)Dl]e ruft, ©inb toir etiua§ lueiter a(l toanbernbe
^itgrime? ^ann etmal unfern SBeg erljetlen al§ t^a^ Sicijt
öon oben? SSom Slreuje ^er bringt mit lieblicher ©eluaft
ber Strahl in bie SBelt f)inein, ber un§ belebt, ber unfre
Staft aufrect)t (jätt. §ier i)aht icf) gefuc^t, bie 3^atur
344 S^mbolifd^c ^uu[t.
lüteber 5U öerluanbeln, unb MS' auf eine menfd^Itc| fün[t-
lertjc^e SBetfe ju fagen, tra§ bte S^Jatur felber ju un§ rebet;
id^ ^abe t}ier ein janfteg 9tät{)[el niebergelegt, \)a§> fic^ nic^t
^ebem entfeffelt, 'Da?' aber bod^ leidster ju errat^en fte^t,
üU jene? erhabene, ba§ bie 9?atur aU Sebecfung um fic^
frf)Iägt." 3luf granjenS 93emerfung, man fönne biefeS @e^
mälbe ein alIegortfd^e§ nennen, ertuibert ber Stite, alle ^unft
fei allegorifc^. „2Ba§ fann ber 9}?enfd^ barftetten, einzig
unb für fid^ befle!^enb, abgefonbert unb etüig gefc^ieben öon
ber übrigen SBett, luie mir bie ©egenftänbe oor un§ fe|en?
Sie Kunft foll e§ aud^ nid^t. 2Bir fügen sufammen, tüir
fud^en bem ©ingelnen einen allgemeinen ©inn anju^eften,
unb fo entfielt bie StKegorie. ®a§ SSort bebeutet nic^tl
Slnbreg aU bie U)at)ri^afte ^oefie, bie haS' ^oI)e unb ©bie
fudfit unb nur auf biefem SSege ftnben fann." ^ud) an
anbern (Stellen be§ S3udE)e§ föirb auSgefprocfien, ba§ ba§
attegorifd^e (^emälbe am el)eften erfüllt, rt)a§ man üon ber
SJJalerei iüünf^t. „§ier tft rec^t ber Drt, mo ber 9JJoter
feine gro^e So^agtnation, feinen ©inn für SJJagie ber Sunft
offenbaren fann: |ier fann er gleid^fam über bie (Strengen
feiner ^unft I)inau§ge§en unb mit bem Siebter luetteifern."
31I§ ein Seifpiel au§ ber älteren ^unft Jüirb ba§ berühmte
33tlb be§ Drcagna in ^ifa angeführt, be§tt)egen föeil e§
ba§ ganje menfc^üd^e Seben ftjmboIifdE) barfteHe.
Sn Sied'§ 9toman malt nid^t nur granj ©ternbalb,
fonbern faft ein Seber, ber auftritt, lna§ er aud^ fei, minbe-
ften§ mit ber ^^lantafie, eben um ben SWalern üon 33eruf
gu beiueifen, tuie ungenügenb ißre S?"unft bi^^er geloefen fet.
©e^t, ruft (Siner au§, ben 5:iecf 5um eigentlirf)en gelben be§
unüodenbeten 33ucE)e§ beftimmt 3U tfahtix fc^eint, üjenn id^
malen föunte, „bann lüürbe id^ einfame, fd^auerlid^e ©egenben
abfc^ifbern, morfd^e, jerbrodEiene ^Brücfcn über giuei fd^roffen
Sl)m6D(tfcf)c fiunft. 345
Reifen, einem ^tbgrunbe hinüber, burd^ ben fic^ ein SBalb-
ftrom jd^äumenb brängt: öerirrte 2Banber§Ieute, beren ®e=
Jüänber im feudalen SÜSinbe flattern, furd^tbare 9?äuberge[talten
au§ bem ^oi^IiDege f)erau§, angefallene unb geplünberte
SBogen, ^ampf mit ben 9teifenben. ®ann lieber eine
©emfenjagb in einfamen, furchtbaren gelfenfitppen, W
fletternben Säger, bie fpringenben, gejagten 2;^iere üon
oben fjerab, bie fd^iüinbelnben Slbftürge. giguren, hie oben
auf fd^malem, überragenbem ©teine ©c^lüinbel auSbrüden
unb fic^ eben in i|ren Satt ergeben iDoUen, ber greunb,
ber jenen ju ;pülfe eilt, in ber Sterne ha§ ru£)ige Z^al.
©injelne S3äume unb (5Jefträud;e, bie bie (Sinfamfeit nur
noc^ beffer auäbrücfen, auf bie S3erlaffen^eit nod^ aufmerf-
famer machen. Ober bann ineiter ben S3ad^ unb SBaffer^
fturj mit bem {^ifc^er, ber angelt, mit ber äJ^ü^Ie, bie fid^
bre^t, öom SJJonbe befc^ienen. @in üdi)n auf bem SBaffer,
auSgeiDorfene 9k^e. ^u^ueiten !ämpft meine ^tnoötnation
unb ru^t nic^t unb giebt fic^ nidjt jufrieben, um etlt)a§
burc^aug Unerf)örte§ §u erfinnen unb ju ©tanbe 5U bringen.
Steu^erft feltfame ßJeftalten lüürbe id^ bann I)inmalen, in
einer tjerlnorrenen, faft unüerftänblid^en S3erbinbung, giguren,
hit ixd) au§ allen S^ierarten ^ufammenfänben unb unten
wieber in ^ftanjen enbigten: ^nfeften unb ©ettJürm, benen
ic^ eine wunberfame 5(e^nlid^feit mit menf(^Iic^en S^arafteren
aufbrüden iDoffte, fo ha'i^ fie ©efinnuiigen unb Seibenfd^aften
poffierlic^ unb bod^ furchtbar äußerten; id^ tüürbe bie ganje
fid^tbare Söelt aufbieten, ou^ jebem ha^ ©eltfamfte UJÖ^Ien,
um ein ®emälbe ju mad^en, ha^ ^jerj unb ©inne ergriffe,
ha^ (Srftaunen unb ©d^auber erregte."
^a^ ift tk romautif(^e SSenuirrung, mie STied fie liebte;
tva§> feinen legten ©runb bariu Ijat, ha^ bie allmälige SSer-
manblung be§ uranfänglidjen eijaoS in ba§ bemühte (I|ao§
346 ei)mbonicf)e ßunft.
bcn (S^runbgebanfen ber romantifd^en ^^tlofopl}te, tute aller
(Sntli)icfe(itng§p|iIo[üpl}ie überhaupt bilbet.
SKem, ber biefe ^^antafien über TtaUxd lieft, brängte
jic§ nic£)t S3öcEItn'§ S^anie beftänbig auf bte Sippen! ^a»
maB, Hör |unbert S^^^ren, färbtett biefe ®emäIbe'S;räume
ben morcjeublit^en |)immel beä neuen ^atirljunbertS; bie
SBenbe unfrei ^a|r^nnbert§ fd^mücft hie luunberüoHe
2Bir!Ii(i)!eit, bie ©rfütlung. 5(udE) barin ift SBöcflin ber
^ünftler, ben bie Stomantifer verlangten unb prop^ejeiten,
tia^i er 3J?ater, SJJufifer unb-5)i(^ter äugteid^ tft; ni(^t in
ber SBeife ber großen ^ünftler ber 3?enai[fance, bie oft
mehrere fünfte neben einanber trieben: ha^' ^tel be§ mo-
) bernen MnftlerS ift, ben ®eift mehrerer fünfte in einer
5u umfaffen unb auS^ubrücfen. SBie faft jeber ^ropl^et ein
9J?ofe§ ift, bem ha^ gelobte Sanb ^ö(^ften§ tjon ferne gu
fd^auen öergönnt ift, t)aben auc§ bie 3fiomantifer eine tioHe
SSertüir!lidf)ung ii)rer ^beett ouf bem ©ebiete ber 9J?aferet
nid^t erlebt, unb aU fie enbltd^ tarn, loar fie üon i^ren
^eitgenoffen nid^t ^ei§ erfel^nt, njurbe nic^t augenblidlid^
ernannt unb miflfommen gei^eifjen; benn bie 9tomantif lüor
injtüifcEien erft t)era(f)tet, bann öergeffen, unb al§ njunber-»
bare, mi^beutete (Srfd^einungen gingen Vit erften Söilber
S3öcflin'§ an ber SJJitiuelt vorüber.
StUerbingg auc^ auf bie ajJaleret if;rer Seit tüiilten bie
Slomantifer. 211^ it}ren ^been am meiften entfprei^enb
rü|mten fie ben Sanbfc^aftSmaler i^iiebric^, ^aSpar 5)at)ib
griebric^, au§ ©reifSiüalb gebürtig, '^n feinen ^öilbern
lebte bie Stimmung ber Dflfee, feineg Jieimatlid^eu ©tranbes.
©eine S8orfaf)ren traren alle biebere, geiüerbtreibenbe Seute
geiüefen; er befa^ bie ftrenge Sfiec^ttii^feit, ©rabtjeit unb
Slbgefd^foffen^eit be§ nörblid^en SSoIfe§. 9lie l^atte er aud^
nur oerfud^t, eine frembe @pracE)e 5U erlernen, burd^ unb
©l)mboni^c ftunft. 347
burc^ beiitf(^ Wai er unb tuodte er fein. (Sr luirb ge-
fd^tlbert al§ ein SJJann öon hagerem, [tarffuodjigem ^ör^er
mit b(eic^em ®e|i^t unb blauen '?{ugen, bte tief öerborgen
unter ftarf öovfpringenben, bui'd^tgen btonben Stugenbrauen
lagen. @r umr öon meland^olifcfiem Jem;}erament, nie gu-
f rieben mit feinen Seiftungen, tt)Q§ jufammen i^n DieKeic^t
ha^in gebracfit t)atte, einen Selbftmorb ju üerfucfien, an
beffen 5tu§füt)rung er gebinbert Jüurbe. (5tlüa§ bunfel ®e-
l^eimni^ooHeS festen tf)n gu umgeben. Stubirt ^atte er,
Jüie e§ bamals tiielfac^ gef(i)a£), in Slopeni)agen, bann in
15)relben, tvo er äRitglieb ber 5tf abernte unb ^rofeffor ber
Sanbfc^aft§ maleret tüurbe. 5tber er blieb immer einfam,
faft oi^ne ^erfetir. ®ie Sommerung lüar fein Clement,
erää^Üe einer feiner luenigen i^^^eunbe; t)or bem erften
SJiorgentidjt unb nac^ Sonnenuntergang pflegte er allein
feine ©pastergänge gu moc^en. 2)a§ 3ii"iner, wo er arbei-
tete, luar ftarf bef chattet; bort brütete er ftunbeulang über
feinen ^unftfd)öpfungen, bie eine fc^roffe, finftere, eigen*
tpmlic^ poetifc^e 5(rt Ratten.
©ein ©runbfa^ war, ein 93ilb foHe nid^t erfunben,
fonbern empfnnben fein; niorau§ man fd^Iiefien barf, ba^
bie feinigen 'au§ einer Itirifc^-mufifalifd^en Stimmung ^erau§
entftauben. S^ feinen S3efonberI}eiten gel)örte, ha'^ er nie
eine Sfigge, Slarton ober ©ntlourf irgenb n^elc^er Strt ?^\i
feinen iöifbern mad^te, loeil bie ^^antafie — in il^rem
erften (5rgu§ bort auSgeftrömt — baburd) erfalte. ©igen
hjor i^m ferner ein entfc^iebeneg @efüt)I für reine C£oncen=
tration be§ Std^tS, unb er behauptete — t|öd;ft rfiarafs
teriftifc^ — , ha"^ ein 3:raum i^m jnerft bie rechte (£rfenntni§
barüber gegeben ijaht. 9)Jeift matte er ©eebitber, bie für
ben bamaligen ©efc^mad barod tuaren, ftet§ aber bie ber
Dftfee eigcnt^ümli^en Sic^trrirfungen mit tiefer (Smpfinbung
348 ©ijmboltic^e 5lunft.
iDiebergafcen. S)rei @td)bäume iieBen einem jrf)neebebec!ten
^ünengrabe — S)er 9Jlönc^ am 50Jeere§[tranbe — S)te
5lbtei im ©ic^iüatbe in ^Ibenbbeleud^tung — gelfen mit
einem Slreuj im SJJorgennebel — biefe Sitel ermerfen eine
$ßor[teIlung bon feiner 5Irt. (S§ tüxxh erjä^It, ba^ ein
griebridEi befuc^enber ^unftfreunb ein§ feiner ©eeftücfe üer=
fe£)rt auf bie Staffelei geftellt unb ben bunMn SBolfen-
l^immel für bie SBeden, ba§ SKeer aber für ben ^immel
gehalten ^aht. ©in anbrer bamal§ berühmter ^unftfritifer
|ielt ein S3ilb griebricfi'l, ha§> eine lüeite, neblige ®cbirg§-
ferne mit einem einzigen barüberfc^lrebenben 5lbler barftetite,
für ein ©eeflücf, beffen ©c^önl^eit unb tiefe S3ebeutung er
antrefcnben S^amen erf(ärte. 2luc^ biefe Keinen ^üge geben
eine ^bee öon bem ߧara!ter ber S3ilber, bei benen ieben=
fall§ bie ftarfe baöon aui?gef)enbe Stimmung ba§ Sßefent-
Ii(^e luar.
Ser eigentliche 3JiaIer ber 3tomontif aber, ber aud^
t^coretifd^ mit SSelüuBtfein ber neuen Sfüd^tung anl^ing, luar
^§ilipp Dtto 9iunge, luie gi^iebrid^ au§ bem Dftfeegebiet,
ou§ SBoIgaft, ftammenb. «Seine greunbe bergticEien i^n
mit D^oüaliS; tüie ein t^rembling auf ©rben erfdjien er
t|neu. (Sin ed§t romantifd^er ®t)aratter iufofern, al§ bie
eigentlidj fieröorbringenbe ^raft il)m fel^Ite, aufgelöft ttjar
in feinftgefaferte§ ^enfen unb (Smpfinbeu. ©rabe baburd^
fonute er me^r aU bie naio fctiaffenben ^ünftler anregenb
auf feine greuube luirfen, unb ba überiiaupt llnfunbige bie
gäi^igfeit, ^läne ju entwerfen, öon ber ^^ö^igfeit, ^läne
ou§5ufü^ren, feiten genau uuterfd^eiben, ertüartete man all-
gemein ha^ §öd^fte öon i^m. ^n feinem anbern ber jungen
TlaUx \vax bie Ueber^eugung fo lebenbig, ba^ Sl(Ie§, Uia§
man bi§I)er ^vunft genannt ^ahe, überlebt fei, ta'^ ber neuen
Stufe ber Gntmicfelung, auf ber mau angelangt fei, aud^
6ljm6oIijd)e Äunft. 349
eine neue ^un[t entfprcc^e, bie naturgemäß aünmltg ent=
ftel^en müffc, S)en dtjarafter btefer neuen ^unft ju be=>
fttmmen, fie ju berfünbigen unb mit ^erbei5u[üJ)ren, i^ren
triumpljirenben (Sinjug üorjubereiten, tvax ba§ Siel, ba§ er
fic^ gefterft i^atte.
S)ie ßunft ber formen, hav luar feine 5In[id^t, l^ätte Bei
ben (Sriec^en i^ren ^ötjepunft erreii^t. S3ergeblici^e§ 336=
mü^en fei e§, jemaB bie ^lafti! lüieber 5U einer äf)nlid^en
Sßlüt^e bringen 5U lüollen. 'äud) inner|at6 ber SJJaterei
]§abe e§ eine ^unft ber formen gegeben, nämlid^ bie §ifto=
rienmolerei, bie ben ©i^fel jur Qdt ber italienifd^en 3fte-
naiffance erreid^t Ijabe. S)er üleujeit fei e§ borbeljalten,
biejenige ^Irt ber 5D?aterei ju entiüidetn, bie bie ©ried^en
faum ge!annt Ratten, bie mit ber 3f{enaiffance erft in'§
Seben getreten fei: bie Sanbfc^aft.
Unb luarum hie Sanbfc^aft? SSielleic^t ftieil in i^r ha^^
bloße ^länomen eine fo große 9ioIIe fpielt, iiatte 2BiI§eIm
©erleget gefagt; ber Tldev giebt ber burd^Ieudjteten Suft
einen Körper unb Ijauc^t i§m feine Seele ein. ©o p£)iIo==
fo^l^irte 9tunge: 3uerft fa§ mon im (Seifte, nämlid^ im
ajienfc^en, bie 3flatur, je^t fieljt man umgefeljrt ben ®eift
in ber Statur. S)amat§ betrarfitete man ben 9[)?enf(^en tuie
eine ber uielen ©eftattungen ber 9Jaturfraft, feine |)onbIungen
Jüie ein SBirfen ber (Elemente, unb biefe Slnfd^auung seitigte
ba§ |)iftoriengeniäIbe. ®ort fommt ja nicfit ba§ geljeime
Seben bei inneren SJienfd^en gur Geltung, fonbern bie
großen, atigemeinen Strömungen, bie un§ aU 9}?affen=
gefd^ö^jf, aU S^Jaturtrefen fenn.^eic^nen. 9Kid£)eIangeIo'§ jüngfiel
©erid^t nennt er aU ha§ |)öc^fte unb Sleußerfte, lua§ au§
biefer ^iinftric^tung fjerüorgegangen fei.
„3e^t fäCit ber Sinn", fd^reibt 9?unge in einem S3riefe,
„me^r auf ba§ 6iegent|eil. 2Bie fetbft bie ^|ilüfop£)en
350 Sljmlmliidje ßimft.
ba^in fommen, ha^ man ?t(Ie§ nur aul ftd^ ]§erau§ imo-
gtnirt, fo fe^en ober follen tutr fe^en in jeDer S3Iume ben
lebenbigen ®eift, ben ber äJZenfc^ j^tueinlegt, unb baburd^
mirb bie Sanb[c^a[t ent[te!^en, benn alle Spiere unb bte
S3Iumen finb nur ]^aI6 ha, fobalb ber Titn\ä) nic^t ba§
S3e[te babei ii)nt; jo brängt ber äRenfc| feine eigenen ®e=
fii^Ie ben ©egenftänbeu um fic§ l^er ouf, unb baburc§ er=
langt Me§ Sebeutung unb ©praifie. SSenn mir fo in ber
ganzen D^atur nur unfer Seben fel)en, fo ift e§ flar, ba^
bann erft hk redete Sanbfd^aft entftel^en mu§, aU ööttig
entgegengefe^t ber menj'(^Iic^en ober f)iftorifd^en dompofition.
3)ie S3Iumen, S3äume unb ©eftalten n)erben un§ bann auf=
ge|en unb lüir ^aben einen @(^rilt nä^er ^ur i^axht get^an.
S)ie garbe ift bie le^te ^unft, bie un§ noi^ immer mt)ftifd)
tft unb bleiben mu|, bie mir auf eine lüunberlic^ a^nenbe
SBeife mieber nur in 93(umen öerfte^en."
@ü ift berfelbe (Sang ben bie 2)icf)tfunft genommen l^at:
bie SBefeetung ber Statur, i§r ajiit^ineinjiefien in 'baS^ ®eifte§=»
leben be§ SJienfc^en, öerleil^t ber mobernen ^oefie feit ©oetl^e
i§ren (Stjarafter.
25>enn benn bie 9tatur, fo etlua lief S^tunge'S (Sebanfen*
gang weiter, für fid^ nid^t§ ©anjeS ift, erft ber $8efeelung
bebarf, ift fie otfo nur ein ^ör^er, eine ^ülle, ein fiteib,
unb §iüar ®otte§; benn ©ott ift [a eben ber unenbIicE)e
@eift. ©Ott aber fann man nur a^nen, einsig feiner felbft
ift man geiüi^: „tüa§ bu in beiner emigen @eele empfunben,
ta^ ift auc| emig, maS bu au§ i§r gefd^öpft, ba§ ift un-
üergängüd^; ^ier mu^ bie ^unft entfpringen, menn fie
emig fein foH." @ott alfo, infofern ©Ott in einem felber
5um Seiüufitfein gefangt. 2)emnad^ ift aud^ für 9iunge
bie 9?atur ber 2tih, bem ber Jlünftfer feine eigene ©eele
eintiaud^t.
Si}mboIii(f)e j?utift. 351
'äU ßrforberniffe eine» Sunfttüer!» ftefü er in biejem
©inne folgenbe auf:
1. Unfre St^nung öon ®ott,
2. 2)ie ©mpfinbung unferer felbft im 3uWi"i"e"^ii^9c
mit bem ©an^en, unb auä biegen beiben,
3. ®ie Steügion ujib bie ^nnft; has> ift, unfre ^öcfiften
Smpftnbungen burc^ Söorte, Jone ober Silber augjubrücfen.
S)a er tlax empfanb, bQ§ ha^ 2i(i)i, bie ^axhe, in ber
ßanbi'c^aft eine ganj anbre 9totIe fpiele aU im ^iftorien-
gemälbe, tourbe bie Bijuihoüt ber garbe im Sie6Iing§=
gegenftanb feine§ 'Jtad^beTifenl, beffen 9?efu(tat er in einem
Keinen 23erf, bie garbenfugel betitelt, nieberlegte. ^tament*
li(i) hki^ 'üirbeit brachte itjn in SSerfefir mit ®oet|e, ben
balfelbe probten: bejc^äftigte. 2(uc^ über hit 5(naIogie ber
tJarben unb 3;öne üerfa^te er ein (iiejpräc^, Ujorin öon bem
(Sa|e ausgegangen roirb, bie S;DnIeiter in ber ^ü]it fei,
tuaS bie Slbftufung ber garben in 23et^ unb ©dimarj.
Spf^it feinen in ®efpräc^ unb Srtef entlüicfelten ^'Eieorien
gingen nun aber 5^erfuc^e ber ^nSfül^rung §anb in ^anb.
2Jiit befonberer 33or(iebe malte er 931umen, weit fic bie
Sräger ber garbe feien. @r felbft, fagte er, mürbe
feine 33Iumen = (Jompofition gan5 o^ne menfc^(icE)e e^iguren
mafen, n:)eil bie neue Stunft nod^ ju unöerftänbüc^ fei, um
nic^t ber SSermitttung ju bebürfen. @rft allmätig n^ürben
bie Sünftler bie @t)mboüf ber Dcatiir fo in i^re öetoalt
befommen, bo§ fie be§ crftärenben Seituerf» entrat^en
fönnten, um fic^ bem 58efc^auer mitjutfietlen.
S3e(aben mit fo öiel ^(bftc^ten unb ^been liefe fic^ nur
fd^njer unb langfam fc^affen. SSon einem feiner 33ilber, ber
Cuede, fagte er, e§ fotle eine DueHe im njeiteften «Sinn
be§ 3Borte§ merben: bie DueKe afler Silber, hk er nodö
mad^en werbe, bie Cuefle ber neuen ^unft, bie er fud^e,
352 6i)m6oIt|c^e 5?unft.
unb and) eine OueKe nn unb für fid). 5Iuf biefem Silbe
liegt eine 9tl)mp]§e an ber OneHe unb fpielt mit ben gingern
im SBaffer, looburc^ fid^ SSIafen bilben; barin fi^en muntere
Senaten unb tooHen £)erau§, unb trie bie 93Iafen ^erfpringen,
fliegen W ^naBen in geunffe ju i^nen gehörige SSIumen
unb S3öume, beren S^aratter fie fo üöHig auSbrüden, ba|
fie orbentlic^ för^erlic§ einen 33egriff üon t!§nen geben. (Sin
Delgemälbe, bie SeJ)rftunbe ber 9ia(^tigatl, wav burd^ folgenbe
SJerfe mopftod'S entftanben:
glöten mufet bu, i>a\h mit immer ftärferem Saute,
33alb mit leiferem, 6t§ fi^ üerlieren bie Söne;
©d)mcttern bann, bafe e§ bie 'SBlpid be§ SSaIbe§ biirc^rauftfit,
fylöten, fföten, In§ [id] Bei ben 9?ofenfno}pen
SSerlieren bie Söne.
S)a§ eigentliche öauptbilb fteHte eine hieiblid^e (Seftalt
bar, bie im laubigen Saume auf 5lmor§ glöte loufc^t. gür
3f?unge n^ar aber beinahe ha^: tüic^tigftc bie arabeSfenartige
Umral^mung feiner Silber, „^ä) laffe unten im Silbe ein
©tücf Hon ber Sanbfc^aft feigen. 5)iefe ift ein bic^ter Söatb,
n)o fic^ burc^ einen bunfeln <B<i)atkn ein Sac^ ftürgt; biefe§
ifi baSfelbe in bem (^runbe, loaä oben ber t^Iötenflang in
bem fd^attigen Saume ift. Unb in bem SaSrelief fommt
oben über rtiieber 5lmor mit ber £el)er; bann auf ber
einen Seite ber ®eniu§ ber Silie, auf ber anbern @eite
ber ®eniu§ ber Stofe. 5luf biefe SBeife fommt eine§ unb
ba§felbe breimal in bem ©emälbe üor unb tüirb immer
abftrafter unb ftjmbolifc^er, je met)r e§ au§ bem Silbe
heraustritt." SBal^rfrfieinlid^ meinte er ou§ biefem ©runbe,
ba^ ba§ Stib ha^'idbt fei, loa» eine guge in ber
9«ufif.
©ein größtes SBerf, bie oier S^ageSjetten, in nllen
©iuäel^eiten grünblic^ ju erläutern, bebürfte e§ (Seiten unb
(5ljin6otiid)e Siinft. 353
(Seiten. ^ur§ gefafst foHten [ie bie öier SJ^imenfioiien beö
gejc^affenen @ei[te§ bebauten.
®er SJJorgen tft bie grenjenloje @r(eucf)tung be§ Uni=
öerfum§.
®er ^ag ift bie grenjentofe ö)e[taüung ber (;£reatur,
bte 'öaS' Uniöerfum erfüllt.
S)er Slbenb ift bie grenjenlofe S^ernic^tung ber Si'ifteng
in ben Urfprung beä Uniüerfumg.
5)ie '^ad}t tft bie grensenlofe 2;iefe ber ©rfenntni^ Don
ber unüertilgbaren ©riftenj in ®ott.
5)a§ biefe Silber nur einen ffeinen ^rei§ öon greunben
fanben, üerftel^t fic^ üon felbft. S^ biefen gehörte 2:iecf,
lüa§ 9iunge freiüd) bie ^uftimmung bieler ^(nbrer erfe^en
fonnte; benn {^ranj ©ternbatb \vax i|m in feinem erften
bun!etn Saften x\ad) ber neuen Kunft eine erlöfenbe Offen«
Barung geluefen. 9JJit ©enugt^uitng \a^ Siecf in 3fiunge'§
Sitbern ben ^ufaoiuifn^öng öon 9}Jat^ematif, SJJufif unb
Farben beutlid^ t)or 5(ugen; aber anbrerfeitS tabelte er ta^
aUjuroeit gefjenbe SIttegorifiren unb fa^ mit Sebenfen,
n)eld^e§ Uebergert)id^t ^ier bie ^Betrachtung über bie ^erüor=
bringenbe ^raft erlangt I)atte. „^IKe e(f)te ^unft, fei fie
n)elci^e fie lüoHe", fd^rieb er i^m, „ift nur 5lrmirung unfre§
®eifte§, ein gernrol^r unfrer inneren ©inne, burd^ lüelc|e^
n)ir neue (Sterne am t^itmamente unfre§ @emüt^§ entbecfen
njoHen: ba§ gefieimfte SBunber in un§, n)elc|e§ Wix nid)t
au§fprecf)en, nid}t benfen unb nic^t füllen fönnen, biefe
tnnerfte Siebe fuc^t ja eben in tnel^mütl^iger, liebenber
Slcngftlid)feit unb jitternbem (Sntjücfen nac^ ben magifd^en,
ft)mboIif(^cn ^eidEien ber ^unft, ftedt fie anber§ unb tritt
fie neu gebraudien. 5lber", fügt er fiernai^ maiinenb Ijinju, '
„tüenn loir ettt}a§ fdiaffen luotten, muffen njtr unferm Sief»
finn eine lüittfürtid^e ©renje fe^en; fo entfielt atte SBirf* |
^uc§, Komantifer. 23
354 ©i}mt)oliicf}e ^un[t.
licfifeit, alle Schöpfung, ba^ bie Siebe ftcf) auc^ in ber
! Siebe ein Qid, einen Xoh fet^t: bie liebenbe 5(ngft jte^t fic^
^Iö|Iic^ in \iä) jurüd unb übergiebt i|r Steb[te§ ber ®(eid^-
gülttgfeit, ber ©giften^, fon[t fönnte nie etiüa§ entflefien."
9tunge aber fd^eule fid^ ntd^t, mit einer f^olgerirfitigfeit,
bie man immerbin beluunbern mu^, hit än^erften ©d^Iüffe
aii§ feiner Ueberjengung öon ber ^unft gn gietjen. '^a§
t^äte e§, toenn ic^ ein t^eorettfc^er ^ünftler n:)ürbe? t^reien
t[t gut, 9tidbtfreien ift beffer. @o gebe e§ aud^ in ber
^nnft etlt)a§, ha§> beffer fei ol^ ^unftmerfe machen. ®a§
9Jiad^en, ba§ i^m fo fd^ioer tünrbe, !onnte i^m oft al§
etma§ e?einbfelige§, §affen§H)ürbige§ erfc^einen. ^mmer
üergteid^t er, lüaS man fann, mit bem, maS man t^un
fönnte. (Sr rtiill ja nid^t§ al^ \iä) äußern, fic| mitt^eilen.
SSäre ber ^"'örper nic^t, biefer fc^inere SSor^ang, ber Seele
üon (Seele trennt, !^ätten bie 9Jienfc£)en einen Sinn, ber fie
befähigte, fic^ gegenfeitig unmittelbar U)aljr5une^men, brau(f)te
man feine Itunft. „^ct) luollte, e§ loäre nicf)t nött)tg, ba^
xä) bie ^unft treibe, benn tüir füllen über bie ^unft t)inau§
«nb man loirb fie in ber (Siuigfeit nic£)t fennen."
®ie ^unftfrittfer, bie nac^ 9tnnge'§ frühem 2;obe ha^
SSort über t^n ergriffen, betonten 5Xtte, ha^ feine ^unft
eine ^unft ber 3lrabegfe fei. Sn ber mobernen Siteratur
ift e§ nic^t anber§: öiele 58üd)er gletdien retjenben 5Ira»
beSfen, benen nichts fe{)It all ber fefte Sern, ben fie um»
raufen follteu. 3iei^rat§, ^eforation, loaS aU frönenber
Sdimud au§ bem Stamme berauSiuäc^ft, ift felbftänbig ge=
tüorben unb fd^ioanft al§ ein befrembenbeS SSunber in
ber Suft.
„Unb Joie foHen Juir bie SBeife nennen, in ber biefe
S3ilber gebacf)t erfc^einen?" 9JJit biefen Söorten befdilie^t
ber 9Jil)ftifer ©örre» feine begeifterte ©efpred^ung be§ öer=
@l)m6oIijd)e ^imft. 355
ftorbenen 93?ater§. „©offen tülr fie 2lral)e§fen ^ei^en?
Wn ipürbeii i£)m Unrecht t|un, inbem tütr, tua§ tiefer ©rnft
unb Sinn gebübet, öergleidjen luoHten mit bcm, n)n§ bloß
au§ jptelenbem ©d^erj einer Reitern ^^ontaftif |ert)or=
gegangen. SDie 9lrabe^fe tft SBalbblunie in bem ^auber=
lanbe, bie ^ö|ere ^unft aber tüinbet ßränje au§ ben SSIumen
unb frönet bamtt hk ©ötterbilber.
^Jiennen lütr fie lieber ba^er ^ierogltip^if ber ^un[t,
:|3la[tifc^e ©ijtnbolit."
23^
^ic alte aictigiott*
fßlanäjt Seute Iftängen tüol^I barum fo
an ber iKotut, reell fie al§ öeräogene filnber
ficö Bor bcm SSater fürchten unb ä" bet
aKutter t^re Sufluc^t «e^mett.
SRoBattg.
„@in SSeltumfegler unfrei Innern irtrb and) tüotjt nod^
etnmol bte Sfiunbung unfrer ©eele entbecEen, unb ba^ mon
notltüenbig auf benfelben ^iintt ber 2lu§fat)rt surücffommen
mu§, tüenn man fic^ gar ju ttjeit baoon entfernen tüiü."
S)a§ altbefannte SBort: les extremes se touehent brüdt
ba§feI6e au0. ©erabe au§ bem Greife ber 9iomanttfer
bieten fid^ fo btele S3etf|3tele baju, tüeti fie eben bie 2öelt=
uuifegler traren, bie mit fiol^renber golgertd^tigfeit ben beften
©rünben unb ®rgebntffen jeber ©rfd^einung nad^gtngen. @o
Ujurben fie gugleidö bie ©ntbeder ber öaterlänbifctjen S3er»
gangen^eit niib ber fd^önen grembe; ba§ |)eimifc]^fte njie ba0
9tii§Iänbifc^fte nal^men fie in bie Sichtung auf. ©ie iraren
5ugleic§ uttra=bemofratifc^ unb uttro^ariftofratifd^, fd^tüuren
ebenfo treuer auf äu^erfte S^ntürlid^fett, tt^ie auf fiöc^fte
^itnftlic&feit. Unb ba^in gel^ört e§, ba§ i£)r fül^ner, alle
©c^raiifen ber 3(utorität unb be§ ^erfommen^ überfpringen=
ber Sorfc^ung^geift, ber ben ©ebanfen einer neuen S^eligion
gu f äffen iragte, bamit enbigte, in ben ^afen ber alten,
ber fat^olifc^en einjufaufen.
^m Sebeu jebe§ ©injelnen !ann man ben SÜSeg Ujo^I
h)at)rne(}men, ben feine @eele jurüdlegte, um gu biefcm Skh
5U gelangen.
3)ie alte aJeligion. 357
%kä, ber öon jet)er £)äufig in poetifd^e Stimmungen
üerfiel imb [id^ bann don feiner aufgeftärt öerftänbigen
Umgebung nic^t oer[tanbcn unb angefäüet füi^Ite, äußerte
al§ ^nabe einem feiner Se^rer gegenüber, tük gut er bie
<5e^nfu(^t eine§ t)om Seben oertüirrten SJJenfd^en mitfühlen
fönne, fic^ in ein ^llofter gurücEäUsietien, um in anbäc^tiger
®(auben§oerfenfung Siulje §u fud)en. S)ie (Sntrüftung be§
tuül^Imetnenben ^roteftanten, bem ber tiebebebürftige ^nabe
nod^ ba§ meifte SSerftänbniB öon Stilen jugetraut ^atte,
beftär!te iJ)n in feiner SSorliebe für ha§ lueicfie, tiefe ®emüt^§'
dement im ^atf)oIici§mug. 5lHen feinen unbeftimmten Söün-
fd^en unb ^Ijuungen, bie au§ ber einfeitig gebilbeten ®egen-
tuart üerbannt luaren, fc^affte feine ^^antafie fftaum in ber
S3ergangeni)eit; benn bie Slü^n^eit unb ^\-aft befa§ er ntd;t,
mit i^nen hk B^funft ju erobern, if)nen neue formen gu
ft^affen. @r erging fid^ mit i^nen in ben alten Reiten,
mit benen ber ^at^otici§mu§ unjertrennlid^ öerbunben tuar.
@benfo madöte e§ fein i^reunb SBacfenrober. Unbefriebigt
öon ber Jslunft ber ©egenlrart, befonber§ in ber Tiaitxd,
tücnbete er fic^ uoH Slnbad^t jurücE nad^ ben alten SJJeiftern
unb übernahm ben fatl)oIifd^en ©lauben geiuifferma^en al§
9tequifit ber 3eit, in ber fie lebten. ®a|er betonte er
immer nur ben ©tauben im Sittgemeinen aU frud^tbar für
bie ^unft unb i|r öeriuanbt, "ba^ e§ eben ber fattiotifc^e
war, unb ba^ barau§ aUertei gotgerungen fii^ jie^en tiefen,
fiel erft bem me^r beobai^tenben S;iecf ein, iüetci)er benn
aud^ in ba§ Süc^tein fcine§ greunbeS jenen 93rief einfügte,
in bem i^xan^^ ©ternbatb feinem in S^ürnberg jurüifgebtiebenen
greunbe bie SSeranlaffung feineS Uebertritt^ jum fatl)otifdt)en
<5)tauben fd^itbert. @r erjä^lt, lüie oft fd^on feine fat^otifd^e
S3raut in tiebeootter Stngft ttin angefleht t)at, feine (Seele
5U retten; loie er benn einmal in bie ^eter§!ir(^e eintritt.
358 ®ie t^'te 9ie(igion.
etgcntttd^ nur um [ie 511 fel)cn; tüte bann aber bte g^eierltd^*
!eit ber reltgiöfen |)anblung, bte äRod^t be§ ^e^ren S3au§,
bte übertrbtfc^e 5[Rufi! unb ber latetnifd^e ©efang i£in
lriin!en machen, bte tnetneftrömenbe ^nbrunft ber anbetenben
SJJenge, ju ber auc^ bte ©eltebte gefiört, t^n ^inret^t, ha^
er mit entjüdtem unb gerfnirf (fitem ^er^en gelobt, t^ren
Öitauben ju befennen. „S)te ^unft l^at mtd^ allmächtig
^inübergejDgen, unb id^ barf lüo^I jagen, ba^ ii^ nun erft
bie S'unft fo rec^t öerftei^e unb tnnerlid^ foffe."
®amit, baB ^iecl (Stimmungen luie biefe jd^ilberte, ift
nid^t betüiefen, ba^ er ^anblungen tüte biefe ^ätte ausführen
fönnen. ©elbft tüenn etlüa fein eine§ ^d) x^n baju ge»-
trieben ^ätte, toürbe fein anbre§ ©infprad^e er£)oben unb
feine entgegengefe|ten S3ebürfniffe geltenb gemad^t Iiaben.
SBeil er in bem ftad^en ^Berliner ^roteftanti§mu§ S3c»
friebigung ber bunfeln, mäd^tigen ®fauben§triebe nid^t fanb,
tüottte er bod^ feine§ireg§ auf bie Siechte feine§ feinen,
aufmerffamen SSerftanbe§, auf bie {^reiJieit ju ^iroteftiren,
öerjid^ten. 9^ic^t§ ärgerte i^n beSlüegen me^r, at§ tvmn
fpäter junge Seute mit unfkren mobifd^en Uebcrtrittggelüften
fic^ auf i|n beriefen. S)a§ mag ifim geiuefen fein, al§>
tuenn ctma aUe ©elbftmörber in ber SBertljerjeit ©oet^e für
i^r SSorbilb l^ätten erftären Ujolten.
@ine biird^ unb burd^ proteftantifd^e 5Jiatur lüar SBit^elm
©d^Iegel. D^ne alle SJi^ftif, ol^ne alle ©e^nfud^t nad^
Söitbern unb gormen, bie ettva^ unau§fpred£)Itd^ in i^m
Sogenbe§ aulgebrüdt l)ätten. @r unb S^arotine, bie mit
i^rem unmittelbaren SfJaturjufammenljang Ijeibnifc^ im ®oet|e*
fd^en @inne genannt tuerbcn tonnte, tarnen gan§ unbefangen
unb 5ufällig baju, firf; in hk ©d^önfjeit ber fatljolifd^en
Söelt §u bertiefen. 'äU fie in 2)re§ben bie (SJemälbe ftubirten,
njurben fie mit ^iotiimeubigfeit barauf Jiingefü^rt. ^arolinen'ä
S)ie nitc aJeliflion. 359
?(nbad)t öor ber ©ii-ttnt[d^cn SWabonna bercinta^te 2BiIt)eIm
511 ber 33emerfun9: „©ie finb in 65efat)r fatloltfc^ ju
lücrbcn", tuorauf fie jur Slntluort gtebt: „2Bie bann unb
toann fieibnifc^. @§ ift fein ©efatjr b,abei, tpo 3ftafael ber
^rie[ter ift." ®a f)at man gan^ ben mobernen SJienfdjen,
ber fi(f) nad^ 33elteben fat^otifdj ober (jetbnifcl [tinimen
fann. ^id)t§> unterjdieibet fo feljr 9J?enfd^cn ^ofier Kultur
öom SfJoturmenfdjen , ber etuiaä i[t, etlua» fein mu^, meil
er ben blinben SBillen ba^u in [td) :§at; tpir fönnen un§
unb bie SBelt überblirfen unb in bie äatitlofm SKctamor«
^^ofen, burd^ bie tuir im Saufe unfrer ©nünidelung ^in-
burdigegangen finb, un§ fpielenb |ineinträumen. ßianj
parteilog oerglid) 3Bi(öeIm ha?/ (Sntftei)en ber proteftantifc^en
9ietigion mit bem erften 3Iuffommen be§ ßi)riftent^m§
überl^aiipt, unb fein eigene^ ©efü^I bem ^at|Dlici§mu§
gegenüber mit bem, roeldiem ©exilier in ben ©öttern
(SJriec^enlanby ?lu§brud gegeben ^abt.
3Inber§ mar e§ mit (^riebric^. @r Jiatte jmar aU
5ttl!)eift begonnen, bann aber einen Umfc^Uning erlebt unb
fül^Ite ftd^ jum 9teIigion§Ief)rcr berufen, ^üv bie unge!^eure
9J?affe bon 3^^^"/ bie in i^m aufgefpeid^ert maren, fud^te
er beftänbig nac^ jufammenfaffenben, einrei^enben S3e=
jeid^nungen, u>enn er fic^ luiffenfd^aftlicE) auSfprec^en follte.
Sn ganj äfinlic^er SBeife fud^te er nac^ ©tjmbolen für bie
fünftlerifc^e 9JältI)eiIung. (£r, ber fein S)id)ter mar, fa^
bie 9)?ittet unb gn^igfeiten fünftterifd^en ©d^affenS gu fe^r
in änf^erlii^en fingen. ©0 fam er jum ©cCituffe, ba§ e§
oorne^mlidE) an bem 3}?anget ber ©tjmbote läge, menn bie
fünftferifd[)en ^eröorbringungen ber 9}tobernen, mit ben
antifen unb mittela(terlid)en nid^t 511 Dergleichen mären.
D^ne 3>i?eifel ift e§ bem Sl'ünftler bequem, {a bt§ ju einem
gemiffen ®rabe notfimenbig, ma§ jeber fütilt, aber feiner
360 ®ie afte 9teIigion.
fagen fann, in allgemetn öerftänblic^e S3ilber einäutleiben.
'ülüä) blatten ja l^atfäc^Iid^ aUe ®id^ter unb J^ünfller, beneit
bie SDiabonim, bte ^eiligen unb (Sngel be§ fat^olifd^en
§tmtnel§ fern[tanben, auf bie alten ipeibengötter, griec^ifc^e,
ja fogar gerinanifd^e jurüdgegriffen. griebricf)'^ 3}ieinung
War nun, bie neue 9?eItgion, bie un§ entfprec^e, muffe aud)
ifjre neue 9}it)t^ologie mit fid^ führen. Unb leuchtet ha§'
nidit alg ein 5utreffenber unb tjro^artiger ®eban!e ein,
hal^ aud^ bie $Ratur unb ber ®eift mit itjren Straften, föie
lüir fie fennen, in eiüigen ÖJeftalten unb Silbern follte
erfd^einen fönnen? @§ lag aber um fo nä^er, ficf) ber fd^on hü'
gelüefenen ju bebtenen, al§ bie näc^ftliegenbe S^orjeit beinah au§«
fd^Iie^Iid^ bie antifen gebraud^t l^atte unb hk mittelalterlid^=
fat^oüfc^en ganj gut für neu unb unabgegriffen gelten
fonnten. 2)ie 9JJenfdE)i)eit |3flegt ja nad^ geiüiffen 3iüif£^en-
jjaufen immer il^ren alten §au§rat^ öon ^hnn ittieber ^eröor*
gufud^en, fo mie ^inber ein uralte§, t)erftaubte§, in ber
9tumpelfammer lieber aufgefunbene§ ©pieljeug bem fd^önen
neuen üoräiel^en; e§ liegt ein buftiger ©rinnerungSgoIbglanj
barüber. ^uc^ SBil^elm ^atte im Slnfang mit ^romet^eu§,
Stp|robite, ben ÜJiufen unb ®ra5ien ge)r)irt{)fc|aftet. Slber
bie unnennbaren unenblid^en ©eelenftimmungen mürben
burd^ biefe :plaftifd^en ©eftatten nid^t gebedt. S)a§ j^einfte
ha^ Qaxk'ik, gerabe ba§ SSidEitigfte blieb immer ungefagt.
(^ S)ie 9iDmantif mar ja ein neu erfte^enbe§ 9J?itteIaIter.
SSie natürlich, ha'^ mit gauft unb mit @ö| unb ber i^eiligen
SSe^me auc^ Ö^ott unb ber Seufel unb i^r ganje^ ©efolge
gurüdfeljrten. (£§ ift eine Ütenaiffance lüie bie be§ 15. ^a^r-
^unbertg, nur ta'^ man bamal§ ba§ 5lltert§um neu belebte,
tueil man ben mittelalterticEien Sbealen entmad^fen luar,
je^t ba§ SJiittelatter. jDie antife unb bie mittelalterlid^c
9}?t)tt)Dlogie finb bie Ur-Symbole oon yiotur unb (Seift,
35ie olte ÜMigton. 361
mit benen bte SRenfc^Ijeit ablued)felu loirb, bt§ e§ iijx gelingt,
in einer brüten beibe ju üerfdimcläen. 3(u[ (Generationen
öon ooräugyiueife i^anbelnben unb nad) au^en lebenben
9}ienfcf)en folgten je^t jüngere, bie me^r na6) innen fc^auten,
16efct)auli(^e, bentenbe, jlyeifelnbe, jluiefpaltige ©eelen, bie
für bie öon it^ren ©ttern unb SSoreltern oerfeljerte Qeit
ft)mpat§ifc^e!§ 85er[tänbni^ Ijatten unb ben Sinn ber @t)mboIe
rafc^ begriffen, bie it;nen öon einigen öorfc^auenbeu, fpüren-
ben 5tnfüt)reru gejeigt luurben. ®ie ^immltfd^e ©eftalt ber
göttlichen ^itugfrau, ber bie 9tomanti!er auf fo öielen ber
beiuunberten Silber öergangener Sa^v^uuberte begegnet lüaren,
fd^iüebt nun burc^ 9fJoöa(i§' geiftlic^e Sieber:
2Ba§ ^ab' iä) 9(rnier bir getljau?
9?D^ bet' \d] btd) üdH ©e£)nfud)t an,
©inb beine ^^eiltgen ÄapeUen
5Rid)t meines SebenS Ütu^eftelTen?
©ebenbeite i^önigin,
Stimm biefeS ^erj mit biejem i!eben ^in!
5)u meißt, geliebte Königin,
Si3te id) fo gattj bein eigen bin.
^ab' id) nid)t fdion feit langen ^a^ren
^m ©tiHen beine §nlb evfa£)ven'?
2I(ö id) faum meiner nod) Beiunfjt,
©og ic^ fd)on SSliid) an§: beiner fel'gen 33ruft.
SDie Jungfrau 9}Jaria fing an biefen ^roteftanten ganj Oer^
traut ju luerben. 3iac^ beut S^obe ber üeineu 3Iugufte empfahl
2Si(|e(m ©erleget in einem jartgebac^ten ©ebtc^te ta§> geliebte
^inb, 'i)a§' ber järtlid^en gürforge feiner irbifctien 9}?utter
entriffen lüar, bem güteoolten ^erjeu jener fiimmlifd^en
broben. ©in ganjeS Panorama ber mittelalterlicl'fatljolifd^en
SBelt breitete 2iecf in feiner ©enoöeoa au§. ®a§ ^netnanber-
übergef^en ber entgegengefe^ten 2;riebe unb Seibenfc^aften,
362 5)ie oltc 9ic(igion.
ba§ ^Ineinanbergrenjen öon ^eiligfett unb ©innltcfiteit locfte
tfin 511 bte[em Segenbenftoffe. ©ine l^eimtidie ©lut^ follte
bie 93ruft ber feufctien ©enoüetia, tl^r felbft ^alb unfcelru^t,
um{)iillen; tnbrünfttge flammen brennen in t|rem SDMbc^en-
l^er^en, öon benen fie jelb[t nid^t lüei§, ob fie bem ^etlanb
ober bem unbefannten ©eliebten gelten. <Sie bebt üor ©d^am
in ben Firmen t§re§ üere^rten ®ema:^I§ unb felint fic^ nad^
ber öerje^renben, töbtltd^ i^r 2Be[en auffaugenben SeibenfcEiaft
®dIo'§, Den fie fuc^t unb fliegt, ©olo felbft foate ber ^elb
fein, bem ade ^erjen gefatleu, ben bie 9?atur gum ^i)nig
ber @rbe gefc^affen i^atte, unb ber, wag SfJiemanb anber§
öermodfit ^ätte, mit bömonifc^er Suft fic^ felber §u ©runbe
richtet, um gulelt al§ S3ü§er tuidig ju fterben. Ueber bem
blüf)enbften SebenSbrangc fottte ha^ ^reuj erfd^etnen al§
@t)mboI ber 9J?arter unb beg Dpfertobe§, mit ben jüf3eften,
!^infterbenb[ten SiebeSitebern fpldten firf) ©efönge reuiger
©ntfagung öermijd^en. ^Jid^t bn§ Stied 5IIIe§ bie§ tüirflid^
barge[tetlt l}ätte; man merft nur, ha'^ er e§ beabfi(f)tigte.
5K?enn bie attc^riftlid^en gelben in ber ©enoöeöo mit @e^n*
l'udfit öon ben frommen 50cännern ber SSor^eit fpre(^en, bie
fie eben tiorfteüen foHten, Oerrät£) Sied, ha^ er felbft nid^t
mitte(aIterIid^'!at§DlifdE) empfanb, nur ©eljnfud^t uad^ einem
füllten naioen ©lauben ^atte. Unb tüa§ tuar e§, ha^ bie
Senenfer ©tubenten fo entjücfte, bie in ber 9!JiitteruadE)t§-
ftunbe ha§> „trefflid^e 2Ber!" unter 3lnbac^t unb "^s^bd 5U-
famnien lafen? Sie fa|en eine l^^forte fi^ Quftljun unb
föftlid) bunte ©eftalten barauS l^eröorroaften mit einem
^auä) unnennbaren Seben§, leibenfdiaftlii^, geiieimni^ooll;
ha^ SJeid^ ber UnbetnuBten , ba§ lange oerfcf)üttet geloefen
mar, ftieg mieber an'g i^idEit Ijcrüor. S3iele öon iljnen morf)ten
fic^ eiubilben, mit ber SBiebereinfüfjrung be§ fat^iolifd^en
(Staubend mürbe ouc^ bie gauje ^rojeffion ebler ®oltel*
®te nite SicHcjion. 363
ftreiter, umubcrtßättger ^eiliger, barmherziger grauen Jüieber
ü6er bte @rbe jie^en.
2Bie menig bie Sftomontifer on eine t£)atfäcJ)Ii(f)e 3Sieber=
einfüörung backten, fann man an bem (Sinbrucf fe^en, ben
eine fletne Schrift Don 9fD0aIi§ mad^te, bte er unter bem
%itet: ®ie (I^rt[trn[)eit ober ©uropa, ein (Fragment; im
Sa^re 1799 tn'§ 2tt()ennum riicfen inoHte. 5(n biefer @d)rtft
ift üieHeicI^t bal aug^ufe^en, bnf3 bte 2BeItgef(f)tcf)te bavtn
oon einem ju f)oben ©tanbpunfte au§ überblicft tütrb.
9^ot)aIt§ betrachtet bte Beit be§ nngebrodienen ^atl}Dlici§mu§
aU bie Qdt ber Sintracfit — ber (Sintrac^t oor ber Spaltung
— atfo geuiiffermaßen ber beiuufetlofen, notfimenbtgen unb
beS^alb üerbicnftfofen unb un[i(f)eren SSof[fommenl)ett. ®er
$rote[tantismu§ ift nun bie Spaltung, an [id^ t)ä§Iicf) unb
beflagenStüertf), aber not^lüenbtg aU 9KitteI jnm ^^necf, aU
erftc§ ©Qmptom be§ Setbltbciuu^tUierbenS. Seüor fte^t nun
eine Söieberüereinigung — 9^oöaIi§ glaubte fie fc^on naf)e — ,
eine betini^te itnb freie ®int)eit, ein neuer ^at^oIict§mu§,
aber eben ein neuer, ©o öerfd^ieben Oom alten, tute be=
lou^te ^Südtommenljett öon unbetuu^ter, wie ein fettiger
oon einem fleinen ^inbe. jDaS ift etma ber nadte ©ebonfeus
gang be§ ^öd^ft farbigen, prädf)tigen ^rofa-^it^l)rambu§.
„@§ mar eine fct)öne, glänjenbe ^eit, lüo Suropo ein
(^riftttc^cS Sanb mar, wo eine d^rtften^ett biefen menfd;(id[)
geftatteten 55>e(ttlKtI beiuo^nte; ein gro§e§ gemeinfd^aft(ic^e§
^ntereffe t^erbanb bie entlegenftcn ^rottinjen biefe§ meiten
geiftli(f)en 3fteid)e§." ©o beginnt er mit einer ibealiftrenben
©c^ttbernng be§ 9)iittelnlter§. ©anj perfönltc^e (Siinnerungen
Hingen rü^rcnb an, wo er ben fd^önen menfdilic^en @inn
be§ üerpönten 9teliquiengtauben§ erläutert: „@o beiüaf)ren
liebenbe Seelen Socfen ober ©c^rift^üge it^rer üerftorbenen
(SJeliebten unb nähren bie fü^e ®Iut£) bamit bi§ an ben
364 ®ie alte DJeligion.
ttjieberöereinigenben Sob. Tlan fammelte mit inniger Sorg-
falt überaß, ioa§ bicjen geliebten ©eelen angehört ^atte,
unb Seber prieg fic^ glürflic^, ber eine jo tröftlic^e Steliquie
erhalten ober nur berüJiren fonnte. §in unb loieber fc£)ien
fi(^ bie ^immlifcfie (SJnabe öorjüglid^ auf ein feltfame§ S3ilb
ober einen ®rab§üget niebergelaffen gu ^aben. S)Drtl§in
ftrömten au§ allen ©egenben ajienfc^en mit fd^önen ©aben
unb brachten ^immlifc^e ©egengefd^enfe: {^rieben ber ©eele
unb ©efunb^eit be§ Setbe§ gurüd."
SBenn fid^ 3^oOaIi§ aber aud^ ein ^'i)tai biefer 3eit
bilben fonnte, überfal^ er boc^ nid^t, roie luenig bie SBirf-
lid^feit i^m gteid^gefommen loar: „9iod^ loar bie SJienji^fieit
für hielte tjerrlid^e ditid) nic^t reif, nic^t gebilbet genug.
6§ wax eine erfte Siebe, bie im SDrude beä ®efc^äft§Ieben§
entfrfilummerte."
SDen @runbfe!^(er be§ ^roteftanti§mu§ nennt er bte
SSergötterung be§ S8ucöftaben§ burc^ Meingültigfeit ber
S3ibel, n)0§ bem l^eiligen @Jeift bie freie iöetebung, @in="
bringung unb Offenbarung erfc^n^ert ^aht. Tlan fonnte
mit anbern SBorten fagen, e§ toar eine 5Iu§fct)Iie^ung, SSer-
fd^üttung Der unerfc^öpflid^en Duellen be§ Unben)u|ten im
äJienfd^en gu ©unften be§ 58erftanbe§, ber o^ne biefe
S^ia^rung Oerioelft ober erftarrt.
2lt§ befonberg anftö^ig mod^te ben greunben bie merf=
JDürbige Stelle erfc^einen, too 9toüaIi§ ben ^efuitenorben
oerl^errlid^t: „@mig luirb biefe ©efellfcfiaft ein SöJufter aller
@efellf(^aften fein, W eine organifc^e ©etinfud^t nad^ un*
enblidl)er 5ßerbreitung unb eiuiger Sauer füllen, aber auf
ctoig ein SSeiueig, bajs bie unbetoac^te Sdt allein bie flügften
Unterneljmnngen üereitelt ^t^t fdilöft er, biefer
furchtbare Drben, in armfeltger ©eftalt on ber ©renje oon
Guropa, oielleid^t ha'^ er oon baf)er fic^, ioie ha?: Solf, ba§
Sie alte akligion. 365
tön befc^ü^t, mit neuer ®ertialt fid^ über feine alte ^etmatl),
ötelleic^t unter anberm ^lamen, berbreitet."
5?n ber ©ei^elung ber 21ufflärung§seit Ratten alle 9to=
manttfer Hebung. „"S^er 9tetigion§^a§ bel)nte fic^ fet)r na-
türlid^ unb folgcred^t auf alle (Segenftänbe be§ @ntf)uf{a§mu§
au§, oerfe^erte ^Jö^ntafie unb ©efüljl, ©ittlic^fett unb
^unftliebe, 3»fu"^t ""^ S^orjeit, fe|te ben 9}?en[c^en in ber
fRetfie ber 9^aturluefen mit 9iot^ obenan unb mad^te bie
unenbli(f)e fd^öpferifd^e 93Jufif be§ 3BeIta(I§ jum einförmigen
klappern einer ungeheuren SJJü^Ie, bie, bom ©trome be§
3ufall§ getrieben unb auf ii^m fc^tnimmenb, eine SD^ül^Ie an
fic^, o^ne S3aumeifter unb Wiiüev, unb eigenttid^ uned^te§
Perpetuum mobile, eine fid^ felbft ma^Ienbe 9}?ü^Ie ift."
©eine äu^erfte ©pi|e erreicE)t ber ^roteftantiSmuS in
ber franjöfifd^fu Steöolution. SIber eben fie, unb bie§ tvax
aud^ eine olte 2iebling§anfid^t griebrid^ ©d^tegel'?, ift ^eil»
bringenb, inbem fie ben Umfc^inung not^toenbig mad^t.
S)enn: „2Bal)r^afte ?(nard^ie ift ha§ 3eugung§etemcnt ber
Sfieligion. 2lu§ ber S!?erni(^tung alleS ^ofitiöen l^ebt fie i^r
glorreichem ^aupt al§ neue SBeltftifterin empor." SDarum,
nac^bem hit unfrud^tbare, gerftörenbe 3eit üorüber ift, ge»
bü^rt aud^ iljren SSerbienften ?tnerfennnng. „^t^t ftefien
tüii 'i)oä) genug, um auc^ jener obenerträ^nten, öorlöer»'
gegongenen ^eit freunblid^ jujulöcfieln — banfbar motten
Wh jenen ®elet)rten unb ^tjilofop^en bie |)änbe brücfen.
9?ei5enb unb farbiger fte^t bie ^oefie tüie ein gefd)mücfte§
^nbien ben falten, tobten ©pipergen jeneS ©tubenöerftanbeS
gegenüber."
@§ folgt jum ©d^Iuffe bie cntjüdte, fehlerhafte ^ropl^e^
geiung ber neuen 9teIigtDn. „©ott ber ^roteftanti§mu§
nid^t enbli(^ aufhören unb einer neuen, bauer^often ^ird^e
$Ia^ madjen? — — — 2)ie ©i)riften|eit mu^ inieber
366 5)it eilte SieUgion.
lebenbtg unb tnirffam werben unb fid^ tüteber eine fid^tbarc
Kirche btiben, bie alle naä) bem Ueberirbtfd^en bur[ttgen
©eelen in i^rcn @d^o^ aufnimmt unb gur SSermittlerin ber
alten unb neuen Sßelt tuirb."
Sfiod^ eifrigen Debatten luurbe, namentlid^ auc^ auf
©oet^e'g ©c^iebgfprucJ) ^in, hk ©uropa nid^t in ba§ ?lt^e*
näum aufgenommen, hod) tDo^I nieil mnn eine Slufforberung
barin fab, jum ^ot^olici^mu^ Surüd^ufe^ren, ober luenigftenS
fürchtete, e§ fönne fo aufgelegt tuerbeu. 9J?an lüunbert fid^,
ba^ biefe (S(^rift fo mi^ücrftanben lüerben fonnte. 5ludE) in
fpäterer 3eit traten bie proteftantifc^en ^^reunbe be§ oer-
ftorbenen ®ic^ter§ gern etlua§ geheim bamit, um 5U t)er=
pten, ha^ Ut Sonoertiteu fie aU 93eiDei§ für D'ioüalis'
fat^o(ifd)e Öiefinnung benü|ten.
griebric^ @dE)IegeI war ju fc^U'er, träge unb grünblid^,
um nur ^u fpielen; er marf)te mit ad ben Stimmungen,
^^antafien unb ©ebanfenträumen ©ruft. (Sine befonbere
Stellung jum ^atJ)oliciömu§ ^atte er, folange er fid^ nod^
mit ber ©rünbung ber neuen Stetigion befd^äftigte, nic^t
genommen, ©rabeju antifat^olifd) Ijatte fid^ ©orot^ea Her-
nehmen loffen. Sür fie, bie :p!^antafieöotte, aber im S)enfen
an(e|nung»bebürftige t^vau, t)atte jtoar ber ®ebanfe etmag
SleijenbeS, einen ©tauben gu t)aben, nod^ baju ein unb
benfelben mit j^riebric^. @te luäre gern auf ©c^Ieier*
mac^er'S ißorfteHungeu eingegangen, ber i^r jurebete, pro=
teftantifcl) ju lüerben, ^ätte fie nid^t auf i^ren guten, reb-
liefen SJiann, (Simon SSeit, 9tüc!)i(^t nehmen rootleu, ber
gwar bur(^aug fein bef darauf ter, uubulbfamer ^ube tuar,
aber eg, etma im Sinne be§ alten 9}iüfe§ 3}?enbeI§fot}n,
überflüffig gefunben ^ätte, feine ©laubenägenoffen §u oer=
laffen, nur um eine ^orm ju lued^feln, bur(^ hie ber eigent^
lid^e ^ern unb SSert^ be§ 9J?enfd;en nic^t oeränbert loerben
SDie alte 9}eIigion. 367
fonntc. ©päter, aU fie mit grtebric^ in ^:]ßari§ raar, öer-
ftänbnif5lo& unb uiiüerftanbcn, üereinfami — f^riebrtdE) be»
trachtete fic^ „aU ^bediften ober ^oeten in partibus in-
fidelium" unb fc^rieb feinem S3ruber öon bem ©lep^anten
in ber ajJenagerie, er )^abe if)m oiel 5l(±)tung unb X^tiU
nal}me eingeflößt unb fei näc^ft i^m unftieitig berienige,
tueld^er am n^enigften ^ier gu .'^^an\t gehöre — füllte fie
nod) me^r at§ fonft ba§ Sebürfuiß nacf) einer innerlid^en
Stü^e. @ie Io§ öiel in ber Sibel unb fcfirieb an ©c^Ieier^»
mac^er, 'i)a§ :proteftantif(f)e (5^riftentl)um ge^e fie üiel me^r
an all ha^ fat^olifd^e, tueli^el Diel Sle^nlic^feit mit bem
^ubentfium ^ahe, „ba§ tcf) öerabfcfieue". Sm ^er§en fei
fie ^roteftantin, I}alte aber ein öffentltd^e§ 93efenntniß für
überflüfftg, tuortn iljr fogar „fat^olifc^e Dftentation, ^errfdt)-
fud^t unb ©itelfeit" ju liegen fd^eine.
Db nun ein fold^er ^ang jur Oftentation atlmäüg in
il^r rege n)urbe ober f(^on immer in t|r oerborgen geiuefen
toax, im Sllpiil 1804 ließ fie fic^ proteftantifc^ laufen.
S^lidit §tt)ei Qa^re fpäter marf iljre greunbin, grau ^rofeffor
^aulug, mit ber fie oon ^ena ber innig befreunbet tuar,
i^r üor, fie laffe fic^ öon ber mobernen fat^oüfc^en 2But^
l^inreißen, n)orauf 5)orot^ea fe^r gereijt unb mit einem
DoIIftänbigen 3JJangeI an Sogif, Ä'enntniß unb 33ele§rbarfeit
ontiuortete.
„Ob id) glaube, fragft bu, baß bie emige ^"9^0^ im
fat^oUfcfien ©lauben ftäfe? greilid^ glaube id) ha^ — —
e§ ift merfiüürbig genug, UJte bie fat^oüfc^en ©icfiter fo
big in ba§ fpätefte 2l(ter in üoller S^genbfraft blühten,
datberon ift über 80 ^atjxt alt geiüorben, unb feine legten
©ac^en finb öon ben ^ugenbfac^en an Slraft nid^t ju unter*
fc^eiben. derüantel luar fo olt, al§ jegt ©oet^e ift, aU
er ben erften Sf)eU beg 2)on Duigote fd^rieb. dagegen ift
368 2)ic alte Sieligion.
in ©^afejpeare, bem er[ten ber |)roteftantlfc^en 5)td^ter, felir
Bemerfbar, nüe [eine ^ugenbfad^en gegen feine im 5Uter
geid^riebenen abfledjen."
„Sd^on ireil er fo uralt ift, §ie|e id) bcn ^al!^Dlici#mu§
öor. 5me§ 9^eue taugt nic|t§."
„Ob id) glaube, fragft bu, bo§ bie fünfte in ^eutfcE)-
lanb eine t^ol^t be§ K'at^oIici§mu§ feien? 5lIIerbing§
glaube id) ha§. 2Senigften§ finb fie mit bem .^at^oIici§mu§
derfunfen, fo mie fie mit biefem geblüht ^aben. 5lIIe§ ift
fd^Iec^t feitbem, ja S)eutfd^Ianb f eiber ift baran ju ©runbe
gegangen unb feine ^raft unb fein SBiffe me^r barin, aB
etttja xiüd) in bem ungtücflic^en, iinterbrücften unb betrogenen
Steft, lüo auc^ ein f (einer ©djimmer jene§ alten (SJIaubenS
nod^ fparfam glimmt."
'äU grau ^aulu§ fid^ nid^t enthalten fonnte, ^orot^ea
baran gu erinnern, ha^ ^^riebric^ einftmaB eine neue 'Ste^
ligion f)abe ftiften tnoHen, antn^ortete fie mit ber frö^Iid^en
©ic^erfieit, bie naioen 2tugenblicfgmenfd^en eigen ift, ha?'
fönne er nid^t geiuollt fiaben; toenn er öon ^Religion ge-
fprod^en l^abe, fo fei e§ immer bie alte gemefen. griebric^,
bem geftjiegten Genfer, mod^te bie unbefangene Selueigfül^rung
benn bod^ peinli(^ fein, unb mit einem 9teft feineS alten
greimut^g fügte er i^ren fanatifd^en S3raöaben bie 9f?ad^=
fd^rift bei: „^n S^re bogmatifc^en ©treitigfeiten mit meiner
i^rau mifd;e id^ mic^ nid^t. @ie feljen felbft, n)a§ @ie fid^
für eine ^srebigt jugejogen traben. SSenn Sie un§ für
cttt)a§ ^parteiifd^ galten für bie ^at^olifen, fo mufe id) nur
geftel^en, ba^ ba» jum Z^di ber gati ift au§ perfönlid^er
greunbfd^aft. S)iefe allgemeine 5ld^tung unb biefe l^erjUd^e
greunbfc^aft fanb ic^ nur bei biefen fe^r tjerbammten
a^enfdjen."
2)orot^ea l^attc ha^ 2;afent, fotc^e offene ^HQ^flönbuiffc
S)ie alte DJeligion. 369
ti^reS Tlaxmt^ öötitg 5U überfe^en. Sie wax ftet§ bereit,
jebc feiner Stbfic^ten unb 93?einungen Oor fic^, i^m unb ber
SBett §u öerflären. ^n ber Hoffnung, freunblic|e ^^(ufnaöme
unb Unter[tü^ung in Defterreic^ ju finben, ging er mit beut
^ian um, ein SDrama 5U fc^reiben, in bem ^axi Y. oer=
j^errtic^t mürbe. „2Bie rü^renb", fctirieb fie, fogleic^ geuer
unb Stamme bafür, um i^n in bem ®ebanfen §u beftärten,
„mar mir gleich biefer janfte fönigüc^e öelb in feinem
Jlampfe gegen bie fc^lec^te 3eit, bie er üergeblic^ aufjuEiaÜen
bemiil)t mar; lüie Iragifc^ unb ^eilig, ha^ er enbtic^ er=
mattet unb no(^ liebeDotl biefen ganjen ^ampf gegen fic^
felbft luenbet unb burc^ feine Sü^ung öerfuc^t, ben i2)iininei
ju öerfö^neu."
®a§ SRerfiüürbigfte ift, lüie in bem Tla^t, a(» ber
Fanatismus fic^ in i^r entiuicfelte, jebe§ anbre ®efüf)(, öon
ber Siebe gu griebrid) abgefe^en, jeDe ^Rücffic^t auf greunbe
anb 5{nge^örige abnahm. 2In 8c^leiermac^er, ber ber neuen
SBenbung nid^t ft)mpatt)i)c^ gegenüberftanb unb fic^ immer
enger an ba§ proteftantifcfie ^reu^en aufc^Iofe, fc^rieb fie
einen fetnbfeligen 33rief öoHer SSormürfe unb ©rma^nungen,
unb mä^renb fie t^m gegenüber bet^euerte, ha^ biefe nur
öon alter Jreunbfc^aft, Sorge unb SIngft um i^n eingegeben
feien, fc^rieb fie gleichzeitig an griebric^: „Um mir einige
©emüt^eergö^ung ju fcöaffen, i)abt id) i^m [Sc^teiermac^er]
geantmortet unb meine üble Saune in ein leifeis Schimpfen
auSjubrücfen gefucfit; menn er böfe barüber luirb, ift e§
oud^ gleichgültig." 'äU griebric^ fic^ bebac^te, ben förm-
lichen Uebertritt au§äiifü^ren, meil er feine ®efc§mifter unb
namentlich feine äRutter alljufei^r ju betrüben fürchtete,
fteKte fie i^m cor, ha^ e§ ja gan,^ im ©e^eimen gefc^e^en
fönne; benn „ha^ geräufc^öoCte S3efanntmac^en ift gan,^ bem
fat^otifct)en SBefen entgegen, ift oietme^r proteftanttfc^"; a(§
^ucf), Sfornoutiter. 24
370 ®ie alte SJeligion.
er aber ben öoff^ogenen Uebertrttt nun tütrÜid^ feiner
gamilie ntc|t gletc^ eingeftanb, trieb fie i^n unabläffig jur
SSeröffentlid^ung an, bamit burd^ fein 93eifpie( 5lnbre —
befonberg tiuf SSilljelni i^atte fie e§ abgefe^en — ^inüber=
gebogen ttjerben. 5ßon 9tücfftcl^ten bürfe biefen SSerpflid^tungen
gegenüber feine 9tebe fein.
^orot^ea'g fd^iuärmerifd^e 2(n^änglt(^!eit an bie fat|o-
lifd^e ^'irc^e trar übrigen^ aufrid^tig, toie fd^Ied^t fie fie
aud^ 511 begrünben tonnte, ©ie tüar, \va§ fie anging, fogar
e^rlic^ genug, jugugeben, ha^ fie ben toirflidEien eigentlid)en
(Stauben nid^t §abe; anftatt beffen begnügte fie fid^ mit
bem ©lauben an ben ® tauben unb müt)te fid^ reblid^, t^n
altmätig §u getuinnen burd^ l^äufigen 93efud§ ber SDieffe,
SSeten in ber ^ird^e unb S3eten in ber Kammer, Sefen unb
Sebenfen ber |)eiligengefd^id^ten. 5)ie 2tufopferung be§
eigenen ®enfen§, um ®ott in fid^ benfen §u taffen, tüurbe
i^r burd^au§ nid^t fc^toer, bie 5lu§fid^t, aU So^n bafür
SSergebung ber ©ünben ju empfangen unb eine au§ertt)ö^tte,
auägejetdinete ^erfon ju fein, befriebigte ben romanhaften
^ang, ber immer in il^r gelegen ^atte. Unb el fam tüo^I
aud) in SSetrad^t, ta^ i^r SSer^ättni^ ^u griebrid^, bo§ auf
burdEjaul ungefe^tid^em S3oben begrünbet tüar, burd^ bie
fat^oIifdEie Äird^e eine nadjträgtid^e 2Bei£)e erhielt unb un-
auflöStic^ gemacht lüurbe.
5lm peinlid^ften berührt bk 2trt, lüie ©orot^ea il^re
beiben ©öt)ne au§ erfter ®|e, QonaS unb ^§ilipp, für bie
^ird^e ^u geluinnen fucf)te. ^^ilipp, ber unter i^rem unb
griebric^'g tägtic^em ©influffe ftanb, gan^ mit i^ren Qbeen
5u erfüllen, luar nid^t fd^luer. @r befam in Slöln etnen
(äeiftlic^en jum Se^rer, ber iijn in ben fatI)oIif(f)en ©tauben
einführte; ^orot^ea, fetbft fct)tug ii^m öor, fie tüoHten in
^Briefen bie Seigren be§ ^oter§ immer unter bem S^Jamen
3)ie alte Sicligtün. 371
9J?orQl jufammenfaffen, oi)ne ^lueifel bannt ber ma^re S'^^^^
nid)! t)errat|en tuerbe. ©c^tutertger mar es, 3ona§, bem
älteren ©of)ne, beisufommen, ber unter ber Settung feinet
S3ater§ aufgeluad^fen mar; ein fcfilDerbtüttger, meland^oltfd^er
©rübler, entf(^Io^ er ficf) er[t imc^ dielen innerlichen
Dualen unb @äm)}fen, ber Ü)Jtutter unb bem jungem S3ruber
nad^jufolgen. ®ie feetifc^en Seiben ©imon SSeit'^, ber mit
fd^tid^ter ©rofemut^ ®orotl)een aud^ in i^ren materiellen
9fißtf)en immer ein Reifer tüar unb ber nun sufe^en mu^te,
mie aHc bie ©einigen, ein§ nacf) bem 5lnbern, i^n öerlie^en
unb fid^ aud^ innerlid^ öon i§m trennten, fd^einen il^r t)a§i
©efe^rungsiuerf nid^t jd^merer gemad^t ju ^aben, ge[(f)meige
benn ha'^ baburd^ ^^üeifel an feiner 33ered^tigung in i^r
erregt mären.
Sm Stpril 1808 traten griebric^ unb SDorot|ea in ^öln
jur fatljolii'c^en ^irdtje über; jmei 3a§re fpäter erft ^^ili^l)
unb bann 3ona§ SSeit in SBien.
©0 bered^tigt in öielen j^äHen ber Uebertritt gu irgenb
einem $8efenntni^ fein fann, öon gnebrid^ ©(^legel mu^
man e§ aU etma§ 2;ragifd)e§ anfe^en. @r ftrecfte hie
SBaffen, er fapitulirte fd^mäijlid^. SSie ein ©olbat, ber bem
geinbe, bem er fid^ ergeben ^t, fd^mören mu§, nie mieber
ein ©d^mert für fein SSaterlanb ju §iel)en. (£r ftrid^ felbft
feinen 9?amen au§ ber Sifte ber guten Kämpfer unö lie^
fid^ bie §änbe binben. S3eftimmt, für iik SBieberöereinigung
ber beiben ®taubeu§i)älften, ber fat^olifrfien unb ber pro»»
teftantifc^en, ju einem neuen, üollenbeten ß^anjen ju ftreiten,
gab er nid)t nur ben ^ampf auf, fonbern fogar bie fd^on
errungene ©tufe pret§, um fii^ auf bie tiefere be^aglid^er
58emuBtIofig!eit jurücffinfen ju taffen. ©ünbe gegen ben
fieitigen ®eift. jDa^in paffen hk ftrengen SSorte öon S'iDOatiS:
„S)er StRenfrf) befielet in ber 23}a!^r^eit. (Stiebt er bie
24*
372 3)te alte gteltgion.
SBa^ti^ett prei», jo giebt er fic^ felb[t preis. 2Ber bie
SBaljr^eit üerrätl), oerrät^ fic^ felbft. (S§ ift l)ter nid^t bie
Stebe Dom Sügen, [onbern oom ijanbeln gegen Ueberjeugung."
3n etgeuttjümlid^e Sonflifte geriet^ ©orot^ea, lüenn
33efannte, bie i^r früher unlieb waren, gletc^fatl» ben
©lauben toec^felten, inbem fie fic^ Oerpflic^tet füllte, [ic^
barüber ^u freuen, anbrerjett» ober baburt^ irre gemacht
unb geängftigt tüurbe. @ie §atf fi^ bann roo^l bamit, ta^
fie bie ®üte ber Semeggrünbe in ^luetfel 50g, inbeffen
t)offte, bie ^irc^e n3erbe nachträglich bie i^r jugefattenen
^tnber i^rer wert§ er^ie^en. @o etma war i^re ©timtnung
ben S;iecf'» gegenüber, üon benen juerft im ^saljxt 1805,
lüo fie fi^ in Stalten aufhielten, ba§ ©erüd^t ging, fie
feien fat^olifc^ geworben, ©ooiel irf) tnei^, ift e§ niemals
mit ooller ©ic^erfieit ju ermitteln geiuefen, ob Submig 2;iecf
t^tfäc^üd^ übergetreten ift ober nic^t; inbeffen f priest Uüt^
bagegen unb je^t wirb 9ltemanb me^r baran gfanben.
5j:iecf'» ©c^wefter ©DpE)ie [}tngegen, in ber ha^ @c^wan!e,
Unffare, ta^ im 2Befen be§ 33ruber§ lag, nü(^ mef)r au§=
geprägt gewefen ju fein fc^eint, oolt^og ben Uebertritt; fie
gehöre nun einmal 5U ben ^UQöögeln unb muffe ^in, wo
ber SBinb ^inge^e, fagte ®orot£)ea oon i^r.
SBeld^e iCeränberungen ha^ S^ertjöüni^ 5U alten ^bealen
unb alten ^reunben erlitt, ha^ machte fic^ atlerwärtS fcfcmerj«
HcJ) fühlbar. (Erinnert man fic^, wie jDorot^ea im Sommer
1799 f(opfenben |)eräenS ®oett)e, ben ^öc^ftoere^rten 9JJann,
!aum anjureDen \xä) getraute, wie begierig fie in feinen
SDüenen forfc^te, ob er it)rem (^riebrtc^ wo^I gewogen fei,
berührt e^^ eigen, 511 lefen, in welchem 3::one fie fei^S 3al)re
fpäter über i^n f(f)rieb: „'Jjcn SBinfelmann oon ®oet^e ^abt
t§r boc^ gewi^ fc^on gelefen? 2Bag fagft ®u ju btefem
fäd^fifc^=weimarifc^en ^leibent^um? ^d^ geftel^e ®ir, mir
2)ie alte 9ieItgion. 373
fomtnt ha§ ©anje fe^r fTod^, ja gemein, ®oet^e'§ ©tt)t un-
erl^ört ftetf unb prettö^ unb bie ?lnttpat^ie gegen ha§
6§rtftenti)nm feßr affefttrt unb tiebIo§ oor, unb tt)Q^r^afttg,
föenn man alt i[t, jo tft man noc^ lange nicf)t antif. 2tber
menn man fidEi fo gemaltfam öerfleinert unb burc|au§ antif
fein tüill, bann niirb man öielteid^t alt."
greilid^ jog fic^ (Soetfie befto able^nenber in fein ^erbe§,
ft^tifirteS ®riec^entf)um surüd, je me^r bie ©c^iüärmeret
für bay bunte, lunnbermäc^tige 9J?itte(aIter um fic^ griff.
3)ie Uebertritte fingen an, gatilreic^er 511 lüerben. ^ie ^^it
aber gel)ört fct)on nicbt me^r in 'i^a^ erfte 33[ütf)en alter ber
Stomantit, beffcn ®ebäcf)tnife id^ biefen 33anb beftimmt ^abc.
S)amal§ tüurbe nur mit oerfd^menberifdEier ^anb ©amen
auggeftreut, ber ^ernac^ Ut öielen öerfd^iebenen e^aren,
ungenieparen unb giftigen «^rüc^te trug. 9^ur, ba bie fa-
tfiotifcfie Stimmung im ©runbe bon Silbern i)er juerft
unter bie 9tomanttfer au»geftraf)It tnar, foHte man noc^
miffen, n)a§ nun bie 9)?alerei mieberum öon i£)nen in biefer
|>infic^t empfing, ^n ben Silbern 5riebric^'§, be§ Sieb==
lingSmater» ber älteren 9tomantif, ift fein fatboIifc^e§
(St)mboI ju finben. S)enn inenn er etina aucft einfame
Kapellen ober 5(bteien im 2öalbe ober gar ?-lcönc^e unb
^rucifije malte, fo umren ba§ hoä) nur 2Iu§brucf§mitteI
für anbäc^ttge ober gottfud^enbe Stimmung.
9tunge, ber bie ^unft burc^au§ auf ber Sieligion ouf=
gebaut lüiffen looüte, ttjar be§iüegen bon einer Steigung
gum Sl'at^oIici§mu§ boc^ toeit entfernt. 5(uc^ fein greunb
Slinfotuftröm, ber fpätcrbin fat^olifc^ u^urbe, fprad^ fic§
Slnfangg fogar nad)brücfüc^ bagegen au§; benn, fagte er,
ta^ d^riftent^um befiele eben in ber Bereinigung, man
nied^fete mit bem Sefenntni^ nur hk i^oim unb foüe nicfit
neuen SJJoft in alte Sc^Iöuc^e füden. Sro^bem bebiente er
374 S)ie «fte Steligion.
fid^ auf [einen Silbern fd^on bnmat§ fatlöolifd^er ©^mbole;
öermutfilic^ and) be§i)alb, n^eit er nic^t fo öiel ©rfinberfraft
befa^ tüte 9tunge, ber fid^ eigene fd^uf. ^m ^ai^xt 1804
malte er einen ©1. ©eorg, öon bem er jagte, er !^a6e it)n
gons Tomantifd^ genommen, fnieenb auf einem großen
fpringenben ^ferbe, red^t^ baöon bie 9Jiaria, Iinf§ ben
tanjenben ^aöib, bie ©onne au§ Söpfd^en in @traf)Ien
gebilbet. 5)ie 9J?aria mit bem ^tnbe unb bem gefc^lrungenen
9?aud^fa§ follte bie ^Religion fein. Ueberl^aupt follte ha§
93tlb, nac^ feiner eignen (Srflärung, bie ftiHe 9ieIigiofität,
bie greube, Siebe, Tladjt unb ^errlidjfeit berfelben au§-
brürfen. 2öie ganj religiös er ober aiid^ ba§ S3ilb angefe^en
föiffen tootlte, mar il^m boc^ ber @eban!e, bie Seute mürben
nid^t§ aU eine SSerfenfung in ben ^at^oIici§mu§ barin er-
blicfen, ^jeinlid^, unb er ßcitte ba§ fogar gern üermieben.
5Son ben Srübern Stiepen^ufen au§ ©öttingen, bie fieb§e^n=
unb ad^tje^njäJirig nad^ ®re§ben famen, um fat^olifc^ ju
merben, erjä^Ite er Ülunge mit mi^billigenbem ©pott i^ren
2lu§fprud^: „SSir ^aben nun ganj ben gried^ifd^en @ti)I
fahren Inffen", anftatt beffen fingen fie eine 9JJoIeret in 9^ad^=
a^mung ber alten Seutfd^en an, gang flnd^, o^ne ©(Ratten
unb Sic^t. Minfolüftröm fa| bd il)nen eine retigiöfe ßom-
:pDfition: um bie SJJaria mit bem ^inbe, bie auf einem
S^rone fi^t, gmei (Sngel mit traurigen ©ebärben in großen
altbeutfd^en, fteifen Kleibern, bie ha^ Sllte unb ba§ 9?eue
S^eftament üorftetlen füllten. jDa§ ^ilt \me bie ganje
3iic^tung mißfielen Älinfomftröm burd^au§. SSieIe§ fei nur
ber 2)rang, auf bie ^niee ju fallen, urt^eitte er, ©innen-
trunfen^eit, burd^ bie neuere ^oefie beranla^t. SludE) er
fucf)te, roie griebric^ ©c^Iegel unb ?tnbre mit i^m getrau
J)atten, eine neue ^Religion; ber olten lüid^ er beinahe mit
einer geluiffen ^(engftlid;feit au§, aU märe er fic^ Ijeimlic^
S)te alte DJeligion. 375
ö
fcetüu^t getuefen, baB ]"ie ein 5Irmiba='3ow^ergarten luerben
fönnte, in beffen erjcfitaffenber ^racfit man bie (Eroberung
be§ ^eiligen Sanbe§ »ergäbe. „Unb ade meine Söorte
jotten nur foöiel entt)atten", j(f)rieb er an 9iunge, „ba§ ti^
bie d^riftlid^e ^ird^e luie meine 93raut fuc^e, aber man liebt
toom eignen Slnfd^auen unb fann fic^ nichts oon ber Siebe
crscl^len ober fic^ lehren (äffen."
^ie 9Kanc^em f(^tüebt 'öa^^ ^tieal einer S3raut öor, lute
er fie befi^en möchte; iuenn aber einiget ©uc^en erfolglos
geblieben tft, nei^men bie 9}ktften mit einer jnmr nid^t ganj
cntfprec^enben, aber boc^ gveif» unb genie^boren SSirftic^feit
öorlieb.
Jic(f öergletd^t einmal bie äRenfc^ljeit mit bem ^ubel,
ber, luenn er eine SBeile auf bcn Hinterbeinen gefeffen unb
SJJännd^en gemacht ijat, gCücffeltg ift, Jüenn er tuieber auf
bie Jßorberpfoten äW^^üdfaUen unb auf allen SSieren laufen
fann.
^aran mu| man beuten, tüenn man ben Seben§Iauf
biefer ftrebenben ^bealiften betracJjtet, bie bie itnfic^tbare,
ülle ©eifter umfaffenbe ^ird^e auf Srben üermtrflii^en
iDoIIten unb nad^ furjem 3tingen im meicfien ©c^ojie ber
ölten fat^olifd^en untergingen.
D iüie finb bte elnft ju Sera in einem
fletnen ffreiä SBcrfammelten nun über alle
SBelt äerftreut unb lehren aUe Reiben.
fioroltne.
2Böf)renb (Sd^elltng bie legten ©tunben bei Sa^re§ 1800
in SBeimar 5tinfc^en Särm unb Su[t jubrad^te, in ber ®e-
feUfc^aft üon ©oet^e unb ©c^itter, fa§ Caroline in S3raun-
fc^lüetg mit ii^rer ©c^tpefter allein öor einer ©d^ale ^unfc^;
SSilfielm, ber fic^ ni(f)t tüolbl füllte, log in einem oberen
3immer auf bem Bop^a unb fdilief. „S)er ©c^Iag jn^ölf
überrofc^te un§", jd^rieb Caroline an ©d^eüing, „icf) lüollte
©d^Iegel noc^ föecfen, el^e e§ au^gefd^Iagen, benn e§ lüor
mir, aU fönnten übte golgen barauS entfielen, rtenn einer
babei nicfit luac^te, gteid^fam aU ob er ha% ^ufainine"'
Hingen feiner ©lerne öerfd^Iiefe — alfo lief id^ f)inauf, er
^tte ben ©c^tag gehört, fic^ sufammengerafft unb ju uji§
^inuntergef)en njoHen, atfo begegneten wk un§ tvk bie
beiben ^aijrfjunberte auf ber S^re^jpe."
253ie l^atte fid^ ba§ frotie Seben§bilb für bie e^reunbe
OTe oeränbert! SDa§ ©cE)icffa( fjatte in ben Meinen ßrei§
gegriffen unb i^n mitten au^einanbergeriffen. ^m ©ommer
be§ ^at)re§ 1800 fiatte fid^ ^um erften SJiale ein un-
gemünfd&ter, furchtbarer (Saft in i^rer Tliitt gegeigt unb
fid^ nirf)t üerfd^eutfien laffen, ber S^ob. ®ie Süngfte unb
Sßielgeüebtefte l^atte er mit fid^ genommen: bie Heine 5lugufte.
Carotine, bie immer fränMle, loar jur ®rt)oIung in ba§
"^0^. 377
fletne ©ob SBocflet bei Bamberg gefrfiicft; e§ üerftanb fid^
öon felb[t, ta^ '?(ugu[te mit i^r ging. Sd^elling geleitete
bie Reiben. ®a§ er unb .Caroline einanber baumle fd)on
liebten, ift o^ne ^lufifel. 2Sie mar e§ aber mit Slugiij'te?
SBelc^e SftoHe fpielte fie jmifc^en ber über 9IIIe§ geliebten
SRutler unb bem jungen Spanne, ber nirf)t biel J^a^re mefir
aU fie ääliftc, al§ Caroline älter al§ er mar? 6(^e[Iing'§
Dfecfereien — melc^er üon ben greunben be§ §aufe§ fpielte,
fdierjte, tänbette nicE)t mit bem ßinbe! — na!^m fie mit
tro^iger ©pröbigfeit auf. ^atte fie i^n lieb unb gürnte fie
ibm, ha^ er ftatt i^rer bie 9}?utter erforen ^atte? £)ber
mar fie im ©egentlieil auf i^n eiferfüd^tig unb mißgönnte
ibm bie ftar!e Zuneigung i^rer SJJutter? 2)a§ Sediere ift
ma!^rfd^einti(f)er. ®§ fdieint, ba§ in bem f(f)ü(f)ternen finb*
liefen ^erjen W Siebe jur SJfutter jebeg onbre ®efü^t
übermog. „^d) banfe 5;ir recf)t fe^r", frfirieb fie au§ Socflet
an (SctieKing, „für ha§: aj?ittel, ta^ ®u mir an bie |)anb
gegeben ^aft, äJJütterd^en gu amüfiren, e§ fdf)Iägt berrlic^
an, menn tc^ auc| nocf) fo öiele 9Jarren§|}offen treibe, fie
gu unterhatten, unb e§ triff nid^t auf erlagen, fo fage id^
nur: „mie fe^r er bid^ liebt", unb fie mirb gleid^ muti^ig;
ha^ erfte 9}(al, aU td§ e§ i^r fagte, moffte fie aurf) miffen,
mie fe:^r 5)u fie benn liebteft, ha mar meine 2Bei§[jeit au§,
unb id^ I)oIf mir nur gef($minb bamit, ba§ ic^ fogte: „me^r
al§ 3(ffe§"; fie mar gufrieben unb ic^ ^offe, ®u mirft e§
and) fein."
SIber auc^ für ß'arcline, bei affer Seibenfd^aft für ben
geliebten SOfann, mar ha^ ^inb ber SJJittellJunft beg 5)afein§.
@§ bat ben SInfrfiein, aU babe fie, bie an bie 9J?ögIid^feit
einer 9?erbinbung mit ©d^effing nid^t badete, für fic^ ber*
jid^tet unb anftattbeffen gehofft, er fönne mit 5tugufte ba§
&[M, ba§ tl^r ein 2:raum bliebe, öermirflicEien.
378 ^ob.
1)a Caroline ftc^ unter 3luguj'ten'§ ^ftege eben ju er-
I)ofen anfing, erfranfte )3lö|ltc^ baä ^inb. @§ fehlen ntd^t
gefä£)rlic^ ju fein. @(f)etttng, ber fic^ ütel mit SJJebicin
befd^äfttgt £)atte, übernat)m felbft bie Pflege unb be^anbelte
bie Traufe nac^ ben Öirnnbfä|en fetner eignen X^eorte, bie
ju ber ^eit in Bamberg bebeutenbe 33ertreter ^atte. 5lber
bie ^ranf^eit nai)m rafd^ §u unb in njenigen Xagen ttjar
bie kleine tobt.
2BiIf)eIm, ber mit ber innigften 3ärtlid^!eit, hk er §u
empfinben fä^ig tüar, an bem Sl^inbe gegangen ^atte, eitte
nac^ Socflet. (^uri^tbare 5Iuftritte, beren S^arafter Wh
nur a^nen fönnen, muffen unter ben üerjiüeifelten SKenfc^en
ftattgefunben £)aben. 85on gegnerifd^eu ?lerjten tuar fofort
bie SBefc^uIbtgung gegen ©d^etling erhoben tnorben, 5Iugufte
fei infolge feiner S3e^anblung geftorben. 2Ba§ für einen
(Sinbrud mn^te ha?: ouf Sßill^elm machen, bem bie ^n^ig-
feit ber jn^ifd^en ©ci^eHing unb feiner f^rau beftefjenben
Zuneigung nid^t fremb njar. (Sr Iie§ fic^ ^inrei^en, i£)r,
t)k au§er fic^, felbft IebIo§ faft bor ©d^merj über ben Sier-
luft t[)re§ Siebtingg niar, btefe ^inge öor5un)erfen. ©|3äter,
aU ®c|etling'§ f^einbe fc^amloS genug Ujaren, i^n Ijämifd^
unter ber §anb ju öerbäc^tigen, al§ ^aht er gleidEifam einen
fa^rläffigen 9JZorb an biefem bod^ ouc^ ii^m fo t^euren
^inbe begangen, tuar SSiUjelm ber Slitter, ber fic^ feine
@f)renrettung angelegen fein lie^ unb htn 3lngreifern öffentlid^
bie ©runblofigfeit i^rer 33efd^ulbiguug bart^at, lüie auc^ bie
5yiieberträc^tigfeit i§re§ 58ene^meii§ öoruiarf.
2)er %oh be§ Tei^öoHen ^mtt§, bn§ nichts at§ Qävtüä)=
feit, nod^ feinerlei "^dh ober ©iferfud^t eruiecft t)atte, er^
fcfiütterte Sitte, bie bem e^reunbeSf reife anget)ört {)atten.
„SJJu^te bie§ blü£)enbe ÜJiäbc^en fterben fönnen!" fd^rieb
^orotljea, „e§ tft, al§ ob man fid^ fd^nmen mü^te oor i^r."
Job, 379
©er Um[tanb, baB 3!Bt(fjeIm feineu Kummer fd^oii fo balb
in Steinte f äffen fonnte, barf bei ifim feinen ^lueifet an
feiner (S(^tl)eit erregen; benn ein fo flarfe^ ©efü^t, ba§
tönt öermefirt f)ätte, fic^ felbft barin ju fpiegeln, fonnte er
über|aupt nic^t füllen. S^i^enfallg geljören feine ©ebic^le
auf i^ren Zoh ju ben empfunbenften, bic er gemacht f)at.
Oft luenn fiel) ifjrc reine Stimm' er)cf)uningen,
©cl)ücl)teni iiub tüljn, unb 8aiten brein geraujdjet,
4)q0' id) ba§ unfieluuBte feerj belaufd^et,
3)a§ nu§ ber 58ruft mefobifd) norgebrungen.
58üm "i^edjer, ben bie SiJeüen eingebrungen,
9ü§ au% bem '']>ianb, ba§ £'ieb' nnb 2;reu' getaufd)et,
S)et alte Äönig ftevbenb fid) beran)d)et,
3)Qg mar t>a§i le^te Sieb, fo fie gefungen.
3So[)l jiemt fid)'§, ba^ ber lebenSmübe Stiitv,
?3enn bunfle ^f^utlKn ftitt fein Ufer füffen,
3n it)ren £d)of5 baliingiebt all fein @et)nen.
^yiir inarb au'3 liebeuotler ^anb geriffen
®d)lant, golben, füfjgefüUt, befrängt ber SBed)er,
Unb mir ju g-üfeen brauft ein Wttv öon S^brönen.
3lu(f) Oufel 5ri|, ber feine fictne £t)ranuin mit fo öiet
gutmüt^tger Saune unb uneigennü^iger 3äi^tlic|feit üertüö^nt
batte, fe^te hk fd^luerfättige, fünftüd)e SJiafc^ine feinet
2)i(^teu§ in S3eiüegung. ^alt unb gejiert mod^ten alle biefe
SSerfe Carolinen, ber untröftlic^en Tlattet, erfc^einen.
^aum ein "^a^r naö) Stuguften'g 2obe ftarb 9ftooaIi§.
^Hm 5. 5tprtl 1800 fd^rieb er, ganj in ber j^reube auf feine
^od^jeit mit ^u^ie öon (I§arpentier lebenb, bie in furjer
3fit ftattfinben foltte, an ben atten greunb griebrid^
©erleget: „9}Jit mir utmmt'§ l^offeuttid^ balb ein fröf)Iic^e§
Gnbe. 3ii So^)önni§ benfe id) im ^^arabiefe ^u fein." S3alb
barauf jeigte fic^ ein bebenfücfier S3Iutf)uften an i^m unb
bie ^od^^eit mu^te aufgefc^oben tüerben. ©eine iöraut fam
380 Sob.
nad) ®re§ben, um i^n bort ju pflegen; öcn jetner bort
öer|etratt)eten (S(f)n)efter erfuhr 2BtU)eIm, ba^ er nur noc^
ein ©chatten fetner felbft fei, ööüig erfd^öpft, nid^t im
©taube, an ber Unterlialtung ttieiljune^men, oft in ber
(^efellfdEiaft einfd^Iafenb, tüo er bann al§ ein Sobter unter
ben Sebenben fi^e. Sm Tläx^ be§ ^a^xt^ 1801 ftarb er
in ben kirnten griebricEi'S, ber nac^ 1)re§ben gereift mar,
um feineu S^reunb nod^ 5U fe^en, unb unter ben Stangen
be§ ßlaöierS, ba§ fein jüngerer 83ruber auf feine 93itte
fpielte. (£r fei bi§ jum legten 5lugenblicfe öon uut)ef(f)rei6-
lirfier |)eiter!ett geluefen, erjä^Ile g-riebricf) ©erleget, ^aum
loffe ftd^ gfauBen, ha'^ e§ möglich fei, fo fc^ön ju fterben.
S)en öon ber @rbe fc^eibenben i^reunb 6at SBil^elm in
einem ©ebic^t, feinem ^inbe im |)immel fd^merjtid^e @rü§e
§u bringen. 2Iber bie ^u^ücfgebliebenen mußten too^I ober
übel üerfucfien, ftdE) l^ienieben mieber einjuriifiten. Sro^ be§
leibenfd^afttid^ innigen ß^arafter§, ben bie 9leigung @d^elling'§
unb ^aroIinen'S angenommen ^atte, n)orau§ fte aud^ SBilJielm
fein ^e^l machten, badeten bie (Seeleute an feine ©d^eibung.
©ie Ratten fid^ gegenfeitig öon je|er öolle grei^ett 5ugeftan=
ben. 3BiI^eIm fonnte feinen ^ang gum ^ourmac^en unb
^ofettiren nie unterbrücfen, unb loenn aud^ fold^e 2:änbeleien
nid^t fo üerbängni^üolt maren toie je^t ^arolinen'^ ent='
f(^iebene§, au§fdE)Iie^tid^e§ ®efü|I, fo ftörten fie bod^ öon
Einfang an bie ©id^er^eit unb ba§ SSertrauen ber (Sl^e.
Caroline madf)te i^m feine SSormürfe unb lie^ i|n getüä^ren;
aber me^r a(l greunbfc^aft unb 2reue glaubte fte i^m nun
aud) nid^t fd^ulbig ju fein. ®iefe gelobte fie fidf) i^m ju balten,
h)a§, mie e§ fdjeint, ©d^eding'S männlid^ ftürmifc^e Siebe
i^r äumeilen fctiroer mad^te. 5lber bie Srauer um ben Sob
be§ geliebten ^inbeg flimmte fie jur ^emutt) unb (Sntfagung.
©rabe it)re S3riefe an Sßil|elm, ber o|ne fie narf) Berlin
Sob. 381
überfiebelte, um bort SSorlefungen ju galten, finb julueilen
öon jarter unb rü|ienber SBeljmut^ überftrömt. „'^dj bin
nun fro^", fdirteb [ie i^m au§ S^na, lüo^in fie im grü^"
ja^r 1801 5urürffe^rte, „^ier 'ba^ ©rfte überftanben ju
]^aben unb öerlaffe mic^ für ba§ ^^^ünfttge ru^ig auf
2)eine greunbfc^aft unb bie ftiHe ©ematt meines eignen
guten (SJemüt|§. ®iefe »uerben fc^on mieber etlnag bilben,
€in ^üttdjen anbauen unter ben Krümmern alter ^errlid^«
feit. D mein (^reunb, \d) baute oft unb ri§ oft ein. ®iefe§
finb nun bie legten ^ii-'eige, B'ucige ber lueinenben 5ß>eibe,
bie ic^ über meinem Raupte jufammenflei^te, um unter
i^rem ©(Ratten ben ^benb ju erlüarten."
Unb tia fie fi(^ n^egen t)erme^rter 5Iu»gaben entftfiulbigte,
bie befonberS barauä entftanben umren, baß fie neue ®Iöfer
^atte anf (Raffen muffen, fc^rieb fie in ber unter S^^ränen
läd^elnben 5trt, bie t^r eigen war: „3«^ badete baran, luie
jDu mid^ mit bem erften fplenbtben (Sinfauf ber (SJIäfer
nerfteft unb mu^te läd^eln, \va§ awd) ebenfo ein Söeinen
l^ättc fein fönnen, über biefen Siefrain be§ ©efc^icfy; ®u
luirft gemiB uneber finben, ba§ ic^ ju ütel gefauft J)abe.
^ä) lueife uic^t, luarum eS mir immer mit ben ©läfern fo
ge^t. Siefeg foH nun geiui^ ni^t mieber fo balD brechen."
©g ift ein '»^Ibergtaube, ba^ man nic^t ba^in jurücffet^ren
foH, Wo man einmal fe:^r glücfli(f) ttiar. 9'Jur fünf Si^re
njaren oergangen, feit Caroline an SBUbelni'S Seite frö^Iic^
in Sena einjog. ^e^t tvai Stiles ebenfo traurig unb ba§
^erj jerreifeenb tt)ie oor^er Seben unb Hoffnung f(^lue(Ienb.
®a§ |)au§ loar Oeröbet. 2l(Ierbing§ traf fie ©dietling, ber
noc^ feine ^rofeffur innel^atte, unb bie alte giceunbtn Suife
©Otter fc^icfte i^re 2;öci^ter, bie ©pielfamerabinnen ber
tteinen ^ugufte, ju 33efu(^. Slber njie bitter mußten grabe
tiefe fie an baS eigne ^inb erinnern, unb nne üiel pein«
382 . Sob.
It(f)em ®erebe fetjle [ie fic§ burc^ if)ren SSerfe^r mit Sd^elling
au§, be[onber§ ha tl)re getnbin ©orot^ea fie fceofcad^tete.
griebrtc^ fing bama(§ an, S5orIefungen über ^^ilofop^ie ju
Iialten. ^m ©enate ber ^rofefforen ^tte er irenig greunbe;
hit 5llten f)atten je^t gefiegt nnb bebienlen fic§ i^rer SJiac^t.
93ei ber Disputation, bie feiner §a6ilitirung öoraufging,
brängte man i£)m Opponenten auf, bie hit ©ac^e öiel ernfter
nahmen, al§ üblich luar, unb öon benen einer bie Saft«
lofigteit !^atte, griebric^'S „tractatum eroticum Lucinde"
aU 33eiuei§material gegen t§n ^eranjujie^en. griebric^ be*
n)ie§ bie ganje geintieit unb SBürbe, tit ii^n bei folcfien
®etegen|eiten immer aU ben Ueberlegenen seigten, bebeutete
bem betreffenben Spanne ru^ig, ha^ er ein S^iarr fei unb
t)atte alle (Sinfic^tigen auf feiner ©eite. S3ei feinen SSor-
trägen inbeffen fc^abete i^m bie fdiioere 3)?affe feineg ®e-
^irn§ unb fein SJiangel an SSirtuofität. @r n)ar öiel ju
grünblic^. (Sr langtreilte bie Su^öxex mit feinen tuü^tenben,
grabenben 2)enfoperationen. ©egen ©(fielling, ber öiel un»
bebenflic^er unb jmeifellofer breinfufir, bem aber, mie 9cü0ali§
einmal fagte, bie „loo^re ©tra^Ienfraft uon einem ^unft in
bie Unenblic^feit" eigen tüar, fonnte er nid^t auffommen.
@r erlitt eine entf(^iebene 5JJieberIage. ®ie S3itterfeit, bie
ta^ einf(f)Io§, tuar um fo empfinblic|er, aU ©d^etting
^aroIinen'S greunb lüar, §njif(i)en i^r unb 2BiI§eIm, g^iebric^'S
33ruber, ftanb. 2Beit mel^r aU ©d^eHing ^atte Caroline
unter biefen S^erljältniffen ju leiben. Dorothea, beren mit
ber 3eit nur unbebingter luerbenbe 5lnbetung i^ren Tlann
für atle aJJi^erfotge braufjen entfd^äbigen mu^te, jog it)n
au(f) baburc^ immer fefter an fi(i), ba| fie i^n öollenbg öon
Caroline trennte, ©eine 93efu(^e bei ber einft fo geliebten
unb oereljrten grau tourben immer feltener, bie SBorte, bie
gemec^fett mürben, immer fcf)ärfer unb üerle^enber. Saro-
Job. 383
Iinen'§ ^ietätooUer Sinn litt barnnter. „9JJir ift felbft
oft", \ä)mh fte an SSilljelm, „aU fönnte iä) nic{)t ru^ig
fterben, oiine mic^ mit it)m 511 Oerfte^en. SBenn fie [SDoro»
ti)ea] nur S^manb tobtf dalagen tuoHte, e^e id^ fterbe."
Caroline fonnte in ber 5lbneigung fo ^ingebenb unb
auSfd^Ite^Iid^ fein ft)ie in ber Siebe.
2Bie e§ nun tarn, ha^ ha^ 58er|ältni§ jUtifcfien SBili^etm
unb Caroline bo(^ nid^t in biefer 2Beife beftelien blieb, ift
im (Sinjelnen f^wer ju fagen. ^m ®runbe freilief) lüärc
e§ njunberbarer, n)enn e§ unter fold^en Umftänben ^ätte
bauern fönnen. ©d^etting'ö ungeftümem unb l^errifc^em
SBefen \vax ha§: Waa^, l^a^ S^aroline beobacf)tet n^iffen
woHte, unleiblii^. Unb im tiefften Snnem ftrebte fie ebenfo
leibenfd^aftlid^ 5U il}m mie er ju i^r. Tlan fü^It au§
jebem SKort ber Briefe, bic fie an it)n gerichtet ^c\t, ba^
fie je^t jum erften Walt eine öotte Genüge in ber Qkbe
fanb; ba^ i^r enblicö bie überfc^mänglic^e ©rgänjung ju
X^eit gelDorben luar, nad) ber fie fid^ gefeint |atte. SBie
I)ätte fid^ babei ber «Schein ^ufriebner ?^reunbf(f)aft aufredet
erhalten laffen, gumal ha S3eibe an bemfelben £)rte lebten!
2)a^ SÜSil^etm, toenn er auc^ feinerfeit§ natürlich öotle
grei^eit genofe, ber ©ebanfe an ^arolinen'g Umgang mit
©d^eÜing, folange fie feinen S^Jamen trug, bod^ eben nid^t
angenehm war, läfet fid^ benfen. Dbfc^on er e§ nic|t änderte,
»erriet^ feine ©eret^tljeit tod) @iferfud^t. SSielleit^t mar
fie ibm noc^ je^t me^r, at§ er il^r je |atte fein fönnen.
Um ha^ gute ©inoerne^men neu ju befeftigen, befud^te
Caroline i^n in Sßerlin. 5tber grabe ha geigte ftc^, tük
fe§r fie fic^ fd^on auSeinanbergelebt Ratten. S)er öeifall,
ben SBil^elm'g SSorlefungen gefunben Ratten, mod^te feine
(Sitelfeit nod^ gefleigert traben. @§ mißfiel SlaroÜne, ha^
er gar fo oie( ^^it „mit SSafc^en, dämmen unb Slofettiren
384 2ob.
brauf gelten lie^". S8er>uöt)nt buri^ bie Steben^iüürbtgfeit
ber 33erlinei; fd^öngeiftigen S)amen, irar feine (Smpftnblid^-
feit gegenüber ^arolinen'^ aufrichtiger ©rab^eit auf'§ ^öc^fte
gcret^t. äRöglid^ ift e§ an^, ha^ fie fic^ burc| offenfunbtge
Stufmerffamfeiten, bie er öerfd^iebenen 2)amen ertoieS —
%kd'§ ©t^iüefter Sopiiie S3ern^arbt luar barunter — ocr«»
le^t füJ)Ite. ^urg, lüä^renb t^re§ bortigen Seifammenfein^
fd^eint e§ i^nen flar gemorben 5U fein, ha'^ fie biefem
^roiefpalt bur^ Sc^eibung ein ®nbe machen müßten.
@ie Ratten hahei einen mäcJ)tigen |)elfer, ber aber nid^t
genannt fein moffte. @§ toai o^ne ^^ueifel @oet^e. 2)ie
goffung be» ®efu(^§, t)a§ fie bem ^erjog einreichten, bie
^Darlegung ber S3er[}äüniffe, mar öon i^m berat^en. Sie
beriefen ftc§ auf bie 00m ^erjoge fur^ guoor öolljogene
@cJ)eibung be§ ^rofefforg SJiereau oon feiner ^xaü — ber
nacf)maligen @attin S3rentano'§ — , hk gleid^fatl§ feinen
onbern ©runb aU mangelnbe§ ©inoerftänbni^ angegeben
Ratten. Um 17. Tlai 1803 lüurbe bie ©d^eibung aul-
gefprod^en, unb bereite am 26. ^uni mürben ©(^etting unb
Caroline öon feinem SSater, ber ^rebiger mar, getraut.
@c^elling'§ junger $Ru^m muc^§ fd^nell. ?tber mit ben
6£)ren, bie eine beneibenömert^e Stellung eintrögt, nahmen
aud) bie SInfeinbungen ju. ^e me§r leibenfc^aftlicije 'Hn-
länger er gemann, befto erbitterter mürben feine ©egner.
2tn t^rer @pi^e ftanb berjeuige, ber bi§ üor bürgern ba§
atieinige ^aupt ber ^^ilofoplien gemefen mar, gicfite, aU
beffen ©cEiüIer unb greunb @ci)elling feine Saiifba^n be-
gonnen ^atte. 3I[tmöItg tjatte fic| ba§ SSer£)äItni§ geänbert.
211^ gierte im ^a^xe 1801 feinen fonnenflaren S3erid^t
über ha^ SBefen ber neueften 1]3^itofüp^ie erfc^einen liefe,
parobirte ©c^eKing, ber Carolinen ba§ 53üd^Iein öorgelefen
l^atte:
lob. 385
3tt)eif(c an ber Sonne ßlarf)eit,
3tt)eifle au bcr Sterne Sicf)t,
Sefer, nur an meiner Sofirfiett
Unb an beiner 3)ummt}eit nid)t.
2)te le^te 3et(e, bte bem (S(^er§ erft feine anmutl^ige
Spi^e gtebt, machte Caroline, ©oet^e, bem Sc^edtng ben
orttgen 2Bi^ fetner greunbin mitt^eilte, J)atte fein ^erjtid^eS
Vergnügen baran. S3ei fold^cn {)armIofen Späten blieb e§
ober nic^t. Sluf Sit^te'l immer gel^äffigere Eingriffe ant-
tüortete 8c^elling im ^al^re 1806 mit ber „Darlegung be§
föalren SSer^ältniffeS ber Diaturpljilofop^ie gu ber öer;
beffecten gic^te'fc^en Se^re". §ier befi^ulbigte er Sichte,
t)a^ er oom ©eifte ber 3fiaturp^Uofop§ie in feine eigne
Se^re nnfgenommen ijaht unb fie nur ht^^alh befc^impfe,
um §u bemänteln, n)ie er fid^ burd^ fie bereid^ert f^aht.
SBenn t^ic^te gefagt ^atte, ba§ @t)ftem nüchterner (Srfa^rung
fterbe ab, haS^ Softem uniber Sc^märmerei mit aK feinen
orbnungjerftörenben folgen beginne bie graufe |)errfc^aft,
entgegnete ©c^etling, 5ic^te'§ @efül§I gegen W 9Zatur fei
ba§ be» ro^eften unb öerrücfteften 5I»teten, ber fid^ in
fpi^igen dornen tüäfjt, nic^t au§ ^eiügfeit, fonbern um
bamit feiner Un^etligfeit unb Unreinheit 5U entfliet)en.
2)a§ mar benn aHerbing§ n)o£)I ber tuefentlid^e unb un=
überbrücfbare Unterf d)ieb, ha^ ©c^eHing eine 9Jatur mar
unb Sichte nid^t, ha^ in Sd^eding t)u dlatnv backte, ft)ät)renb
gierte nur bie 9Jatur beuten fonnte. Dber ha^ in gtd^te
ber Ouell be§ Unbeiüu^ten mit einem unbetüeglic^en Steine
öerfi^Ioffen mar, mä^renb er in 6c^etting, nur allju \äi)
manchmal, auffc^äumte.
®o !am el, ba§ fie oon Eingriffen auf i^re SSerfe unb
SJJeinungen ju Eingriffen auf bie ^erfon übergingen, gid^te
lüarf ben 5Jiaturp^ilDfop£)en üor, fie beraufd^ten ober be«
§uc^, 3lomamiter. 25
386 3:ob.
geifterten fid^, tüenn bte Einfälle ntcöt rec^t fiteren tüollten,
burc^ ^^ijfifd^e SietjmitteL ©cöeHtng glaubte, ba§ ba§ auf
{i)n gemünjt fei, ha grabe btefer SSerbacfit üon feinen Geg-
nern öfter! gegen itjn geltenb gemodjt luurbe. @§ tourbe
if)m fogar ^iropl^ejeit, tüie er felbft fagt, ba§ er nur noc^
tuenige ^a^re ju leben fjabe. Qn biefem traurigen (Streite
mar Sc^elling, aU ber SSörmere, am meiften ju bebauern.
S^m t^at e§ wtf), ba§ bie einfüge SSereörung unb i5reunb=
fd^aft in biefe bittere ©ntjtreiung öerlüanbelt Sorben toar.
®oet|e§ fortbauernbeg, ^erjlic^eg Süßo^ittüoIIen fonnte
i^m eine überreicfitid^e (Sntfd^äbigung fein. 3lu(f) brachte e§
Carotinen'! magnetifc|e§ (55emüt£) juipege, bo^ in DJtünd^en,
Uio ©d^eHing im '^a1)Xi 1807 eine ^rofeffiir angenommen
]^atte, fi(^ n)ieber ein (5i^eunbe§frei§ um fie ^erum bilben
5U toollen festen. 5lber ber alte ©c^tüung toax niefit barin.
'ülüd) föenn fic^ bie ^reunbe au§ ber ^enenfer Qtit luieber
btiden liefen, rtJoHte bie früf)ere Steubigfeit nid^t me§r
auffommen.
@d^on W äußeren bebrol^Iid^en 3ettereigniffe öerfc^eud^ten
bie eJiematige ©orgtofigfeit. Surj bebor ber ^rieg ^ena
^eimfu($te, befurf;te ®rie§, ber Ueberfe|er, Caroline in 2Bür5=
bürg, föo @rf)elling§ bie erften Sa()re nad^ il^rer 5ßer^eirat|ung
jubracfiten. „(Sr reifte nad^ ^eibelberg", fd)reibt STaroIine,
unb ging oon Sena n^eg, in ber 5J^nung unftreitig, bafe
beffen 9htin na^e luäre, rt)ie man tüol^I ©törd^e unb anbere
]§äu§tid^e SSögel öorempfinbenb bie (Stätte Oerlaffen fiel)t,
bereu SJJauern unb Stürme näd^ften§ in Sd^utt 5ufammen=
fallen foHen. SSie l^ot mir felbft fc^on ha^ |>er§ um S^na
unb alle friebüd^en ^ügel geblutet!"
^n ä^fünc^en fe^rte SBil^elm mit i^xan ö. Stacf, in
bereu 93egleitung er reifte, in ©ct)elling'§ |)aufe ein. ©eine
rittertid^e Gorreftfieit unb SlaroIinen'§ 2;alent ju lieben er=
Job". 387
mögltc^ten einen unbefangenen, \a fremibfd^aftticfien 5Serfef)r,
SSon ©d^elling \vai WiUjdm unjertrennüc^. Slein 5tugenbli(f
ber Spannung tvax tro| ber petnlid^en SSerfötcfelungeu
glüifc^en btefen betben 9}Jännern geiuefen. (Sine Zeitlang,
tuä^renb bie ©(Reibung im (Sauge mar, trotten fie naä)
(Sin[teIIung be§ 33rtefuiec^fel§ älinfd^eu SSiliielm unb S?*aroIiue,
alle§ gefdjäftlid^e ^Jotfjlüenbige allein mitetnanber öeri^anbett,
niemals bie gegenfeitige ^öflid^feit, 2l(i)tung unb ^'m^igung
beifeitefe^eub. ^u manchen fragen ber ^oe[ie unb ^unft
ful^r ©c^etting fort fid§ öon SSit^elm betet)ren 5U laffen.
gür Söit^elm, ber ä|nlic^ tük na^ griebtic^'S Urt^eit
(gd^teiermad^er, immer in (55efa§r 5U öermelfen war, \vax
bie quetteube 9iatur!raft ©djeHing'S eine (Srquicfung.
2lm (£nbe begfelben ^aijn^ fanben fic^, tiou Statten
jurüdfelirenb, ^ierf unb feine ©d^iuefter ©opl^ie in SRünc^en
ein. (5r ift nod) ber alte, fc^rieb Caroline öon i^m, bie
2lumut^ feiner Sitten t)at fid) nur mit einer geiuiffen
SBürbe üermä|Ü, bie aber abfonberlid^ i^reu (Si| in hen
öon ber (Sic^t gefteifteu 33einen genommen |at. SJiit Sied
5ug{eic^ taud)te eine problematifc^e ^elbiu ber neuen D^omanti!
auf, Settina ^Brentano, mit bereu potenjirter, farriürter
S3efonber^eit bie einfach ftare Caroline fid^ nic^t befreuuben
founte. @§ irar t^r ein merfioürbiger unb jumeilen abfielen»
ber 2tnblid, ba» fouberbar auSftaffirte (S^efc^öpf mit bem
franfen S:ted !o!ettiren unb jugleic^ ben abföefenbeu (Soet|e
anbeten ju fe|en. (Sinen OoHcnbg unüerftänblic^eu unb
roibermärtigen ©inbrud mad)te i^r ta^ fat^olifd^e SBefen,
ba§ bie JReifenben frifc^ üon 9?om ^eimbrad^ten. Xied'S
©d^luefter ^atte in 9fJom bie 9Jiabonna ber c^riftlidjeu
^ünftler-^artei öorgeftellt, gegenüber ber ^eibnif(^en SSenuS
in ber ^erfon ber grau oon |)umboIbt. ®ie ^auptfad^e
babei loaren Stbenteuer unb allerlei Stänfe geiüefen. ^aro-
25*
388 Sob.
Itne, bie in bem ©lauben an it)t etgne§ ^erj nnb im ©ic^«
eingfüljten mit ber Statur, im Jßertraiien, ba| 2lIIe§, tral
gef(f)e^e, gut nnb notl^tüenbig fei, eine fd^öne grömmigfeit
immer fcefeffen §atte, o^ne jemals mit (J^riftent^um gu
fofettiren, fa§ mit S3efremben ©opijie ©ern^arbi ein großes
9tuf§eben tion i^rer ©läubigfeit macfien unb bod^ in bc-
ftänbiger Un^ufrieben^eit unb S5erlüirrung leben.
®o§ (Slüd, ha§ Caroline aU @d^etling'§ t^rau geno§,
Jrar fo bottfümmen, tüie Srbengtüd irgenb fein tann, aber
öon !ur5er S)auer. SSenn nic^t i^re ÄränüidEifeit fie mit
bcm ©ebanfen be§ ^obe§ öertrout gemad^t ]^ätte, fo toürbe
e§ bie <Se:§nfud^t nad^ bem öerlorenen ^inbe getrau l^aben.
SIt§ fie im ^ai^xt 1805 ben Xoh §uber'§ erful^r, mit bem
fie fidfi bei einem SBieberfe^en in 2Büräburg oöUig au§-
gefö^nt ^atte, ^atte fie einen 5;raum, ben ic^ fie in il^ren
eignen SBorten ersäl^ten taffen wiü, Wtxl e§ mir unmöglich
fd^eint, i§n fc^öner lüiebergugeben. „3c^ 9tng burd^ eine
©äffe an einem genfter üorbei, luo |>uber ftanb; id^ fa^
i]§n nur i^atb, ber §ut, ber mir tief in ben 5lugen fa§,
^inberte mid^, ba§ ©efid^t 5U fe^en, aber id^ erfonnte hk
©eftalt, ben Srfinitt ber Kleiber unb eine 3Befte, bie er ju
tragen pflegte, ^nbem ic^ mid^ bemühte, if)n ju fcfjen, öer=
ttjanbelte fid^ ba§ genfler in biejenige ®Ia§t^ür, lueld^e au§
meinem blauen ^immer in ha^ fleinere füJirt. ©r ftanb
ba^inter unb fam |erein. Unfer (S^tifd^ fielet bo je^t, ba
id§ im Sßinter ha§> fleinere 3ioii"cr beiüoi^ne; e§ mar für
brei ober öier luie gelüöiinlid^ gebecft, er fe^te fid^ au§ ber
S:|ür l^ercin mir gegenüber, luir ertnarteten, ba^ ©d^elling
^erunterfäme, unb fprarfien iube^ tu^ig mit einanber, ober
er unb id^ n)ot)I tuiffenb, ba^ er tobt lüar. 3Son {Jreunb"
fd^aft lüar nid^t bie 9tebe. ^d^ frug if)n, iüarum er un§
fo betrübt l^ätte unb id§ n)ürbe gern mit il^m getaufd^t !§oben;
7.ob. 389
benn, ^itber, fagte ic^, i^ ^be bod^ noc^ mdjx im §tmmel
§u fachen tote <Bk. Wix lag Slugufte im 8inn, lüie fie
mir immer gegcnluärtig ift. (Sr fagte, ift ha^ 3^r Srnft,
fo geben «sie mir S^re |)anb — id) gab fie i^m über ben
Xi'id), bie feinige tt)or gan^ lüarm, ba§ fiel mir auf, t)a er
bod^ nid^t lebte, unb l^ierüber njad^te iä) auf."
(Srft öierein|alb Sa{)r fpäter, im ^erbft 1809, ftarb fie
in SJiauIbronn, tüo fie mit if)rem SJianne gu 58efuc^ bei
feinen ©ttern timr. „®ie ganje leiste 3eit ^^r fie lieblicher
unb fanfter aU je", fc^rieb «Sd^eding an i^ren S3ruber
^^ilipp; „i^r ganjeg SBefen in ©ü^ig^eit aufgelöft." Wd^t
mübe n)urbe ber oer§tüeifeIte 9JJann §u fc^ilbern, mie ^imm=
lifd^ öer!(ärt fie im $:obe geftiefen fei, öon ireldöer Slnmutl)
befeelt ber erlöfc^enbe Slörper. S|re ftet§ melobifdie Stimme,
fagte er, töne toie fanft geftimmte |)armonifagtocfen, tüie
geiftige klänge, immer in feinem C^erjen fort.
Stuf it)r ®rabmal lie^ ©c^eHing bie Sßorte fe^en: „@ott
^at fie mir gegeben, ber S^ob faun fie mir nic^t rauben,
©ie unrb luieber mein »nerben ober öielmeljr fie ift mein
aud^ in biefer furgen S^rennung."
@in ÜJiann üon fo finnlid^er SfJaturfraft fonnte Siebe
auf bie 3}auer nic^t entbehren. Tia(^ einigen Sa§ren üer=
l^eirat^ete er fid^ mit ^auüne ©otter, ber jüngften ^od^ter
öon Slarotinen'l alter f^reunbin, beren greunbfc^aft unb
SSeref)rung er toie ein SSermäc^tni^ ber Sßerftorbenen über»
fommen ^tte.
(Sin ^a^i nac^ ^aroünen'l Sobe ftarb in 9Künd§en
noc^ ein ?(uge{)öriger be§ greunbeSfreifeg ber Sfiomantifcr
in ^tna: 9iitter, ber noc^ im engen SSerfe^r mit S5aaber
bie eigent;^ümli(f)ften 33eoba(^tungen auf bem ©ebiete ber
9ca(^tfeiten ber 9iatur gemacht ijatte unb jum ©ntbecfer bc§
Unbett)ufeten geiuorben n^ar. i^on ben Uebrigen trafen fic^
390 Sob.
ätt)ei: ©c^teiermad^er unb ©teffens, in |>alle tüteber, wo
Steffens ^rofeffor getüorben tuax. §alle mar eine Stätte
ber (Srinnerungen: am romanttfd^en ©iebid^enftetn , tüo
3ftetc^arbt lüo^inte, Xtecf'S Sc^mager unb ©teffenl' ©d^meger'
dater, f)atte bte ^offenbe Sitgfnb utnJ)ergeic^rt)ärmt mt auf
bcn ^ügetn oon ^ena. §ier l^atte Zkd tu feiner ©tubien-
seit mit bem särttid^en SBacfenrober befeltgcnbe geierftunben
ber Jreunbfc^aft öerlebt. 5tud^ je^t burd^ftreiften l^ier too^
©df)Ieiermac^er unb ©teffen§ in angeregten, ja begeifterten
@efpräct)en hie ©egenb. 2(6er ©c^Ieiermac^er'S S3a^n ^atte
bie 9iomantii nur eine SKegftrecfe taug begleitet, um bann
eine ganj anbere 9tid^tung ein^ufcEiIagen. ®ie für t^n
h)efentli(^e Qdt, föo er fic^ fo bilbete, wie er auf bie 3^od^»
tvtit gefommen ift, lag nod^ öor i^m. ©teffenS, obrt)D|t
aud^ er noc^ ein langes Seben öor fid^ ^atte, betrad^tete
hk Sa^re in ^ma immer aU bte f(^önfte unb reic^fte
(Spoc^e feines SebenS, als hit Slüt^e ber S«genb, SDaS
jä§e (Snbe, bie Dottftänbige innere unb äußere ^e^'f^i'euiing
machte bie 9tüderinnerung an biefe 3ett un^ fo fd^merjtid^er
unb jugleid^ um fo lieber, ©ie erfd^ien ifjm mie ber Sf}urm«
bau äu S3abel, ber aufgegeben tourbe, toeil bie ©prac^e ber
Strbeiter ficf; untereinanber öeriuirrte unb fie fid§ ined^fc^
feitig iii(^t me^r üerftanben. „Sift bu ber, mit bem id^
mid^ bereinigt tröumte? fragt (Siner ben 5(nbern. S<^ fenne
beiue ®efid}t65Üge nid^t mei)r, beine SBorte finb mir unüer»-
ftönbtic^, unb ein jeber trennte fic^ in bie entgegen gefegten
SBeltgegenben — bie meiften mit bem Söal^nfinn, ben Sabel-
t^urm bennoc^ auf it)re eigene SBeife 5U bauen." ©0
fd^reibt ©teffenS im 3ai)re 1814 an Siedf.
SSor allem erfd^ütternb traf i^n ber üoHe (Sinbrud ber
SSeränberung, ats er 1811 Qena n)ieber befuc^te. (Sr füf)Ite
fic^ n)ie auf einer SBatjtftatt ritterlicher geiftiger Kämpfer.
%ob. 391
Slber Don 'Tillen fanb er nur ben üeinen ©rteS tuieber, ber
bie liebgeluorbene ©egenb, imd^bem ber ^'rteg üorübergeraft
luar, getreutid^ luteber aufgeflickt I)atte. „2I(§ id) in hit
jierltc^e Stube |tnelntrat, erf(f)rat i<i) ^efttg; benn Sc^ränfe,
Stiege, ©tüf)Ie, 53üi'ten ftanben grabe luic 5eJ)n ^a^u früt^er,
biefelbe iD?agb begrüßte mid^, unb ber fteine Sid^ter mit
bem gelben 2eint uub bcn jdjiüarsen Stugen fa^ noc^ ha,
@r unb feine Umgebung erfc^tenen mir faft irie einbatfamirte
Seichen au§ einer fc^önen lebenbigen ^eit." S" ftiif^ anbren,
in erhabener SBeife fleüte i^m ©oet^e ba§ ^Bleibenbe im
SBed^fel bar. ör luar berfelbe geblieben, aber ftetig iüac^=
fenb mit feiner Sdt, fo ba§ er immer gleid^ leben^öoK unb
gleich gro^ erfi^ien unb feine ©eiuaü über hk ©eifler nic^t
abnahm.
SBieüiel jugenblic^er erfc^eint biefer langfam fid^ be=
tucgenbe, tuürbeöoUe ®rei§ aU bie ehemaligen ©ötterbuben,
SSil^elm unb griebric^, ha fie eben erft tk ®ren5e be§
2tltern§ ftreiften! SSenige SSer^ältniffe tiaben fo biel tragifct)e§
lüie ber 3(u§gang biefer S3rüber. ©eitbem 2öill)elm nac^
S3erlin, griebrirt) mit Xorot^ea nad^ ^ari§ ging, §oben fie
nie me^r bauernb jufammen gelebt. 2)ennoc^, luie unöer-
ftänblid^ unb unerfreulidf) für SSil^elm aud^- griebric^g
Uebertritt jur fat^olifc^en ftird^e war, hielten fie an bem
olten S^eal ber S3ruber-@in^eit be^arrlii^ feft. 2öi[^elm,
ber o|ne ^äu»Iic&feit mar unb meil ibm fein eigner UrqueU
im Innern fprubelte, auf frembe geiftige ^ufu^r angemiefen
war, |ättc, obiuo^I praftifc^er unb äuf]erlid^ lueit glänäenber
geftellt a(§ griebric^, be§ |)a(te§ ber greunbfc^aft hod) niel
me^r aU biefer beburft. 9tü^renb ift ba§ lange ©ebic^t,
ta^ er ben i£)m unrettbar entfc^roinbenben, fic^ entjietjenben
S3ruber nachruft:
392 Sob.
„O 5Bruber, mir ent30(]eu
3)urc(i frember Siinbcr SSciten,
©0 umjern einc3ebü)5t."
®te '^atüx |abe )'ie be^^atb gepaart unb ju S3rübern
gemad^t, fagt er in bte[em ©ebid^te, ba§ fie bem einen
gegeben f)abe, iüa§ bem anbern gebreche. (Sine Stinbe l^ält
fie umf d^Ioffen , einen Söanm bilben fie, aber ^^riebrid^ fenft
bie SBurjeln in bie (Srbe unb fangt ^JJal^rung für beibe,
Söil^elm ftrecft im SBipfel tiebeöoK ben ©efttrnen, bem 9(et^cr
bie Strme entgegen. S)iefer ^intrad^t berbanfen fie ba§ ©e-
beiden. S)ie ga^rt tn'§ offene 9Jieer tüoUen fie nun toagen:
griebric^ fott 'öa^ ©teuer lenfen, er felbft lüiff naifi bem
SSetter fpä^en unb hu ©egel rid^ten. Ober griebrid^ foH
hie eblen ©rje au§ ber Stiefe förbern, er felbft luitl fünft-
Itc^e ©dualen barau§ bifben.
SiJa^rer unb feiner fonnte bie ?caturüerfd^ieben^eit ber
$8eiben nid^t auSgebrücft luerben. Unb gett)i^ ^atte SBil^elm
ben Vorüber in biefen S3ilbern nidit bie fdf)Iec^tere 9toIte
fptelen laffen. 3lber ©orot^ea, unfähig ben @tnn ju faffen,
tvax betetbtgt, ha'^ i^r griebridj bie fc^Ied^te SBurjel be§
S3aume§ fein foHte, n^ä^renb SBil^elm bie ^rone für fic^
behielt. Unb unter biefem gutgemeinten, bod^ nid^t guten
©inflnffe ftel)enb, öerfannte aucEi griebridE) hk SBatjr^eit unb
feine (Snuiberung be§ ®ebid^te§ entbel)rt ber unbefangenen
Snntgfeit, obiüol^t er ftoI§ bartn bettjeuerte, baf? ber 'i)o'i)t
Sruberbunb t^m ha§ einzig geftfte|enbe unb ©rprobte in
ben ©türmen be§ Seben§ geblieben fei. ®a nun einmal
bie SBiüigfeit ber Siebe fehlte, mad^te firf) bie bor^er aU
fo mtUfommene ©rgänjung empfunbene iSerfc^iebent)eit nur
nod^ aU 2tnber§fein unb unberföf)nlid^e§ 5Ut§einanberftreben
gettenb. 3lber öon beiben ©eiten tuurbe ha§: ängftlid^ öer=
fd^tüiegen. 3Ki(^eIm machte nod^ einmal einen |)eirat^§öerfud^,
Job. 393
ber ftäglicf) fe|If(^üig. ©eine @£)e mit ©opl^ie ^autu§, ber
S^oc^ter öon ©orot^ea'l einftiger t^^eunbtn, ging fd^on nad)
einigen S^agen in ber ^äfslic^ften 5trt au§ einanber. ^n btefer
peinüollcn ^eit ^^ar griebrid; bem unglü(f(id)en Sruber reid^=
lid^ mit 9iat^= unb S^roftbriefen jur .f)anb, in benen er für
SBil^elm'^ ©efc^macf nur öieHeid^t 511 ^äufig barauf £)inuiie§,
ba^ bie fic|er[te ^ülfe unb Serutjigung im @ebet ju finben
fei. ©ergleicfien Diebelüenbungen mod^ten ben alten j^i^eunben
anftöfjig fein nid^t nur, menn fte fie mit feinen früheren
Ueberjeugungen, fonbern borjüglid^ lüenn fie fie mit grieb^
xid)'^ gegeniüärtigem Seben liergtid^en.
3ur 3fit oI§ er nod^ in ^öln mar, öerna|m man frf)on
öon 5riebri(^, er l^abe Slntoge, ein J;le|erOerfoIger 5U luerben
unb fülle faft fd^on fo fett, bequem unb fd^melgerifd^ »nie
ein ÜJiönd^ fein. (S§ ift bejeid^nenb, ba§ Sorot^ea einmal
bie i8emer!ung mad^te, fie fürchte fid^ öor nid^t§ fo fe^r,
aU bem 9JiateriaIi§mu§, unb e§ gel^e il^r bamit tüie beu
Seuten, t)k \id) öor (5iefpenftern fürcE)ten unb immer lueld^e
ju fe^en unb 5U ^ören glauben. Sn t|m luie in itjr !§otte
immer bie Öiefa^r biefer Uvt be§ Stufend gelegen. 2)ie
grömmigfeit, an bie fid^ ®orDt|ea mit üerboppelter Stengft»
lid^fett ftammerte, ba§ S3eten, H)Jeffe^örcn, ^iri^enbefuc^en,
fonnte ha^ geiftige Sal^mroerben uid^l öert)inbern uod^ öer-
ptlen. 5II§ Henriette ^erj hit ^ugeubfreunbin 1811 in
SSien ft)ieberfa^, fanb fie ein äufriebenftellenbeS SSerEiältnif?
— „aber mo^in mar bie ^oefie entfd^munben, meiere iia^
frühere, öon ber SSelt fo oerpönte burd^brungen ^atte! —
(Sine§ 3lbenbl mar 2)orottjea teibenb. ^(^ fafj bor i^rem S3ett.
SKir Kapierten beibe ein menig dor gieberfroft. ©dEiIegel
faf5 un§ gegenüber an einem Sifc^e, a^ Drangen unb (eerte
baju eine gtafd^e 5llicante! ^ä) meifj nicf)t, ob er aud^ un§
baburd^ Don einiger füblid^er ®Iut§ ju burd^^aud^en fuc^te."
394 Sob.
deiner oon feinen e^öenmltgen greunben fonnte ben alten
griebrtd^ in i^m irieberfinben. ©r \pxa<i) in einem mtjftifc^
meffianifd^en 2one, l^ielt bunfel öerjc|nijr!elte, unerqiiicftid^e
S^orträge, bei benen ber Ijoi§e fatJ)Dlif(f)e Slbet oornc^m unb
oerftänbnijärog ^uljöite unb lie^ ji(^ nid^t |erbei, auf bie
^been ber 3lnbern einjuge^en nod^ ben ©inn feiner eigenen
begreiflid^ 5U niod^en. (ginige Wönd)t, einige überfpannte
junge Seute, einige Samen, bie feine Salbung unb feine
priefterlic^e @rf(^einung übenuältigte, bilbeten feinen intimen
i)äu§Iid^en SSerfel^r. 9J?an nal^m an, e§ fei i^m im (Srunb
nid^tg einft, al§ ob ber SSein gut unb ba« (Sffen gerat^en fei.
Snbeffen lüurbe er öfterreic^ifd^er Diplomat, erhielt öom
^apft ben G^riftu§ürben unb erneuerte ben alten gamilienabel.
SBel^müt^ig fte§t man jurüd auf feine mübeooü ringenbe
Sugenb, mo fein ^oc^fafirenber ®eift bie ganje SBelt in bie
©d^ranfen rief. SBenn er in feinen legten SebenSja^ren tk
Sriefe noc^ einmal ]^ätte lefen fönnen, bie er all Jüngling an
feinen Sruber richtete, ob fie i^ jurSBe^mutl^ ober gur Tronic
geftimmt Ratten? „@§ fommt nur auf bid^ an, ein großer
9Kenfc§ 5u werben." „SSa§ fönnte n)o|I e^er bie @onne
bc§ Seben§ genannt lüerben aU ber (£nt^ufia§mu§ ober
bie Siebe? ^ä) roü^te nid^t, 5U uia§ ein 5llter o^ne fie
lebte, all etma feinen @eift ftücfiüeife abfaulen 5U fe|en."
„@§ giebt nur ein unbebingtel ®efe| — SSernunftein^eit;
nämlic^ ha^ ber freie (Seift ftel§ ftege über bie 9latur."
®a§ füllte in ber ^unft gelten; aber ift nic^t auc^ ba§
Seben ein Sunftmerf? ©ein Seben ift ein traurigel 3J?ärc^en,
rao bie Siebenbe ben üennünfd^tcn ':Prln5en nidjt |at erlöfen
fi^nnen unb er nun fernerhin aU ein bumpfe§, gierige!
S^ier, haS' in ber ©eifterftuube ftc^ qualöoft feiner Ijofien
S3eftimmung unb fc^nöben (Srfi^einung bemüht luirb, ben
3auberuialb burd^irren mu§.
2:ob. 395
@ü traurig ouc^ bte erjiuungene greunblc^oft tvav, bte
SBtl^elm unb griebric^ etnonber noc^ üorfptegelten, tiefe
©efc^td^te [oHte gans untröflltc^, ganj uuoeri'ö^nlicf) enben.
^adjttm bte jerrei^enbe ^^einbfeligfeit erbitterter Siebe oft
genug au§ i^ren Briefen gettungen f)alte, fam e§ fd^Itefjüd^
ba^in, i>a'^ SBil^etm betn 33ruber in einem nierhuürbigen
©abreiben bie atte greunbfd^aft |3erfönli(^ auffünbigte:
„33et ben nodö freien 9^ömern pflegten SJ^änner, bie at§
greunbe miteinnnber gelebt unb gemeinfc^aftlic^ geioirft Ratten,
n)enn fie nun nad) i^rer Ueberseitgung oon ben öffentlid^en
5lngetegenl^eiten fid^ trennen unb einanber entgegenluirfen
muf3ten, i^re ÖJegnerfc^aft fic^ förmltd) aufjufünbigen. 5)ie§
t^ue icf) ®ir je^t a(§ ©c^riftftetler. '^Jlad)t 2)irf) barauf gefajst,
nä(f)ften§ Eingriffe öon mir auf ©eine fpäteren ©d^riften,
mit ober otjne meinen 9Zamen, in ©eutfcfclanb ober au^ioärtS,
mit ben SBaffen be§ ©c^erje» ober ernfter SBerebfamfeit an§
Sid^t treten gu fe§en. Db bie $Römer babei bie gefeßigen
SSer^ältniffe be§ ^rtüatteben§ öorbe^alten, lüei^ iö) ntd^t.
Sd^ bin aber ber SJJeinung, i)a% man c§ t|un tonne unb
muffe, unb lüenn 2)u mir burc^ einen 33efud^ bie belegen-
l^eit baju fd^affft, fo tt)erbe id^ e§ burd^ bie Si^at belüeifen
unb an ber brübertid^en 9lufna|me i\id)i§ feljlen laffen,"
©ans ber alte SBil^elm: ettüa§ gefpreijt aber ntd^t
gejc^madlol, unb fo correft! 5tIfo aud^ je^t nod^ friftete
bte iöruberliebe ein trübfelig erlogenes ©d^attenbafein. 2Ba§
ben enbgültigen Sritd^ tierbeifü^rte, Juar eine fümmerlid^e
©elbangelegentjeit. SBU^elm ^atte im Saufe ber Sa£)re bem ftet§
bebürftigen SSruber ®elb geliehen: nun auf einmal forberte
er eine noc^ auöfteljenbe @rf)ulb gurücE. @§ mod^te il^n
fränfen, bafe griebricEi nocJ) 9?u^en oon i^m sieljen, bo er
bo^ fonft nic^ta mei)r üon i^m luiffen iuollte. S)a nun
j^riebrtd^ fid^ anfteUte, al§ l)abe 2BilI;eIm faum einen 3tn-
396 Job-
fprucf) auf haS» ©elte^ene unb fic^ burcf)aii§ nic^t au§ feiner
Bequemen öorne£)men 9tu^e bringen (te§, erbitterte [id^ 2BiI|etm
met)r unb me§r. ®arü6er jnurben bie 93riefe, hit in biejer
erbärmtld^en Sacfie ^in= unb l^ergingen, fpi^er unb fältcr;
einige SO^onate üor feinem ptö^tic^en Xohe, im (September 1828,
empfing griebrid^ ben legten, ben er nic^t me^r beantwortete.
®a§ SBenige, ma§ 2BiI^etm öffenttid^ über feinen Vorüber
öu^erte, derrät^ nod^ üon ber früheren Siebe unb bem nie
§u üerminbenben ©d^merj über i^r 3Iu§einanberge^en. ^u
einer 3fit, af§ bie Uebertritte jum Sat^oIiäiSmuS junal^men
unb man auc^ SBit^etm gan§ ungerec^tern^eife bafür oer=
antiuortlid^ machen iPoHte, Ijielt er e§ für geboten, fic§ über
feinen ©tanbpunft öernel^men §u laffen. ^nbem er nun
baöon fprarf), tüie man fid^ burc^ SSerjid^t auf bie freie
gorfc^ung gleid^fam ben ©ebrauc^ ber eigenen 3(ugen opferte,
fu^r er fort: „SRand^er ^at t)ierbei nic^t öiel ju öerlieren,
lüeil er fc^on §uöor b(öbfic|tig mar. Sßenn aber einmal ein
SIbler, üon ber 9?atur beftimmt, gerabe in bie ©onne ju
fd^auen unb mit au§gefpreiteten gütigen fid^ if)r entgegen^
äufd^iuingen, luenn biefer fid^ mit feinen eigenen 0auen
blenbete, ha^ lüäre in ber 3:[)at ein beftagenlirert^e^ @d^au=
fpiel." SCSieöiel ber^altene 2iehi fprid^t au^ biefen SBorten,
bei bencn er ol^ne ^i^eifel 5nebri(^§ gebadete.
SSill^elm überlebte feinen S3ruber um fieb§e!§n ^o^re.
@r |atte e§ immer empfunben, ba^ bie ^ugenb fein guter
®eniu§ mar. 9^id^t§ i)atte er fo gefürd^tet luie ba§ Sllt-
merben: er mochte a^nen, ha'^ i|m ein langel Seben befc^ieben
mar o^ne bie Q)abe, feinen ©eift jung ju erhalten. 9Ud£|t
bafä feine rüftige Sljiätigfeit n ad) gelaffen l^ätte. 2tber tt)a§
griebric^ gemeiffagt :§atte, t)on5og fic^ bui^ftäblid^: eine un-
gufriebene Slä(te mürbe ^errfc^enb bei i!^m, 3llg er nod^
ta^ frifc^e (ämpfinben unb hk reijbareren @inne ber Sufl^nb
-Tob. 397
gehabt l^atte, mar feine ma^üolle 3>erflänbtgfeit eine S^ugenb
geiüefen, jpäter luurbe ein leere» SSirtuofenttjum barau§. (Sin
fjreunb Xkd^ burfte i^n mit bem alten 5JJift)Iai öergteid^en,
ber einft bie ^ie^lc^ci^c feinc§ übermütl^igen 2öi^e§ mar.
„^er S^eil öon ®c^(eget", fd^rieb SöbeH an Sied, „raelc^er
oft mit ^oraj, S3oi(eau unb anbren gelben ber Sorre!t[)eit
feinen ©pott getrieben, ift öerrauc^t unb verflogen nnb ber
übrig gebliebene ^at e§ immer |alb unbemu^t unb l^eimlic^
mit i^nen gehalten, unb nun fommen biefe ©eifter in feinem
5IIter über i^n unb räd^en fic^ für bie i^nen früher an-
getl^ane Sc^mac^, inbem fie fic^ feiner ganj bemeiftern."
O^ne S^mpat^ie für bie Übertreibenben jünger, bie i^m
aU einem ru^mtüürbigen Raupte eine |erfömmlic^e $ßer=
ebrung lüibmeten, gan§ o^ne Sinn für bie fpäteren Um^»
ftürjter anbrer 5Irt, bas fogenannte Sunge ^eutfc^Ianb,
ftanb er oereinfamt, ber tierfteinerte ©ele^rte ber 3tomantif.
Sßenn er au(^ ju eitel mar, um e§ gujugefte^en, er empfanb
feine SSerein^ehmg bitter unb mar mit \id) fo menig 5U-
frteben mie mit ber 2Bett. ^m ^nnerften feinte er fid^ nadi
ber fd^önen SBärme, bie in ber fonnigen Sugeubgeit in feinem
Stute gemefen mar, nad^ ber grö^Iic^feit unb bem ^erjüc^en
©eläd^ter, ha^» einft im Greife ber gi^eunbe erf(ungen mar.
3;iecf, ber in S)re§ben gid^tbrüc^ig im ße^nftu^Ie fa^, oon
ber (Sräfin 5tnfenftein, feiner gi^au unb feinen S^öc^tern
atlju rcid^Ii(^ Dergöttert, unb feinen Semunberern jabrau§,
jahrein |)Dlberg, @i)afefpcare, dalberon unb anbrer Siebter
Dramen borIa§, fa^ er noc^ jumeiten. (5§ gab mol^t für i^n
etma§ S^ieib unb ©iferfud^t ju überminben angefic^t§ ber
au§gebe^nten unb ungemeffenen 58eliebt:§eit unb S3erüt)mtf)eit
feines einftmaligen @c§ü|Iing§, aber ha§> gab fid^ im Set-
fammenfein unb unter bem ermärmenben ©inftuffe, ben ba§
5arte ®emüt| be§ greunbfc^aftlfünftlerS 3:iecf ausübte.
398 Süb.
SÜBelc^el Setben e§ aber für ben tänbeinben ©efeltfd^aftS*
j(^metterling, für ben .emtg SSerliebten war, aU er bemerten
mufete, 't)a'^ feine ^utbtgungen fein 5rauen{)er§ mel^r fd^neller
fc^Iagen macfiten, baüon giebt ba§ folgenbe ©ebic^t ^cugni^,
beffen befc^eibene ^(age unb fd^merjenbe 2Ba^r|eit au§ biefem
oft ge§ierten, immer bemad^ten SJJunbe boppelt rüf)renb tft:
3u fpöt! gu \püü unb ipodte fic aud) gerne.
Sie ^ugenb, bie mein §aupt gehönet,
®ie ^oe[te, bie meine 93ruft bnrd)tönet,
©ie ftnb entf(Df)en. ©§ Blaffen meine ©terne.
3((f)! U'anim 51ieB \d) einjam nid)t unb ferne?
Sängft tiott' id) fü^em 2;rug nid)t mef)r gefröönet,
®Dd) war be§ 9Sat;ne§ @d)ulb nod) nid)t uerfötjnet,
Unb ^tit ift'§, ha% id) in mir fterben lerne.
(Sin SSeib begegnet mir noll §u[b unb 'äJJilbe,
®od) ift ein Ijett'ger ©ngel ifjr ökfä^rte.
^ barf nid)t bitten unb fte barf nicftt geben,
^(^ fd)aue fe^nenb nad) beut garten 33ilbe,
3)a luinft ber Kf)erub mit bem g-Iammeufdiiuerte:
9iimm 9lbfd)ieb üon ber Siebe, non bem Seben!
S)a§ tvaic ha§ 5:ranrigfte, ba§ er bennoc^ ni(f)t 9Ibfd^teb
nehmen fonnte. Saf? er ben ©d^ein ber ^ugenb, beren
(Sntlueic^en er fo beutHif) füi)Ite, gemaltfam feftjulalten fud^te.
SSenn fc^on einft Ä^arolinc borüber ladete, mie er fid^ falbte,
|)n|te unb fc^mücftc, betrieb er je^t bergteid^en fünfte mit
no(^ berme^rtem (Stfer. 9J?it lüctc^er feltfoLicn, beinah un^eim-
lid^en 9)?ifd^ung t»on| Ö^edeni^afttgteit unb fd^merjlid^em ^ofin
über hie eigene D^arr^eit matt er feine ©rfd^einung tebenbig dor
in einem ©riefe an 5:ied au§ bem ^aljre 1836: „S)u fagft,
id^ ^olte mid^ tapfer. 3d^ beftrebe mic| freiließ, liefen
grüi^üng reite id^ fogar luieber. 5tbenb§ bei fieHem ^erjen*
lid^te, fauber gepu|t unb mit meinen beiben ^ompon§ an-
get^an, in ber neueften, nod^ nid^t fud^fig gelrorbnen ^er«
^ob. 399
rüde bringe tc^ noc^ eine leibtic^e Secoration fierou^. ©c^öne
jDamen fagen mir, id^ muffe lüoljl ein ©e^eimni^ Befi^en,
um mid^ immerfort ju üeriüngen. 5t6er bie ^ffege be§
Seibe» nimmt 3eit loeg. ©a^u bebarf ic^ mi ©d^Iaf unb
5U ungelegenen ©tunben. ®a§ artet juloeilen in ba§ SWurmel-
t^ierifc^e au§. ©ei aber nur nic^t bange öor meiner ©c^Iaf-
mü^igfeit. SSenn id^ mac^ bin, fo bin id) e§ rec^t, befonber§
h)enn eine gelfttge Slnregung l^in^ufommt, unb an guten
©pä^en foH el nid^t fehlen." 2iMe ta§> farriftrte (^efpenft
be§ l^übfd^en 3üngling§ öon einft rtar er anjufe^en, ein
©egenftanb be§ ©potte§ für bie jungen, bie fid^ um ben
tragifi^en ©inn ber läcEierlid^en (Srfd^einung nic^t fümmerten.
3m ^a^re 1838 befud^te SDaüib griebrtd^ ©trauß ben etttja
©iebjigiö^rigen unb fanb in bem SSefuc^S^tmmer, ha^ be§
^au§:^errn eigene 93üfte unb in Del gemaltes S3ilb fd^müdfte,
einen elegant in blauen t^xaä gefleibeten 9JZann, mit brauner,
jugenblic^ locfiger ^errücfe, ber ben 3ln!ömm(tng mit faft
friüoler Setoegtid^feit, föte ©trauf5 fid^ auSbrücft, begrüßte.
SIB ©trou§ am 5lbcnb noc^mats empfangen tüurbc, fa^ am
ßamin ein alte§ SJJännc^en im ©c^Iafrocf, o^ne ^errüde,
ha^ fa^Ie ^aupt mit einem fd^inarjfeibenen 9JJü|d^en bebecEt.
®afe ber ®ret§ ben g^rentben burc^ eine SJJaffe xa\d} :^er=
auSgefprubelter ^enntniffe 5U blenben fud)te, D|ne im minbeften
ein SSet^felgefpräd) auffommen ju laffeu, oeröoHftänbigte ben
betrübenben ©inbrud.
©in anbre§, eigenf^ümlic^ ergreifenbeS 33ilb !^at Henriette
^erj oon bem alten Sreunbe entworfen; öieHeic^t bafe fie
aU 5rau i^n mit anbern klugen aufa^ ober föeit fie i^n
al§ ben öeriuijfinten, ritterlichen 5)i(^ter in feiner fc^önen
Sugenb gefannt ^atte. greilicfi mar e§ 20 "^a^xt öor
©trau§, ba§ fie i^n in S3onn mieberfa^. „2Bie mar er
f^on äuBerlid^ beränbert", erjä^tt fie. „^a§ fonft fo
400 "Job.
glänsenbe Slugc war erlofd^en, ber Xeint Ueid), üerfd^offen,
bie früher fd^Ianfe ©eflalt aufgebunfen, fein fonft fo geift-
reid^eS SBefen luar nur noc^ ju atjnen. Wix mad^ten eine
Sanb«= unb SBaffer^iartie mit Sonner ^rofefforen unb i^ren
grauen, ©ie lüaren luftig unb laut, aber je me^r fie
'bit§> lüurben, befto ernfter unb fttller luurbe ©d^Iegel. Q\i'
Ie|t fa^ er mit öölliger, aber anftänbiger S;^etIna^mIoi'ig=
fett bo, ganj Jüie ein ältlicher gran^ofe, ber nid^t beutfd^
toerfte^t, in einer beutfd^en ®efeIIfc|oft bafä^e, unb aud^ fein
2teu§ere§ iiiiberfprad^ biefem S3itbe nid^t. (gigentlic^ öer[tanb
er auc^ nid^t, loaS um i^n i^er gefprod^en luarb, tüenn er
aud§ hk SBorte ber[tanb. (g§ machte einen fd^merälic^en
©inbrucE auf mirf)."
Tlan fann fein Ieb{)aftere§ unb rü^renbere§ $8ilb ^aben
öon ber fterbenben 3?omanti! im ßörm ber neuen, t^at-
fräftigen 3eit. ^amlet, ber bem eifenftirrenben gortinbraS
ben ^ta^ räumt, ^a, fie öerfd^ipanben fpurIo§, t)U ftürmen«
ben (gröberer, lüie bie glänjenben ©ot^en, bie fo :§errlid^
unb guüerfid^tlid^ begonnen tiatten, toie bie blonben SSanbalen,
bie t£)re l^eimifc^e Straft rafd^ unter glü^enber «Sonne 0er-
f(^roelgten. ^n bem Kriege ber 3Jienfd^[)eit mit bem ©c^idfat
|atte für bieSmal ha§ ©d^icffat gefiegt. 2ßa§ barüber STröft-
lid^eg unb (Srl^ebenbeS gebadet werben !ann, liegt alle§ in
biefen SBorten Oon DfJoOalig: „f^ortfi^reitenbe, immer me^r
fi(^ üergrö^ernbe (äoolutionen finb ber ©toff ber ©efd^id^te.
2öa§ je^t nidEit bie SSotleubung erreid^t, wirb fie bei einem
fünftigen SSerfud^ erreid^en ober bei einem abermaligen; ber-
gängtid^ ift nid^t§, ipa§ bie ß)efd^idf)te einmal ergriff, au§
unjä^Iigen SSerioanblungen ge!^t t§> in immer reid^erer ®e-
ftalt erneut loieber |eit)or."
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